Freitag, 18. Mai 2007

Rußland und Europa heute

Bevor wir uns dem heutigen EU-Rußland-Gipfel in Samara zuwenden, sollten wir kurz den Stand der Beziehungen zwischen beiden diesen beiden Parteien behandeln, wie sie in den vergangenen Wochen in der "westlichen" Presse dargestellt worden sind.

Da waren zunächst Mitte April die Demonstrationen in Moskau und St. Petersburg. Neben der zu erwartenden Berichterstattung zugunsten Kasparows wurden auch Konsequenzen für die Außenpolitik gefordert. Die FAZ warnt vor einer zu engen Zusammenarbeit mit Rußland, da es keine Demokratie sei. Ebenso äußert sich Manfred Quiring in der Welt:

"[...]

Der Westen sollte sich unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse in Moskau und St. Petersburg endlich Rechenschaft darüber ablegen, dass ein Russland in seinem gegenwärtigen Zustand nicht zum Teilnehmer einer strategischen Partnerschaft taugt. Denn eine solche Partnerschaft verlangt mehr als das gegenseitige Interesse an Öl und Gas.

[...]"
Beide bleiben freilich die Antwort darauf schuldig, warum eine fruchtbare strategische Partnerschaft nur zwischen solchen Staaten entstehen könnte, die eine gleichartige innere Ordnung aufweisen. Diese Annahme ist nicht nur rein ideologischer Natur, sondern darüberhinaus auch höchst irrational, denn schon die Heilige Allianz konnte nicht auf Dauer bestehen.
Schärfer wird schon die Londoner Times (siehe auch hier):

"[...]

Those who prefer to ignore Russia’s internal affairs, or think of them as transitional, cannot afford to ignore Mr Putin’s international stance. Although he may not actually beat the conference table with his shoe, as Nikita Khrushchev did at the United Nations in 1960, he is increasingly prepared to display aggression to world leaders. Ruthless to Chechyna and Ukraine, he makes no secret of his contempt for the European Union and Nato. He recently signed a deal to help Iran with its nuclear project despite international protests and he is using US missile defence plans as a justification for returning to the arms race. The bear is showing its claws again and the West had better take note."

Nicht nur, daß Tschetschenien fälschlicherweise als äußere Angelegenheit Rußlands wahrgenommen wird, auch wird das Artikulieren eigener russischer Interessen, sofern sie nicht mit den amerikanischen deckungsgleich sind, als "Verachtung" und "Krallenzeigen" denunziert. Der Gipfel ist allerdings die Unterstellung, Rußland würde einen neuen Rüstungswettlauf anstreben oder dem Iran bei der Entwicklung seiner gefürchteten Massenvernichtungswaffen helfen.

Eine ähnliche Fehlwahrnehmung der Reaktionen auf die US-Politik liegt auch diesem FAZ-Artikel zugrunde, in welchem man einen neuen Kalten Krieg heraufziehen sieht. In diesem Blog wurde schon desöfteren darauf hingewiesen, daß es gerade der "Westen" ist, der in den vergangenen Monaten einem solchen das Wort gerdet hat (siehe hier und hier). Daher ist es absurd, wenn dieses Ansinnen jetzt Putin angedichtet wird: "Der russische Präsident droht Amerikanern wie Europäern mit einer Neuauflage des Ost-West-Konflikts". Und auch die "Verwunderung" über die Aussetzung des KSE-Vertrages war gut gespielt. Im gleichen Blatt demonstriert Klaus-Dieter Frankenberger die übliche Haltung vieler im "Westen" zu Verhandlungen mit Rußland: vorgetragene Bedenken sollen nicht ernstgenommen und die eigenen Interessen rücksichtslos durchgesetzt werden. Und wenn daraufhin Probleme entstehen, so sind diese selbstverständlich allein Moskaus Schuld, man selbst wäscht seine Hände in Unschuld.
Der Subtext dieses Kommentars ist typisch: Moskau hat vor uns den Kotau zu machen - und falls es das nicht tut, so versündigt es sich an der "Zivilisation" und hat sich damit selbst zu unserem Feind erklärt. Wir fordern und Rußland hat bedingungslos zu geben; eine Kooperation kann nur zu unseren Bedingungen erfolgen.

Russische Sicherheitsinteressen werden zu "Drohgebärden" und der "Rache des Bären" umgedeutet. Der letzte Artikel macht auch sehr offen klar, warum man ein Problem mit Rußland hat: es hat in seinen inneren Verhältnissen nicht hinreichend ausländische Vorstellungen umgesetzt , darum sei man "enttäuscht" (sic!). Auch wird wieder von einer Art 'transatalantischer Schicksals- und Wertegemeinschaft' geredet:

"[...]

Das bedeutet, dass die deutsche Regierung sich ebenso wenig entzweien lässt wie die EU, die Nato oder die transatlantische Allianz. Wie immer der US-Präsident auch hieß: Die USA haben zu jeder Zeit für das politische und wirtschaftliche Wohlergehen Europas mehr getan, als Russland das je tun könnte. Und sie verstehen am Ende doch immer sehr viel besser, was die der Demokratie immanente Freiheit bedeutet.

[...]"
Interessant ist ferner, wie selbstverständlich in vielen Artikeln davon gesprochen wird, daß Rußland die Souveränität anderer Staaten zu respektieren habe: die Polens und Tschechiens, um auf ihrem Territorium Teile des US-Raketenabwehrsystems aufzustellen, die Estlands, das ein Kriegerdenkmal umsetzt, die der Ukraine und Georgiens, die der NATO beitreten wollen. Das ist soweit auch völlig richtig - nur sind die gleichen Personen kaum gewillt, im Gegenzug die Souveränität Rußlands zu respektieren: da werden Vorschriften für die Innenpolitik gemacht, NGO's finanziert etc. Und die Unterstützung der 'farbigen Revolutionen' in Georgien und der Ukraine hat zweifelsohne ebenfalls eine Verletzung der Souveränität dieser Staaten dargestellt.
(Wie wenig die EU selbst von der Souveränität ihrer Mitglieder - und deren Demokratie! - hält, hat sie im übrigen bei den 1999 verhängten Sanktionen gegen Österreich unter Beweis gestellt.)

Was beim estnisch-russischen Denkmalsstreit - ebenso wie z.B. im Fall Litwinenko - erneut frappiert, ist die uneingeschränkte Bereitschaft ausländischer Medien, ungeprüft die Behauptungen einer Seite (in diesem Fall der estnischen Regierung) zu übernehmen, wenn sie denn nur gegen Rußland gerichtet sind. Dummerweise fällt ihnen dabei nicht auf, daß die numehrige Behauptung eines koordinierten Vorgehens ihrer bisherigen Darstellung vom wild randalierenden Mob widerspricht. Solange die Russen die Bösen sind, ist alles gut und das eigene Weltbild noch in Ordnung. Auch in der FAZ machen die Estlandversteher, die wohl um die Dominanz ihrer Welt- und Geschichtssicht fürchten (m.E. übrigens zu Unrecht), aus ihrer notorischen Russophobie keinen Hehl:

"[...]

Doch so leicht kommt dem Riesen Russland kein Zwerg davon, der ihm unbotmäßig erscheint. Angesichts der andauernden Freundlichkeiten, die der Kreml Estland angedeihen lässt, sah sich Reval jetzt sogar gezwungen, die EU zu alarmieren. Die Erinnerung, dass Estland nicht länger eine unfreiwillige Sowjetrepublik ist, sondern Mitglied der Europäischen Union und der Nato, kann nicht schaden - in Moskau nicht, in Brüssel nicht und in Berlin erst recht nicht. Denn schon vernimmt man wieder den Chor der Russland-Versteher, der dreistimmig vom armen, gedemütigten Bären singt, dem der Westen so unanständig nah auf den Pelz gerückt sei. Es fehlt nicht mehr viel, dann wird in diesen Kreisen die Sowjetunion postum noch zum Reich des Guten erklärt und Estland zum ewigen Aggressor."
Ein kurzes Resümee der gängigen Einschätzung der russischen Außenpolitik in der deutschen Presse liefert Florian Hassel in der FR:

"[...]

Wer die vergangenen anderthalb Jahre Revue passieren lässt - vom Gasstreit mit der Ukraine über die Sanktionen gegen Moldawien und Georgien, den Litwinenko-Mord bis zur Putin-Drohung, aus Abrüstungsverträgen auszusteigen und jetzt dem Streit mit Estland - dem muss das Tempo Sorge machen, mit dem aggressives Verhalten in Russlands Außenpolitik zunimmt. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Moskau ernsten Streit mit Ländern beginnt, die über mehr politisches Gewicht verfügen als Estland."
Abgesehen davon, daß der Gasstreit mit der Ukraine hier - wie leider usus - seiner geschäftlichen und handelspolitischen Dimension entkleidet und nur als Ausdruck russischer Tyrannei präsentiert wird (das gleiche gilt für die völlig einseitige Darstellung des Konflikts mit Georgien), läßt sich der von Hassel erhobene Vorwurf in den Worten zusammenfassen: Rußland ist nicht mehr nur Objekt, sondern zunehmend auch Subjekt der internationalen Politik und erlaubt es sich, eine eigenständige Außenpolitik zu verfolgen. Wenn dies allerdings schon ausreicht, um einen Staat als "aggressiv" zu kennzeichnen, wie wird man dann von Hassell erst tituliert, wenn man Krieg führt, ohne angegriffen worden zu sein?

Wir halten fest: Nach einem weitgehenden Konsens in den deutschen Medien ist das Verhältnis zwischen der EU und Rußland schon schlecht - oder es sollte verschlechtert werden. Der Grund dafür wird eindeutig auf der russischen Seite gesehen, die sich weigert, sich im Innern (!) wie in ihrer Außenpolitik widerspruchslos ausländischen Vorgaben zu beugen. Diese mediale Darstellung erschreckt nicht nur wegen ihrer inhaltlichen, im Agitprop-Stil gehaltenen Einseitigkeit und Verzerrung, viel mehr muß man um die Analyse- und Entscheidungsfähigkeit deutscher Politiker fürchten. Auf diese Art kann man vielleicht gegenüber Luxemburg oder Liechtenstein vorgehen, aber nicht gegenüber dem flächenmäßig größten Staat der Welt. Sind Journalisten (und Politiker ?) wirklich so an einem Elexier aus demokratischem Messianismus und Machtüberschätzung berauscht, daß sie keine anderen Handlungsempfehlungen geben können und sich der Einsicht verweigern, daß auch der eigene Einfluß begrenzt ist?

Im Gegensatz zu dieser aggressiven Grundhaltung hält Michael Rutz im Rheinischen Merkur noch ein paar versöhnliche Worte für den Fall bereit, daß Rußland seine Sünden bereuen und wieder auf den 'Pfad der Tugend' zurückkehren sollte:

"[...]

Wenn der Westen entschieden, aber immer mit freundschaftlichen Offerten gegenüber Russland handelt: Dann wird vielleicht auch in diesem großen, aber bevölkerungsarmen Reich die Erkenntnis einziehen, dass mit ehrlicher Freundschaft bessere Renditen zu erzielen sind als mit Drohgebärden. Hoffentlich kommt es so, denn Europa braucht Russland."


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