Donnerstag, 31. Mai 2007

Ein politischer Amokläufer

Im Zuge des EU-Rußland-Gipfels in Samara konnte sich Garri Kasparow (zuletzt hervorgetreten durch die "Märsche der Unzufriedenen", siehe hier und hier) wieder einmal, auch in deutschen Medien, als zum Oppositionsführer des "Anderen Rußland" gewordenenes "Schachgenie" profilieren. Doch der so vermittelte Eindruck täuscht. Mit seinen speziell auf das Ausland gerichteten PR-Maßnahmen erweckt Kasparow den Eindruck politischer Kompetenz, die in Wirklichkeit nicht vorhanden ist. Wer seine zahlreichen Statements in der FAZ, der Welt oder dem Wall Street Journal liest, wird bemerken, wie oberflächlich seine politischen Ideen sind (von einem 'Programm' wagt man sich kaum zu reden). Kasparow bleibt in der bloßen Ablehnung Putins befangen, wobei etwa seine Kritik an vermeintlichen wirtschaftlichen Fehlentwicklungen nur ausgesprochen, aber nicht mit Zahlen substantiiert wird. Er wiederholt immer dieselben Schlagworte, ohne seine Thesen zu belegen oder ins Detail zu gehen. Eine positive Perspektive, die über den Anti-Putin-Affekt hinausgeht, wird von ihm nicht vermittelt.

Kasparow zeigt diese Oberflächlichkeit und fehlende Analyse von Problemen, verbunden mit unealistischen Maximalforderungen, aber nicht nur in der russischen Innenpolitik, sondern auch in der amerikanischen Außenpolitik (ja, auch darüber darf er im WSJ, für das er regelmäßig Beiträge liefert, schreiben). Als Beispiel dafür mag dieser Kommentar gelten:
"THE NEXT BATTLE

The War Is Not Yet Won Take the offensive against Baghdad - and Damascus, Tehran and Riyadh.

[...]

On Dec. 6, 1941, World War II was already in full swing. As with the Japanese airstrikes on Pearl Harbor, the Sept. 11 attack brought Americans into a pitched battle over the future of Western civilization--one that the U.S. had ignored for too long.
As in World War II, the war waged by terrorists began with attacks on Jews. Any attempt to separate the Israeli-Palestinian conflict from the war on terror is futile. Once again momentum is building toward a Middle East peace push, but I'm convinced it is hopeless to look for a separate solution to the Middle East crisis before we achieve victory in the war on terror.

As in the 1930s, every delay in prosecuting this war will raise the price of victory, not just in terms of lives lost in the Palestinian conflict, but also of Westerners who will be targeted. Conventional wisdom says that victory against terrorists will require decades. I don't believe it will take anywhere near that long.

[...]"
Dieser im Jahre 2002 verfaßte Text zeigt viel von Kasparows Denken: Der Aufruf zum Kampf nicht nur gegen den Irak, sondern auch gegen den Iran und Syrien (obwohl die USA heute nicht einmal in Mesopotamien Ordnung schaffen können), der Glaube an die 'welterlösende' Kraft der USA, die die letzte Hoffnung Europas seien, drittens der Ersatz konkreten politischen Handelns durch einen 'Kreuzzug'. Auch seine Reduzierung des Nahostkonfliktes auf Angriffe gegen Juden wird der komplexen Situation dort kaum gerecht. Man sieht förmlich den Schaum vor Kasparows Mund, als er diesen Kommentar niedergeschrieben hat. Bei ihm tritt der Insult an die Stelle des Arguments. Diese Einsicht läßt sich auch modester formulieren:
"[...]

No, Mr. Kasparov doesn't need "more money": he's a wealthy person, having profitably played chess until younger competitors pushed him out of the game. Now, living in a bubble and increasingly resembling mad (and maddening) Vladimir Lenin in his last years of the European exile, Kasparov has made his personal hatred for Putin political philosophy.
What can he offer to the thousands of people who happened to stroll down the Nevsky Prospect last Saturday? "Russia without Putin?", as one of the banners over the protest crowd demanded? And then what?

Mr. Kasparov will soon be heading for New York City: to see his wife and newly-born baby who permanently live there, to write editorials for WSJ, and to plan, surely, new "protest actions." If anything bothers him, it's not "raising prices" in St. Petersburg."
Nicht nur in seinem Stil, auch inhaltlich liegt Kasparow auf einer Linie mit den ameriknischen Neocons. Daher verwundert es nicht, daß er auch in ihren Institutionen tätig ist. Allerdings muß er aufpassen, dadurch nicht zu stark als "fünfte Kolonne Washingtons" wahrgenommen zu werden, denn dies könnte seine ohnehin nicht große Bedeutung in der russischen Politik weiter reduzieren. Im Gegensatz zu Deutschland steht Patriotismus in Rußland hoch im Kurs. (In diesem Zusammenhang könnte man auch danach fragen, was den armenischen Juden, der jetzt in den USA lebt, zu seinem Engagement in Rußland treibt. Allein hehre Ideale?)

Die Finanzierung von Kasparows Aktivitäten übernimmt nicht nur der amerikanische Steuerzahler, sondern, wie jüngst bestätigt wurde, auch der Möchtergernrevoluzzer Boris Beresowski:
"[...]

Exiled Russian oligarch Boris Berezovsky claimed yesterday that he was funding one of the most outspoken opposition groups to President Vladimir Putin, almost certainly increasing strains between the UK and Moscow, report Jimmy Burns in London and Neil Buckley in Moscow.
The London-based billionaire told the FT that he was helping finance the Other Russian Coalition, as he launched his latest attack on Mr Putin and the alleged involvement of the Russian state in the murder in London of Alexander Litvinenko.

[...]"
Da Kasparow als Person mittlerweile scheinbar selbst deutschen Journalisten suspekt ist, wird stattdessen etwa Michael Kasjanow im Focus interviewt. Dort darf er, ganz im Sinne der Mehrheitsmedien, die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Rußland und der EU exklusiv der russischen Innenpolitik anlasten und ihrer Versündigung an den "gemeinsamen Werten":
"[...]

Statt die Partnerschaft zu vertiefen wie früher, haben wir heute eine Krise an allen Fronten. Schuld ist die falsche Innenpolitik in Russland. Moskau führt die gemeinsamen Werte, die Russland und die EU verbinden, ad absurdum.

[...]"
Wie ein treuer Hund, der weiß, was sein Herrchen - in diesem Fall Boris Reitschuster - von ihm erwartet, beschuldigt Kasjanow ferner die russische Führung, den "Westen" als Feind hinzustellen. Daß in ebendiesem Westen seit Jahren ein antirussischer, nur mühsam als Putin-Kritik kaschierter Mainstream herrscht, wird dabei wohlweislich verschwiegen. Hier zeigt sich wieder ein alter Affekt: Die Russen haben zu tun, was ihnen die Europäer sagen und nur dann werden sie als 'zivilisierte Menschen' akzeptiert. Wenn nicht, droht ein neuer Kalter Krieg. Kasparow & Co. könnten in der Tat Gewähr dafür bieten, daß auch die russische Politik künftig wieder verstärkt (wie bereits in den 1990er Jahren) ausländischen Einflußnahmen zugänglich ist.

Allerdings darf die überzogene Aufmerksamkeit, welche diese Leute hierzulande erfahren, nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihre Aussichten auf Wahlerfolge gering sind. Schon beginnt das alte Leiden der russischen Liberalen (die ja teilweise mit Kasparow sympathisieren) erneut: die Fraktionierung der ohnehin einflußarmen politischen Bewegung. Vor zwei Tagen hat Wladimir Bukowski, der ebenfalls zu Kasparows Bewegung zählt, seine Kandidatur für die Präsidentenwahlen 2008 bekanntgegeben. Damit will neben Kasjanow ein zweiter Bewerber aus Kasparows Umfeld demnächst russischer Präsident werden! Kann der vielglobte Schachweltmeister nicht einmal in seinem eigenen Beritt für Ordnung und eine Bündelung der Kräfte sorgen? Was wird erst werden, falls diese Leute einmal über reale Macht verfügen?

Spätestens dieses Aufstellen zweier Präsidentschaftskandidaten sollte - wie bereits die Heterogenität des Bündnisses "Das andere Rußland" - ausländischen Beobachtern die Augen für die Politikunfähigkeit von Kasparow öffnen. Mehr als Destruktion ist von ihm nicht zu erwarten.
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Foto: Nowaja Gaseta

Mittwoch, 30. Mai 2007

(Nichts) Neues im Fall Litwinenko

In den Fall Litwinenko ist in der vergangenen Woche wieder Bewegung gekommen. Die britischen Strafverfolgungsbehörden beschuldigen Andrej Lugowoj, ehemaliger Mitarbeiter des FSB und Beresowskis, des Mordes an Litwinenko und haben Rußland um seine Auslieferung ersucht. Die russischen Behörden verweigern sich diesem Ansinnen und bieten stattdessen einen Prozeß gegen Lugowoi vor einem russischen Gericht an. (Eine gute Erörterung findet sich bei Sean Guillory.) Unterdessen ist der Beschuldigte zum öffentlichen Gegenangriff übergegangen.

Die Auslieferungsfrage ist damit zum Kern der juristischen und politischen Auseinandersetzung geworden. Bereits im Dezember 2006 habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß (wie in Deutschland auch) die Auslieferung eines russischen Staatsbürgers durch die russische Verfassung untersagt wird und das zwischen Rußland und Großbritannien auch kein bilaterales Auslieferungsabkommen existiert. Insoweit findet zwischen beiden Staaten also das Europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957 Anwendung, dessen Art. 6 jedoch eine wichtige Bestimmung enthält:

"(1) a. Jede Vertragspartei ist berechtigt, die Auslieferung ihrer Staatsangehörigen abzulehnen.
b. Jede Vertragspartei kann, was sie betrifft, bei der Unterzeichnung oder der Hinterlegung ihrer Ratifikations- oder Beitrittsurkunde durch eine Erklärung den Begriff "Staatsangehörige" im Sinne dieses übereinkommens bestimmen.
c. Für die Beurteilung der Eigenschaft als Staatsangehöriger ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Auslieferung maßgebend. Wird diese Eigenschaft jedoch erst zwischen der Entscheidung und dem für die übergabe in Aussicht genommenen Zeitpunkt festgestellt, so kann der ersuchte Staat sich ebenfalls auf die Bestimmung des Buchstaben a dieses Absatzes berufen.

(2) Liefert der ersuchte Staat seinen Staatsangehörigen nicht aus, so hat er auf Begehren des ersuchenden Staates die Angelegenheit den zuständigen Behörden zu unterbreiten, damit gegebenenfalls eine gerichtliche Verfolgung durchgeführt werden kann. Zu diesem Zweck sind die auf die strafbare Handlung bezüglichen Akten, Unterlagen und Gegenstände kostenlos auf dem in Artikel 12 Abs. 1 vorgesehenen Wege zu übermitteln. Dem ersuchenden Staat ist mitzuteilen, inwieweit seinem Begehren Folge gegeben worden ist."
Dazu hat die Russische Föderation am 9. März 2000 folgende Erklärung abgegeben:

"With respect to sub-paragraph "a" of paragraph 1 of Article 6 of the Convention the Russian Federation declares that in accordance with Article 61 (part I) of the Constitution of the Russian Federation a citizen of the Russian Federation may not be extradited to another State."
Damit ist die Rechtslage klar und die Verlautbarungen der russischen Generalstaatsanwaltschaft dürften eigentlich niemanden überraschen; genauso wie ihr Vorschlag, Lugowoj in Rußland anzuklagen, in völliger Übereinstimmung mit dem Abkommen steht. Auch in der britischen Presse wird das von kundigen Autoren festgestellt. Selbst Robert Amsterdam kann sich vor diesem Ergebnis nicht drücken (auch wenn er dabei seinem Lieblingssport - Putin- und Rußland-bashing - nachgeht):

"[...]

Can Russia credibly assert that it joined the Extradition Convention with no intention ever to extradite a Russian citizen suspected of murder?

While, as described above, the Russian Constitution declares that Russian citizens "may not" be extradited - and while the Extradition Convention contains an opt-out clause regarding a state's own nationals, how can Russia expect comity in international legal cooperation if it invokes these narrow exceptions in all cases involving its citizens - especially for a grave crime such as murder? And what signal does this send to Russian criminals or would-be wrongdoers about the consequences of committing serious misdeeds abroad?

In November 2006, Russian prosecutors signed a memorandum of understanding with their British counterparts, intended to facilitate extraditions between them. Clearly, that agreement is now in tatters.
After desperately seeking extradition to Russia of various political opponents over the past several years, the Kremlin's refusal to yield one of its nationals in this remarkable murder case is yet another example of "à la carte" legalism - invoking the law when it achieves objectives and ignoring it when convenient to do so.

[...]"

Folgte man Amsterdams (verworrener) Argumentation, so wäre jeder Staat, der sich weigert, seine eigenen Staatsbürger auszuliefern, unfähig und unwürdig für die internationale Rechtshilfe. Bedenkt man, daß dazu auch Deutschland zählt, dann wird die Haltlosigkeit dieses Einwandes ("À la carte-Legalismus") schnell klar.

Was macht nun die angelsächsische Presse aus diesem juristischen Befund? Sie versucht, einen Skandal herbeizuschreiben. Dazu drei Beispiele. Der Daily Telegraph kommentiert:

"[...]

[Putin's] government is expected to refuse flatly to extradite the former KGB officer Andre Lugovoi, who has been formally charged by Britain with the murder of Alexander Litvinenko. Mr Litvinenko was granted political asylum by this country and had become a British citizen. He was murdered on British soil. There can be no legal doubt that the man alleged to be responsible for the crime should be returned to this country for trial.
Whatever the affiliations of any of the figures in this murky drama, it is outrageous that Russian agents should be allowed to settle their internecine scores in Britain and remain beyond the reach of our due process. Russia may claim the right, under article six of the 1957 European Convention on Extradition, to refuse to extradite its own national, but the spirit of that convention would oblige it to try Mr Lugovoi in its own courts.

Needless to say, Russia's history of non-cooperation with British police in this case inspires very little confidence of a just outcome. Britain's request for extradition can scarcely be more than a gesture on the part of the Foreign Office - presumably designed to make clear the contempt in which Russia holds international legal standards.
The request and the inevitable refusal will provide another chapter in the sinister story of Russia's determination to be a law unto itself in its relations with the world.

[...]"
Und in der Washington Post heißt es:

"[...]

Russia's refusal to extradite the prime suspect in the polonium poisoning of Alexander Litvinenko in London last November reveals the essential amorality of the Putin regime and its false narrative of recent history. That narrative increasingly undermines the Kremlin's relations with Europe and the United States.

[...]"

Edward Lucas nimmt schließlich den Fall zum Anlaß, um in der Daily Mail - zum wiederholten Male - zu einem neuen Kalten Krieg mit Rußland zu blasen.

Die russischen Behörden können offenkundig also tun, was sie wollen, die "westliche" Presse wird ihr Handeln immer als 'unmoralisch' oder 'rechtswidrig' kritisieren. Das ist jetzt der Fall und würde mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dann getan werden, wenn es zu einer Auslieferung Lugowojs käme. Dann würden die Journalisten sofort den offenen Verstoß gegen die russische Verfassung brandmarken und - wie auch jetzt - den Mangel an einer "rule of law" beklagen. Um von dem dünnen Eis, auf dem man sich damit bewegt, abzulenken, befleißigt man sich einer aggressiven Rhetorik.

Dieses Beispiel macht deutlich, daß es nicht um berechtigte und sachlich fundierte Kritik an der russischen Regierung und den unstreitig vorhandenen Problemen in Rußland geht, auch nicht um Rechtsstaatlichkeit etc., sondern um pure Russophobie. Mithin gibt es im Kern nichts neues im Fall Litwinenko zu vermelden: immer noch die gleiche Unsachlichkeit und die gleiche Ignoranz der Medien wie im November und Dezember 2006.

Montag, 28. Mai 2007

Presseschau zur Erdgaskonferenz

Die Erdgaskonferenz, die am vergangenen Mittwoch in Berlin stattgefunden hatte und über die in diesem Blog ausführlich berichtet wurde, hat erwartungsgemäß in der russischen Presse einen breiteren Widerhall gefunden als in der westeuropäischen. Vielleicht stand die Tagung zu sehr im Schatten von Putins Besuch in Österreich, bei dem es auch um gemeinsame Erdgasprojekte ging (siehe hier, hier und hier).
RIA Nowosti hat auf Deutsch ebenfalls nur in zwei kurzen Meldungen über die Konferenz an sich und über die Absichten von Gasprom berichtet; ebenso Prime-Tass (auf Russisch). Der Bericht von Nowyj Region ist etwas länger, beschränkt sich aber weitgehend auf die Wiedergabe der Äußerungen Walerij Jasews. Ein sehr ausführlicher Artikel ist hingegen in der Wirtschaftszeitung RBK Daily erschienen.

Den längsten Bericht in Westeuropa, aus der Feder von Judy Dempsey, brachte die International Herald Tribune:
"[...]

Europe's three largest gas companies called Wednesday for greater political support for increased business ties with the Russian energy giant Gazprom, saying growing tensions between Moscow and the European Union should not be allowed to jeopardize energy security.

[...]

As EU and Russian leaders continue to disagree, the bloc's big energy companies are making their own deals with Gazprom. With Russia as Europe's most important supplier of natural gas - demand for which is expected to rise sharply over the coming 10 years - officials at an energy conference in Berlin, sponsored by the Russian Gas Society said both sides had an interest in increasing energy security.
"It is about long term contracts, infrastructure joint ventures and asset swaps," said Uwe Fip, senior vice president of E.ON Rurhgas.
Edouard Sauvage, vice president of the supply division of Gaz de France, said the strategy toward Russia was to have reliable and secure contracts for energy delivery.
"Russia is our neighbor," said Jean-Marie Devos, secretary general of Eurogas, the agency that represents the industry. "We should take energy on its own merits and not let the political climate affect it."

E.ON Ruhrgas, the only non-Russian company to have a seat on Gazprom's board, is part of the Russian-German consortium building the €9 billion, or $12.1 billion, North European Gas Pipeline, which will allow Russia to bypass Poland by sending gas to Europe under the Baltic Sea. This project "needs political support otherwise no one will take the risk," Fip said.
Eni this year concluded a major contract with Gazprom that involves long-term gas supply contracts, distribution and production deals. "International and national companies must work together," said Domenico Dispenza, chief operating officer of Eni.

His remarks reflected growing concern by companies attending the conference over the deteriorating relations between Russia and the European Union. The two sides are at loggerheads over issues ranging from Putin's clampdown on human rights and press freedom to Russia's refusal to endorse a UN plan that would grant Kosovo independence from Serbia.
Putin's state visit to Austria was focused on bilateral trade and investments, both of which are thriving. "Around one-third of Russian gas goes through the Austrian
territory," Putin said, according to Reuters. "This is our contribution to the European energy security." But he failed to win support on any of the issues that caused the EU-Russian summit meeting to fail last week in the Russian city of Samara.

[...]

In Berlin, Vladimir Kotenev, Russia's ambassador to Germany, opened the energy conference with a scathing attack on what he termed anti-Russian media coverage in countries like Poland and Germany. "It is coverage which is negative for the overall development for business," Kotenev said. "No matter what Russia does, it is always given a negative assessment."

The EU is Russia's largest trading partner, with 30 percent of its oil imports coming from Russia and 50 percent of its gas imports, according to the European Commission.
But some European governments, particularly Poland and the Baltic states, say Russia is using its energy as a political weapon. In particularly, they have repeatedly criticized the German-led plans for the trans-Baltic pipeline, which they claim will make EU members to the east more vulnerable to Russian pressure.
Kotenev dismissed such worries. "The business community knows that gas is not a weapon in order to threaten Europe, which the media say," he said.

For its part, Eni has extended its contracts with Gazprom until 2035, while Gazprom this year will be able to enter the Italian gas distribution market through Eni's pipelines.
Sergei Chelpanov, deputy director of Gazprom's export division, said the company would be selling up to three billion cubic meters a year by 2010, and Eni would obtain a stake in exploration and production in a Gazprom gas field. Both companies also agreed to the joint development of liquefied natural gas.

E.ON Ruhrgas and Gazprom are negotiating asset swaps that will give the German company access to a production field in Russia in return for Gazprom buying some of its assets in Hungary.
Gaz de France, too, recently signed long-term supply contracts with Gazprom. Sauvage said such certainty over gas supplies, "enables cost intensive projects to be finished and guarantees the security of supply." As part of that deal, Gaz de France agreed to give Gazprom access to its distribution network whereby it will start selling gas directly to industrial customers later this year."
Mir seien bitte zwei Anmerkungen zu diesem Artikel gestattet. Zunächst darf auch hier ein typisches Merkmal der hiesigen Rußlandberichterstattung nicht fehlen: das konsequente Ausblenden einiger relevanter Fakten, um dadurch das gezeichnete Bild in eine bestimmte Richtung zu verschieben. Die Konferenz wurde eben nicht nur - wie von Dempsey suggeriert - von der Russischen Gasgesellschaft veranstaltet, sondern auch von Eurogas. Auch hört sich die Zahl, daß 50 % aller Gasimporte der EU aus Rußland kommen erheblich dramatischer an als die 24 %, die den Anteil russischen Erdgases am in der EU insgesamt verbrauchten Gas kennzeichnen.

In Deutschland hat das Handelsblatt vom 24. Mai ausführlich über die Tagung berichtet:

"Europas Industrie setzt weiter auf den Kreml

[...]

Ungeachtet der politischen Spannungen zwischen Russland und der EU will Europas Industrie ihre Wirtschaftsbeziehungen zum Riesenreich noch intensivieren. Vor allem die Energiekonzerne halten an ihrer Erdgas-Kooperation mit Moskau fest. Das unterstrichen Vertreter führender europäischer Energieversorger wie Eon-Ruhrgas, Gaz de France, Eni, TNK-BP und Gazprom beim "Energiedialog Russland-Europa" in Berlin. Auch im Umfeld des EU-Außenbeauftragten Javier Solana in Brüssel hieß es, der wichtigste Schritt zu mehr Versorgungssicherheit für Europa sei, "wieder Vertrauen in Russland zu bilden".
Die Beziehungen zwischen Moskau und Brüssel haben sich seit Monaten dramatisch verschlechtert.

[...]

Die europäische Industrie warnt dagegen vor einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen der EU zu Russland. Vielmehr solle die im künftigen Partnerschaftsabkommen vorgesehene russisch-europäische Freihandelszone "zum Rückgrat der geplanten strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Russland werden", erklärte der European-Russian Round Table of Industrialists in Brüssel. Die Energiekooperation könne zum Schlüssel werden.
Fraser Cameron, Direktor des EU-Russia Centre in Brüssel, warnte vor allem Polen und die Balten vor einer Verhärtung: "Mit Vetos spielt man nicht in der EU. Vor allem, da Länder wie Frankreich oder Deutschland mächtig genug sind, um eigene, bilaterale Verträge mit Russland abzuschließen, die im Ergebnis für Polen immer schlechter sind als EU-Abkommen mit Moskau."

Europäische Energieexperten weisen zudem darauf hin, dass Russland - das schon heute 35 Prozent des in Europa verbrauchten Erdgases und 30 Prozent des Öls liefert - für den alten Kontinent immer wichtiger wird: Europas Gasnachfrage steige von heute 478 Mrd. Kubikmeter jährlich auf 675 bis 739 Mrd. Kubikmeter in 2020. Dabei bestehe nach heutigen Berechnungen eine in dem Jahr zu erwartende Versorgungslücke von 150 Mrd. Kubikmetern. Diese sei ohne mehr Erdgas aus Russland nicht zu schließen.
Allerdings auch nicht mit Russland allein; deshalb verlangten EU-Experten nach einer Diversifizierungsstrategie: Denn auch die von Gazprom zusammen mit Eon und BASF geplante Ostsee-Gaspipeline Northstream bringe nur eine zusätzliche Kapazität von 55 Mrd. Kubikmetern und die von Gazprom gewollte Verdoppelung der Kapazität der Blue-Stream-Pipeline durch das Schwarze Meer weitere 16 Mrd. Kubikmeter.

Diese letztere Route ist auch innerhalb der EU umstritten: Österreich und andere westeuropäische Länder favorisieren den Bau der so genannten Nabucco-Pipeline in der Türkei, von wo aus Erdgas aus dem Raum ums Kaspische Meer und dem Iran nach Europa gepumpt werden könnte. Dagegen opponieren die USA, die den Iran wirtschaftlich isolieren wollen, "und Herr Putin", wie ein EU-Kommissionsvertreter sagte. Denn Russland wolle Europa in einer Gas-Geiselhaft und Abhängigkeit von russischem Gas halten. Deshalb setzen Gazprom und Ungarn auf die Schwarzmeer-Route für weiteres russisches Erdgas nach Europa.

Einen weiteren Schritt dorthin hat Putin vor zwei Wochen unternommen: Zusammen mit Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan hat er den Bau einer Kaspi-Pipeline bekannt gegeben. "Das ist der Tod der europäischen Bemühungen um Erdgas vom Kaspischen Meer", sagte der Vertreter eines europäischen Versorgers.
Auch Walerij Jasew, Chef des Energieausschusses des russischen Parlaments, sagte dem Handelsblatt: "Die Europäer können gern die Nabucco-Pipeline bauen, aber sie wäre leer. Denn in den dortigen Ländern wird die EU kein Gas bekommen." Damit steht die von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier maßgeblich beförderte EU-Zentralasien-Strategie vor dem Scheitern.

Während Russland so die Gaslieferungen aus der früheren Sowjetunion zu monopolisieren versucht, drohe bei Gazprom selbst eine große Versorgungslücke. Davor warnte in Berlin Noe Van Hulst von der Internationalen Energieagentur: Allein Gazprom müsste jährlich zehn Mrd. Dollar in die Modernisierung und den Ausbau seiner Kapazitäten stecken, investiere aber pro Jahr nur vier Mrd. Dollar. Europa müsse sich deshalb auf eine immense Erdgas-Lücke gefasst machen, so Van Hulst."
Auch dieser Autor (Mathias Brüggmann) kann offensichtlich nicht der Versuchung von Zahlenspielen widerstehen. So wird bei ihm aus dem schon erwähnten Importanteil des russischen Erdgases in Höhe von 24 % flugs die von ungenannten Experten verbreitete Zahl von 35 %. Und auch er schürt die irrationale Angst vor einer vermeintlichen Energie-"Geiselhaft" der EU, freilich ohne die ebenso großen Obstruktionsmöglichkeiten der Transitstaaten - z.B. der notorisch instabilen und beim Gasstreit 2005/2006 bereits erwiesermaßen unzuverlässigen Ukraine oder einer germanophoben Regierung in Polen - zu erwähnen. Außerdem scheint es zu irritieren, daß auf beiden Seiten eben Unternehmen, nicht jedoch Staaten im Gasgeschäft agieren.
Hart an der Grenze zur bewußten Desinformation bewegt sich ferner der letzte Absatz. IEA-Chef van Hulst hat vor dem sich weltweit abzeichnenden Mangel an Investitionen im Erdgasbereich gewarnt und die Zahlen für Rußland lediglich beispielhaft erwähnt, da es auf der Konferenz um den Energiedialog zwischen Rußland und der EU ging. Er hat sofort hinzugefügt, daß es nicht darum gehen könne, "mit dem Finger auf jemanden zu zeigen". Genau das tut aber Brüggmann. Van Hulst hat explizit nicht vor einer "immensen Erdgas-Lücke" in der EU gewarnt, die exklusiv den 'bösen Russen' anzulasten sei, auch wenn dies den russophoben Klischees hierzulande am ehesten entsprechen sollte.

Sowohl im IHT- als auch im Handelsblatt-Artikel wird zudem der unterschwellige Eindruck erweckt, die mit Gasprom kooperierenden europäischen Unternehmen würden die notwendige Solidarität in der EU, die man für den Kampf gegen den 'neuen Zaren' und 'angehenden Diktator' Putin bräuchte, aus niedrigen Beweggründen (Gewinnerzielung) untergraben, anstatt sich dem 'Kampf um die Demokratie' anzuschließen. Die Akzeptanz, die diese Haltung in der EU mittlerweile zu finden scheint, ist ein Indiz dafür, wie weit die Wahrnehmung geopolitischer und -ökonomischer Realitäten durch Ideologie vernebelt werden kann.

Wie schon durch den Vergleich der beiden zuletzt erwähnten Texte mit dem auf der Konferenz wirklich gesagten deutlich wird, geht es bei der medialen Darstellung der Zusammenarbeit zwischen der EU und Rußland (auch) im Energiebereich weniger um eine nüchterne Präsentation von Fakten, sondern vielmehr um das Schüren von Ängsten und Ressentiments. Warum hat man nicht genauso viel Angst vor einer zu großen Energieabhängigkeit von den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens - einer Weltregion, die zweifelsohne ein größeres Pulverfaß als Rußland ist?

Zuguterletzt sei noch auf einen gänzlich anders gearteten Artikel hingewiesen, der auch den Konferenzbericht dieses Blogs aufgegriffen hat: "Kappt EU die Ölpreisbindung?"

Der Bürgerkrieg scheint abgewendet


Eine Spezialeinheit der ukrainischen Polizei in Kiew (Foto: AP).


Am Wochenende ist die Ukraine nur knapp einem ausgewachsenen Bürgerkrieg entgangen. Am Samstag hatte sich die Lage zugespitzt, nachdem es zu Truppenbewegungen in Kiew gekommen war. Schon am Donnerstag hatten Polizeikräfte die Generalstaatsanwaltschaft besetzt, deren Leiter Präsident Juschtschenko kurz zuvor abgesetzt hatte, wobei es erstmals zu Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Sicherheitskräften gekommen war. Für kurze Zeit schien alles auf eine gewalttätige Eskalation hinauszulaufen: Teile der Truppen des Innenministeriums, der Armee und des Nachrichtendienstes für Juschtschenko, andere Polizeikräfte für Janukowitsch. Auch Blogger haben darüber live berichtet (siehe hier und hier).

Doch am Sonntag kam dann die - vorläufig - erlösende Nachricht: Beide Kontrahenten haben sich auf einen Termin für die Neuwahlen des aufgelösten Parlaments, den 30. September, geeinigt und hätten damit die Staatskrise beigelegt:

"[...]

Juschtschenko und Janukowitsch hatten sieben Stunden lang verhandelt, bevor sie vor die Presse traten. «Es ist eine Entscheidung erreicht worden, die einen Kompromiss darstellt», sagte Juschtschenko nach einer mehr als achtstündigen Sitzung. «Jetzt können wir sagen, die politische Krise in der Ukraine ist vorbei.» Janukowitsch erklärte, beide seien sich darin einig, dass das Land nicht in Gewalt abgleiten dürfe und eine solche politische Krise in Zukunft vermieden werden müsse. «Wir werden alles tun, damit sich dies nicht mehr wiederholt», sagte der Regierungschef.

[...]

Damit die Neuwahl tatsächlich stattfinden kann, muss das Parlament - in dem Janukowitschs Koalition die Mehrheit hat - der Einigung zustimmen. Dazu muss aber erst der Staatschef seinen eigenen Erlass von Anfang April vorübergehend rückgängig machen, in dem er das Parlament aufgelöst hatte. Die Abgeordneten sollen am Dienstag und Mittwoch abstimmen.

[...]"
Im letzten Absatz wird schon angedeutet, weshalb man zum jetzigen Zeitpunkt wohl nur von einer scheinbaren Lösung der Staatskrise sprechen kann, denn selbst wenn sich die Kontrahenten bezüglich des Wahltermins einig sind, so scheint nach wie vor offen, wie der ukrainische Staat bis dahin funktionieren soll: Der Präsident muß seine Auflösung des Parlaments zurücknehmen, wenn er nicht bis dahin Gesetzgebung per Präsidialdekret betreiben will. Fraglich ist auch, wie es in der Justiz (Verfassungsgericht und Generalstaatsanwaltschaft) weitergeht - hält Juschtschenko an seinen zweifelhaften Personalentscheidungen fest? Wer kontrolliert ab sofort die Sicherheitskräfte? Sollte nicht für alle diese zentralen Fragen eine von beiden Seiten akzeptierte Lösung gefunden werden, besteht die Gefahr, daß der offene Konflikt bei dem kleinsten Anlaß wieder ausbricht. Ein Vierteljahr kann lang sein.

Was bleibt nun aus deutscher Sicht festzuhalten? Juschtschenkos Lack als 'Westler', auf den so viele Wert gelegt haben, ist endgültig ab. Er hat in den vergangenen Wochen aus purer Machtbesssenheit nahezu alle Staatsorgane beschädigt: das Parlament wurde aufgelöst, die Justiz erheblich eingeschüchtert und , Gerüchten zufolge, Vorbereitungen für die Einsetzung einer Parallelregierung getroffen. Es ist schon bezeichnend, wenn in der EU, wo man sonst auf jede Verletzung "westlicher Werte" empfindlich reagiert, das Eingreifen des Präsidenten in die Arbeit des Verfassungsgerichts mitten in einem laufenden Verfahren kaum Kritik gefunden hat. Das gleiche gilt für die Entlassung des Generalstaatsanwalts oder Juschtschenkos Vorbereitungen einer militärischen Lösung des Konflikts. In einer Gesamtschau kann man sein Verhalten schwerlich anders charakterisieren denn als "Putschversuch" zur Ausschaltung aller anderen Staatsorgane. Und es scheint noch nicht ausgemacht, ob und wann sich die Institutionen des ukrainischen Staates von den Schlägen dieser Krise wieder erholen werden.

Präsident Juschtschenko hat die Ukraine in eine Situation geführt, die in der Tat an die in Rußland anno 1993 sowie an lateinamerikanische Bananenrepubliken erinnert. Damit dürften auch alle hochfliegenden Pläne für eine Aufnahme des Landes in NATO und EU dahin sein. Das Drängen, der Ukraine eine Entwicklung aufzuzwingen, die nicht von der Mehrheit des ukrainischen Volkes gewünscht wird, hat auch die europäische Politik in eine Sackgasse geführt. Sie sollte unbedingt die Hinweise beherzigen, die Nikolas Gvosdev für die amerikanische Politik gegeben hat. Die darin angeratene Offenheit für autochthone Entwicklungen geht weit über die heuer gezeigte Neutralität des Augenblicks hinaus.
Es wäre in diesem Zusammenhang auch interessant zu erfahren, welche Rolle die Botschafter der EU-Staaten und der USA im jüngsten Kompromiß gespielt haben.
Schließlich hat diese Krise eines erneut gezeigt: In einer dramatisch zugespitzten Situation kommt es meist mehr auf die Legitimität als auf die Legalität einer Entscheidung an. Insofern hat sich die Ukraine wirklich in einer revolutionären Situation befunden.

Freitag, 25. Mai 2007

Konferenzbericht: Katastrophenschutzrecht


Am Donnerstag fand in der Berliner Humboldt-Universität eine Tagung zu den Grundlagen und Perspektiven des Katastrophenschutzrechts statt, über die nachfolgend kurz - da für die meisten Leser sicher kaum von Interesse - berichtet werden soll. Für die Organisation zeichnete Michael Kloepfer zusammen mit den beiden Forschungszentren für Umwelt- und Technikrecht verantwortlich. Zugleich wurde das kürzlich neugegründete (und ebenfalls in Berlin ansässige) Forschungszentrum Katastrophenrecht vorgestellt.

Die Vorträge wurden bestritten von: Lars Clausen ("Sind Katastrophen beherrschbar?"), Ulrich Cronenberg ("Katastrophenschutz: Gesellschaftliche oder staatliche Aufgabe?"), Klaus-Georg Meyer-Teschendorf ("Diskussion um eine 'Neuordnung' des Zivil- und Katastrophenschutzes"), Rolf Stober ("Befugnisse und Kontrolle im Katastrophenschutzrecht"), Felix Ekardt ("Katastrophenprävention"), Christian Armbrüster ("Katastrophenschäden") und Christoph Unger ("Ist Deutschland auf Katastrophen vorbereitet?").



Das - neben dem von Stober - für den Fachmann sicher interessanteste Referat der Tagung hat Meyer-Teschendorf aus dem Bundesinnenministerium über den aktuellen Stand der Neuordnungsdiskussion im Zivil- und Katastrophenschutz gehalten. Ausgehend von der im Jahre 2002 formulierten "Neuen Strategie zum Schutz der Bevölkerung" stellte er die konzeptionellen Neuerungen aus Sicht des Bundes kurz vor. Weiters ging er auf die aktuelle Frage nach den Rechtsgrundlagen der Bundesaktivitäten im Bevölkerungsschutz, die sich längst nicht mehr auf die klassische Bundesaufgabe Zivilschutz (Art. 73 I Nr. 1 GG) beschränken, ein. Überhaupt sei die überkommene Trennung in Zivil- und Katastrophenschutz mittlerweile fragwürdig geworden.
Zwischen Bund und Ländern besteht laut Meyer-Teschendorf ein weitgehender Konsens darüber, daß das bis jetzt geltende Zivilschutzgesetz durch ein umfassenderes Bevölkerungsschutzgesetz ersetzt werden soll. Strittig sei aber noch dessen verfassungsrechtliche Grundlage, denn der bisherige Art. 73 I Nr. 1 GG würde ein solches Gesetz nicht tragen. Es bedürfte also einer Änderung des Grundgesetzes, was von den Ländern aber eher abgelehnt wird. (Selbige handeln - wie in diesem Bereich seit Jahrzehnten üblich - nach dem Grundsatz, der Bund möge ihnen vor allem Geld zur Verfügung stellen, sich ansonsten aber heraushalten.) Das BMI hingegen beharre (was viele Experten befürworten) auf der Schaffung einer zentralen Steuerungs- und Koordinierungskompetenz des Bundes im Bevölkerungsschutz, vor allem, um die Bewältigung länderübergreifender Lagen zu erleichtern.
Ferner fordern einige Länder die Schaffung eines originären Katastrophenschutzauftrages für die Bundeswehr (bisher wird diese im Rahmen der Amtshilfe bzw. der Organleihe nach Art. 35 GG tätig), wofür bundesseitig aber derzeit kein Bedarf gesehen werde. (Recht so, denn schon jetzt fungieren die Streitkräfte z.T. als billige Personalreserve der Länder, die so von ihren eigenen organisatorischen und finanziellen Versäumnissen im Katastrophenschutz ablenken.) Über das gesamte Thema wird derzeit noch in der vom Arbeitskreis V der Innenministerkonferenz eingesetzten AG Rechtsfortbildung diskutiert, auf der nächsten Sitzung der IMK sollen aber schon 'Beschlüsse' gefaßt werden.

Abschließend noch ein Eindruck aus der anschließenden Diskussion. Ein Teilnehmer machte die - nur auf den ersten Blick amüsante - Bemerkung, daß es neben der Bundesrepublik de facto auch einen "grauen Staatenbund Deutschland" gebe, der eigene Organe wie die Innenministerkonferenz besitze und sich über Verwaltungsverträge koordiniere, was in der Praxis zu großen Schwierigkeiten führe.



Bilder: 1. - Hauptgebäude der HU (Foto: www.washjeff.edu); 2. + 3. - Im Senatssaal der HU (Fotos: Vegetius Renatus).

Donnerstag, 24. Mai 2007

Konferenzbericht: Energiedialog EU-Rußland


Gestern fand im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur zu Berlin der 2. Energiedialog Europäische Union - Rußland über den Erdgasaspekt statt. Obwohl sich die ursprünglich hochkarätig besetzte Referentenliste kurzfristig dezimiert hatte - so hat etwa Viktor Wekselberg abgesagt - wurden interessante Vorträge und spannende Diskussionen geboten. Die gemeinsam von Eurogas und der Russischen Erdgasgesellschaft organisierte Veranstaltung war auf jeden Fall eine hervorragende Gelegenheit, um sich aus erster Hand über das seit anderthalb Jahren intensiv diskutierte Thema der Energiesicherheit zu informieren.



Zu Beginn richtete Wladimir Kotenjew, Botschafter der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland, ein Grußwort an die Teilnehmer. Darin stellte er fest, daß in Deutschland mittlerweile die Diskussion über dieses Thema sehr schwierig geworden sei. Sowohl bei der Ostseepipeline Nord Stream als auch der soeben geplanten Pipeline via Turkmenistan und Kasachstan neigten die deutschen Medien zu einer negativen Darstellung und zur Panikmache. Ferner verwies Kotenjew auf das russische Interesse an ausländischen Investitionen im Energiesektor. Desweiteren hat er der Idee einer "Internationalisierung" von Rohstoffen gleich welcher Art eine Absage erteilt.
In der späteren Diskussion entgegnete Kotenjew auf den Einwand von Pawel Konzal (Vertreter der polnischen Öl- und Gasgesellschaft), im Vergleich zur Ostseepipeline wäre eine Pipeline durch das Baltikum und Polen vorzugswürdig, daß die polnische Position in den vergangenen Monaten alles andere als kohärent gewesen sei. Einmal wurde das russische Einfuhrverbot für polnische Fleischprodukte mit Nord Stream in Verbindung gebracht, ein anderes Mal wieder nicht. Außerdem habe Polen kein Veto gegen ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen der EU mit der Ukraine eingelegt (wohl aber im Falle Rußlands), obwohl dort ein ähnliches Einfuhrverbot in Kraft gewesen sei.

Danach trug Walerij Jasew, Duma-Abgeordneter und Vorsitzender der Russischen Erdgasgesellschaft, über die die Partnerschaft zwischen Rußland und der EU im Interesse der globalen Energiesicherheit vor. Zu Beginn rekurrierte er auf die vom G 8-Gipfel 2006 angenommene Definition von Energiesicherheit, und konstatierte sodann die wechselseitige Abhängigkeit von Gaslieferanten und -verbrauchern. Ferner belegt seiner Auffassung nach die Weiterentwicklung der Gasprojekte, insbesondere der Bau neuer Pipelines in die EU, das starke Interesse Rußlands an einer engen Kooperation. Insofern führt auch die Ostseepipeline zu einer Diversifizierung der Transportwege und damit zum Ausschalten von Transportrisiken. Überdies plädierte Jasew - der russischen Regierung folgend - für eine Überarbeitung der Energiecharta und bekräftigte ebenfalls das Interesse am gegenseitigen Austausch von Investitionen im Gassektor zwischen der EU und Rußland, wodurch er sich eine Neubelebung der strategischen Partnerschaft zwischen beiden Partnern erhofft.



Der dritte Referent war Jean-Marie Devos, Generalsekretär des Unternehmensverbandes Eurogas, der eingangs feststellte, daß sich das im Augenblick schlechte politische Klima bisher nicht auf die geschäftliche Zusammenarbeit auswirke. Im Jahr 2006 sei in der EU der Gasverbrauch gesunken; wobei 38 % des benötigten Erdgases in der EU selbst gefördert werden, 24 % stammen aus Rußland, 17 % aus Norwegen und 10 % aus Algerien (der Rest verteilt sich auf verschiedene andere Staaten). Danach erläuterte er die Position seines Verbandes zur Strategic Energy Survey der EU-Kommission und regte das Nachdenken über die Verwendung von Bio-Methan an. Schließlich erinnerte Devos daran, daß das Vertrauen in den Energieträger Erdgas stark von psychologischen Einstellungen sowie entsprechender Pro- oder Contra-PR abhängig sei.
In der anschließenden Diskussion kam er noch auf das Problem der politischen Instabilität in Transitstaaten zu sprechen, das freilich eher eine Frage der Betrachtungsweise als der realen Auswirkungen sei. Trotzdem empfahl er langfristige Verträge als einen stabilen Rahmen.

Darauf folgte der Vortrag von Natalia Komarowa, ihres Zeichens Vorsitzende des Dumaauschusses für Naturressourcen und Naturnutzung, über das Ressourcenpotential des Energiedialogs. Zunächst widersprach sie der These vom "Energiebetrug", denn auch bei anderen Produkten werde nicht von Erpressung gesprochen und außerdem seien Gasvorräte - wie alle Bodenschätze - aus geologischen Gründen naturgemäß ungleich verteilt. Dies könne nicht als Bedrohung hingenommen werden. Zugleich fragte sie, worin der wirtschaftliche Sinn einer künstlichen Senkung des Anteils russischen Gases bestehe. Weiters verwies auch Frau Komarowa auf den großen Investitionsbedarf in der russischen Gasindustrie. In der Diskussion erläuterte sie den derzeit im russischen Parlament diskutierten Gesetzentwurf über Pipelines und begründete die rechtlichen Beschränkungen für ausländische Beteiligungen an russischen Erdgasunternehmen mit der Souveränität Rußlands und der Verantwortung des Staates für die Bodenschätze.



Zu Beginn des zweiten Panels referierte (anstelle des verhinderten Alexander Medwedew) Sergej Tschelpanow als Vertreter von Gaspromexport. Er legte die Exportstrategien von Gasprom dar. Auf dem deutschen Markt sind nunmehr angepaßte Langfristverträge in Kraft, die wie z.B. beim Vertrag von E.ON/Ruhrgas eine Laufzeit bis 2035 haben.
Danach folgten weitere Vertreter der Gaswirtschaft, Domenico Dispenza (ENI) und Edouard Sauvage (Gaz de France), die ihre Unternehmen vorstellten.

Uwe Fipp von E.ON Ruhrgas (die übrigens einen Anteil von 6,42 % an Gasprom hält) definierte in seinem Vortrag zunächst drei Arten von Versorgungssicherheit: kommerzielle, physische und politische. Bei den schon erwähnten langfristigen Verträgen komme es idealiter zu einer Teilung des Risikos zwischen Lieferanten und Importeuren, wobei sich in der EU dieses Verhältnis aufgrund der Überregulierung ein wenig zugunsten der Lieferanten verschoben habe. Er betonte ferner, daß die Gaslieferungsverträge zwischen Unternehmen, nicht zwischen Staaten abgeschlossen werden.



Den dritten Tagungsteil begann Toni Phillipp von der Verbundnetz Gas AG. Seit 1990 ist Gasprom hier Anteilseigner und diese Branchenpartnerschaft hat sich nach Auffassung der VNG bewährt. Auch die VNG bezieht ihr russisches Erdgas unter einem bis zum Jahr 2030 geltenden Vertrag.
Phillipp hat auch einen in Deutschland nur wenig bekannten Aspekt beleuchtet: Gasprom speichert hier in Untergrundspeichern eigenes Gas, um es im Falle eines Pipelineausfalls ihren Abnehmern zur Verfügung stellen zu können. Bei der Gasprom-Tochter Wingas sind dies ca. 4,2 Milliarden Kubikmeter und in den Speichern der VNG weitere 200 Millionen Kubikmeter Erdgas.

Sodann referierte Oleg Rumjantsew als Vertreter der TNK-BP über die Rolle der unabhängigen Gasförderer in Rußland. Sie fördern ca. 16 % des russischen Erdgases, engagieren sich aber auch darüber hinaus, etwa bei der Verwertung des Begleitgases der Ölförderung, der Kooperation mit dem Stromversorgungsunternehmen EES oder regionalen Entwicklungsprojekten (z.B. das Kovykta Regional Project in der Baikal-Region). Rumjantsews Meinung nach erhöht die Zusammenarbeit der Unabhängigen mit Gasprom das Ansehen Rußlands und führt überdies auch zu mehr Effizienz bei der Erschließung neuer Lagerstätten. Er hat weiter auf jüngste Änderungen im russischen Recht aufmerksam gemacht, die sowohl die Gesetze über den Gasexport als auch das Wettbewerbsrecht betreffen. Sonach soll Gasprom (als Exportmonopolist) das Gas der Unabhängigen entweder ab Bohrstock kaufen oder aber auf Grundlage von "Agency-Verträgen" ins Ausland liefern.



Den wohl spannendsten Vortrag hat Noe van Hulst, Direktor der Internationalen Energieagentur, gehalten. Er stellte einige Kernpunkte des neuen Gasberichtes seiner Agentur vor. Demnach wird der Aufstieg von verflüssigtem Erdgas (LNG) bis 2015 für eine Verflechtung der heute noch regionalen, da pipelinegebundenen Gasmärkte sorgen. Allerdings wird sich die Abhängigkeit Europas von Importen weiter erhöhen. Weltweit steigen die Risiken aufgrund des Mangels an Investitionen, sowohl im Upstream- als auch im Downstream-Bereich. Speziell in Rußland könnten mittelfristig Ausfälle drohen, sollten im Upstream-Bereich nicht Investitionen in Höhe von 10 Mrd. US-Dollar pro Jahr getätigt werden. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen steigt der Gasbedarf der OECD-Staaten weiter an: "Politiker reden viel über Windkraft, Atomkraft und Kohle", gebaut aber werden weiter überwiegend Gaskraftwerke.
Auch van Hulst hat sich mit dem Begriff der Gassicherheit auseinandergesetzt. Kurzfristig steigt das Risiko von Lieferausfällen aufgrund von Naturkatastrophen, Havarien oder Konflikten. Ferner ist auch der Zusammenhang zwischen Gasverbrauch und Stromerzeugung stärker zu berücksichtigen, die in Zukunft auch im Sommer zu Verbrauchsspitzen führen könne. Daher bedarf es intensiver Notfallplanungen. Hingegen könne langfristige Gassicherheit vor allem durch Investitionen und Diversifizierung - sowohl auf Produzenten- als auch auf Konsumentenseite - gewährleistet werden.
Da Europa mittelfristig kein isolierter Markt mehr sein werde, plädiert van Hulst für eine EU-weite konsistente Regulierung der Gaswirtschaft. Weltweit jedoch braucht es hier mehr Transparenz.



Die Generaldirektion Energie und Transport der EU-Kommission wurde durch Matthias Ruete vertreten. Er betonte zunächst, daß Rußland seit Jahrzehnten ein zuverlässiger Gaslieferant der EU ist und erinnerte angesichts der aktuellen Diskussionen daran, daß es offenkundig unterschiedliche Ansätze in der Industrie und in der Politik gebe. Von Rußland forderte er mehr Transparenz, um Mißtrauen zu vermeiden. Die EU glaube außerdem weiter an die Energiecharta, sei sich aber der russischen Vorbehalte dagegen bewußt. Mit implizitem Bezug auf die osteuropäischen Staaten meinte Ruete weiter, sobald das Erdgas in der EU angekommen sei, befinde es sich in einem einheitlichen Raum, in dem man sich gegenseitig helfe. Daher könne man in der EU nicht mehr von Transitstaaten sprechen. Allgemeiner war seine Forderung nach der Abschaffung der Ölpreisbindung beim Erdgas, da sich dieses Instrument überlebt habe. Desweiteren legte er, vor allem aus Gründen des Umweltschutzes, viel Wert auf die Steigerung der Energieeffizienz.

Den Abschluß machte Alexander Borisow in seiner Eigenschaft als Vertreter des Europarates, der sich vor allem der Rolle der Medien bei der Vermittlung von Krisensituationen ("Gas-Erpressung") konzentrierte. Während zu Zeiten des Kalten Krieges der jeweilige politische Wille entscheidend gewesen sei, herrsche heute die Konkurrenz auf dem Energiemarkt. Es könne also keine Intrigen in Moskau oder Brüssel geben. Allerdings könnten Ressourcenkonflikte zu einem politischen Bruch führen, der besonders für Rußland gefährlich sei. Daher besäßen adäquate Informationen gerade in diesem Bereich besondere Relevanz.



Die Konferenz ist am gestrigen Abend noch mit einem Empfang in der russischen Botschaft ausgeklungen. Und die Nachfolgeveranstaltung für das Jahr 2008 ist schon in Planung, denn dem Vernehmen nach findet dieses Format bei allen Beteiligten, sowohl in der EU als auch in Rußland, großen Anklang.

PS: Mit Botschafter Kotenjew habe ich nun nach Außenminister Lawrow gestern einen zweiten russischen Diplomaten kennengelernt, der hervorragende Eigenschaften aufweist: nicht zu forsch, nicht zu zurückhaltend, sachorientiert, nicht schwafelnd. Das MGIMO scheint sehr gute Diplomaten heranzubilden.


Mittwoch, 23. Mai 2007

"Raketen-Brutkästen"

Andrej Kisljakow beschäftigt sich in einem RIA Nowosti-Kommentar mit den Raketenprogrammen im Iran und in Nordkorea sowie mit ihren Auswirkungen auf die Raketenabwehrfrage:

"[...]

Der Raketenabwehr-Aspekt wird gegenwärtig aus einer offenbar kaum versiegenden Quelle genährt, wenngleich die politische Komponente des Problems derzeit klar die Oberhand hat.
Das geben auch die USA selbst zu. "Wir müssen die Gefahren, die vom Iran oder Nordkorea ausgehen, berücksichtigen", sagte US-Außenministerin Condoleezza Rice Mitte Mai bei ihrem Russland-Besuch.
Die Intrige besteht darin, dass die oben genannten Länder in Wirklichkeit alles tun, um die Besorgnis der Amerikaner auf keinen Fall zu zerstreuen.

Zuerst zum Iran: Gegner von den US-Plänen zur Stationierung von Elementen der Raketenabwehr in Osteuropa argumentieren zu Recht, dass Teheran noch einen langen Weg zurücklegen muss, um interkontinentale Raketen bauen zu können. Andererseits hatte der Iran zum Jahresbeginn offiziell erklärt, dass derzeit der Start eines ersten iranischen Satelliten vorbereitet wird, was den Bau einer entsprechenden Trägerrakete erforderlich macht.
Selbst wenn die Iraner mit dem angekündigten Beginn einer eigenen Raumfahrt-Ära bluffen, sind sie aber durchaus in der Lage, eine leistungsfähige Rakete zu entwickeln, die Ziele in Europa, darunter auch in Russland, erreichen könnte. Das iranische Raketenwaffen-Arsenal zählt heute zu den größten im Nahen Osten. Dabei werden auch nukleare Technologien entwickelt. Dafür stellt Teheran immense Finanzmittel und Fachkräfte zur Verfügung.

Gegenwärtig hat der Iran 40 operativ-taktische Komplexe auf der Basis der sowjetischen Raketen Skad-B und Skad-C, die entsprechend Schehab-1 und Schehab-2 heißen. Die maximale Reichweite dieser Raketen beträgt 300 bis 500 Kilometer. Die Startrampen sind auf Fahrgestellen aus chinesischer Produktion montiert, die eine Geschwindigkeit von bis zu 60 Stundenkilometern erreichen können.
Am 15. Juni 2000 testete der Iran erfolgreich bereits die erste Mittelstreckenrakete vom Typ Schehab-3. Einigen Angaben zufolge hat diese Rakete eine Reichweite von bis zu 2000 Kilometern.

Somit hat sich die Gefahr nicht nur für Israel, sondern auch für Russland prinzipiell geändert. Raketen mit solcher Reichweite würden es dem Iran gestatten, Ziele in südlichen Regionen Russlands, darunter in den Gebieten Wolgograd und Astrachan, zu treffen, wo mehr als 20 Millionen Menschen leben.
Neben der Modernisierung der Schehab-3-Rakete arbeitet der Iran an einer neuartigen Rakete vom Typ Schehab-4 mit trennbarer Oberstufe, deren schwerer Gefechtskopf einen nuklearen oder einen biologischen Sprengsatz tragen kann. Wenn man den von Teheran immer wieder betonten Wunsch mit berücksichtigt, gegen den Willen der internationalen Gemeinschaft ein eigenes Atomprogramm zu entwickeln, koste es was es wolle, würde sich die amerikanische Besorgnis über den möglichen Aufbau eines neuen nuklearen Raketenpotenzials in der Region überhaupt nicht als unbegründet ausnehmen.

Besorgnis erregend ist auch die notorische Idee Nordkoreas, in den Besitz strategischer Waffensysteme zu gelangen. Seit einem halben Jahr sorgt Pjöngjang mit seinen Raketen- und Atomplänen für einen erhöhten Spannungszustand in der ganzen Welt. Nach den ersten nuklearen Erprobungen im Oktober vergangenen Jahres in Nordkorea wurde klar, dass jetzt alles nur auf eine Trägerrakete ankommt, die stärker sein soll als die vorhandenen ballistischen Raketen vom Typ Nodon und Taphodon.
Die Erwartungen haben sich bewahrheitet, als bei einer Parade anlässlich des 75. Gründungstages der Koreanischen Volksarmee am 25. April eine neue Rakete gezeigt wurde. Die amerikanische Aufklärung behauptet, dass es sich dabei um eine modifizierte Variante der sowjetischen strategischen ballistischen U-Boot-gestützten Rakete handelt, die im Pentagon und in der NATO unter der Codebezeichnung SS-N-6 "Serb" bekannt ist.
Sollten die Angaben stimmen, ist das, gelinde gesagt, ein wenig angenehmer Fakt. Andererseits haben die Nordkoreaner reichliche Erfahrungen in Sachen Geheimniskrämerei.

[...]

Mehrere russische Rüstungsexperten sind der Ansicht, dass neue Staaten in absehbarer Zeit nicht in den Besitz strategischer Waffen gelangen werden. Alexander Chramtschichin, Leiter der analytischen Abteilung des Instituts für politische und militärische Analysen, sagte Ende April zu den US-Plänen, Abfangraketen in Europa zu stationieren: "Bislang sind nur die USA, Sowjetunion/Russland und China in der Lage, eigene interkontinentale ballistische Raketen zu bauen. Iran kann jetzt nicht einmal eine Mittelstreckenrakete entwickeln. Der technologische Stand in diesem Land lässt am möglichen Bau interkontinentaler Raketen von Teheran, die Atomsprengköpfe tragen könnten, auch in ferner Zukunft stark zweifeln."
Bekanntlich ist die Praxis ein Kriterium der Wahrheit. Sollte der Iran in nächster Zeit Versuche unternehmen, eine Rakete in den Orbit zu schießen, oder sollte Nordkorea demnächst eine neue ballistische Rakete erproben, wird auch die militärische Komponente der Raketenabwehr nicht mehr zu leugnen sein.

[...]"

Sind die Abrüstungsverträge noch zu retten?

Der Spiegel berichtete gestern in aufgeregtem Ton aus Baku:
"[...]

Russland hat im Streit mit der Nato noch einmal den Ton verschärft: Nachdem Präsident Putin zuletzt verkündet hatte, den KSE-Abrüstungsvertrag vorübergehend auszusetzen, droht Moskau nun mit der völligen Aufkündigung des Abkommens.

[...]"
Wer die Auseinandersetzung um den AKSE-Vertrag (siehe hier, hier und hier) während der letzten Wochen verfolgt hat, für den sind die Einlassungen des Außenministers Lawrow in der Sache nicht neu, denn bereits früher war als logische Folge des Moratoriums - sollten neue Verhandlungen nicht zur allseitigen Befriedigung verlaufen - die Kündigung des Vertrages genannt worden. Insofern waren die Worte Lawrows in Baku weder neu noch aufregend:
"[...]

Der Minister verwies auf den von Präsident Wladimir Putin vor kurzem unterbreiteten Vorschlag, Russland sollte die Umsetzung seiner Vertragsverpflichtungen aussetzen, bis alle Nato-Länder das Abkommen über den angepassten Vertrag ratifiziert haben. Derzeit sei eine "nicht normale Situation" um den KSE-Vertrag entstanden, "mit der wir uns nicht mehr abfinden wollen", so Lawrow.

"Unsere Partner aus den Nato-Staaten verweigern wohl aus Prinzip schon seit acht Jahren die Ratifizierung des Abkommens über die Adaptierung des Vertrags. Das Problem der Ratifizierung wurde zu einem Mittel des politischen Drucks auf Russland bei anderen Fragen und zu einem Mittel zur Sicherung einseitiger militärpolitischer Vorteile. Wir haben unsere Partner mehrmals darauf aufmerksam gemacht, sie wollten uns aber nicht zuhören", sagte der Minister. Russland sei bereit, substantielle Konsultationen im Russland-Nato-Rat und anschließend auch im Rahmen der vom Vertrag vorgesehenen Verfahren zu führen.

"Sollte das Gespräch nicht zu radikalen Änderungen führen und sollten sich unsere Partner weiterhin weigern, den Vertrag zu ratifizieren, wird unser Ausstieg aus dem KSE-Vertrag aktuell. Ich denke nicht, dass dadurch ein Schaden für die europäische Sicherheit entstehen würde. Russland würde in jedem Fall einen Weg finden, um das militärpolitische Gleichgewicht auf dem Kontinent zu sichern.""
Es liegt mithin weder eine neue Drohung noch eine Verschärfung des Tons vor. Aber vielleicht braucht man derzeit in Deutschland solche Schlagzeilen ...

Offenbar bemühen sich auch die USA um die Rettung des AKSE-Vertrages. So hat Außenministerin Rice am 20. Mai eine Sonderkonferenz dazu angekündigt:
"[...]

"Wir sind ebenfalls der Ansicht, dass alle Fragen, die Russland heute hat, erörtert werden müssen", sagte Rice.
"Dieser Vertrag hat einen bestimmten Rahmen festgelegt, während wir heute in einer völlig anderen Welt leben, die sich von der im Jahr 1991 unterscheidet", als der Vertrag geschlossen wurde.

[...]"
Noch ist auf diesem Feld also nichts verloren. Wie sieht es aber mit den anderen Abrüstungsverträgen aus, nachdem der ABM-Vertrag bereits erledigt und der AKSE-Vertrag infragegestellt worden ist? Gerhard Mangott geht in einem interessanten Text der Zukunft des INF-Vertrages (über Kurz- und Mittelstreckenraketen) und des START I-Vertrages (über Interkontinentalraketen) nach und erweitert so unser Blickfeld. Er sieht durchaus ernste Zeiten auf Europa zukommen. Sein Resümee:
"[...]

Verlierer dieser strategischen Kalküle der USA und Russlands, sind die europäischen Staaten. Diese Staaten gegen die Rüstungspläne der USA zu mobilisieren – und zumindest das deutsche Außenministerium hat damit bereits begonnen – ist auch das kurzfristige Ziel dieser russländischen Drohungen. Gelingt diese Strategie nicht, werden wir in einigen Jahren vermutlich eine massive russländische Aufrüstung im Bereich der Mittel- und Kurzstreckenraketen und eine neue Bedrohungslage Europas zur Kenntnis nehmen müssen. Das wieder ist den USA nicht unrecht, denn dadurch sind die EU-Staaten wieder auf den nuklearen Schutzschirm der USA angewiesen und die USA für die kommenden Jahrzehnte der militärisch ausschlaggebende Faktor für die Verteidigung Europas. Die Perspektiven einer eigenständigen EU-Verteidigung wären damit für lange Zeit nichtig."
Zum Thema sei ferner Mangotts Artikel zum russischen Atomwaffenarsenal empfohlen. Vor allem dann, wenn (wie in den letzten Tagen erneut zu hören) behauptet wird, Rußland würde über "mehrere tausend Interkontinentalraketen" verfügen. (Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als würden bezüglich Rußlands in den deutschen Medien Fakten primär als störend empfunden.)

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Selbstverständlich sind die Abrüstungsverträge noch zu retten, allerdings nur, wenn alle Beteiligten es wollen. Und insbesondere die EU-Mitgliedsstaaten haben ein erhebliches Eigeninteresse daran, daß dieses Unterfangen auch gelingt. Anderenfalls würde es wahrscheinlich (auch?) im sicherheitspolitischen Bereich zu einer Neuauflage des Kalten Krieges - wenn auch in abgeschwächter Form - kommen und die EU wäre endgültig auf den Status einer besseren Freihandelszone reduziert. Dieser Komplex ist auch ein hervorragendes Exempel für die Begrenztheit der so viel beschworenen Interessenidentität zwischen Europäern und Amerikanern.

Dienstag, 22. Mai 2007

Miszellen IX

Im Nachgang zum EU-Rußland-Gipfel in Samara sei noch auf zwei Kommentare von Jekaterina Kuznetsova und Andrej Wawra hingewiesen.

Im Zusammenhang mit der heute von Großbritannien im Fall Litwinenko erhobenen Forderung nach der Auslieferung Andrej Lugowois soll nochmals an diesen Beitrag erinnert werden.

Eine erste Fassung von Gerd Koenens Buch "Der Russland-Komplex" ist unter dem Titel "Rom oder Moskau" auch online greifbar. Weitere E-Bücher über die russische Geschichte können hier heruntergeladen werden.

Mit der Fremd- und Selbstwahrnehmung Rußlands beschäftigt sich Lilija Dromaschko.

In der Welt haben Michael Stürmer und Richard Herzinger über die Rückkehr der USA zum 'Realismus' debattiert.

Und Paul Kennedy kritisiert die Personalpolitik des diplomatischen Dienstes der USA. Das gleiche macht Lee Iacocca auf eine durchaus eindrucksvolle Art mit den Führungsqualitäten von Präsident Bush.

China lamentiert nicht, sondern handelt

China lamentiert nicht, sondern handelt - das ist die Quintessenz eines äußerst lesenswerten Artikels von Sascha Lange über den Ausbau des chinesischen Militärs, auf den an dieser Stelle (auch um den Fokus von Clausewitz 2 zu erweitern) hingewiesen werden soll. Ausführlicher widmet sich der China Defense Blog diesem Thema. Langes Fazit lautet:

"[...]

Im Ganzen gesehen kommen die chinesischen Streitkräfte den nationalen politischen Vorgaben nach und befinden sich momentan in einem Modernisierungs- und dem dazugehörigen Konsolidierungsprozess. Ziel ist zunächst, die Fähigkeit zur Führung erfolgreicher Regionalkriege zu erlangen. Erst einmal wird der Region innerhalb der ersten Inselkette unter besonderer Hervorhebung Taiwans Aufmerksamkeit gewidmet. Langfristig dürfte die Sicherstellung der Passage der sogenannten zweiten Inselkette (eine Linie, die von Japan über die Marianen bis zu den Marschall-Inseln führt) anstrebt werden.

Allerdings liegt China bezüglich seines militärischen Potenzials immer noch in fast allen Feldern hinter den USA zurück. Aber Washingtons Vorsprung wächst nicht länger - Peking holt auf. Natürlich wird eine Angleichung nicht über Nacht erfolgen, aber in der chinesischen Kultur ist Geduld und das Denken in längeren Zeiträumen fest verankert.
Noch abzuwarten bleibt, was sich für Schlussfolgerungen für Deutschland und Europa ergeben. Bleibt deren Position die von bloßen Beobachtern? Oder werden nach den USA auch andere Parteien versuchen, ihre Interessen in Asien zu vertreten? Auf jeden Fall scheint dieser Weltregion bis auf weiteres ein dynamischer Kraftgewinn mit China als wirtschaftlich und militärisch aufsteigender Supermacht sicher."

Montag, 21. Mai 2007

Das germanische Vasallistan

In der vergangenen Woche ist etwas für die politische Klasse Deutschlands ungehöriges geschehen: Peter Struck, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, hat die heilige Kuh der pro-amerikanischen Außenpolitik vorsichtig in Frage gestellt. Berthold Kohler berichtet voller Empörung in der FAZ:

"[...]

Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sagte er, Deutschland müsse zu Amerika und Russland „die gleiche Nähe“ haben. Diese Forderung nach Äquidistanz ist eine Abkehr von einer Konstante der deutschen Außenpolitik, der Westbindung, die seit Adenauer die Außenpolitik der Bundesrepublik bestimmte - auch die der ersten beiden SPD-Kanzler. Doch niemand fühlte sich berufen, Struck öffentlich zu widersprechen. Nimmt man nicht ernst, was er sagt? Dann müsste die SPD sich nicht nur Sorgen um ihren Vorsitzenden machen.

„Neue Ostpolitik“

Es gibt aber noch eine Erklärung: Die SPD blieb still, weil sie die Ansicht ihres Fraktionsvorsitzenden teilt. Auch vom zuständigen Außenminister, der von einer „neuen Ostpolitik“ spricht, kam kein Widerwort. Struck zog schließlich nur die Linie weiter, die der heute im Gasgeschäft tätige Bundeskanzler a.D. Schröder vorgegeben hatte zu einer Zeit, als Steinmeier sein Amtschef war.
Auf dieser Linie bewegt Deutschland sich weg von Amerika und hin zu Russland. Für die SPD ist dies keine widernatürliche Richtung. Die Distanz zur Hochburg des Kapitalismus jenseits des Atlantiks, gepflegt im Streit über Vietnam, die Nachrüstung und den Irak-Krieg, gehört zur emotionalen Grundausstattung der Partei, die sich, wie Schröder zeigte, von talentierten Parteiführern jederzeit mobilisieren lässt. Beck versuchte es jüngst mit dem Thema Raketenverteidigung.

„Los von Amerika“

Russland dagegen, obwohl nicht mehr das friedliebende sozialistische Paradies der Bauern und Werktätigen unter Sowjetverwaltung, genießt in weiten Teilen der deutschen Linken bis heute einen schier unerschöpflichen Vertrauensvorschuss.
Auch die Nachkriegsträume von einem neutralen Deutschland zwischen den Blöcken sind in den Reihen der SPD unvergessen. So war es ein Leichtes für Schröder, die Anhänger der SPD für seinen „deutschen Weg“ zu gewinnen, den er auch unter das Motto „Los von Amerika“ hätte stellen können. Struck präzisierte jetzt, wo diese schleichende Absetzbewegung fürs Erste zum Stehen kommen soll: im Niemandsland zwischen den beiden Mächten, an dem instabilen Punkt, an dem sich ihre Anziehungskraft wechselseitig aufhebt.

[...]

Doch seit wann ist es nicht wichtig, wie Deutschland zu Amerika und Russland steht? Nicht wichtig, dass ein führendes Mitglied der Regierungspartei SPD die Beziehungen zur autoritärer werdenden Putinokratie auf dieselbe Stufe stellt wie das Verhältnis zu dem fehlbaren, mitunter überheblichen, aber dennoch urdemokratischen Hauptverbündeten? Die Koalition geriet schon wegen weit Geringerem aneinander.

Ohne amerikanische Hilfe geht es nicht

Russlands Fürsprecher in Deutschland werden nicht müde herauszustellen, dass Moskau zur Bewältigung der vielen Krisen in der Welt gebraucht werde. Washington nur im selben Maße? Amerika hat die Grenzen seiner Macht erfahren. Doch verfügt es immer noch über ungleich größere Gestaltungskraft als Russland, das bei der Krisenbewältigung gerne erst seine Lizenz zum Neinsagen ausschöpft.
Ohne die Bereitschaft und die Fähigkeit der Vereinigten Staaten, zusammen mit ihren Verbündeten internationale Ordnungsaufgaben zu übernehmen, wäre es noch schlechter um den Zustand der Welt bestellt. Zu Stabilisierungsoperationen wie in Afghanistan ist allein das atlantische Bündnis fähig. Die EU hatte es ohne amerikanische Hilfe noch nicht einmal vermocht, dem Völkermorden auf dem Balkan Einhalt zu gebieten.
Es versteht sich von selbst, dass Amerikas (wie auch Russlands) globales Engagement den eigenen nationalen Interessen folgt. Doch überschneiden sich viele davon mit den Zielen und Vorstellungen der Europäer. Die Liste der Gemeinsamkeiten, insbesondere bei der Definition der Leitwerte, ist lang.

Putin hat das vorausgesehen

Der Vergleich mit Russland dagegen fällt ernüchternd aus: Das Reich im Osten hat sich, was seine innere Verfasstheit und seine neoimperialen Anwandlungen nach außen angeht, wieder deutlich vom westlichen Demokratieverständnis wegbewegt. Zu einem solchen Staat kann Deutschland nicht „die gleiche Nähe“ haben wie zu jenem Land, das auf die längste Demokratiegeschichte der Neuzeit zurückblickt. Und das von sich sagen darf, wie kein zweites die deutsche Wiedervereinigung unterstützt zu haben.
In den mittel- und osteuropäischen Mitgliedsländern der EU und der Nato käme niemand aus einem Regierungslager auf die Idee, Äquidistanz zu Moskau und Washington zu fordern. Dort spürt man im Genick schon wieder den heißen Atem des russischen Bären, den man so lange zu ertragen hatte.
Je mehr diese Staaten den Eindruck gewinnen müssen, dass Deutschland eine Sonderbeziehung zu Russland sucht, desto enger werden sie sich an Amerika klammern. Auch so vertieft man die Spaltung eines Bündnisses in „alt“ und „neu“. Putin muss nur noch ab und zu das richtige Stichwort liefern. Einer, der Deutschland so gut kennt wie er, wird das vorausgesehen haben."
Auch Jörg Himmelreich, als Mitarbeiter des German Marshall Fund quasi ein Gralshüter der transatlantischen "Einbindung" Deutschlands, erregt sich in der Welt:

"[...]

Insbesondere in Teilen der SPD wabern noch die Geister der ewiggestrigen Russlandträumer von den besonderen deutsch-russischen Beziehungen und dem besonderen Verständnis für Putins autokratische Demokratie.

Wenn alle Fernsehkanäle in Russland gleichgeschaltet sind, wenn friedliche Demonstrationen gewaltsam verhindert oder untersagt werden, und wenn Demonstranten vor dem Beginn der Demonstration an der Teilnahme gehindert werden, dann ist das keine Wertedifferenz, die aufgrund des noch langen Wegs Russland in die Demokratie verständlich sei, sondern eine gnadenlose Werteunterdrückung, eine Beraubung von Freiheitsrechten, die von der russischen Verfassung selbst garantiert werden. Wie der SPD Fraktionsvorsitzende Struck - bei allen Fehlern der US-amerikanischen Außenpolitik - von einer deutschen Äquidistanz zu Moskau und Washington sprechen kann, ist völlig unverständlich. Atemberaubend ist es, dass ihm aus den Reihen der Regierungsparteien niemand widerspricht.

[...]"
Diese Einlassungen zeigen deutlich, wie emotional das Thema der Partnerschaft mit den USA behandelt wird. Die Beschwörung einer Kontinuität der bundesrepublikanischen Außenpolitik nach 1945 (die in dieser simplen und starren Form allerdings nicht existiert hat) entbindet nicht davon, die außenpolitischen Koordinaten des wiedervereinigten Deutschland in der Welt nach 1990 zu bestimmen. Die Anrufung der deutsch-amerikanischen Freundschaft als Grundkonstante der deutschen Außenpolitik, verbunden mit der Suggestion ewiger Dankesschuld, ist genauso irrational wie es ein Appell an die deutsch-russische Freundschaft wäre.
Selbst wenn man anerkennt, daß Adenauers Politik damals für die damalige Bundesrepublik richtig und vielleicht sogar die einzig erfolgversprechende war, so ist dies kein Präjudiz für die heutige deutsche Außenpolitik. Selbige kann keine Gefühlspolitik sein, sondern muß sich an der gegenwärtigen internationalen Lage orientieren.

Weniger konkrete geopolitische oder strategische Erwägungen prägen die obigen Artikel, sondern - erneut - der Verweis auf "gemeinsame Werte" (respektive deren teilweise Abwesenheit) un das Demokratieverständnis. Dabei bleiben die Autoren allerdings die Erklärung schuldig, welche Bedeutung "Werte" denn für die internationale Politik haben sollen, wenn man denn von ihren privaten Sympathien absieht. Auch Demokratien neigen bekanntlich dazu, Angriffskriege zu führen oder andere Staaten mit Handelssanktionen zu belegen. Und "neoimperiale Anwandlungen" (Kohler über Rußland) mitsamt "Vasallen" und "Protektoraten" (Zbigniew Brzezinski über Westeuropa) haben auch die lupenrein demokratischen USA aufzuweisen. Desweiteren ist die Situation in Afghanistan viel zu verfahren, um sie, wie Kohler es macht, als Beispiel einer erfolgreichen Militäroperation der NATO heranzuziehen. Dort wie auch im Irak läßt sich ferner die Bilanz der amerikanischen Ordnungsleistung bewundern.
(Außerdem dachte ich bisher, die längste Demokratiegeschichte hätte England, nicht jedoch die USA aufzuweisen.)

Mit diesem, dem Kalten Krieg entlehnten Denken zeigen die beiden Weltanschauungskrieger nur, daß es sich bei ihnen nicht nur um "Ewiggestrige", sondern (wenn man dieses Wortungetüm akzeptieren will) um 'Ewigvorgestrige' handelt, die nicht dazu befähigt sind, heute eine deutsche Außenpolitik zu formulieren. Stattdessen wird auf Adenauers Rezepturen zurückgegriffen, im blinden Vertrauen darauf, daß sie schon wirken werden.
Hier wird deutlich, auf welch niedrigem Niveau das weltpolitische Denken in Deutschland mittlerweile stagniert. Es ist die reine Vasallengesinnung, die im Dritten Reich vielleicht genauso enthusiastisch gerufen hätte: 'Führer befiehl, wir folgen dir'. Caspar von Schrenck-Notzing hatte ganz recht mit seinem Diktum, daß über die Westbindung in Deutschland nicht mehr diskutiert, sondern daß an sie nur noch geglaubt werden dürfe.

Entfernt man diese beiden Punkte - transatlantische Freundschaft und Werte - aus der Argumentation der beiden Texte, bleibt nichts mehr übrig was gegen Strucks These von der Äquidistanz zwischen Washington und Moskau sprechen würde.

Eingedenk dieses Befundes argumentiert Michael Stürmer in der Welt auch erheblich sachlicher:

"[...]

Russland ist nie so schwach, wie es aussieht. Aber auch nie so stark. [...] Beide, Europäer und Amerikaner, müssen aufpassen, dass ihre Wege in Richtung Kreml wie ihre Interessen an einem auskömmlichen Verhältnis mit der östlichen Großmacht sich nicht trennen.

Die Kreml-Diplomaten haben ihr altes Ziel nicht aufgegeben, den Atlantik zu verbreitern, und einige Europäer sind dem mehr zugeneigt als andere. Das testet nicht nur den weltpolitischen Zusammenhalt des transatlantischen Systems, sondern auch innere Solidarität und äußere Handlungsfähigkeit Europas. In Russlands großem Spiel sind die Europäer beides, Objekt und Subjekt. Ohne das Gegengewicht Amerikas liegt das Schachbrett schief.

[...]"
Stürmer, ebenfalls als 'Atlantiker' bekannt, vertritt also die Auffassung, die EU brauche die USA als strategisches Gegengewicht zu Rußland - was dann natürlich auch umgekehrt gilt! Mithin wäre die weltpolitische Handlungsfreiheit der EU nur mit und gegen die beiden großen Flügelmächte gesichert. Dieser Gedanke ist durchaus erwägenswert. Wenn man ihn konsequent weiterdenkt, dann liegt er allerdings nicht allzuweit von Strucks Meinung entfernt. Und das, obwohl sich Stürmers Plädoyer in seiner Zielrichtung sonst nur wenig von den zahlreichen anderen, die in den letzten Tagen publiziert worden sind, unterscheidet.
(Auch Klaus Naumann hatte im März - in seltener Offenheit - von deutschen Abhängigkeiten gegenüber den USA und Rußland gesprochen, anstatt von ewiger Freundschaft oder Werten zu faseln.)

Stellt man diese Grundsatzfrage über die Orientierung der deutschen Außenpolitik in den Kontext der aktuellen Debatte über die Beziehungen zu Rußland, so stellt man fest, daß selbst die vorsichtige Politik Schröders (Deutschland ist bekanntlich nach wie vor Mitglied in NATO, EU etc.!) für einige in der deutschen Elite schon zu viel war. Das ist ein Indiz dafür, wie abhängig man hierzulande auch geistig von den USA ist.

Sonntag, 20. Mai 2007

Estnische Hackermärchen

Vor einigen Tagen wurde ein unerhörter Skandal vermeldet. Die estnische Regierung behauptete, die Hackerattacken auf estnische Webseiten im Zuge des Denkmalstreits seien von der russischen Regierung ausgegangen und man man könne dies anhand einiger IP-Adressen, die zu russischen Behörden gehören würden, beweisen. Brav haben die freien und unabhängigen, immer für saubere Recherchen bekannten "westlichen" Medien diese Geschichte geglaubt und ihren Lesern kredenzt; die estnischen Hilferufe an NATO und EU wurden unisono unterstützt. Doch dann das:
"[...]

Über die Urheber und Hintermänner der Angriffe ist ein heftiger Streit entbrannt. Der estnische Außenminister Urmas Paet hatte russische Regierungsorgane beschuldigt, Russland wies die Vorwürfe zurück. Jetzt entschärft Estland überraschend seine Vorwürfe.

"Wir haben keine Beweise, dass die Angriffe von einem einzigen konkreten Urheber ausgehen", sagte Hillar Aarelaid, Leiter des estnischen "Computer Emergency Response Team" (CERT) zu SPIEGEL ONLINE. Das von der Regierung eingesetzte CERT koordiniert seit einem Jahr die Verteidigung gegen Angriffe im estnischen Adress-Raum ".ee". Damit widerspricht Aarelaid dem estnischen Außenminister Paet direkt, der angegeben hatte, Cyber-Angriffe zu "konkreten Personen und konkreten Computern russischer Regierungsorgane" zurückverfolgen zu können.

[...]"
Wir halten fest: Damit ist ein Propagandamärchen der estnischen Regierung zusammengebrochen, das die anderen EU- und NATO-Mitglieder gegen Rußland aufbringen sollte, indem ein staatlicher Cyberangriff erfunden wurde.
Das Thema hat nicht unerheblich zur Verschlechterung der Beziehungen während der letzten Wochen beigetragen und Estland konnte sich wieder einmal als das arme Opfer des bösen russischen Bären präsentieren. (Langsam scheinen sich die Balten - ebenso wie die Polen - in der Opferrolle einzurichten.) Diejenigen ausländischen Medien und Politiker, die dieser Lüge auf den Leim gegangen sind, werden sich aber vermutlich nicht in Selbstkritik üben und für die Zukunft zur Zurückhaltung anhalten (zumindest solange, bis alle Fakten aufgeklärt sind), sondern munter weiter schwadronieren, denn jetzt wissen wir wieder: Der Feind steht im Osten.

Samstag, 19. Mai 2007

Eiszeitgipfel in Samara

Gestern hat in Samara der 19. EU-Rußland-Gipfel mit Bundeskanzlerin Merkel, EU-Kommissionspräsident Barroso und Präsident Putin stattgefunden. Nachdem man im Vorfeld des G8-Gipfels in Bad Heiligendamm ein weiträumiges Demonstrationsverbot verhängt und über präventive Ingewahrsamnahmen diskutiert hatte, war man deutscherseits politisch und moralisch gut gerüstet, um in Samara die Durchführung eines "Marschs der Unzufriedenen" durchzusetzen.

Der Gipfel selbst verlief - wie zu erwarten war - in den großen Fragen weitgehend ergebnislos, insbesondere die Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen sind auf unbestimmte Zeit verschoben worden, in einigen kleineren Fragen (z.B. Visaregime) ist man sich wohl näher gekommen. Die offiziellen Verlautbarungen der deutschen Ratspräsidentschaft finden sich hier, die des russischen Präsidenten hier und hier. Und auf dieser Seite ist ein Teil der Pressekonferenz auf Deutsch wiedergegeben.

Bevor weiter unten auf die Reaktionen in Rußland eingegangen wird (2.), sollen zunächst die in Deutschland und der EU beleuchtet werden.


1. Aufgrund des Mangels an konkreten Ergebnissen beschäftigt sich die deutsche Presse im Nachgang eher mit den grundsätzlichen Fragen der Beziehungen zu Rußland. Ihr Urteil ist eindeutig: die Beziehungen zwischen beiden Seiten haben einen neuen Tiefpunkt erreicht. Und die Schuld daran trifft selbstverständlich Rußland:

"[...]

War die Reise nach Samara also Zeitverschwendung? Mitnichten. Im Sanatorium am Wolgastrand kamen jene Gegensätze in den Interessen und im Staatsverständnis ans Licht, die bisher auf westlicher Seite allzu oft verharmlost worden sind. Russland hat sich von der EU entfernt. Damit ist es auch schwieriger geworden, die Distanz zu ihm zu überbrücken."

[...]

Dank Putins geradezu erfrischender Unverstelltheit scheinen nun aber auch im westlichen Teil der EU immer mehr Politiker zu begreifen, welches Wesen der wiedererstandenen Macht im Osten zu eigen ist, was sie vorhat und was sie beeindruckt - allein Stärke. Es gilt im Verhältnis zu ihr nüchtern zu prüfen, wo die Interessen übereinstimmen und wo nicht, wo Zusammenarbeit möglich ist und wo um keinen Millimeter zurückgewichen werden darf. Der Anfang für diesen neuen Realismus in der Russland-Politik wäre jetzt gemacht."
Diese Forderung nach einem "neuen Realismus", womit die Abkehr vom Ziel einer strategischen Partnerschaft mit Rußland gemeint ist, wird ebenfalls einhellig geteilt (siehe z.B. hier). Ziel der Attacke sind SPD-Kreise, die für die bisherige Linie verantwortlich gemacht werden. Die gleichen Leute, die sonst von "Freundschaften" und "Wertegemeinschaften" als Basis der internationalen Politik phantasieren, gebärden sich nun als knallharte Realpolitiker, was nicht einer gewissen Komik entbehrt. Bei näherer Betrachtung wird allerdings schnell klar, daß dieser vermeintliche Realismus nichts anderes ist als ein machtbewußter Idealismus transatlantischer Observanz.

Die Welt hat eine ganze Batterie von Kommentatoren aufgefahren, die den Lesern die Lage - natürlich ganz auf der Linie des Hauses - erklären sollen. Peter Müller lobt etwa Merkels Kritik an der russischen Innenpolitik (Stichwort: Menschenrechte), kommt dabei freilich nicht im Traum auf die Idee, daß sie sich damit in die inneren Belange Rußlands einmischt - etwas, was sich die EU jüngst im Falle Estlands strikt verbeten hatte und was in den Medien als "neoimperiales" Verhalten tituliert wurde. In das gleiche Horn stößt Jörg Himmelreich und fängt dabei erneut mit dem Wertegefasel an. Und Manfred Quiring schafft es auch noch, Putin als Störenfried darzustellen - frei nach dem Motto: 'Gespielt wird nur nach unseren Regeln'.
Damit hat er verdeutlicht, was vielleicht eines der Hauptprobleme der EU im Augenblick ist: Man ist einfach nicht fähig zu begreifen, daß Rußland nicht mehr in einem Zustand der Schwäche ist, in dem man mit ihm machen konnte, was man will. In vielen Kommentaren wird entrüstet die vermeintliche "Aggressivität" Putins beklagt, die bei genauerer Betrachtung freilich nichts anderes als das übliche Verhalten einer Großmacht ist.
Klaus-Dieter Frankenberger resümiert in der FAZ:

"[...]

Der Westen, Europa genauso wie die Vereinigten Staaten, will ein möglichst enges Verhältnis zu Russland. Aber er darf sich nichts vormachen (lassen): Die Summe der Werte, die beide Seiten teilen, ist überschaubar. Partner, Konkurrent und, ja, auch Gegner - das alles wird die eurasische Macht künftig für uns sein."
Mit anderen Worten: Ein imaginierter "Westen" muß sich aufgrund der bestehenden "Werteunterschiede" auf einen neuen Kalten Krieg mit Rußland einstellen, das jetzt immerhin nicht als mehr ungezogener Junge, dem man die Leviten lesen kann, sondern als eurasische Macht wahrgenommen wird.

Desweiteren herrscht allgemeine Freude über die demonstrierte Einigkeit der EU, die prinzipiell ja durchaus lobenswert ist. Sie kann allerdings auf Dauer nur dann funktionieren, wenn man einigen osteuropäischen Krakeelern endlich klarmacht, daß sie mit der EU-Mitgliedschaft keine Narrenfreiheit für ihre traditionell rußlandfeindliche Politik besitzen: "For the European Union, part of the challenge is to convince former Soviet satellites like Poland that their dislike of Russia, however justified, cannot become a permanent veto on dealings with Moscow". Quirings Kuscheltour ist hier fehl am Platz, denn wer bei den Großen mitspielen will, muß sich von seinen infantilen Neigungen freimachen.
Im übrigen befremdet es, daß auf die Einheit der EU nur gegenüber Rußland - dem man die Anwendung des divide et impera vorwirft - wertgelegt wird, während exakt dasselbe Verhalten Washingtons (Bsp.: "Neues Europa", Raketenabwehr) nicht entsprechend (und offiziell!) getadelt wurde. So einig ist sich die EU also scheinbar doch nicht.


2. In Rußland ist die Sicht auf den Gipfel erheblich nüchterner und eher von den Sachfragen geprägt. Der Kommersant sorgt sich etwa um die Aussichten des russischen WTO-Beitritts und beschäftigt sich mit den osteuropäischen Aspekten des Streits. Im gleichen Blatt schreibt Boris Makarenko unter dem Titel "Nachbarn, nicht Freunde":

"[...]

Imagine that President Bush telephones the Kremlin and requests that the Dissenters' March in Samara not be banned. What kind of answer would he receive? This, in fact, is just the kind of request made by Germany, the EU's current president, and the answer was positive. What's the difference? The difference is that we have a geopolitical competition with America, while with Europe we have a concrete competition, carried out in hundreds of everyday moments. For Russia, Europe is almost a neighbor in the communal kitchen: it has its own refrigerator, but everybody has to share the stove. Any problem can be escaped from, except for problems with your neighbors in a communal apartment. These problems actually have to be resolved, and – in the tradition of the Helsinki Accords – we will consider them in three groups.

[...]"
Dmitry Babich analysiert die Konsequenzen des fehlenden neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommens und gibt verschiedene russische Expertenmeinungen wieder:

"[...]

Officials on both sides say that Russia won’t suffer any direct economic losses if the new PCA is not signed before the end of the year. The old agreement, signed in 1994 and ratified in 1997, expires at the end of 2007. “Legally there is no problem, because the old PCA can be extended every year,” said Marc Franco, head of the delegation of the European Commission to Russia. Vasily Likhachyov, former Russian ambassador to the European Commission in Brussels and currently deputy chairman of the committee on foreign relations in the Federation Council, agrees. “Russia will stay a strategic partner of the European Union,” Likhachyov said. “The old agreement presupposes an almost automatic prolongation. Making any concessions now, when certain political forces make Brussels into a fountainhead of anti-Russian statements would be wrong. The ball is now on the side of the EU.”

However, there is good reason to believe that the EU does not think so. Last week, the European Parliament adopted a tough resolution expressing concern over the situation with human rights in Russia and saying that EU members should “speak with one voice” supporting Estonia in its dispute with Russia. Sources close to Russia’s presidential administration indicate that EU representatives exerted “unprecedented pressure” on Russia in the two weeks preceding the summit. The major issues included Russia’s embargo on Polish meat exports to Russia, Russia’s refusal to ratify the protocol to the Energy Charter and its unwillingness to review the current regulations governing passenger flights over Siberia. According to the sources, European representatives threatened to withdraw from the accord the EU had signed in 2004 agreeing to Russia’s accession to the WTO if Russia does not make concessions on the above-mentioned issues.
“This is the reason why [German Foreign Minister Frank-Walter] Steinmeier came to Moscow recently,” the source said. “He pressured Russia on all of these issues, but Russia did not budge.”

Dmitry Suslov, deputy director of the Moscow-based Council on Foreign and Defense Policy (SVOP), an influential government consulting body, says Russia’s reaction was appropriate. “Giving in to pressure connected with a possible withdrawal of the EU’s agreement to our joining the WTO would create a very negative precedent,” Suslov said. “This protocol was signed by the EU’s representatives back in 2004. Withdrawing one’s signature under a protocol is a scandal in itself, but doing it three years after the actual signing is even worse.”
In Suslov’s opinion, the European Commission’s tough stance on Russia can be explained by setbacks which the Commission recently endured on the main issues forming the EU’s agenda, namely the adoption of the European Constitution, and problems with the EU’s planned expansion to Eastern Europe and Turkey.
“In this situation, the European Commission is willing to show its toughness on Russia, trying to look strong and effective at least on this one issue,” Suslov said. “This is very unfortunate, because Russia in its turn hoped to achieve certain progress in its relations with the EU thanks to the chairmanship of Germany’s, Russia’s main partner in Europe. These hopes proved to be futile.”

Dmitry Danilov, the head of the department of European security at the Institute of Europe in Russia’s Academy of Sciences, foresees long-term losses for both Russia and the EU from the failure of the summit in Samara.
“Of course, the old PCA can be extended, but how long can you use a document reflecting the realities of 1994?” Danilov said.

[...]

So, would it not be wiser for Russia to acquiesce to the EU’s demands and to cede some ground on all three economic issues? Not so, says Valery Yazev, the chairman of the Duma Committee on Energy, Transportation and Communications. In his opinion, ratifying the Energy Charter at the moment when the EU is doing everything to reduce its dependency on Russia’s energy exports would be wrong.
“There are five reasons why it would be dangerous for Russia to ratify this document,” Yazev said. “All of these concerns are associated with the general tenor in Russia-EU relations.”
In fact, Russia signed the Energy Charter in 1991, and three years later then-Prime Minister Viktor Chernomyrdin signed a special addition to the Charter, which the EU now wants Russia to ratify. The problem is, however, that the European leaders showed much more understanding for Russia’s concerns in 1991-1994 than they do now. For that reason the document is still gathering dust in Yazev’s committee in the Duma.

In Yazev’s opinion, the first problem is the so-called “right of the first refusal” in fuel supplies. Russia currently sells its natural gas to Europe on the basis of long-term contracts which extend to 2032 with the German E.ON Ruhrgas and to 2036 with the French Gaz de France. Liberalization of the market, envisaged by the Charter, could put these contracts in danger. The second problem is that equalizing transportation tariffs for foreign clients and for consumers inside Russia could lead to a threefold rise in gas prices inside Russia, which the population and industry simply can’t afford now.
“Prices for gas will grow in Russia,” Yazev said. “But they cannot grow in a matter of days, because this would lead to the bankruptcy of Russia’s utilities sector, which is already going through very hard times.”

Speaking about the other two issues, Polish meat exports and Siberian overflight charges, experts stressed that they could be solved only on the basis of goodwill and without pressure from either side.
“The problem is that, if Russia makes a concession now, the EU officials may get the impression that Moscow is doing it because of their pressure on the issue of Russia’s WTO accession,” said SVOP‘s Dmitry Suslov. “We should avoid creating this impression, because otherwise demands and requirements will just keep coming.”"

Sergei Karaganow wundert sich in der IHT über den Stand der Beziehungen zwischen der EU und Rußland und die Relevanz, die nachrangige Fragen in ihnen haben:

"[...]

One can only be amazed at the present state of Russian-European relations. Misunderstandings and minor issues take precedence over far deeper shared interests.
These interests are clear: the need to prevent or manage the proliferation of weapons of mass destruction; the fight against terrorism, which is bound to get worse after the inevitable American withdrawal from Iraq; the need to defuse, avoid or confront Islamic extremism.
There is also a common, albeit hidden, interest in managing the United States, to return that critical country from ruinous unilateralism to a position of effective leadership in a multilateral world.

Another issue that should unite Russia and the European Union, but at this juncture is largely contentious, is energy.
Russia, as a supplier, is naturally interested in higher prices. Europe, in lower prices. This difference could have been overcome if both sides had agreed on a common strategy. Russia would have been offered ownership and thus partial control over European distribution; Europeans, in exchange, would have been offered partial ownership and control of Russian extraction.
That is basically what President Vladimir Putin has been offering in recent years. So far, the offer has met largely with a negative response.
Instead, Russia has been accused of energy imperialism, of being an unreliable supplier (as if Europe has more reliable suppliers), of an inability to develop its own resources (though Russia does not need any more gas or oil). It has been threatened with an "energy NATO," a common European energy policy. From outside, that sounds like a consumer cartel.

If I were a petty Russian nationalist, I would rub my hands in glee. In a rough struggle, Moscow would win. Russia could join in setting up a cartel of suppliers; it could redirect part of its supplies to the east and the south. But a victory like this would be a strategic defeat for all of Europe, West and East. Cooperation, by contrast, could be the basis for a pan-European energy alliance.

Of course, there are objective reasons why we have failed to act on common interests. One is the difference in the stage of political development.

[...]

Because of these and other factors, neither side is capable of formulating and implementing long-term policies based on mutual interests. In the meantime, secondary or even farcical issues come to the fore.

The primary source of contention is what we call "our common neighborhood." In Ukraine, we competed over the 2004 Ukrainian elections, and we are now competing over Ukraine's chaotic politics. Each side has chosen to support different teams of local oligarchs. One is believed to be pro-Russian and anti-democratic, the other democratic and pro-European.
We also clashed over Russia's rather awkward but fully justified imposition of market prices on gas supplied to Ukraine. And when Moscow tried to do away with immoral oil and gas subsidies to Belarus, it was accused of plotting an anschluss.

Russians have come to the conclusion that they are cursed whatever they do. That, in turn, has negated the moral power of European criticism, even when it is appropriate.

[...]

While Russia and the EU lose time on these misguided rivalries, both are facing a long-term weakening of their positions.
Most of the outside world believes that Europe is bound to lose in the competition for international power because its common foreign policy allows small states to dictate to Berlin, Paris or Rome. In addition, "hard power issues" such as military power or energy, in which Europe is weak, are regaining importance.
For its part, Russia, despite its current surge of economic growth and international influence, must confront many geopolitical challenges in the long run that it cannot deal with alone, like the growth of China or the rise of militant Islam.
A Russia-EU strategic alliance, which would include issues of energy, may not be politically correct at this point. But it is so clearly beneficial to both sides that it should be put back on the table."


3. Was an der gerade beginnenden deutschen Debatte auffällt, ist die Selbstbezogenheit der Argumentation. Was als Versagen der bisherigen Politik und als Fehlentwicklung Rußlands dargestellt wird, ist vielmehr ein Beleg der eigenen Verwirrung. Rußland kann nicht mehr als "Obervolta mit Atomraketen" kleingeredet (um nicht zu sagen: verunglimpft), sondern muß ernstgenommen werden. (Was auch in diesem Blog von Anbeginn gepredigt wird. ;-))
Hat man sich bisher weltdemokratischen Träumereien hingegeben, so wird das offenkundige Scheitern derselben jetzt zum Anlaß eines neuen Konflikts stilisiert. Vielmehr muß allerdings beunruhigen, daß unter dem Deckmantel eines "neuen Realismus" jetzt eine andere Spielart des soeben gescheiterten Idealismus im Anmarsch ist. Anstatt sich endlich über Interessenpolitik zu definieren und von Demokratieexport-Experimenten die Finger zu lassen, wird nun an die mythische Einheit des "Westens", die durch so etwas diffuses wie gemeinsame Werte gekennzeichnet sein soll, appelliert.
Wie im Kalten Krieg feiert das Denken in weltanschaulichen Gegensätzen fröhliche Urständ, nur daß heute lediglich auf "westlicher" Seite eine aggressive Ideologie zu finden ist. Sollte diese Fehlentwicklung nicht schleunigst korrigiert werden, drohen neue, schlimmere Verwerfungen. Bereits jetzt ist genau das eingetreten, wovor Stephen Cohen bereits 1992 eindringlich gewarnt hat: Der Kreuzzug ist gescheitert und deshalb machen wir wieder Front gegen Rußland.

Die jüngste Entwicklung läßt sicht zweifelsohne auch als durchschlagender Erfolg jener rußlandfeindlichen PR- und Medienkampagne in Westeuropa und Nordamerika werten, die 2003 mit der Verhaftung Chodorkowskis begonnen und seit dem Herbst 2006 einen ungeahnten Höhenflug erreicht hat. (Robert Amsterdam & Co. dürfen sich einen guten Wein aufmachen.) Das Feindbild Rußland steht, wie ein Leser des Tagesspiegel bemerkt hat (siehe dazu auch hier):

"Das neue Feindbild Russland

Samara war eine mittlere Katastrophe. Wenn die Bundeskanzlerin nur dorthin geflogen ist, um durch Belehrungen und gouvernantenhafte Besserwisserei den in diesem Jahrhundert gefundenen guten Ansatz einer deutsch-russischen Balance mutwillig zu zerstören, hätte sie lieber zu Hause bleiben sollen. Wir Deutschen haben bei der großen Mehrzahl der Russen doch ein gutes,freundlich gestimmtes Ansehen. Anstatt das auch ein bißchen dankbar zu pflegen, beleidigen wir die Russen Woche um Woche mehr. Die Bestrebungen einer kleinen, sich selbst überschätzenden Minderheit von Intellektuellen werden bei uns von Politik und Medien in unverantwortlicher Weise überbewertet. Und das von Druckerzeugnissen sowie Sendern, die einst sehr nachsichtige Beobachter der kommunistischen Herrschaft in Russland waren."
Selbst Edward Lucas, an dieser Tendenz nicht unbeteiligt (wie ein Blick auf seine Seite belegt), ist ein wenig erschrocken:

"[...]

Russia's combination of ruthlessness, ambition and wealth is unique and scary. But it should not be intimidating. Europe should accept that a bad deal with the Kremlin is worse than no deal at all. Germany, in particular, needs to be less fixated on friendship with Russia, no matter what. But there is no need to declare a new cold war, whether over energy supplies or more generally. Europe's dependence on Russia for gas and oil is sure to continue, but need not be harmful. After all, it makes Russia dependent on Europe as its main market; talk of switching supplies to China is a pipedream in the absence of pipelines, which take both years and oodles of money to build.

[...]"
Drittens haben mit Samara diejenigen ihr Ziel erreicht, denen die traditionell eher guten deutsch-russischen Beziehungen seit Jahren ein Dorn im Auge sind. Noch vor wenigen Tagen konnte man lesen:

"[...]

Der russische Einflussgewinn schwächt die USA und ruft in Washington und bei seinen engeren europäischen Partnern scharfe Reaktionen hervor. Berlin hingegen schadet er nicht: Deutsche Energie- und Finanzkonzerne sind traditionelle Verbündete der russischen Erdöl- und Erdgasindustrie.

[...]"
Das ist jetzt dahin. Deutschland hat de facto seine eigene Außenpolitik (und eigenen Interessen) aufgegeben und sich an die Positionen Washingtons und seiner 'neu-europäischen' Vasallen gegenüber Moskau gebunden, was auch innenpolitisch ein Sieg der 'Atlantiker' ist, die freilich weniger auf Argumente als auf Emotionen setzen. Damit ist auch das - ohnehin fragile - Erbe der Regierung Schröder verspielt. Die weltpolitische Bedeutung dessen (ebenso wie der Wahl Sarkozys in Frankreich), zeitgleich mit dem Abtreten der Neocons in Washington, läßt sich noch nicht absehen. Man muß es nicht so sehen oder formulieren wie dieser Autor, aber die Frage drängt sich schon auf:

"[...]

Das sind meiner persönlichen Meinung nach Auftragstäter, die die guten deutsch-russischen Beziehungen [...] bewusst sabotieren und ruinieren wollen, um Platz zu machen für einen transatlantischen Wahnsinn, der mit nicht enden wollender Penetranz und Aufdringlichkeit die Deutschen - wie auch Europa - mit in den Abgrund Irak und Afghanistan, oder gar Iran zerren will.

[...]"

PS: Eine gute Analyse des Themas hat auch der Spiegelfechter-Blog.
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Bild: Merkel und Putin in Samara (Foto: Reuters).