Sonntag, 27. Dezember 2009

27.12.2009: Video des Tages

Den heutigen "Tag des Retters" möchte ich zum Anlaß nehmen, meinen Kollegen aus dem Katastrophenschutzministerium der RF zu gratulieren. Die dort arbeitenden Profis sind während des Elbehochwassers 2002 auch in Deutschland zum Einsatz gekommen (ebenso wie übrigens Kräfte der Schweizer Armee).
Und im Vergleich zur zersplitterten Struktur des deutschen Bevölkerungsschutzes ist man in Rußland viel schlagkräftiger; während wir noch versucht haben, aus kleinen uns bisweilen disziplinlosen Dorffeuerwehren taktische Verbände zu formieren, wurden aus Moskau bereits Pumpen und Amphibienfahrzeuge inklusive Mannschaft eingeflogen. Insofern stimmt die alte Losung: Von Rußland lernen, heißt siegen lernen! ;-) Das dort in den letzten Jahren geschaffene Gesamtsystem für den Bevölkerungsschutz ist dem deutschen haushoch überlegen.
Nun denn, Kameraden: S prasdnikom! :-)



Sonntag, 20. Dezember 2009

Im Morgengrauen ist es noch still

In den vergangenen zwei Wochen war es mir möglich, die Neuverfilmung des Klassikers „A sori sdes tichie“ (dt. Titel: Im Morgengrauen ist es noch still) anzusehen. Der Roman von Boris Wassiljew war erstmals im Jahre 1972 verfilmt worden, damals in zwei Teilen mit Spielfilmlänge. 2005 wurde dann eine chinesisch-russische Koproduktion in Angriff genommen, die aus fernsehgerechten zwölf Teilen à 45 Minuten besteht.

Zur Handlung: Ein karelisches Dorf im Frühjahr und Sommer 1942; am Ortsrand befindet sich eine Flakstellung, die von einer Besatzung aus jungen Soldatinnen neu bemannt wird. Das bringt für den Ortskommandanten, einen altgedienten Hauptfeldwebel, allerlei Herausforderungen. Zudem sind die weiblichen Kanoniere nicht unbedingt die besten Soldaten und möchten ihr Kriegshandwerk auf die Flugabwehr beschränken. Wozu muß man als „Senitschik“ mit einem Gewehr umgehen können? Beide Filme berichten von den Anpassungsproblemen der vielen jungen Frauen, die sich nach Kriegsbeginn 1941 in der Sowjetunion zu den Fahnen gemeldet hatten. (Man könnte es auch nennen: Das Problem des Erwachsenwerdens. ;-)) Andererseits wird der alte Soldat durch den Umgang mit den jungen Frauen zwangsläufig ein wenig „ziviler“ - in welcher rein männlichen Kaserne würde er z.B. vor dem Eintreten anklopfen?




Der spannende Teil kommt freilich in der zweiten Hälfte: In der Nähe des Dorfes wird per Fallschirm ein deutscher Kommandotrupp abgesetzt. Dessen Absichten bleiben unklar, aber ein kleiner Trupp, bestehend aus dem Kommandanten und fünf Soldatinnen, nimmt die Verfolgung auf. Zunächst geht es durch ein Moorgebiet und danach durch die typisch nordischen Waldgebiete. Als sich allerdings herausstellt, daß die Deutschen etwa um das dreifache überlegen sind, beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen beiden Seiten. Die Sowjets versuchen, einem Gefecht auszuweichen, aber trotzdem nicht die Fühlung zu verlieren.

Eine Soldatin wird zurück ins Dorf geschickt, um Verstärkung zu holen. Leider verliert sie die Orientierung und kommt im Moor um, nur wenige Meter vom rettenden Ufer entfernt. Eine zweite läuft, unter Zurücklassung ihres Gewehrs, durch den Wald, um einen zurückgelassenen Tabakbeutel zu holen. Auch sie kehrt von ihrem „Ausflug“ nicht lebend zurück, sondern fällt im Nahkampf. Eine dritte ist der Belastung psychisch nicht gewachsen, wirft plötzlich ihr Gewehr weg und versucht, mitten durch das Lager der Deutschen hindurch, zu fliehen. Ebenfalls tot. Für das große Gefecht bleiben also nur noch drei Mann übrig – und die schlagen sich bravourös. Doch am Ende wird es auf seiten der Sowjets nur einen, natürlich verwundeten Überlebenden geben: den Hauptfeldwebel.




Insgesamt eine berührende Geschichte, die auch zum Nachdenken anregt. Wie kam es zu diesem hohen Blutzoll? Wohl vor allem durch den Mangel an Ausbildung und Vorbereitung, der durch guten Willen (und Ideologie) allein nicht zu ersetzen ist. Wie orientiert man sich im Gelände? Wie verhält man sich, wenn unmittelbar mit Feindberührung zu rechnen ist? Mitten im Krieg gelten auch für Studentinnen andere Regeln als im tiefsten Frieden an der Uni.

Wenn man sowohl die klassische sowjetische Verfilmung als auch die neue chinesisch-russische gesehen hat, erhebt sich naturgemäß die Frage, welche besser gefällt. Ich bin geneigt zu sagen: die jüngere. Zwar hat der Klassiker für sich, daß er die Handlung etwas kompakter und stringenter darstellt. Doch die Neuverfilmung geht stärker ins Detail, und stellt auch Nebenaspekte dar, was natürlich den Unterhaltungswert steigert. Dafür fehlt ihr der Appell an den Patriotismus der Jugend, welcher in der SU-Fassung stark ist (was m.E. allerdings keinen Minuspunkt darstellt). Und man merkt, daß sie vornehmlich für ein asiatisches Publikum gedacht ist (Wassiljews Buch genießt ich China wohl Kultstatus), denn manche Szenen wirken auf einen Europäer einfach nur komisch.




Erheblich kritisieren muß man freilich die in der Neuverfilmung verwendete Waffentechnik, bei der es das chinesische Fernsehen nicht so genau genommen hat. Daß sowjetischerseits bereits Mosin-Nagant-Karabiner M 1944 geführt werden, könne man vielleicht noch entschuldigen. Aber daß den Deutschen anstatt der MP 40 amerikanische M 3 „Grease Guns“ in die Hand gedrückt werden, ist unverzeihlich. Von weiteren Uniform- und Ausrüstungsdetails der deutschen Seite will ich jetzt gar nicht erst reden. Zudem ist es lächerlich, wie aus einem ordinären Karabiner mittels eines offenkundigen Billig-Zielfernrohrs, das auf die Kimme montiert wird, ein Scharfschützengewehr gemacht werden soll – ohne Einschießen natürlich.

Dennoch lohnt es sich, beide Filme anzusehen, zumal es die Erstverfilmung auch in deutscher Sprache gibt. Ich halte beide für mit die besten Kriegsfilme sowjetischer bzw. russischer Provenienz, denn sie verfügen über eine gute Mischung aus nachdenklichen und Action-Szenen. Die Erstverfilmung ist online auch mit englischen Untertiteln greifbar (Teil 1 beginnt hier, Teil 2 hier); die Neufassung kann man z.B. hier erwerben.
Die ersten beiden Videos in diesem Beitrag stammen aus dem 72er Film, die beiden letzten aus der neuen Serie.




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Dienstag, 15. Dezember 2009

15.12.2009: Gedicht des Tages



Heute: Der "Linke Marsch" und darin Wladimir Majakowskijs Ode an die Pistole C-96. Hätte er dieses Gedicht nicht geschrieben, wäre der "Schreihals der Revolution" heute wohl weithin in Vergessenheit geraten. ;-)
"Entrollt euren Marsch, Burschen von Bord!
Schluß mit dem Zank und Gezauder.
Still da, ihr Redner!
Du
hast das Wort,
rede, Genosse Mauser!

Brecht das Gesetz aus Adams Zeiten.
Gaul Geschichte, du hinkst ...
Woll'n den Schinder zu Schanden reiten.
Links!
Links!
Links!

Blaujacken, he!
Wann greift ihr an?
Fürchtet ihr Ozeanstürme?!
Wurden im Hafen euch eurem Kahn
rostig die Panzertürme?
Laßt
den britischen Löwen brüllen –
zahnlosfletschende Sphinx.
Keiner zwingt die Kommune zu Willen.
Links!
Links!
Links!

Dort
hinter finsterschwerem Gebirg
liegt das Land der Sonne brach.
Quer durch die Not
und Elendsbezirk
stampft euren Schritt millionenfach!
Droht die gemietete Bande
Mit stählerner Brandung rings, -
Russland trotzt der Entente
Links!
Links!
Links!

Seeadleraug' sollte verfehlen?!
Altes sollte uns blenden?
Kräftig
der Welt ran an die Kehle,
mit proletarischen Händen.
Wie ihr kühn ins Gefecht saust!
Himmel, sei flaggenbeschwingt!
He, wer schreitet dort rechts raus?
Links!
Links!
Links!"

Weiterführende Links:
Bericht über das Moskauer Majakowskij-Museum (dt.)

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Sonntag, 13. Dezember 2009

Partisanen vom Amur



Es ist eines der bekanntesten roten Lieder aus dem russischen Bürgerkrieg, das nicht nur in viele Sprachen übersetzt, sondern - mit geändertem "weißem" Text - von den ehemaligen Gegnern der Roten im Ausland gesungen wurde: "Partisanen vom Amur". Den deutschen Text sollte jeder in der früheren DDR aufgewachsene noch heute kennen ;-):
"Durch's Gebirge, durch die Steppen zog
Unsre kühne Division
Hin zur Küste dieser weißen,
Heiß umstrittenen Bastion.

Rot vom Blut, wie unsere Fahne,
War das Zeug, doch treu dem Schwur,
Stürmten wir die Eskadronen,
Partisanen vom Amur.

Kampf und Ruhm und bittere Jahre!
Ewig bleibt im Ohr der Klang,
Das Hurra der Partisanen,
Als der Sturm auf Spassk gelang.

Klingt es auch wie eine Sage,
Kann es doch kein Märchen sein:
Wolotschajewska genommen!
Rotarmisten zogen ein.

Und so jagten wir zum Teufel
General und Ataman.
Unser Feldzug fand sein Ende
Erst am Stillen Ozean."



Hinsichtlich des historischen Hintergrundes dieses Liedes war ich bis dato skeptisch, schließlich ist wohlbekannt, wie freizügig die Sowjets bisweilen im "Erfinden" von Traditionen und in der Pflege derselben waren. Doch in der vergangenen Woche ist mir ein Artikel im Heft 10/2009 des Wojenno-Istoritscheskij Shurnal (dt.: Militärhistorische Zeitschrift) aufgefallen. Mit seiner Abhandlung "Die Rolle der Partisanenbewegung im Kampf gegen die japanische Intervention im Fernen Osten in den Jahren 1918 bis 1920" unternimmt es der Autor W. G. Chitryj, die im russischen Originaltext noch stärker als in der deutschen Übersetzung besungenen Partisanen aus ihrer weihevollen Anonymität zu holen und mit Leben zu erfüllen.



Wir schreiben das Jahr 1918. Seit Herbst 1917 befinden sich erste amerikanische Truppen in Wladiwostok, die seit Frühjahr 1918 durch japanische Kontingente verstärkt werden. Letztere beschränken sich allerdings nicht mit der Herrschaft über die Hafenstadt, sondern stoßen entlang der Transsibirischen Eisenbahn weit Richtung Westen bis zum Baikalsee vor. Das offizielle politische Ziel der Intervention bestand in der Unterstützung der Weißen im russischen Bürgerkrieg (insbesondere von Admiral Koltschak) sowie in der Evakuierung der Tschechoslowakischen Legion über den Pazifik in ihre Heimat.



Über diese von allen Interventionsmächten (USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada u.a.) geteilten Ziele hinaus hatte Japan jedoch eine "hidden agenda": Die Japanisierung des russischen Fernen Ostens. Zu diesem Zweck wurden Siedlungskolonien gegründet (insgesamt ca. 50.000 Personen) - und eine davon, in Nikolajewsk am Amur, wurde durch einen "Zwischenfall" 1920 berühmt. Im März hatte eine Partisanenabteilung unter Führung des Anarchisten Triapizyn die Stadt umzingelt, in der es neben 350 japanischen und 300 "weißen" Soldaten auch 450 japanische Kolonisten gab. Als im Mai eine Entsatzexpedition der japanischen Armee eintraf, waren alle der vorgenannten entweder gefallen oder füsiliert worden. Dasselbe Schicksal sollte dann aber auch Triapizyn ereilen.



Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte das expandierende Japan seine begehrlichen Blicke auf diesen Teil der Welt geworfen und seither nicht davon abgelassen (siehe auch hier). Jetzt schien eine günstige Chance gekommen. Mit einem Truppenkontingent von rund 70.000 Mann - das war das Zehnfache der amerikanischen Truppen - waren die Japaner die uneingeschränkte Führungsmacht im Fernen Osten und in Sibirien sowie in den angrenzenden Gebieten Chinas. Diese militärische Macht wurde durch politisch-diplomatische Manöver abgesichert, etwa die Unterstützung für Grigorij Semjonow (das ist der im Lied besungene Ataman) und Robert von Ungern-Sternberg. Beide Männer verfolgten ihre eigene Agenda (Ungern-Sternberg ernannte sich z.B. selbst zum Diktator der Mongolei) und waren, bei Lichte betrachtet, nicht nur Separatisten, sondern überhaupt zwielichtige und ziemlich unappetitliche Figuren.



Angesichts dieser offensichtlichen Bedrohung durch die japanischen Okkupanten wie durch ihre blutrünstige Landsleute ist es nicht überraschend, daß sich aus den Einwohnern des russischen Fernen Ostens Partisanengruppen gebildet haben. Regionale Schwerpunkte waren das Amurgebiet, die Region Chabarowsk und Primorje. Die Organisation war, den Zeitumständen entsprechend, sehr divers, weshalb man eine alles bestimmende Rolle der Bolschewiki oder der Roten Armee wohl verneinen muß. Eine zentralere Führung durch die Streitkräfte der Fernöstlichen Republik war erst in der zweiten Periode des Konflikts (1920-1922) gegeben. Dazu kam die ethnische Heterogenität der Partisanen: Russen, Koreaner, Chinesen u.a. Völkerschaften waren vertreten; es gab in ihren Reihen sogar freigelassene deutsche und österreichische Kriegsgefangene. (Manche Gruppen dürften allerdings kaum besser als ordinäre Banditen gewesen sein.)



Im Februar 1919 sollen allein im Amurgebiet rund 10.000 Partisanen operiert haben. Ihre zumeist aus Kavallerie und Infanterie gemischten Abteilungen hatten in der Regel eine Stärke zwischen etwa 50 und 200 Mann. Die Angriffe richteten sich vor allem gegen die Verbindungswege der Japaner. Der Schwerpunkt lag dabei auf Attacken gegen die Eisenbahnlinien, über die ja nicht nur die japanischen, sondern auch die weißen Truppen im Osten Sibiriens versorgt wurden. Von Februar bis Oktober 1919 sollen 327 Eisenbahnbrücken durch Partisanen zerstört worden sein. Sofern sich die Gelegenheit ergab, wurden allerdings auch japanische Garnisonen und ganze Städte angegriffen. Bis zum November 1919 verlor die japanische Armee bei diesen Kämpfen 572 Gefallene und 483 Verwundete; hinzu kommen 436 Soldaten, die infolge von Erkrankungen verstorben sind. Insgesamt verloren die Japaner während ihres Rußlandabenteuers über 5.000 Tote.



1921 gab es mit der von Japan unterstützten Gründung der sog. Küstenrepublik ein letztes Aufbäumen der weißen Bewegung im Fernen Osten. Doch diesem Versuch war nur eine kurze Dauer beschieden. Im September/Oktober 1922 verließen die japanischen Truppen als letzte der Interventionsmächte das russische Festland (Nordsachalin blieb bis 1925 besetzt) und im Dezember zog die Rote Armee in Wladiwostok ein. Die Partisanen vom Amur hatten gesiegt. In ihrem jahrelangen Kleinkrieg hatten sie nicht nur ihre weißen Gegner besiegt, sondern auch erheblich stärkere japanische Truppen aus dem Land geworfen. Für Tokio war die Intervention zu einer nicht mehr tragbaren Belastung geworden, die erhebliche finanzielle Mittel verschlang (insgesamt ca. 900 Mio. Yen).




Die ersten Bilder stammen aus amerikanischen und japanischen Quellen. Die letzten vier zeigen hingegen Partisanen sowie Soldaten der Roten Armee.
Bezeichnend sind die Fotos 1 bis 3 (s.o.) im Vergleich mit dem letzten. Alle sind in Wladiwostok entstanden: zunächst paradieren die Interventionstruppen, doch am Ende triumphiert die Rote Armee.






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Samstag, 12. Dezember 2009

Sowjetisch oder russisch?


Edward Lozansky hat kürzlich einen äußerst lesenswerten Text publiziert, den ich nachfolgend auszugsweise wiedergebe. Es geht dabei um die Frage, inwieweit es sich bei der Sowjetunion um einen multiethnischen Staat gehandelt hat, dessen politische Führung ebenso heterogen zusammengesetzt war. Und um die Frage, ob es dem heutigen Rußland obliegt, sich für die im Namen der Sowjetunion und des Kommunismus begangenen Verbrechen zu entschuldigen. Dabei wirft der Autor einen kritischen Blick auf die heute gängigen nationalen Klischees und schlägt eine Bresche für ein differenziertes Geschichtsbild.

Das ist ein sehr wichtiges Thema, zu dem ich schon seit Monaten selbst etwas schreiben wollte, was bis dato jedoch aus einem Mangel an Zeit unterblieben ist. Doch Lozansky hat mir diese Aufgabe nun freundlicherweise abgenommen. Besonders wichtig erscheint mir der letzte Absatz, wird die Situation insofern doch oft verfälschend dargestellt (siehe dazu z.B. auch hier):
"[...]

In his recent article in the Daily Telegraph (December 3, 2009) George Feifer suggests that “instead of trying to justify Soviet wrongs all these years later, why doesn't it [Russia] apologize, as Germany has for its 20th-century atrocities?” According to this author, apologies are due above all to the Baltic and East European countries.

As someone who for decades participated in many activities to resist the Soviet regime, standing shoulder to shoulder with people from the “Captive Nations” during their fight for freedom and independence, I believe that Feifer’s demands are misdirected, ill-timed and generally worthless, if not harmful.

Sadly, even respected and well-informed authors like Mr. Feifer still choose to confuse such distinct concepts as “Russian” (referring to ethnicity) and “Soviet” (describing a political affiliation or structure). I am sure Feifer is well aware of the difference but for some reason prefers to ignore it, joining the ranks of what is known as the Commentariat – folks who never miss a chance to bark at Russia, Moscow, or the Kremlin.

In my job as a university professor I am accustomed to repeating the same things over and over again, so I do not mind providing here an abstract of a History 101 course for the benefit of unbiased readers.

The Soviet Union or the USSR was formed in 1922 on the territory of the former Russian Empire after the 1917 Bolshevik coup, funded largely by the German General Staff, and the 1918-1920 Civil War in which the multiethnic Red Guards (whose Latvian riflemen and Chinese units were, by the way, among the most effective) eventually defeated just as ill-assorted White Guards (monarchists, Socialist Revolutionaries, Czech POWs, the Cossacks, and many others).

The Communist state that emerged from the Civil War was a dictatorship that committed many crimes against humanity, the absolute majority of the victims being the country’s own people. The USSR was composed of 16 (15 since 1956) republics which should share more or less equally the blame for these atrocities. Russia was just one of these republics or, as they were often called in the West, the “Captive Nations.” It was the largest of all 15 and, accordingly, it suffered the most in terms of human and material losses; anyone interested in these matters can easily check the figures.

The USSR’s ruling bodies – the Central Committee of the Communist Party, the Politburo, and others – were truly internationalist, that is, multiethnic, with members from all the republics, not just Russia proper, represented. General Secretary Joseph Stalin (Dzhugashvili), that most brutal and feared of all tyrants who ruled the Soviet Union from 1924 to his death in 1953, came from Georgia. So did Lavrenty Beria, for many years head of the secret police that terrorized the whole people and sent millions to the GULAG labor camps. So did Sergo Ordzhonikidze, Stalin’s friend and foe and for many years Politburo member. The universally feared KGB was mostly manned by Georgians absolutely loyal to their compatriots the top bosses. Given these facts, present-day Russia should demand an apology from the Georgian people NOW, according to Feifer’s logic. Needless to say this sort of nonsense does not even enter the heads of either the Russian people or the RF government, and Russia still gives jobs and shelter to about a quarter of Georgia’s entire population, whose relatives in Georgia make ends meet thanks to remittances from Russia. Those fraternal ties between peoples, so glibly mocked by Feifer, die really hard…

Feifer makes much of the fact that “Germany has admitted, and to a degree atoned for, its behaviour under Hitler,” inviting Russia to do the same. That’s the trouble with this comic strip school of history: it conveniently leaves out of account so many facts as to lend a kind of Martian aspect to what purports to be history.

[...]

And what about those home-grown fascists and collaborationists in many European countries? What about the Waffen SS divisions manned by citizens from the Baltic states, responsible for the murder of hundreds of thousands of Jews in the death camps on the territory of those states? It is common knowledge that these SS men are now treated in the Baltic states and Ukraine as national heroes, awarded fat pensions, decorated, and even have statues erected in their honor. Mr. Feifer must be aware of all this, yet he passes it over in complete silence, as if the Nuremberg trials had never taken place and as if the Soviets were the only side guilty of atrocities.

Just like the dominant ultra-nationalists in the Baltic states, Feifer has no other term except “occupation” for the 45 years during which these were part of the Soviet Union – Soviet Socialist Republics similar to the other twelve. Point one: the Soviets occupied the Baltic states and East European countries with the full blessing of the Western powers given at the Yalta conference of the Allies. And an even more important point: “foreign occupation” is a funny term to describe what actually took place in these states. There were powerful Communist parties (Lithuanian, Latvian, Estonian) in all three of the Baltic states, the population was thoroughly Sovietized by purely internal forces, to such an extent that ever so often prominent figures in the National Fronts and nationalist governments nowadays become victims of political scandals over their past association with the local KGB.

Then again, communists from these Baltic states were often highly prominent on the federal level. For example, Arvid Pelshe representing Latvia, was not just a Central Committee and Politburo member of many years standing: he was Chairman of the Committee for Party Control, that is, someone who could – theoretically – call to account any member of the Party, up to and including the general secretary. And another Latvian Rep. Boris Pugo, the all-powerful Interior Minister, Politburo alternate member and, most notoriously, one of the top members of the communist junta that led the abortive coup of August 1991.

[...]

The Soviet regime and its policies have been repeatedly condemned by Russia’s current top officials and the media, including government-run TV channels: these are positively filled with devastating documentaries and feature films describing the horrors of the Soviet era. It is interesting to note that the job of writing a comprehensive multi-volume modern Russian history was offered by the Kremlin to no one else but Alexander Solzhenitsyn, the person who, through his writings and public activities, has done more than any other man to bring down the Soviets. Due to his old age he passed this honor to Professor Andrei Zubov, known for his calls for Russia’s de-Communization similar to the de-Nazification of postwar Germany. His recently published work has won praises from many well-known scholars, including Richard Pipes and others who can hardly be charged with being Moscow’s appeasers or sympathizers.

[...]" vollständig lesen

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Donnerstag, 10. Dezember 2009

Ein Buch, von dem man besser die Finger läßt

In der Regel weise ich an dieser Stelle auf Bücher hin, die mir bemerkenswert erscheinen und die ich meinen Lesern empfehlen möchte. Heute soll - ausnahmsweise - vor einem Buch gewarnt werden, das ich für unsachlich und somit schlecht halte.

Wolfgang Leonhard gilt im deutschsprachigen Raum als einer der besten Kenner von Kommunismus und Stalinismus sowie der früheren Sowjetunion. Berühmt wurde er durch sein erstmals 1955 erschienenes Buch "Die Revolution entläßt ihre Kinder". So könnte denn mancher interessierte Zeitgenosse versucht sein, auch zu Leonhards neuesten Werk mit dem Titel "Anmerkungen zu Stalin" zu greifen. Davon will ich jedoch ausdrücklich abraten, denn die Faktenbasis, auf der seine Argumentation aufbaut, ist außerordentlich dünn.
Das Buch beginnt in etwa mit den gleichen Sätzen wie die Verlagswerbung:
"[...]

In Putins Russland feiert eine historische Figur ein erstaunliches Comeback: Bei einer Volksumfrage wurde Josef Stalin jüngst zum «größten Helden der russischen Geschichte» gewählt. In dem Land, in dem auch wieder die alte Stalin-Hymne gesungen wird, droht die Erinnerung an die Greuel zu verblassen, wird einer der schlimmsten Diktatoren des letzten Jahrhunderts gern in mildem Licht gesehen, als Patriot und Garant nationaler Stärke.

[...]"
Damit bedient Leonhard zwar die populäre These einer angeblichen Stalin-Renaissance im heutigen Rußland, allein, die von ihm dort als Belege für diese bedenkliche Entwicklung angeführten Tatsachen stimmen nicht!
Erstens: Aus der vor rund einem Jahr im Fernsehen durchgeführten Umfrage nach dem bedeutendsten Russen der Geschichte ging nicht Josef Stalin, sondern Alexander Newskij als Sieger hervor (siehe auch hier).
Zweitens: Bei der im Jahr 2000 eingeführten Nationalhymne der RF handelt es sich nicht um eine "Stalin-Hymne", sondern um die Kombination aus der alten (und sehr eingängigen) Musik von Alexander Alexandrow und dem neugedichteten Text von Sergej Michalkow. Die neue Hymne ist populär und hat das seit 1991 anhaltende, m.E. würdelose Gezerre um eine Nationalhymne für das postsowjetische Rußland beendet (zur Entwicklung vgl. hier). Glinkas "Patriotisches Lied" konnte nie Rückhalt im Volk gewinnen, zumal es über keinen Text verfügt. Letzterer ist für eine Nationalhymne jedoch von entscheidender Bedeutung, denn eine Melodie allein hat etwas beliebiges.

Wenn Leonhards Grundannahmen schon so falsch sind, wie soll denn in seinem neuen Buch daraus eine vernünftige und realistische Darstellung werden? Ich weiß es ehrlichgesagt nicht, denn nach der Lektüre der ersten Seiten habe ich es wieder weggelegt. Dennoch bleiben erhebliche Zweifel. Es ist nicht das erste Mal, daß mich Wolfgang Leonhard enttäuscht hat. Viele seiner in den letzten Jahren publizierten Bücher sind doch erstaunlich fade und blutleer; sie wirken wie der dritte oder vierte Aufguß seines Klassikers "Die Revolution entläßt ihre Kinder". Dazu kommen vielleicht auch gewisse Alterserscheinungen, vor denen auch der von mir sonst hochverehrte Peter Scholl-Latour nicht gefeit ist.

So will ich heute mit einem Rat an meine Leser schließen: Wer etwas von Leonhard lesen will, der ist mit seiner klassischen Arbeit von der Revolution, die ihre Kinder entläßt, mit Abstand am besten bedient. Seine "Anmerkungen zu Stalin" sind jedenfalls Geldverschwendung und dürften inhaltlich kaum über das in seinem Erstlingswerk bereits gesagte hinausgehen.


PS: Zum Schluß ein Video mit einer etwas rockigeren Version der soeben diskutierten Nationalhymne, interpretiert von der Gruppe "Ljube".




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Sonntag, 6. Dezember 2009

06.12.2009: Videos des Tages

Im Oktober haben in Moskau zwei wichtige Waffenmessen stattgefunden: Vom 15. bis 18. Oktober die Messe Oruzhie i ochota (dt.: Waffen und Jagd) und vom 27. bis 30. Oktober die Interpolitex 2009, die sich - wie der Name schon vermuten läßt - auf den Behördenmarkt konzentriert. Das erste beiden der folgenden Videos sind denn auch auf der Jagdmesse entstanden, wobei allerdings fast ausschließlich Gas- und Trauma-/RAM-Waffen vorgestellt werden. Das dritte Video vermittelt ein paar Eindrücke von der Interpolitex, so wird u.a. die neue Standard-Maschinenpistole der russischen Polizei, die PP-2000, ausführlich erläutert.










PS: Weitere Fotos von der Arms and Hunting finden sich hier, hier und hier; desgleichen von der Interpolitex hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier.