Mittwoch, 1. Juni 2011
Washingtoner Shizophrenien
Die Jamestown Foundation ist einer von vielen "Think-tanks", die ihre Heimat in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika gefunden haben. Das besondere an der Stiftung ist freilich ihr Fokus auf Eurasien, insbesondere Rußland. Gegründet wurde sie 1984, um sowjetischen "Dissidenten" (besser gesagt: Deserteuren) eine publizistische Plattform in den USA zu bieten und so das Feindbild des Kalten Krieges am laufen zu halten. Dabei erfreut sich die Stiftung bis heute enger, auch finanzieller Beziehungen zu Regierungsstellen. An der ersten Zielsetzung hat sich bis heute kaum etwas geändert, werden doch alle Vorgänge innerhalb Rußlands dezidiert negativ dargestellt.
Demgegenüber steht die positive Bewertung der "arabischen Revolution", also der Unruhen, die seit Beginn dieses Jahres den Nahen und Mittleren Osten erschüttern. Sie werden etwa in diesem Text vom 8. Februar 2011 als Warnung an Putin und Medwedew bezeichnet.
Etwas differenzierter sieht man die Lage in Aserbaidshan. Der dort seit 2003, bereits als zweiter seiner Familiendynastie, regierende Ilcham Alijew wird in diesem Beitrag vom 5. April zwar nicht direkt vor der gegen ihn gerichteten Opposition in Schutz genommen. Doch macht man sich über die oppositionellen Demonstranten lustig: Sie hätten sich lediglich an einer schlecht vorbereiteten Kopie der arabischen Revolutionen versucht.
Gänzlich auf der Seite der Herrschenden steht die Jamestown Foundation in Georgien. Als es in der vergangenen Woche zu großangelegten Protesten gegen den immer diktatorischer Regierenden Präsidenten Saakaschwili kam, die von den Sicherheitskräften mit Gewalt aufgelöst wurden, war von der sonst in den USA üblichen Sympathie für Demonstranten und ihre Versammlungsfreiheit nichts mehr zu spüren. Statt dessen wird die georgische Opposition als militant und unpatriotisch verdammt und ihr gar vorgeworfen, einen von Rußland gesteuerten Staatsstreich gegen den "Musterdemokraten" Saakaschwili unternommen zu haben.
Dies überrascht freilich nicht. "Demokratieförderung" ist in den Augen der Jamestown-Verantwortlichen nur dann statthaft, wenn sie sich gegen Rußland richtet. Auf die Person des jeweiligen Präsidenten der RF und dessen konkrete Politik kommt es dabei nicht an; das ist institutionalisierte Russophobie. Und die Staatschefs Aserbaidshans und Georgiens sind nun einmal getreue Verbündete der USA im Kaukasus, die zum Teil eine dezidiert antirussische Politik verfolgen und - wie Saakaschwili - nicht einmal vor dem Auslösen eines Krieges zurückschrecken. Dies stört Jamestown freilich nicht; diese Alliierten müssen um jeden Preis positiv dargestellt werden. Wer gegen sie auftritt, ist somit kein Demokrat oder legitimer Oppositioneller, sondern ein gewalttätiger Landesverräter, der verhaftet werden muß, um nicht als vermeintlich "fünfte Kolonne" für den rußländischen Hauptfeind zu wirken.
Dies war keineswegs der erste Polizeieinsatz gegen die Opposition in Georgien. Seit Jahren gehen Sakaschwilis Sicherheitskräfte mit teilweise großer Brutalität, die auch schon Todesopfer forderte, gegen die politischen Gegner ihres Präsidenten vor. Bezeichnenderweise wurde und wird dies im "Westen" kaum wahrgenommen. Wenn aber in Moskau ein paar Demonstranten vorsichtig von einer verbotenen Kundgebung weggetragen werden, dann ist der mediale Aufschrei groß und vom Ausland wird eine unumschränkte Versammlungsfreiheit eingefordert (die es freilich in keinem der dies fordernden Staaten gibt).
Für die Jamestown-Autoren stellt sich jedoch nicht einmal die Frage, ob Saakaschwilis Vorgehen rechtmäßig war oder ob man seinen Gegnern nicht ein Minimum an Legitimität konzedieren sollte. Nein, der georgische Staatschef ist der gute und muß bedingungslos unterstützt werden. Er ist schließlich ein "guter Diktator", der bereit ist, die "freie Welt" vor dem Ansturm des "expansiven russischen Bären" zu verteidigen. Wen kümmern denn insofern Fragen der Demokratie und Rechsstaatlichkeit? Da stellt auch kaum jemand kritische Fragen, wenn die regierung den Protestierern nicht nur unerlaubte Demonstrationen, sondern auch geplante Terroranschläge vorwirft.
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