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Mittwoch, 8. Februar 2012

Der Bürgerkrieg in Syrien

Video: "Friedliche Demonstration" der "schutzlosen Zivilbevölkerung" in Syrien.

Dieser Tage steht die Situation in Syrien erneut im Fokus der internationalen Aufmerksamkeit. Dabei könnte die Differenz zwischen dem, was tatsächlich in diesem Land geschieht und dem, was die deutschen Medien daraus machen, kaum größer sein. Wer in der glücklichen Lage ist, ausländische Medien zu konsumieren, reibt sich verwundert die Augen und fragt sich, ob die gleichgeschalteten deutschen Medien wirklich über dasselbe Syrien sprechen wie die Ausländer.

Besondere Aufregung hat der am Samstag gescheiterte Entwurf einer Resolution des UN-Sicherheitsrates hervorgerufen. Zwei Staaten, China und Rußland, hatten ihr Veto gegen einen Antrag eingelegt, in dem u.a. der Rücktritt des syrischen Präsidenten Assad gefordert wurde. "Westliche" Presse und Politiker überschlugen sich daraufhin in moralisierenden Statements. Man habe das syrische Volk verraten, an den Händen Moskaus und Pekings klebe Blut, beide Staaten seien unfähig zu konstruktiver Diplomatie usw. usf. Komischerweise hat sich kaum jemand die Mühe gemacht, die Einwände im Detail zu untersuchen. Das soll nachfolgend geleistet werden - ein Job, den eigentlich die Empfänger meiner Rundfunksteuern bei ARD und ZDF leisten müßten.

Zunächst sieht man in Moskau die Lage in Syrien ganz anders als hierzulande. Während deutsche Zeitungen im Höchstfall schreiben, ein Bürgerkrieg "drohe", steht für die rußländische Regierung fest, daß in Syrien bereits ein Bürgerkrieg tobt. Diese Einschätzung wird durch Meldungen über Attenate auf die Energieversorgung, Anschläge mitten in Damaskus und anderen Städten sowie andere terroristische Operationen, die sich gegen den jetzigen Präsidenten und die ihn stützenden Teile der Bevölkerung richten, untermauert. (Deshalb ist es auch absurd zu behaupten, "das syrische Volk" sei gegen Assad. Es sind vielmehr nur Teile davon.) Spätestens seit im Herbst 2011 eine sog. Syrische Freie Armee gebildet wurde, die vornehmlich aus desertierten Soldaten besteht und über mehrere Zehntausend Mann verfügen soll, kann man redlicherweise nicht umhin, von einem ausgewachsenen Bürgerkrieg zu sprechen. Diese Rebellenstreitkräfte verfügen auch über schwere Waffen und kämpfen gegen die Regierung in Damaskus.

Stellt man diese Fakten in Rechnung, ergibt sich eine andere Einschätzung. Wo in den deutschen Medien fast unisono von heimtückischen Angriffen des bösen Assad-Regimes auf die arme, unbewaffnete und schutzlose Zivilbevölkerung gesprochen wird, tobt in Wahrheit ein blutiger Bürgerkrieg - mit zahlreichen Opfern auf beiden Seiten. Das Blutvergießen geht mitnichten nur von der Regierung aus. Von den bisher 5.000 Toten im Land sollen 2.000 den regierungstreuen Sicherheitskräften angehören. Doch diesen Teil der Wahrheit enthalten uns unsere Journalisten vor. Der Terminus "Bürgerkrieg" wird vermieden, statt dessen sprechen sie von "friedlichen Demonstrationen" oder höchstens von einem "Aufstand", die von "Oppositionellen" oder einer "Demokratiebewegung" getragen würden.

Doch die "Opposition" bleibt seltsam diffus, von deren Militärorganisationen hört man nur wenig, ebenso von ihrer Zusammensetzung und ihren politischen Forderungen. Man muß wieder ausländische Medien konsultieren, um zu erfahren, daß namhafte Teile der Opposition, die sich vornehmlich in der Türkei sammeln und die unverhohlene Unterstützung mehrerer NATO-Staaten genießen, als islamistisch einzustufen sind. Da drängt sich folgende Schlußfolgerung auf: Wenn islamistisch motivierte Selbstmordattentäter Gewaltakte in den USA oder der EU begehen, ist es Terrorismus; tun sie dasselbe in einem anderen Teil der Welt, nennt man es Freiheitskampf.

Sofern die tatsächliche Lage in Syrien berücksichtigt wird, wird auch die Position Moskaus (und Pekings) leicht nachvollziehbar. Während die USA, einige EU-Staaten und die Golfemirate unverhohlen einen "regime change" in Damaskus anstreben (der wahrscheinlich zu einer sunnitischen Dominanz führen würde), wagen sich die rußländische Diplomaten, ganz andere Töne anzuschlagen. Sie plädieren für einen nationalen "innersyrischen Dialogs unter der Ägide der Arabischen Liga". Dabei sollen ohne Vorbehalte die Probleme des Landes erörtert und Lösungen zwischen den Konfliktparteien gefunden werden; es gehe um "die Suche nach Wegen zu einer nationalen Versöhnung". Das klingt ganz anders als die einseitigen Parteinamen in europäischen Hauptstädten und die in Washington erhobene Forderung nach einer weiteren Bewaffnung der Rebellen.

Anfang Februar wurden alle Beteiligten zu Verhandlungen nach Moskau eingeladen. Während Assad erneut seine Gesprächsbereitschaft bekundete, haben sich nur wenige (im Ausland weilende) Oppositionsvertreter dafür ausgesprochen. Die Mehrheit weigert sich jedoch, in Verhandlungen mit der Regierung Assad einzutreten. Und sie werden in ihrer unversöhnlichen Haltung offenkundig aus dem Ausland unterstützt. Während Assad in den letzten Monaten mehrfach politische Reformen angekündigt hat, gab es kein Entgegenkommen der Opposition, ja nicht einmal ernsthaften Gesprächswillen ihrerseits. Wenn also an jemandes Händen Blut kleben sollte, dann an denen der Rebellen, die den Bürgerkrieg rücksichtslos vorantreiben und sich jeder friedlichen, einigermaßen einvernehmlichen Lösung verweigern.

Neben den erheblichen Unterschieden in der Bewertung der Situation in Syrien (wobei die rußländische Position, wie gesehen, schlüssiger ist als die anderer Staaten) gibt es Unterschiede in einer völkerrechtlichen Frage. Der am Wochenende gescheiterte Resolutionsentwurf enthielt eine einseitige Aufforderung zum Rücktritt an Assad. Der Ansatz des Entwurfes war damit nicht nur unausgewogen, sondern nach Auffassung Moskaus und Pekings auch völkerrechtswidrig. Denn gem. Artikel 24 der UN-Charta ist der Sicherheitsrat zuständig für die Wahrung des Welt-Friedens und der internationalen Sicherheit. Dabei muß er sich - was viele deutschen Kommentatoren vergessen - an die in Artikel 2 statuierten Grundsätze halten. In Art. 2 Nr. 7 heißt es:
"Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden".
D.h. der Sicherheitsrat ist schon nach seinen Rechtsgrundlagen gerade keine universale Weltregierung, sondern in seinen Kompetenzen beschränkt. Zwar hat sich das Gremium in der Vergangenheit mehrfach mit Bürgerkriegen befaßt, aber immer unter der Prämisse einer ausgewogenen Konfliktregulierung. Für von außen oktroyierte "Regimewechsel" ist er nicht zuständig. Eine solche wurde von den Staaten, welche den Entwurf eingebracht haben, jedoch nicht angestrebt. Statt dessen sollten schnell Fakten geschaffen werden, ein echter innersyrischer Dialog war und ist in manchen Hauptstädten unerwünscht. Nachdem die Bitte des rußländischen Vertreters im Sicherheitsrat, die Abstimmung zu vertagen, um den für den 7. Februar geplanten Besuch von Außenminister Lawrow in Damaskus abzuwarten, abgelehnt worden war, blieb keine andere Lösung als das Veto. Daß in Moskau indes weiter an einer Verhandlungslösung für Syrien gearbeitet wird, zeigen die starken Aktivitäten des Außenministeriums in dieser Angelegenheit.

Das Veto wurde drittens durch den Präzedenzfall in Libyen beeinflußt. Damals hieß es ebenfalls mit weinerlicher Stimme, es tobe kein Bürgerkrieg, sondern der böse Ghaddafi würde seine eigenen Bürger abschlachten. Eine bewußt mehrdeutig formulierte Resolution des Sicherheitsrates, gegen die es kein Veto gab, wurde mißbraucht, um den (völkerrechtlich zweifelhaften) Einsatz ausländischer Truppen gegen die Regierung von Tripolis zu legitimieren. Viele der seinerzeit verbreiteten Propagandalügen sind bereits entlarvt worden, doch danach fragt hierzulande kaum jemand. Ebensowenig interessiert, was in Libyen weiter passiert. Es gibt eben keine Hinwendung zur Demokratie, sondern das Land versinkt in vormodernen Stammes- und Fraktionskämpfen. Doch darüber schweigen die deutschen Medien zumeist, ebenso wie über die gravierenden Menschenrechtsverletzungen der neuen Machthaber. (Vgl. hierzu auch "Libyen: Folter und Mord".) Lieber versuchen sie, daß in Libyen erfolgreich erprobte Modell auf Syrien zu übertragen. Doch dagegen verwahren sich Rußland und China. Außenminister Lawrow hat kürzlich in einem Interview die vorsichtige Haltung seiner Regierung verdeutlicht:
"[...]

We would also be guided by the need to avoid taking sides in a situation of internal conflict.
The international community unfortunately did take sides in Libya and we would never allow the Security Council to authorise anything similar to what happened in Libya. Yes, we condemn strongly the use of force by government forces against civilians, but we can condemn in the same strong way the activities of the armed extremist groups who attack government positions, who attack administration in various provinces of Syria, who attack a police station and who terrorise people telling them not to come to jobs, not to come to hospitals, not to come to shops.

It's impossible to ... when you say that government forces must leave towns, but at the same time you watch BBC, you watch CNN and you see that parts of those towns are taken by the armed opposition, are you realistically expecting that any government in this situation would leave the city and leave it to the armed groups? I don't think so.

So, my point is that the international community must speak one voice. If we want to end violence, irrespective of where it comes from - and that's the language of the Arab League - then all those countries on whose soil various opposition groups are present, they must lean on those groups, we all must lean on the Syrian government and tell them that you must sit down and stop this. You must agree how your country is going to be run.

We would not pre-judge the outcome, whether this would involve the president of Syria living, or whether there would be some other solution, we went through this in Libya when the African Union - the organisation of 50-some countries, to which Libya belongs - introduced a plan under which the fate of Gaddafi would've been decided at the end of the negotiating process as part of the overall package.

It was rejected because some countries outside the African Union said no, no, no, Gaddafi must go before anything else happens, and then we had what we did. The African Union was humiliated, because to throw away an initiative which was aimed at peacefully resolving the crisis just because somebody had some very personal animosities was a mistake, [...]"
Selbstkritik ist nicht die Stärke der deutschen Medien, vor allem nicht wenn sie statt dessen moralisieren können. Und so werden die Zuschauer weiter nach Strich und Faden belogen. Es ist auch meines Erachtens so, wie Frank Haubold schreibt:
"[...]

Wer in der Euphorie der Wendetage des Jahres 1989 prophezeit hätte, dass man zwanzig Jahre später in russischen (!) Medien ein realistischeres Bild von den aktuellen Krisenherden vorfinden würde als in den angeblich freien Medien des Westens, wäre ausgelacht worden – bestenfalls. Heute ist das traurige Realität. Bundesdeutsche Journalisten und Kommentatoren degradieren sich selbst willfährig zu Handlangern der Mächtigen und bereiten das Feld für geplante Kriege. Das ist nicht nur verantwortungslos und feige, sondern legt auch die Axt an einen Grundpfeiler der Demokratie, die nur mit freien Medien und unabhängigem Journalismus existieren kann. Widerstand gegen diese Entwicklung ist nicht zu sehen; häufig wartet man in den bundesdeutschen Redaktionsstuben nicht einmal auf eine Weisung „von oben“, sondern schaltet sich in vorauseilendem Gehorsam selbst gleich.

[...]"
Wohl dem, der Russia Today und andere internationale TV-Sender sehen kann, um dem deutschsprachigen Einheitsbrei zu entfliehen. Dort werden Berichte von beiden Seiten der Front in Syrien gezeigt. Gestern hat ausnahmsweise sogar die ARD in den Tagesthemen Material eines russischen Senders gebracht - um heute ihre monotone Litanei über "Angriffe der Regierungstruppen auf Wohnviertel" fortzusetzen.

Bemerkenswert auch die innerdeutschen Facetten des syrischen Bürgerkrieges. Während heute groß getitelt wurde, daß deutsche Sicherheitsbehörden Agenten syrischer Geheimdienste festgenommen hätten, gingen Berichte über die Stürmung der syrischen Botschaft in Berlin durch Demonstranten unter. So müssen unsere Journalisten nicht mehr darüber nachdenken, ob die Bundesrepublik Deutschland möglicherweise ihre Pflichten aus Artikel 22 des Wiener über diplomatische Beziehungen verletzt hat, dessen Absatz 2 lautet:
"Der Empfangsstaat hat die besondere Pflicht, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Räumlichkeiten der Mission vor jedem Eindringen und jeder Beschädigung zu schützen und um zu verhindern, dass der Friede der Mission gestört oder ihre Würde beeinträchtigt wird."
Nein, die armen Demontranten haben nur ihrer gerechten Empörung Luft gemacht. Wer dagegen etwas sagt, kann doch nur eine kleinkarierte Krämerseele oder, schlimmer, ein Feind aller wohlmeinenden Menschen sein. Um jeden Zweifel beim deutschen Michel zu zerstreuen folgen dann Berichte, wie schlimm doch die "Drangsalierung" der armen "Oppositionellen" durch das "Assad-Regime" selbst im Ausland sei.

Wir dürfen gespannt sein, wie die Entwicklung in Syrein weitergehen wird, nachdem mehrere arabische Staaten, die USA und Teile der EU eine auf Verhandlungen beruhende Konfliktlösung hintertrieben haben und es keine Alternative zu einem "Regimewechsel" zu geben scheint. Selbiger dürfte allerdings noch auf sich warten lassen, denn Assad genießt anscheinend noch erheblichen Rückhalt im Volk. Die Opposition will keinerlei Kompromiß, doch für einen militärischen Sieg über Assad fehlen ihr die Kräfte.


Linktips:

The Regime Change Special; Derailed By Travesty

Ex-Premier Primakow: Russlands Veto gegen Syrien-Resolution „völlig begründet“

Wie steht Russland zu Syrien?

Syrien-Krise: Russland versucht sich weiter als Vermittler

Syrische Opposition lehnt Gespräche mit Assad-Regime in Moskau ab

Russland gegen Ausschaltung von Teilnehmern aus Dialog zu Konfliktregelung

Medwedew und Erdogan für koordinierte Bemühungen zur Regelung der Syrien-Krise

Let’s veto the West’s moral posturing on Syria

Libyen: Folter und Mord

NOVO-Dossier: Arabischer Aufbruch


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Mittwoch, 4. Januar 2012

Deutsche Desinformation IV


Zunächst wünsche ich allen Lesern dieses Blogs ein frohes neues Jahr! Im verflossenen Jahr sind auf der gesamten Welt besonders viele wichtige und interessante Ereignisse geschehen. Bedauerlicherweise waren die deutschen Mainstream-Medien mehrheitlich nicht fähig, ihre Kunden und Konsumenten angemessen darüber zu informieren. Damit will ich nicht nur auf die Rußlandberichterstattung abheben, über die ich mich hier im Blog schon regelmäßig verbreitet habe. Heute sollen einige andere Punkte im Fokus stehen, denn sie alle zeigen m.E. an, daß die deutschen Medien grundsätzliche Probleme mit der Wahrnehmung der Realität haben. Wunschdenken und Engagement zugunsten bestimmter Akteure vernebelt oft den nüchternen Blick auf die Wirklichkeit, den man von einem politischen Journalisten erwarten darf.

Arabischer Frühling – islamischer Winter

Beginnen wir mit den dramatischen Ereignissen, die sich in zahlreichen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens zugetragen haben. Der Sturz mehrerer alteingesessener Regierungen wurde im Ausland zumeist bejubelt. Darüber vergaß man jedoch die damit einhergehenden Probleme und Risiken. Insbesondere deutsche Medien zeichneten ein simples Bild: die brutalen und korrupten Regime würden gestürzt und danach würden sich fast von alleine „Demokratie“ und „Menschenrechte“ durchsetzen. Es war, als würden manche Journalisten an Märchen glauben, in denen einfach die böse Hexe sterben muß, damit alle anderen Menschen in Frieden und Glückseligkeit leben könnten.

Die Realität sieht freilich anders aus. Ich entsinne mich noch deutlich, wie ein Reporter des deutschen Staatsfernsehens in Kairo stand und den Zuschauern weismachen wollte, daß die Moslembrüder und andere islamische Gruppen in der Revolution keine wichtige Rolle spielen würden. Vielmehr ginge es den Demonstranten um die Einführung eines politischen Systems westlichen Zuschnitts. Diese Seifenblase ist mittlerweile zerplatzt. Bei den bisherigen Etappen der Wahlen in Ägypten hat sich eindeutig gezeigt, daß islamistische Parteien und Bewegungen die politische Szenerie bei weitem dominieren. Offenkundig stehen die jugendlichen, englischsprechenden Facebook-Nutzer, die man uns im Frühjahr regelmäßig vorgeführt hat, nicht für die Mehrheit des ägyptischen Volkes.

Die Folgen sind dramatisch. Nicht nur, daß sich die Beziehungen zu Israel verschlechtert haben. Auch die christlichen Kopten, die seit Jahrhunderten in Ägypten ansässig sind, sehen sich schweren Verfolgungen ausgesetzt. Kirchen brennen und Christen werden tätlich angegriffen. All dies ist unter dem angeblich so schlimmen Präsidenten Mubarak nicht vorgekommen.
(Eine ähnliche Entwicklung hat sich übrigens im Irak ereignet, nachdem dieser 2003 durch einen Krieg „befreit“ worden war. Die christliche Minderheit im Land war seither heftigen Attacken ausgesetzt und viele Christen haben aus ihrer Heimat, die jetzt angeblich ein „Leuchtturm der Freiheit und Demokratie“ ist, fliehen müssen.)

Die Lage in anderen Staaten der Region ist ähnlich. Sowohl in Tunesien als auch in Marokko (wo die Umwälzungen weitgehend friedlich vonstatten gingen) sind nunmehr Islamisten an der Macht. Fast überall wurden die säkularen Regime durch religiöse ersetzt. Ich würde das nicht als Fortschritt bezeichnen.

Libyen

Noch dramatischer ist die Situation in Libyen. Der monatelange undurchsichtige Bürgerkrieg, der uns Europäern mit zahllosen Lügen verkauft wurde (man denke nur an die angeblichen Viagra-Rationen, mit denen Ghaddafis Soldaten zu „Vergewaltigungsmaschinen“ gemacht worden sein sollen), hat bis heute nicht zu einem einigermaßen stabilen Regime geführt. Statt dessen ist – dank massiver ausländischer Militärunterstützung – eine „Regierung“ am Ruder, die Libyen offiziell an der islamischen Gesetzgebung ausrichten will, woran es unter Ghaddafi gemangelt habe. Überdies sind sich die zahlreichen „Oppositionsgruppen“ untereinander spinnefeind, wie durch die jüngsten Kämpfe zwischen verschiedenen Milizen eindrucksvoll demonstriert wird. Das sind keine Freiheitskämpfer, sondern einfach Banditen.

Libyen demonstriert eindrucksvoll, wie sich auch deutsche Medien haben in einen Informationskrieg einspannen lassen, um Ghaddafi schlechtzureden und seine Gegner in den Himmel zu loben. Womöglich hatte der getötete Diktator recht, als er davor warnte, daß im Fall seiner Niederlage islamistische Terroristen die Macht übernehmen könnten. Nicht zu vergessen, daß während des Bürgerkrieges eine drei- bis vierstellige Anzahl von Flugabwehrraketen aus den Beständen der libyschen Streitkräfte verschwunden ist – Terroristen jedweder Couleur werden sich danach die Finger lecken.

Syrien

Nachdem sich Teile des „Westens“ daran erfreuen konnten, daß sie fähig waren, eine neue Regierung in Tripolis zu installieren, glaubten wohl manche, dieses Spiel in Syrien fortsetzen zu können. Hier spielen unsere Medien ebenfalls eine unrühmliche Rolle. Die Ereignisse in Damaskus und anderen Städten werden zumeist im gewohnten Schema „das böse Assad-Regime“ gegen „das friedliche, arme und unterdrückte Volk“ dargestellt. Daß die wirkliche Lage in Syrien höchstwahrscheinlich weitaus komplizierter ist, wird dabei unterschlagen. Wie konnte es zu den verheerenden Bombenattentaten kommen? Wieso werden Regierungsgebäude mit schweren Waffen beschossen? Wieso sterben Angehörige der Sicherheitskräfte? Als vor wenigen Tagen die Bilder von verwundeten syrischen Soldaten um die Welt gingen, hat ein britischer Journalist treffend gesagt: Was immer in Syrien wirklich vorgehen mag, diese Soldaten sind mit Sicherheit nicht durch friedliche Demonstranten so schwer verletzt worden.

Es ist somit schon eine bewußte Lüge, wenn in unseren Medien nicht von einem Bürgerkrieg in Syrien, sondern von der Unterdrückung einer (unterstützenswerten) Opposition durch die (schlimme) Regierung gesprochen wird. Mindestens die halbe Wahrheit wird dadurch unterschlagen. Unklar bleibt – wie zuvor in Libyen – auch, aus welchen Personen und Gruppen diese „Opposition“ besteht, welche Ziele von diesen verfolgt werden usw. Das jüngste Auftreten von Terroristen, die Al Quaida nahestehen sollen, ist jedenfalls alles andere als beruhigend. Wenn man aus den jüngsten Entwicklungen in Ägypten, Tunesien usw. eine Schlußfolgerung für Syrien ziehen darf, dann wird man davon ausgehen können, daß auch dort nach einem eventuellen Abgang Assads „demokratisch“ gesinnte Intellektuelle – wie der deutsche Grünen-Politiker Ferhad Ahma – keineswegs die Oberhand behalten werden.

Überdies lehrt der Übergang vom „arabischen Frühling“ in den „islamischen Herbst“, daß die große Unterstützung, welche die diversen Aufstände im westlichen Ausland gefunden haben, verheerend gewirkt hat. Die meisten dieser Staaten sind heute weitaus instabiler als zuvor, was negative ökonomische Konsequenzen hat. So ist in Ägypten der Tourismus stark geschrumpft (- 30 %), was die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung noch verschärft. Die Instabilität zeigt sich auch im sicherheitspolitischen Bereich, vor allem durch die Angriffe auf eine nach Israel führende Pipeline auf dem Sinai, die andauernden Kämpfe in Tripolis und die neue Flüchtlingswelle in Richtung Italien. Diese negativen Folgen stehen unmittelbar vor Augen. Doch worin sollen die positiven Seiten des „arabischen Frühlings“ bestehen, wenn man von abstrakten Zukunftshoffnungen absieht? Eine Antwort auf diese Frage sind die deutschen Medien bisher schuldig geblieben.

Die Euro-Krise

Die andauernde Krise der europäischen Gemeinschaftswährung hat in den Medien ebenfalls eine unzureichende Darstellung gefunden. Natürlich wurde zuhauf über die Probleme Griechenlands und anderer stark verschuldeter EU-Mitgliedsstaaten gesprochen. Aber auch hier blieb die Analyse eher oberflächlich. Ein Beispiel mag dies demonstrieren:
Als das slowakische Parlament einem der zahlreichen „Rettungspakete“ seine Zustimmung verweigerte, gingen einige deutsche Journalisten hart mit den Abgeordneten ins Gericht. Sie würden, so hieß es, das Projekt der Europäischen Union und damit den Frieden in Europa gefährden. Ein Kommentator verstieg sich gar dazu, daß er den liberalen Kritikern – die einen radikalen Schuldenschnitt für Griechenland gefordert hatte – zwar recht gab, zugleich jedoch forderte, sie müßten dem – untauglichen – Rettungsschirm trotzdem zustimmen. Als Grund gab er die „europäische Solidarität“ an. D.h. dieser Journalist erwarten von Politikern, daß sie aus dem bloßen Gefühl der „Solidarität“ heraus falsche und unzweckmäßige Beschlüsse fassen.

Ähnlich zynisch und absurd war die Begründung, daß man in der EU bei Gegenwind für Gemeinschaftsprojekte in den Mitgliedsstaaten so lange abstimmen läßt, bis das Ergebnis den EU-Befürwortern paßt. Dieselben Journalisten, die sonst mit Krokodilstränen in den Augen in anderen Teilen der Welt „Demokratie“ einfordern, treten sie in ihrer Heimat mit Füßen, solange es um die Verwirklichung von Zielen geht, die ihnen gefallen.

Doch auch Politiker waren an den Albernheiten beteiligt. Man denke an den absonderlichen Vorschlag, die Flaggen säumiger Staaten vor den Brüsseler Amtsgebäuden auf Halbmast zu setzen. So wurde wertvolle Zeit mit sinnlosem Geplänkel vertan, anstatt sich ernsthaft mit der Euro-Krise – und mit zur Not auch radikalen Lösungen – zu befassen. Mittlerweile hat es den Anschein, als sie eine Sanierung Griechenlands nur noch außerhalb des Euro-Raumes möglich. Warum wurde darüber nicht schon früher ernsthaft diskutiert? Weshalb hat man statt dessen lieber (z.T. sehr platte) anti-griechische Ressentiments bedient, die jedoch die Lösung des Problems keinen Schritt voranbringen?

Entpolitisierung und Moralisierung

Das Hauptproblem der deutschen Mainstreammedien scheint mir deren übermäßige Moralisierung und die damit einhergehende Entpolitisierung zu sein. Politische Probleme werden nicht mehr anhand von i.w.S. politischen Maßstäben bewertet, sondern anhand von philosophischen. So mutiert das ökonomische Problem der Euro-Krise zu einer Schicksalsfrage, in der von den verantwortlichen Politikern im Namen der „europäischen Idee“ irrationale Entscheidungen erwartet werden. Oder die Beurteilung der komplexen Lage in Syrien wird auf die Frage reduziert, ab man Assad leiden könne oder nicht.

Thomas Fasbender hat das hierzulande grassierende Gutmenschentum sehr treffend charakterisiert: „In einer gesellschaftlichen Landschaft, in der jeder politische Konflikt moralisch eingefärbt wird, in der das Politische längst dem Werturteil gewichen ist, begegnet man den Argumenten der vermeintlichen Quertreiber nur durch Unterstellung niederer Beweggründe.“

Ein aktuelles Beispiel ist die Kampagne gegen Bundespräsident Wulff um einen Hauskredit, die sich bei näherer rechtlicher Betrachtung als weitgehend substanzlos erweist. Unsere Medien ereiferten sich bei Bekanntwerden der Vorwürfe lieber über das angebliche Fehlverhalten des Staatschefs und verzichteten dafür auf Berichte, die Wulffs seinerzeitige Reise in den Mittleren Osten zum Thema hatten. Doch was hat unser Präsident dort, wo die geopolitische Lage derzeit wieder hochkocht, gemacht?

Jede originär politische Diskussion in den deutschen Medien wird damit unmöglich gemacht. In der Folge kommt es zu einer Verblendung von Journalisten, die selbige zu drastischen Fehleinschätzungen politischer Vorgänge, namentlich im Ausland, verleitet. Besonders negativ ist dies bei den Staatssendern, die sich selbst mit dem Euphemismus „öffentlich-rechtlich“ bezeichnen und den Bürgern suggerieren, für ihre Rundfunkabgaben (die im rechtlichen Sinne gerade keine Gebühren sind) erhielten sie qualitativ hochwertige und ausgewogene Informationen. Wohl dem, der andere Informationsquellen, vor allem aus dem Ausland, zu Rate ziehen kann, um sich das ganze Bild zu machen. Im Zeitalter von Satellitenfernsehen und Internet ist dies so einfach wie nie zuvor.


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Bild: www.makingitmagazine.net.

Mittwoch, 1. Juni 2011

Washingtoner Shizophrenien


Die Jamestown Foundation ist einer von vielen "Think-tanks", die ihre Heimat in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika gefunden haben. Das besondere an der Stiftung ist freilich ihr Fokus auf Eurasien, insbesondere Rußland. Gegründet wurde sie 1984, um sowjetischen "Dissidenten" (besser gesagt: Deserteuren) eine publizistische Plattform in den USA zu bieten und so das Feindbild des Kalten Krieges am laufen zu halten. Dabei erfreut sich die Stiftung bis heute enger, auch finanzieller Beziehungen zu Regierungsstellen. An der ersten Zielsetzung hat sich bis heute kaum etwas geändert, werden doch alle Vorgänge innerhalb Rußlands dezidiert negativ dargestellt.

Demgegenüber steht die positive Bewertung der "arabischen Revolution", also der Unruhen, die seit Beginn dieses Jahres den Nahen und Mittleren Osten erschüttern. Sie werden etwa in diesem Text vom 8. Februar 2011 als Warnung an Putin und Medwedew bezeichnet.

Etwas differenzierter sieht man die Lage in Aserbaidshan. Der dort seit 2003, bereits als zweiter seiner Familiendynastie, regierende Ilcham Alijew wird in diesem Beitrag vom 5. April zwar nicht direkt vor der gegen ihn gerichteten Opposition in Schutz genommen. Doch macht man sich über die oppositionellen Demonstranten lustig: Sie hätten sich lediglich an einer schlecht vorbereiteten Kopie der arabischen Revolutionen versucht.

Gänzlich auf der Seite der Herrschenden steht die Jamestown Foundation in Georgien. Als es in der vergangenen Woche zu großangelegten Protesten gegen den immer diktatorischer Regierenden Präsidenten Saakaschwili kam, die von den Sicherheitskräften mit Gewalt aufgelöst wurden, war von der sonst in den USA üblichen Sympathie für Demonstranten und ihre Versammlungsfreiheit nichts mehr zu spüren. Statt dessen wird die georgische Opposition als militant und unpatriotisch verdammt und ihr gar vorgeworfen, einen von Rußland gesteuerten Staatsstreich gegen den "Musterdemokraten" Saakaschwili unternommen zu haben.

Dies überrascht freilich nicht. "Demokratieförderung" ist in den Augen der Jamestown-Verantwortlichen nur dann statthaft, wenn sie sich gegen Rußland richtet. Auf die Person des jeweiligen Präsidenten der RF und dessen konkrete Politik kommt es dabei nicht an; das ist institutionalisierte Russophobie. Und die Staatschefs Aserbaidshans und Georgiens sind nun einmal getreue Verbündete der USA im Kaukasus, die zum Teil eine dezidiert antirussische Politik verfolgen und - wie Saakaschwili - nicht einmal vor dem Auslösen eines Krieges zurückschrecken. Dies stört Jamestown freilich nicht; diese Alliierten müssen um jeden Preis positiv dargestellt werden. Wer gegen sie auftritt, ist somit kein Demokrat oder legitimer Oppositioneller, sondern ein gewalttätiger Landesverräter, der verhaftet werden muß, um nicht als vermeintlich "fünfte Kolonne" für den rußländischen Hauptfeind zu wirken.

Dies war keineswegs der erste Polizeieinsatz gegen die Opposition in Georgien. Seit Jahren gehen Sakaschwilis Sicherheitskräfte mit teilweise großer Brutalität, die auch schon Todesopfer forderte, gegen die politischen Gegner ihres Präsidenten vor. Bezeichnenderweise wurde und wird dies im "Westen" kaum wahrgenommen. Wenn aber in Moskau ein paar Demonstranten vorsichtig von einer verbotenen Kundgebung weggetragen werden, dann ist der mediale Aufschrei groß und vom Ausland wird eine unumschränkte Versammlungsfreiheit eingefordert (die es freilich in keinem der dies fordernden Staaten gibt).

Für die Jamestown-Autoren stellt sich jedoch nicht einmal die Frage, ob Saakaschwilis Vorgehen rechtmäßig war oder ob man seinen Gegnern nicht ein Minimum an Legitimität konzedieren sollte. Nein, der georgische Staatschef ist der gute und muß bedingungslos unterstützt werden. Er ist schließlich ein "guter Diktator", der bereit ist, die "freie Welt" vor dem Ansturm des "expansiven russischen Bären" zu verteidigen. Wen kümmern denn insofern Fragen der Demokratie und Rechsstaatlichkeit? Da stellt auch kaum jemand kritische Fragen, wenn die regierung den Protestierern nicht nur unerlaubte Demonstrationen, sondern auch geplante Terroranschläge vorwirft.


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Foto: RIA Nowosti.

Donnerstag, 28. April 2011

Führer-Kult

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Einer der Hauptgründe, weshalb mir die Darstellung der rußländischen Innenpolitik in den deutschen Medien nur noch ein müdes Lächeln abringt, ist ihr Liebkosen der sog. "demokratischen" oder "liberalen" Opposition. Typen wie Kasparow oder Nemzow, deren politische Bedeutung sich seit Jahren knapp über Null bewegt, werden von den Medien zu beachtenswerten "Oppositionsführern" aufgebauscht. Damit entsteht ein völlig verzerrtes Bild der politischen Landschaft in der RF.

Deshalb ist es hilfreich, sich die Ergebnisse einer Mitte April von den Soziologen des Lewada-Zentrums durchgeführten Umfrage zu Gemüte zu führen. Die Frage lautete: "Für welchen der Führer der außerparlamentarischen Opposition würden sie bei Präsidentenwahlen ihre Stimme abgeben?" Wenn man bedenkt, daß die wichtigsten Mitarbeiter des Lewada-Zentrums selbst dieser außerparlamentarischen Opposition nahestehen, dann sind die Ergebnisse ernüchternd:
  • Bemerkenswert ist ferner, daß immerhin 59 % der Befragten für keinen der soeben genannten Politiker stimmen würden.

    Möglicherweise ist die Popularität einiger dieser Herren im Ausland größer als im Inland. Zum Vergleich ein paar Zahlen aus Deutschland. Bei der Bundestagswahl 2009 kam die Piratenpartei auf 2 %, die NPD auf 1,5 % und die Tierschutzpartei auf 0,5 % der Zweitstimmen. Das ist der Bereich der Wählergunst, in dem sich die russischen "Liberalen" bewegen, auch wenn der Vergleich von Personen- mit Listenstimmen methodisch nicht ganz sauber ist. (BTW: Auch die NPD betreibt Fundamentalopposition und will das System stürzen.)

    Diese Zahlen verdeutlichen, daß in Rußland ein Erdbeben geschehen müßte, damit die unter dem Oberbegriff der außerparlamentarischen Opposition zusammengefaßten, in sich aber heterogenen Kräfte in absehbarer Zeit die Chance erhielten, wieder in die Staatsduma einzuziehen oder gar den Präsidenten zu stellen.
    Deshalb ist es auch folgerichtig, wenn mit Julia Latynina eine Vertreterin dieser politischen Richtung sich über die Wähler ärgert und unumwunden fordert, daß dem Volk das Wahlrecht entzogen werden müsse, solange es "arm" sei. Dem Pöbel komme höchstens die Aufgabe zu, den gewaltsamen Teil einer Revolution zu erledigen. Für den (großen) Rest der Politik seien hingegen die Reichen und Intellektuellen zuständig. Diese Sicht weist frappierende Ähnlichkeit mit Lenins Theorie von der sozialistischen Partei als "Avantgarde des Proletariats" auf.
    (Frau Latynina wurde übrigens 2008 mit dem Freedom Defenders Award des US State Department ausgezeichnet. Das ist vielsagend.)

    Und dies ist nicht die einzige Parallele, die darauf hinweist, daß viele der russischen "Liberalen" vielleicht nicht inhaltlich, sehr wohl aber in Stil und Argumentation, nach wie vor dem Marxismus-Leninismus huldigen. Die Darstellung der disparaten und zum Teil auch nach deutschen Maßstäben extremistischen oder zumindest unappetitlichen "demokratischen" Opposition wird weiteren Beiträgen in der Zukunft vorbehalten.

    Zwischenzeitlich möchte ich meine Leser auf zwei fast schon klassische Texte verweisen. In "Russia's Limousine Liberals" analysiert Anatol Lieven die Geschichte der Liberalen seit 1990 und legt dar, weshalb sie als politische Organisation auf keinen grünen Zweig kommen. (Einige der klügeren Köpfe unter diesen Leuten sehen es auch selbst ein.) "Out of Power, But Not Out of Business" meint Alexej Kiwa. Damit hebt er darauf ab, daß die alten liberalen Parteien weitgehend tot seien, der Liberalismus als politische Ideologie in Rußland jedoch nach wie vor einflußreich ist - bis weit in die Regierung hinein.

    Ergänzend sei auf die Blogs von Kevin Rothrock, Anatoly Karlin, Leoš Tomíček und Sean Guillory verwiesen, die sich z.T. seit Jahren die Mühe machen, die verworrene Situation der russischen "Liberasten" zu begreifen und ihre zahllosen internen Widersprüche und Streitigkeiten darzustellen, um so ein Gegengewicht zur Hagiographie der Mainstreammedien zu schaffen.

    Abschließend noch einmal zurück zum Thema dieses Artikels. Die Erfahrung mit der Rußlandberichterstattung lehrt also, daß äußerste Vorsicht angebracht ist, wenn deutsche Medien irgendwelche randständigen Politiker zu Oppositionsführern erklären. Dasselbe ist vor wenigen Wochen in Ägypten geschehen.
    Wir erinnern uns: Die Proteste gegen Präsident Mubarak waren im vollen Schwange, als plötzlich Mohammed el-Baradei in Kairo auftauchte und versuchte, auf den bereits fahrenden Zug aufzuspringen. Einige Journalisten bezeichneten ihn denn auch als "Oppositionsführer". Angeblich habe er auch ein Mandat verschiedener Oppostionsgruppen erhalten, doch zumindest die einflußreichen Moslembrüder haben dies dementiert. Mittlerweile ist es wieder stiller um ihn geworden und es ist nicht recht klar, für wen el-Baradei überhaupt spricht. Vielleicht nur für sich selbst. Einen Oppositions-Führer muß man sich wohl anders vorstellen.


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    Dienstag, 19. April 2011

    Deutsche Desinformationen II


    „Einen guten Journalisten erkennt man daran, daß er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; daß er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“ (Hanns Joachim Friedrichs)
    Der andauernde Krieg in Libyen, dessen Ende wegen der begrenzten Macht der beiden Seiten nicht abzusehen ist, beschäftigt nach wie vor die deutschen Medien. Und ihre Fehlleistungen nötigen mich erneut zu einem allgemeinpolitischen Beitrag.
    Am Wochenende wurde über den Einsatz von Streumunition berichtet:
    "[...]

    Bei den Gefechten um die Hafenstadt Misrata schreckten Gaddafis Truppen nach Angaben der Rebellen und von Menschenrechtlern auch nicht vor dem Einsatz international geächteter Streubomben zurück.

    [...]"
    Nun muß man solche Streumunition nicht gut finden, doch es ist eine maßlose Übertreibung (und insofern: eine Fast-Lüge) zu behaupten, diese Munition sei international "geächtet". Ein paar "NGOs" hätten das zwar gern, doch die völkerrechtliche Lage sieht anders aus.

    Im Jahre 2008 wurde zwar ein multilaterales Übereinkommen über Streumunition ausgehandelt, das ein weitgehendes Verbot für deren Verwendung vorsieht. Bis dato sind diesem völkerrechtlichen Vertrag jedoch erst 55 Staaten beigetreten. Das ist eine kleine Minderheit, wenn man bedenkt, daß es derzeit auf der Welt etwa 200 Staaten und andere Völkerrechtssubjekte gibt, von denen 192 den Vereinten Nationen angehören. Nicht einmal sämtliche Mitglieder von NATO und EU haben haben das Übereinkommen ratifiziert, ebensowenig Libyen.

    Deshalb ist mir schleierhaft, wie deutsche Journalisten von einer internationalen Ächtung reden können. Offenbar kommt es nur darauf an, Stimmung gegen Gaddafi zu machen, der nach wie vor fest im Sattel zu sitzen scheint.

    Nächstes Thema: Ungarn. Im Herbst 2010 ereiferten sich internationale Medien über das neue Mediengesetz des Landes, welches angeblich zur Zensur der Presse führe. Die Ironie der geschichte bestand darin, daß die ungarische Regierung erst im Januar 2011 eine englischsprachige Übersetzung des Gesetzestextes publiziert hat. D.h. die Damen und Herren Journalisten zerrissen wochenlang ein Gesetz, dessen Inhalt sie mangels Sprachkenntnissen gar nicht kennen konnten.
    Dieses Beispiel verdeutlicht, in welch eklatanter Weise viele Berufsschreiberlinge ihre Pflicht zur sauberen Recherche verletzen. Wenn es noch eines Beispieles für den Bedarf einer strengeren Überwachung der Presse bedurft hätte, dann hat ihn die "Berichterstattung" über das ungarische Mediengesetz geliefert. Die Klagegeister fürchten wohl vor allem, daß die Lügen, die sie verfassen, nicht mehr folgenlos bleiben werden.

    Ähnliches wiederholt sich jetzt, wo eine neue Verfassung vom Parlament, in dem die Partei Fidesz eine Zweidrittelmehrheit hat, verabschiedet worden ist. Wie immer, so protestieren einige linke Kräfte dagegen, einigdeutsche Kommentatoren sprechen gar von einem Angriff auf die "Werte Europas" und ähnlichem. Wenn, dann ist es vor allem ein Angriff auf die Werte der Linken, die dem Mißverständnis erliegen, sie hätten die alleinige Deutungshoheit der Geschichte und des Rechts.

    Erfreulicherweise stehen jetzt schon Übersetzungen der Präambel und des eigentlichen Verfassungstextes zur Verfügung, so daß wir auch einen Blick in den Text der neuen Verfassung werfen können. Er ist natürlich sehr prägnant, aber die behauptete Verletzung europäischer "Grundwerte" vermag ich darin nicht zu erkennen. In der Präambel wird z.B. die Bedeutung des Christentums betont - eine in der Sache ähnliche Formulierung findet sich in der Präambel des deutschen Grundgesetzes. In einigen EU-Mitgliedsstaaten gibt es sogar Staatskirchen (England, Dänemark u.a.), ohne daß dies vergleichbare Proteste hervorrufen würde. Ein weiterer Kritikpunkt ist der Schutz der Ehe zwischen Mann und Frau sowie der Familie (Art. M). Dies entspricht freilich weitgehend Artikel 6 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes.

    Wozu also die ganze Aufregung? Wieder einmal zeigt sich, daß die deutschen Kritiker ausländischer Regierungen gut daran täten, zunächst die Rechtslage in Deutschland und anderen EU-Staaten zu studieren, bevor sie über die angeblich schlimmen Pläne dieser Regierungen urteilen. Häufig liegen die kritisierten Rechtsnormen im Spektrum dessen, was innerhalb der EU üblich ist. Doch dies ist wohl zuviel verlangt, stattdessen geifert man über die Viktor Orban und wirft ihm diktatorische Allüren vor. Erstaunlicherweise treffen solche Kampagnen immer nicht-linke Politiker. Erinnert sei nur an Jörg Haider in Österreich, Silvio Berlusconi in Italien, Wladimir Putin in Rußland oder Ariel Sharon in Israel. Hingegen wurde z.B. Barrack Obama auch von der deutschen Presse zu einer Messiasgestalt hochgejubelt. Das gibt zu denken - wie war das doch gleich mit der Ausgewogenheit der Berichterstattung?


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    Foto: AFP.

    Dienstag, 12. April 2011

    Das libysche Labyrinth


    „Einen guten Journalisten erkennt man daran, daß er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; daß er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“ (Hanns Joachim Friedrichs)
    Vorab: Obwohl ich mich vor einigen Jahren intensiver mit dem Nahen und Mittleren Osten beschäftigt und sogar begonnen habe, Arabisch zu lernen, bin ich alles andere als ein Experte für diese Region. Mein Interesse hat sich auf den eurasischen Raum verlagert, nachdem ich feststellen mußte, daß die arabische Sprache ein Maß an Zeit und Aufmerksamkeit erfordert, welches ich nicht erübrigen konnte. Dennoch werfen die Ereignisse in Libyen (und die Berichterstattung darüber) einige Fragen auf, die ich nachfolgend formulieren möchte.

    Rückblende: Kosovokrieg 1999

    Was und wie seit zwei Monaten über Libyen in unseren Medien berichtet wird, erinnert auf fatale Weise an den Kosovo-Krieg des Jahres 1999. Damals hatte der „Westen“ plötzlich das Bedürfnis, den Kosovoalbanern zu einem eigenen Staat zu verhelfen. Deshalb tauchten aus dem Nichts „Freiheitskämpfer“ auf, die unter dem Namen UCK liefen. Es häuften sich „Berichte“ über Greueltaten jugoslawischer Sicherheitskräfte an den Albanern. Die deutsche Bundesregierung hatte angeblich sogar einen detaillierten Völkermordplan enthüllt („Hufeisenplan“) und der damalige Außenminister Joseph Fischer verstieg sich gar dazu, daß man ein neues Auschwitz verhindern müsse.

    Nachdem sich der Pulverdampf des Krieges und der Propaganda gelegt hatte, stellte sich freilich heraus, daß in diesem Krieg unheimlich viel gelogen wurde, um die „humanitäre Intervention“ zu rechtfertigen. Soweit es tatsächlich Kriegsverbrechen der Serben gegen Albaner gegeben hatte, hatten sie meist erst nach Beginn der NATO-Bombardierungen stattgefunden und konnten somit den Krieg nicht rechtfertigen. Der Hufeisenplan hat sich als Lüge entpuppt. Und die angeblichen Freiheitskämpfer der UCK waren damals wie heute vor allem eines: Kriminelle. Heute, anno 2011, müssen NATO und EU nicht einmal mehr den Schein waren und verhaften ehemalige UCK-Kämpfer, die im neuen Staat Kosovo in hohe Staatsämter aufgestiegen waren, wegen diverser Straftaten – auch Kriegsverbrechen gegen Serben 1999. Damit verfestigt sich der Eindruck, daß es 1999 nicht um humanitäre Gründe, sondern um die Auflösung des Staates Jugoslawien gegangen ist. Dieses politische Ziel wurde schließlich im Jahr 2006 erreicht.

    Bürgerkrieg in Libyen

    Aufgrund dieser Erfahrungen bin ich sehr skeptisch gegenüber den Behauptungen, die Sicherheitskräfte des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi hätten Greueltaten gegenüber der „Zivilbevölkerung“ verübt und würden weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit beabsichtigen. Bisher liegen, soweit ich sehen kann, keine stichhaltigen Beweise für derartige Verbrechen vor. Selbige müßten ja riesige Leichenberge hinterlassen haben, welche man z.B. fotografieren könnte.

    Was in Libyen tatsächlich vorgeht, ist ein Bürgerkrieg. Und die einzigen beweisbaren Angriffe der libyschen Streitkräfte richten sich nicht gegen eine diffus bleibende Zivilbevölkerung, sondern gegen Aufständische. Bei letzteren handelt es sich um desertierte Einheiten des Militärs und der Sicherheitskräfte sowie um aus ehemaligen Zivilisten bestehende Milizen, die von einigen ostlibyschen Stadträten organisiert worden sind. Mithin ist es absurd, wenn davon gesprochen wird, Gaddafi zwinge seinem Volk einen Bürgerkrieg auf. Nein, er kämpft gegen bewaffnete Aufständische.

    Dies würde übrigens jeder deutsche Bundeskanzler in einer vergleichbaren Lage ebenfalls tun. Einige Journalisten sollten, bevor sie Gaddafi verurteilen, Artikel 87a Absatz 4 des deutschen Grundgesetzes lesen:
    „Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. [...]“
    Das dürfte grundsätzlich dem entsprechen, was gerade in Libyen geschieht.

    Die obskure Opposition

    Wer steckt hinter der Opposition, der im Westen gerade die Sympathien zufliegen? Ist sie es wirklich wert, unterstützt zu werden? Hierfür sei zunächst auf diesen Hintergrundbericht von Stratfor verwiesen: „Libya’s Opposition Leadership comes into Focus“. Die Opposition ist nicht nur sehr heterogen, sie ist auch Fleisch vom Fleische Gaddafis. Zu ihren Anführern zählen mehrere ehemalige Minister und Beamte seiner Regierung, die allerdings im Februar und März schnell genug die Seiten gewechselt haben.
    Darunter ist auch der Militärchef der „Übergangsregierung“ Abdel Fattah Younis, der noch bis vor wenigen Wochen als Innenminister in Tripolis residierte. In dieser Funktion hat er mit Sicherheit an den Menschenrechtsverletzungen teilgenommen, die man Ghaddafis Regime vorwirft. Aber er war schlau genug, die Zeichen der Zeit zu erkennen – der Weg vom Folterknecht zum „Freiheitskämpfer“ kann kurz sein (zumindest in der Darstellung der westlichen Medien).

    Aufgrund der personellen Kontinuitäten der Opposition zur Regierung Gaddafis erwarte ich bei einem (unwahrscheinlichen) Sieg der (militärisch wenig potenten) Aufständischen keine Verbesserung der Herrschaftspraxis in Libyen. Mit anderen Worten: Es dürfte weitergehen wie gehabt, nur mit einigen anderen, z.T. schon bekannten Personen an der Spitze. Deshalb ist mir schleierhaft, wie man diese Opposition verklären und für sie bedingungslose Unterstützung einfordern kann. Ist der Haß auf Gaddafi wirklich so groß, daß alle anderen Aspekte darüber vergessen werden? Warum sollte ein Sieg dieser Figuren wünschenswert sein? Zumal wohl niemand weiß, wie groß ihr tatsächlicher Einfluß auf die bewaffneten Haufen der diversen Milizen ist.

    Es kommt noch schlimmer: Ein Großteil der Mitglieder des Rebellenrates hält seine Identität geheim - angeblich aus Angst vor Repressionen Gaddafis. Diese Sorge mag berechtigt sein, doch woher wollen die westlichen Politiker und Journalisten dann wissen, daß es sich bei den Rebellen um die unterstützenswerten „Guten“ handelt?

    Mich würde interessieren, was die wahren Hintergründe dieses Konfliktes sind. Regionale Stammesdifferenzen, Elitenkämpfe, Streit um die Verteilung der Einnahmen aus der Rohstofförderung? Um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte kann es nicht primär gehen, sonst würden die Aufständischen (die nicht identisch mit „dem Volk“ sind!) nicht frühere Spitzenleute Ghaddafis als ihre Anführer dulden. Oder wird jetzt versucht, alle tatsächlichen und vermeintlichen Untaten Ghaddafi persönlich anzulasten, um seine gewesenen Minister als moralisch sauber darzustellen?

    Die UN-Resolutionen

    Die Resolution 1973 (und, ergänzend, Resolution 1970) des UN-Sicherheitsrates hatten für Libyen eine mehrstufige Lösung des Konflikts im Auge: Isolierung Libyens durch diverse Sanktionen, Einrichtung einer Flugverbotszone zum Schutz von Nichtkombattanten (!), Beginn von Verhandlungen unter maßgeblicher Einbeziehung der Afrikanischen Union.

    Davon ist sowohl in der Medienberichterstattung als auch in der Praxis des Krieges wenig übrig geblieben. Der Schutz der Zivilbevölkerung vor den behaupteten Massakern des libyschen Militärs mutierte zur bewaffneten Unterstützung von Aufständischen. Über Verhandlungen mit Ghaddafi wurde fast gar nicht mehr gesprochen. Im Gegenteil, ausländische Politiker erklärten seine Absetzung zum Kriegsziel. Als ob Washington, London oder Paris darüber zu befinden hätten, wer in anderen Hauptstädten regieren darf – Artikel 2 Nr. 4 u. 7 der UN-Charta ist weithin in Vergessenheit geraten.
    Die Handlungen der NATO und jener Staaten, die Krieg gegen Libyen führen, sind somit teilweise völkerrechtswidrig. Dies trifft insbesondere auf Waffenlieferungen an die Rebellen zu, die unzweifelhaft dem mit Resolution 1973 verhängten Waffenembargo widersprechen. Doch anders als im Kosovokrieg 1999 hat man sich diesmal wenigstens um eine UN-Resolution bemüht, um so den Anschein der Legalität zu wahren.

    Die Arabische Liga, auf deren Verlautbarungen man in den Tagen vor Kriegsbeginn so viel Wert gelegt hatte, um die Unterstützung der islamischen Länder im Nahen und Mittleren Osten zu finden, wurde wieder an den Rand gedrängt.

    Mangelnde deutsche Solidarität?

    Von einigen Politikern und Journalisten wurde bedauert, daß sich Deutschland bisher nicht an diesem Krieg beteiligt. Hinzu kam der Vorwurf mangelnde Solidarität mit den Verbündeten. Diese Solidarität ist jedoch keine diffuse Angelegenheit, sondern hat in Artikel 5 des NATO-Vertrages eine konkrete völkerrechtliche Grundlage. Diese setzt einen bewaffneten Angriff auf einen Mitgliedsstaat des Nordatlantikpaktes voraus, was hier offensichtlich nicht der Fall war. Wenn nun die Regierungen einiger NATO-Mitglieder meinen, in Nordafrika Krieg führen zu müssen, dann ist das deren Sache. Deutsche Bündnissolidarität können sie für solche spätkolonialen Abenteuer jedoch nicht einfordern.

    Im übrigen bleibt es jenen deutschen Politikern, die gerne in der libyschen Wüste auf den Spuren des „Wüstenfuchses“ Erwin Rommel wandeln möchten, unbenommen, nach Bengasi zu reisen, sich dort ein Gewehr geben zu lassen und dann gegen die libyschen Regierungstruppen zu kämpfen. Doch im Gegensatz zu Theodore Roosevelt anno 1899 dürfte es den meisten deutschen Politikern am notwendigen persönlichen Mut fehlen.

    Die Zweifel an diesem Krieg mehren sich, wenn man die teilnehmenden Staaten betrachtet.
    Frankreich hat als erster Staat die Rebellen als libysche Regierung anerkannt. Falls die Berichte stimmen sollten, wonach Präsident Sarkozy diese Entscheidung aufgrund den Einflüsterungen des „Kriegsphilosophen“ Bernard-Henri Levy ohne Rücksprache mit seinem Außenministerium getroffen hat, dann spricht das stark gegen den französischen Staatschef. Ein solch unüberlegtes Verhalten ist unprofessionell und keine Basis, auf der er von Deutschland einen militärischen Beitrag einfordern könnte.

    Ferner beteiligt sich auch die belgische Luftwaffe an den Bombardierungen. Dabei ist Belgien ein Staat, der sich seit Monaten in einer tiefen Krise befindet; es droht die Auflösung des Landes. Obwohl Belgien schon lange keine „richtige“ Regierung mehr hat, meinen die derzeitigen Machthaber in Brüssel offenbar, daß es notwendig sei, in Nordafrika zu kämpfen. Schöne „Alliierte“. Ob sie so von ihren inneren Problemen ablenken wollen?
    Dem Vernehmen nach beteiligt sich auch Griechenland an den Operationen. Wäre es für dieses Land, das sich seit geraumer Zeit am Staatsbankrott entlanghangelt (und wohin auch deutsche Steuergelder reichlich fließen), nicht besser, die gesamte Staatstätigkeit einschließlich des Militärs auf ein unbedingt notwendiges Minimum zu reduzieren?

    Ach ja, falls sich jemand über die in den letzten Wochen gestiegenen Spritpreise wundern sollte: Deutschland war bis vor kurzem neben Italien der Hauptabnehmer libyschen Erdöls. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß die deutsche Energiesicherheit nicht durch die pösen Russen, über deren vermeintliche „Gaskriege“ man seit Jahren diskutiert, sondern durch unsere Verbündeten in der NATO ernsthaft gefährdet wird.

    Die Lage in Bahrain

    Im Mitte März 2011 hat es eine militärische Intervention verschiedener Golfstaaten in Bahrain gegeben. Das Ziel bestand hier jedoch nicht in der Unterstützung der Aufständischen, sondern in der gewaltsamen Niederschlagung der schiitischen Proteste gegen das sunnitische Herrscherhaus.
    Die USA beließen es hier bei kaum ernstzunehmenden verbalen Protesten, vermuten sie doch ihren Erzfeind Iran als Drahtzieher hinter der Opposition. Wenn also in Bahrain eine „demokratische“ Opposition auftritt, dann darf sie von der Obrigkeit unterdrückt werden. Passiert dasselbe in Libyen, werden die Aufständischen unterstützt.

    Zu guter Letzt: Ägypten

    Zwischenzeitlich war es in Ägypten etwas ruhiger geworden. Am 19. März wurde eine Volksabstimmung über Verfassungsänderungen abgehalten. Sog. „liberale“ Kräfte in Kairo meinten aber kurz danach, dieses Referendum habe im Ergebnis den Moslembrüdern in die Hände gespielt. Eine Vertagung der Wahlen wäre für die Demokratie besser gewesen. Und nun hat es dieser Tage wieder größere Demonstrationen in Kairo gegeben, die von der Armee nach Eintritt der Sperrstunde geräumt wurden. So zeigt sich, daß die großspurigen Hoffnungen auf eine als Verwestlichung gedachte Demokratisierung Ägyptens getrogen haben. Im Kern hat sich im Land am Nil nichts geändert.

    Es wird vermutlich noch für viele Lobredner und Enthusiasten der „arabischen Revolution“ ein böses Erwachen geben. Mubarak ist weg, trotzdem bleibt in Kairo fast alles beim alten. Der mehrfach totgesagte Gaddafi hält sich an der Macht und kann auch nicht weggebombt werden.
    Insofern mußte ich an Majakowskijs „Ode an die Revolution“ denken, die dieser 1918 schrieb. Obwohl er ein fanatischer Bolschewist war, überkamen ihn offenbar Zweifel angesichts des Chaos und der Gewalt, die der Oktoberrevolution folgten:
    „[…]

    Welchen Ausgang nimmst du noch, doppelgestaltige?
    Stehst du als stattliches Bauwerk auf
    oder – bloß als Ruinenhauf?


    […]“

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    Foto: AFP.

    Donnerstag, 3. März 2011

    Deutsche Desinformationen


    Am Dienstag ist Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zurückgetreten. Er zog damit die Konsequenzen aus der Affäre um nicht gekennzeichnete Zitate in seiner Dissertation. Damit war die wochenlange Kampagne eines großen Teils der Medien wie der Opposition erfolgreich. Allein das sagt viel über den Zustand unserer politischen Klasse und ihrer "politischen Kultur" aus.

    Um nicht falsch verstanden zu werden: Guttenberg hat als Wissenschaftler versagt, die Aberkennung des Doktortitels war deshalb zwingend. Allerdings war und ist dieser Titel keine Voraussetzung, um in Deutschland ein Ministeramt bekleiden zu können. Zudem wurde von deutschen Unis in ähnlich gelagerten Fällen auch schon anders verfahren. Und was soll man z.B. mit einem zum Dr. jur. promovierten SPD-Abgeordneten tun, der einen Aufsatz in einer juristischen Fachzeitschrift veröffentlicht, dessen Fußnoten aber nicht zum Text passen? Irrtum, Zahlendreher oder bewußte Irreführung? Und wie sollten die Konsequenzen aussehen? Entzug des Mandats oder gar Parteiausschluß? Der zuletzt genannte Fall ist keineswegs hypothetisch und zeigt, wie selektiv skandalisiert wird, wenn es um die Verbindung von Wissenschaft und Politik geht.

    Andreas Fischer-Lescano, der die Affäre um Guttenberg ins Rollen gebracht hat, ist nicht nur ein Wehrrechtsexperte, sondern steht auch sehr weit links im politischen Spektrum. Jemandem wie ihm muß ein beliebter CSU-Minister wie Guttenberg seit jeher ein Dorn im Auge gewesen sein. Nun, nach dem Rücktritt, versinkt die deutsche politische Klasse wieder in jenem blassenn Mittelmaß und Parteisoldatentum, das wir für eine repräsentative Demokratie halten. Das allein ist Grund für Besorgnis.

    Noch besorgniserregender ist die Tatsache, daß Guttenberg weder über seine Amtsführung noch über den Vorwurf des Amtsmißbrauchs gestolpert ist, sondern über eine private Angelegenheit. Es hätte genügend Grund für inhaltliche Kritik an der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik im allgemeinen und am Verteidigungsminister im besonderen gegeben. Doch zu einer solchen Kritik waren Medien wie Opposition nur bedingt fähig. In den letzten zwei Wochen hat sich leider die gesamte Debatte um die Bundeswehrreform u.ä. auf die Frage nach Guttenbergs Dissertation reduziert - als ob eine abgelegene verfassungsrechtliche Schrift entscheidend für die deutsche Sicherheitspolitik wäre. Absurd! Statt einer substantiellen sicherheitspolitischen Diskussion führt man lieber eine oberflächliche über Promotionsfragen.

    Hier haben unsere Medien völlig versagt, indem sie randständige Themen künstlich aufgeblasen und so den eigentlichen Kern aus der Aufmerksamkeit verdrängt haben. Doch die Bürger merken das. Der Fall Guttenberg war nach Thilo Sarrazin der zweite binnen weniger Monate, wo öffentliche und veröffentlichte Meinung weit auseinanderklafften. In beiden Fällen lagen die Sympathien der Bevölkerung eindeutig bei denen, die von den Medien zerfleischt wurden. Das muß die Journaille besonders wütend machen, zeigt sie doch die Grenzen der medialen Steuerungs- und Manipulationsfähigkeit auf. Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung hat am Dienstagabend während eines Interviews im ORF den Rücktritt in dankenswerter Offenheit als Erfolg der deutschen Medien bezeichnet.
    Im übrigen war die causa Guttenberg erneut ein Beleg für die Kampagnenführung der deutschen Medien, die wirkten, als würden sie alle von einer einzigen Stelle gesteuert. An die Stelle kritischer Berichterstattung über eine Problem tritt die Hetzjagd auf eine Person (oder Personengruppe), die unbedingt aus der Öffentlichkeit verdrängt werden soll. Vor kurzem war es noch Guido Westerwelle, gegen den aus allen Rohren geschossen wurde und dessen Tage als Außenminister angeblich schon gezählt waren.

    Schon wegen dieser eklatanten Verstöße gegen die Regeln guter journalistischer Arbeit und des menschlichen Anstands steht es deutschen Reportern nicht gut an, sich zum moralisierenden Richter über andere Menschen aufzuschwingen - schließlich lügen viele von ihnen wie gedruckt, weshalb die Appelle an Moral und Anstand aus dem Mund von Berufsschreiberlingen einfach lächerlich sind.

    Ein weiteres Feld, auf dem ich mich von vielen deutschen Medien desinformiert fühle, ist die Lage in Nordafrika. Die Damen und Herren sind viel zu involviert, um die Entwicklungen dort nüchtern darzustellen. Immer wieder ist von einer "demokratischen Revolution" die Rede, obwohl bis jetzt in diesen Staaten bestenfalls nur von einem partiellen Elitenwechsel die Rede sein kann. Zugleich wird die dunkle Seite der Ereignisse beschönigt. Sowohl aus Tunesien als auch aus Ägypten wird eine erhebliche Zunahme der Kriminalität berichtet. Offenbar wird der teilweise Zusammenbruch der Sicherheitsbehörden weniger von politischen Aktivisten als vielmehr von ordinären Kriminellen ausgenutzt. Ähnliches wird von Ausländern berichtet, die dieser Tage aus Libyen evakuiert worden waren. Derart chaotische Zustände, während derer es zu zahllosen Gewaltakten durch irreguläre bewaffnete Haufen kommt, sind nicht demokratisch, sondern schlicht kriminell.

    Ähnlich auch die agitpropmäßige "Berichterstattung" über Demonstrationen gegen die Regierung. Die deutschen Medien behaupten regelmäßig, es habe sich um friedliche Demonstranten gehandelt. Wenn es zu Ausschreitungen kommt, dann wird also (fast) immer den Sicherheitskräften die Schuld gegeben, die "brutal" gegen die in jedem Fall "friedlichen" Demonstranten vorgegangen wären. Offenbar kommt es manchen Journalisten nicht in den Sinn, daß steinewerfende oder schießende Protestierer nicht mehr friedlich handeln und sich demzufolge nicht auf ein (wie auch immer formuliertes) Menschenrecht auf Versammlungsfreiheit berufen können. Die Eindimensionalität und das manichäische Weltbild vieler Journalisten sind erschreckend - vor allem, wenn man mittels Rundfunkgebühr auch noch dafür zahlen muß.

    Wie ich vor zwei Wochen schon schrieb, erinnern mich die Ereignisse in Nordafrika an die Revolutionen in Rußland anno 1917. Dem Sturz des Zaren im Februar war gleichfalls monatelanges Chaos gefolgt, in dem es zu zahllosen kriminellen Handlungen kam, denen oft notdürftig ein politischer Anstrich gegeben wurde. Weder Privateigentum noch Menschenleben waren im Jahr 1917 etwas wert. Und es hat bis Mitte der 1920er Jahre gedauert, bis eine neue, halbwegs verläßliche Staatsgewalt etabliert werden konnte - allerdings eine bolschewistische. Es genügt eben nicht, eine alte Ordnung beseitigen zu wollen, man muß auch etwas neues an ihre Stelle setzen. Passiert dies nicht rasch, so wittert der Bodensatz der Gesellschaft Morgenluft und terrorisiert den Rest der Bürger. Dergleichen ist sicher revolutionär, demokratisch ist es in keinem Fall.


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    Foto: RIA Nowosti.

    Donnerstag, 17. Februar 2011

    Keine Revolution, eher ein Staatsstreich


    Die Ereignisse, die während der vergangenen Wochen Tunesien, Ägypten und nun auch andere arabische Länder erschüttert haben, ließen uns hier in Deutschland zunächst überrascht und ratlos zurück. Mittlerweile scheint sich jedoch eine Interpretation als „demokratische Revolutionen“ durchgesetzt zu haben. Ich bin demgegenüber sehr skeptisch, denn insofern scheint – gerade auch unter Journalisten – sehr viel Wunschdenken am Werk zu sein, das eigene Ideen in die tatsächlich ablaufenden Ereignisse hineinprojiziert.

    Zunächst einmal die Grundfrage: Was versteht man unter „Demokratie“? Dieser regelmäßig strapazierte Begriff ist so schillernd und vieldeutig, daß die, die ihn gebrauchen, seine Bedeutung sauber definieren sollten. Schließlich wurde auch der frühere Präsident Mubarak mehrfach gewählt. Überdies bestand in beiden Staaten die Hauptforderung in höheren Löhnen, vielleicht sollte deshalb besser von einer sozialen Revolution gesprochen werden.

    Zweitens: Tunesien. Dort hat Präsident Ben Ali sein Amt aufgegeben und ist ins Exil gegangen. Dafür wurden einige „Oppositionspolitiker“ (was auch immer dieses Wort unter den konkreten Bedingungen Tunesiens bedeuten mag) mit an der Regierung beteiligt. Viel mehr ist in Tunis bisher nicht geschehen. Man kann also nur von einem partiellen Elitenwechsel sprechen, doch keineswegs von einer „Demokratisierung“. Letztere könnte irgendwann kommen, doch ob und wann ist zum jetzigen Zeitpunkt fraglich.
    Des weiteren hat der teilweise Zusammenbruch des tunesischen Sicherheitsapparates bereits jetzt negative Auswirkungen auf Europa. Gemeint ist der Ansturm illegaler Einwanderer auf Italien. Diese Ausweitung der tunesischen „Revolution“ zeigt ganz deutlich, daß hehre Ideale in der internationalen Politik nicht weiterhelfen, denn hinsichtlich der Migrantenfrage hat sich die alte Regierung unter Ben Ali offenbar positiver verhalten.

    Zweitens: Ägypten. Hierzu hat George Friedman eine äußerst lesenswerte Analyse geschrieben, die ich nur dringend empfehlen kann: „Egypt: The Distance Between Enthusiasm and Reality“. Darin wird viel Salz in die auch von den deutschen Medien geschürte „Demokratie“-Euphorie gestreut und er nimmt viele Fragen auf, die auch mich in den letzten Wochen bewegt haben.
    Schaut man hinter die Kulissen, dann erscheinen die Vorgänge in Kairo eher als ein Staatsstreich, bei dem das de facto seit Jahrzehnten herrschende Militär den Frontmann Hosni Mubarak abgesetzt hat.

    Friedman weißt ferner zu recht darauf hin, daß eine echte Revolution anders aussieht (man denke etwa an 1789 in Paris oder 1979 im Iran). Ein paar hunderttausend Menschen, die auf einem Platz in der Hauptstadt demonstrieren, bringen doch keinen Staat zum Zusammenbruch. In welchem Paralleluniversum leben manche Journalisten, wenn sie denken, daß einige Protestierer die Regierung stürzen könnten? Das ist in Deutschland nicht anders: Warum sollte etwa Stuttgart 21 nicht gebaut werden, nur weil es Demonstrationen dagegen gibt?
    Außerdem ist es zweifelhaft, von der Meinungsäußerung dieser Demonstranten auf die Meinung des gesamten ägyptischen Volkes zu schließen. Dieses umfaßt immerhin rund 80 Millionen Menschen – und wer hat die befragt, um festzustellen, daß die Mehrheit gegen Mubarak war? Mithin verbietet sich die Rede von einem „Sieg des Volkes“.

    Geradezu lächerlich war weiters die Darstellung von Mohammed El Baradei. Nachdem die Proteste in Kairo begonnen hatten, wurde von den meisten Korrespondenten – wohl sachlich zutreffend – berichtet, daß sein Ansehen im Volk nicht besonders groß sei. Unmittelbar nach seiner Rückkehr hat man ihn jedoch als großen „Oppositionsführer“ dargestellt. Ich hatte hingegen den Eindruck, als habe El Baradei versucht, auf eine bereits laufende Entwicklung aufzuspringen und sich wichtig zu tun. Er wirkte nicht wie ein Antreiber, sondern eher wie ein Getriebener. Ein Steuermann agiert anders (vgl. Lenin).
    Auch weiß ich nicht recht, was ich von den regelmäßig im Fernsehen gezeigten Plakaten mit englischen Aufschriften halten soll, die von Demonstranten in die Kameras gehalten wurden. Warum müssen Ägypter mit ihrem Präsidenten in englischer Sprache kommunizieren? Insoweit kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, als ob dort ein gehöriges Maß Manipulation oder, freundlicher formuliert, Theaterspiel mit Zielrichtung auf das Ausland betrieben wurde.

    Ebenso zweifelhaft sind Theorien von einer „Facebookrevolution“. Revolutionen werden durch sichtbare Macht entschieden, nicht durch das Versenden von E-Mails. Letztere sind ein Hilfsmittel, aber nicht mehr. Um die Nutzung dieses Hilfsmittels zu erschweren und die Lage im Land unter Kontrolle zu bringen, hatte die ägyptische Regierung für einige Tage den Zugang zum Internet drastisch erschwert.
    Erstaunlich fand ich insoweit die Empörung deutscher Journalisten über diesen Vorgang. Haben die keine Bücher über die Oktoberrevolution 1917 gelesen? In meiner Kindheit habe ich selbige verschlungen und weiß seither, daß man vor jeder echten Revolution die Telegraphenämter und Bahnhöfe besetzen muß, um die Kommunikationswege zu kontrollieren. Und da der ägyptische Staat keineswegs geschwächt war, hat er dies ebenfalls getan, um zu verhindern, daß diese Machtmittel seinen Gegnern in die Hände fallen. Aber was würde man von einem Staat in einer derart angespannten Situation auch anderes erwarten?

    Zum jetzigen Zeitpunkt muß also auch für Ägypten festgehalten werden, daß eine „demokratische Revolution“ nicht zu erkennen ist. Revolution bedeutet, daß eine grundlegende Veränderung der Machtverhältnisse stattgefunden hat. Dies ist in Kairo nicht der Fall. Das vorher indirekt herrschende Militär hat nunmehr direkt die Macht übernommen und die Verfassung außer Kraft gesetzt. Einschneidende Veränderungen gab es nur bei einigen wenigen Figuranten; namentlich Mubarak wurde abgesetzt. An diesen Vorgängen ist bisher auch noch nichts demokratisches. Was sich daraus entwickelt, wird die Zukunft zeigen, doch derzeit gibt es keinen Grund für die von den Medien vermittelte Euphorie. Zudem sollte nicht vergessen werden, daß eine Demokratie im innern (was immer dies im konkreten Fall bedeuten mag), noch lange keine Garantie für eine Außenpolitik ist, die den Vorstellungen der „westlichen Staaten“ entspricht.


    Foto: RIA Nowosti.

    Freitag, 7. Januar 2011

    07.01.2010: Musik des Tages

    Wie man den aktuellen Berichten über angedrohte Terroranschläge auf koptische Christen entnehmen konnte, feiern diese - ebenso wie andere ostkirchliche Christen (z.B. in Rußland) - heute das Weihnachtsfest. Der Grund dafür liegt im julianischen Kalender, der für das Kirchenjahr nach wie vor gültig ist. Deshalb noch einmal: Gesegnte Weihnachten! С Рождеством Христовым!
    Die dazu passende Musik kommt ausgerechnet von einer protestantischen Denomination aus den USA: traditionelle ostslawische Weihnachtslieder, die so allerdings nicht während der orthodoxen Liturgie vorgetragen werden.



    Montag, 4. Juni 2007

    Schauprozesse

    Seit dem Ansinnen, gem. dem Versailler Vertrag den deutschen Kaiser Wilhelm II. vor Gericht zu stellen (vgl. Art. 227 ff. des Vertrages) und den Prozessen in Nürnberg und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg ist immer wieder Kritik an den Versuchen internationaler Strafjustiz vorgetragen worden. Diese sei vornehmlich ein politisches Instrument, mit dem die Sieger den Besiegten ihr Verständnis von Recht aufzwingen, um die Niederlage komplett zu machen. Den Angeklagten seien in derartigen Schauprozessen nur Statisten, denn in der Öffentlichkeit habe man längst das Urteil über sie gefällt, welches nur noch juristisch abgesegnet werden müsse. Deshalb sei auch ein faires, auf die Unschuldsvermutung gestütztes Verfahren nicht zu erwarten. Bei einer genaueren rechtsgeschichtlichen Untersuchung wird man feststellen, daß viele dieser Vorwürfe in der Tat berechtigt waren (und sind) - vom Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot bis zur fehlenden Gleichbehandlung ähnlicher Fälle auf Seiten der Sieger (z.B. Dresden oder Katyn).

    Wie stellt sich dies heute, nach der Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts seit 1990, dar? Gestern fand in Den Haag der Auftakt des Prozesses gegen den früheren liberianischen Präsidenten Charles Taylor vor dem Sondergericht für Sierra Leone (siehe auch hier) statt. Der Angeklagte hatte allerdings beschlossen, der Verhandlung fern zu bleiben und überdies seinen Anwalt zu entlassen:
    "[...]

    Former Liberian President Charles Taylor boycotted the opening of judicial proceedings against him Monday at the UN-backed Special Court for Sierra Leone (SCSL), saying in a letter to the court that his confidence in the SCSL's "ability to dispense justice" was "misplaced" because he was prevented from seeing his preferred lawyer and that his single court-appointed defense lawyer was outnumbered by the court's prosecution team. Taylor's assigned lawyer, Karim Khan, told the court that Taylor has fired him and was seeking to represent himself and left the opening of the trial despite requests from the court that he continue as Taylor's defense lawyer, at least for the first day of trial. Despite Taylor and Khan's absence, the court determined that opening statements would continue.

    [...]"
    (Weitere Berichte in der FAZ und im Spiegel.)

    Wir halten Taylors Vorwürfe fest: Es wurde kein Verteidiger nach seiner eigenen Wahl zugelassen, stattdessen gab es einen vom Gericht zugewiesenen Pflichtverteidiger, der auch noch - trotz einiger Mitarbeiter - dem Anklagegremium ressourcenmäßig deutlich unterlegen ist.
    Anwalt Khan ging, das Gericht ernannte ad hoc einen neuen Pflichtverteidiger, der seinen Mandanten zuvor nie gesehen hatte, und schon konnte die Show ... pardon ... der Prozeß nach Drehbuch weitergehen. Das macht aber auch nichts, denn an der Schuld Taylors zweifelt ohnehin kaum noch jemand. Wie bereits im Milosevic-Verfahren beschleicht den Beobachter auch jetzt wieder das Gefühl, daß dem Angeklagten nur die Rolle des schweigenden Statisten zugedacht sei, weshalb nach Milosevics Tod sogar die Fortsetzung des Prozesses gefordert wurde. In ihrem Haß gegen den serbischen Politiker bemerkte man nicht einmal, welche Absurdität ein Strafverfahren gegen eine Leiche darstellen würde.

    Nun also Taylor. Nicht, daß ich mißverstanden werde: meine Sympathien für ihn halten sich in sehr engen Grenzen. Aber wenn man unbedingt einen Strafprozeß führen will, dann bitte richtig und nicht als Farce. Aufgrund der dem Völkerstrafrecht inhärenten Mängel (von denen oben einige genannt wurden) hat die US-Regierung völlig zu Recht beschlossen, sich dem Internationalen Strafgerichtshof zu verweigern. Anstatt daraus aber die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, spielt sie etwa beim Sierra-Leone-Tribunal weiter mit; so ist der Ankläger Taylors, Stephen Rapp, Amerikaner. Was soll man dazu noch sagen? Böse sind anscheinend immer nur die anderen ...

    Ein anderes, ebenfalls in Den Haag stattgefundenes Ereignis ließ die Protagonisten des Völkerstrafrechts heute neuen Mut schöpfen. Vor dem Obersten Gericht der Niederlande wurde Klage gegen die Vereinten Nationen und den niederländischen Staat wegen des Massakers von Srebrenica erhoben. Deren Erfolgsaussichten dürften freilich gering sein. Die Niederlande können für das Verhalten ihrer Truppen kaum haftbar gemacht werden, denn das Zurverfügungstellen von Friedenstruppen an die UN erfolgt im Wege der Organleihe. D.h., daß nur die Vereinten Nationen für diese Einheiten verantwortlich sind. Und an der Zulässigkeit einer Klage gegen die UN vor dem Gericht eines Mitgliedsstaates bestehen doch ganz erhebliche Zweifel. Man darf also auch in diesem Fall gespannt sein, ob mehr produziert wird als Presseerklärungen.