Donnerstag, 30. September 2010

Anatolij Bogdanow (1931-2001)


Heute vor neun Jahren, am 30.09.2001, ist mit Anatolij Iwanowitsch Bogdanow einer der bekanntesten Sportschützen der ehemaligen Sowjetunion gestorben. Er war eine Legende maßgeblich am internationalen Aufstieg der Schützen seines Landes in den 1950er Jahren beteiligt. Während seiner aktiven Laufbahn hat er viel öffentliche Beachtung gefunden, was neben den sportlichen Erfolgen mit daran gelegen haben dürfte, daß seine Biographie nahezu perfekt in die Vorstellungswelt der damals herrschenden Kommunisten paßte. Vom Waisenkind zum Olympiasieger - ein sowjetisches Leben wie aus dem Bilderbuch.

Geboren wurde er (dessen Name bisweilen auch als Anatoly Bogdanov transkribiert wird) am 01.01.1931 in Leningrad, das heute wieder St. Petersburg heißt. Nebenbei: Viele der in den 1950er Jahren besonders erfolgreichen Schützen kamen von dort. Im Alter von drei Jahren verlor der kleine Anatolij seine Eltern und kam in ein Kinderheim. Dort erlebte er nach 1941 auch die Blockade der Stadt. Im Verlaufe des Krieges trat er als Schiffsjunge in die Baltische Flotte ein und spielte in deren Orchester Trompete. Später hat er auch auf Schiffen Dienst getan. (Motivation dürfte die bessere Verpflegung der Soldaten gewesen sein.) Mit Kriegsende kehrte Bogdanow nach Leningrad zurück, um seine Ausbildung in einer Handwerksfachschule fortzusetzen. Dort kam er auch erstmals mit dem Schießsport in Berührung. Dabei waren seine ersten Ergebnisse unterdurchschnittlich schlecht, doch gerade die anfänglichen Mißerfolge motivierten ihn zu einem intensiveren Training. Und er begann, diesen Sport zu lieben.



Von 1947 bis 1949 gehörte er zur Leningrader Schützenmannschaft der Arbeitsreserven, danach wechselte er im selben Verband nach Moskau. Dort trat er in das Technikum für Körperkultur ein, wo er jahrelang unter der Anleitung von Ilja Jochelson intensiv trainierte. Innerhalb der UdSSR ist Bogdanow ab 1949 bei Wettkämpfen hervorgetreten. International bekannt wurde er jedoch bei den Olympischen Sommerspielen 1952 in Helsinki. Es war die erste Olympiade, an der überhaupt eine Mannschaft aus der UdSSR teilnahm. Und ihr Debüt glich einem Paukenschlag. Allein in den Schießwettbewerben gab es vier sowjetische Medaillengewinner. Die einzige goldene errang Anatolij Bogdanow im Dreistellungskampf über 300 m. (Sein Kamerad Lew Weinstein, der eigentlich als Kurzwaffenschütze bekannt geworden ist, gewann in derselben Disziplin Bronze.)

Der Wettkampf in Helsinki wird in zeitgenössischen Quellen als äußerst spannend geschildert. Der Schweizer Schütze Robert Bürchler galt aus guten Gründen als Favorit. Jener soll etwas mitleidig auf den jungen Bogdanow geblickt haben, verbunden mit der Bemerkung, daß das Schießen ein Sport für Leute mittleren Alters sei, die nicht nur die Waffe beherrschen, sondern auch sich selbst. Doch Bogdanow bewies, daß man auch mit 21 Jahren Olympiasieger werden kann - mit einem neuen olympischen Rekord von 1123 Ringen. Verwendet hat er ein in Tula gefertigtes Sportgewehr MZ-13 (manchmal auch MC-13 genannt) im Kaliber 7,62 x 54 mm. Bürchler war Sportsmann genug, seinem Konkurrenten als erster zu gratulieren und sich mit der Silbermedaille zu bescheiden.

Auf den Weltmeisterschaften 1954 in Caracas gelang Bogdanow dann der wohl größte Triumph seiner Karriere: Er erschoß sich insgesamt sechs Weltmeistertitel mit dem GK- und KK-Gewehr, drei davon mit neuen Weltrekorden. 1956 gewann er in Melbourne eine weitere olympische Goldmedaille, diesmal im Dreistellungskampf mit dem Kleinkalibergewehr auf 50 m. Er war von seinem Trainer gebeten worden, sich auf diese Disziplin zu konzentrieren, weil es in der SU noch zu wenige Schützen dafür gab. Und er enttäuschte die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht. Bei diversen nationalen und internationalen Wettkämpfen Mitte der 50er Jahre konnte er weitere Titel erringen. Doch danach ließ seine Form ein wenig nach. An der 1958 in Moskau ausgetragenen Weltmeisterschaft konnte er deshalb nicht teilnehmen; er trug sich mit dem Gedanken, den Leistungssport aufzugeben.



Bereits seit 1951 gehörte Bogdanow der Sowjetarmee an, war 1954 Offizier geworden und startete dementsprechend für Armeemannschaften bzw. den Zentralen Armeesportklub (ZSKA). Nach seinem Abschied vom Leistungssport begann er ein Aufbaustudium an der Philosophischen Fakultät der Militärpolitischen Akademie in Moskau, welches er im Jahre 1963 abschloß. (Sein Erststudium hatte er in Jaroslawl an der dortigen Offiziershochschule für Finanzwesen absolviert.) Während dieser Zeit begeisterte er sich für das Bogenschießen und wurde auch in dieser Sportart Armeemeister. Später war er als Dozent an verschiedenen Offiziersschulen der Sowjetarmee tätig.

Über sein weiteres Leben ist kaum etwas bekannt. Der Zerfall der Sowjetunion und sein Abschied vom Militär müssen für ihn verheerend gewesen sein. Die letzten Jahre vor seinem Tod hat er dem Vernehmen nach als Nachtwächter in einer Provinzstadt gearbeitet. (Damit ist er wohl auch ein Opfer seiner Karriere geworden, die einseitig auf den Leistungssport und den Staatsdienst ausgerichtet war. Doch der Staat hatte nun keine Verwendung mehr für ihn. Ganz anders etwa seine Kameraden Machmud Umarow oder Jefim Chaidurow, die neben dem Sport immer auch in ihren Zivilberufen gearbeitet haben.)
Sein Grab befindet sich auf dem Moskauer Danilowskij-Friedhof.

Dennoch war Anatolij Bogdanow ein herausragender Schütze, dessen Bedeutung neben der rein sportlichen Seite auch eine symbolische hat, verkörperte er doch auf internationaler Ebene den Aufstieg der Sportnation Sowjetunion, als die sich das Land schon seit den 1930er Jahren sah. Und seine Erfolge - die für sich sprechen - wurden weltweit ausgewertet. Der starke Eindruck, den er hinterließ, ist noch in westdeutschen Publikationen der 60er Jahre zu spüren.

Bogdanow war auch publizistisch aktiv; einiges aus seiner Feder ist auch ins Deutsche übersetzt worden. Doch dazu übermorgen mehr.



Bibliographie:

Anatoli Bogdanow - Träger des Leninordens, in: Der Sportschütze 1957

H.M.: Reliquien sportlichen Ruhmes, in: Der Sportschütze 1955

Orushie

Shooting UA

Sportiwnyj nekropol

V. Viktorow: 120 Schuß, in: Der Sportschütze 1955

Wikipedia




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Fotos: Der Sportschütze, www.arms-magazin.ru, talks.guns.ru.

Montag, 27. September 2010

Neulich im Dussmann-Haus


Vor wenigen Wochen habe ich wieder meiner bibliophilen Leidenschaft gefrönt und bin im Berliner Dussmann-Haus eingekehrt. In der vermutlich größten deutschen Buchhandlung waren auch manche interessanten Neuerscheinungen zu finden. Gestört hat mich allerdings, daß kaum waffenrechtliche Literatur zu finden war, wohl aber das Buch „Waffenrepublik Deutschland“ von Lars Winkelsdorf. Die Verlag stellt sein Produkt in einer LWB-feindlichen Art und Weise dar. Dazu kam das Gerichtsverfahren gegen den Autor wegen Verstößen gegen das WaffG (mittlerweile ist er jedoch freigesprochen worden). Das alles hat mich nicht zum Kauf des Buches angeregt, denn man muß nicht jedes Machwerk kennen. Nachdem es aber mittlerweile einige positive Rezensionen gibt (u.a. in Visier 7/2010), werde ich es mir in nächster Zeit wohl doch zulegen müssen.

Der nächste Blick in die landeskundliche Abteilung zu den Publikationen über Rußland hat mich ebenfalls ein wenig enttäuscht. Ich wurde dabei an einen Ausspruch des Literaturkritikers Wissarion Belinskij aus dem 19. Jahrhundert erinnert, den ich hier schon einmal erwähnt hatte:
"[…]

Deshalb schenkt man bei uns jedem sogenannten liberalen Trend, selbst bei geringster Begabung, so viel Aufmerksamkeit, und deshalb sinkt auch die Popularität großer Dichter, die sich - ob aufrichtig oder nicht - in den Dienst der [...] Autokratie [...] stellen, so rasch.

[…]"
Das traf vor hundert Jahren nicht nur auf das Zarenreich selbst, sondern auch auf die Rezeption der russischen Kunst in Deutschland zu, wie Gerd Koenen in seinem Buch "Der Rußland-Komplex" beschreibt:
"[...]

Wie es ja überhaupt die Kehrseite aller so heftigen Invektiven gegen den 'zaristischen Despotismus' bildete, dass sie die Welt der 'Erniedrigten und Beleidigten', und erst recht die der Aufrührer und Kämpfer gegen die Despotie in ein übertrieben großartiges moralisches Licht rückten.

[...]"
Vornehmlich werden dem deutschen Leser heute die Schriften von Anna Politkowskaja, Edward Lucas, Jelena Tregubowa und anderen, zum Teil etwas obskuren Autoren anempfohlen. Meine tägliche Horrormeldung aus dem ewig kalten Rußland gib mir heute! Und wenn es schon keine Horrormeldung gibt, dann doch wenigstens negative Dauerberieselung. Dieses einseitige Angebot muß beim deutschen Publikum zwangsläufig zu Fehleinschätzungen führen.

Dabei überrascht nicht, daß die Qualität der Autoren und ihrer Schriften gleichgültig ist, Hauptsache, es wird die „richtige“ Meinung (oder besser: Gesinnung) vertreten. Ein Phänomen, welches sich auch in der schöngeistigen Literatur feststellen läßt. Es zählt nicht die schriftstellerische Leistung, sondern der politische Impetus. Der Übersetzer Robert Chandler hat dies in einem Leserbrief an die London Review of Books sehr treffend formuliert:

"[…]

It is more likely, however, that Lanchester simply underestimates how difficult it has been, during the last thirty years, to establish a readership for a 20th-century Russian writer purely on the basis of literary merit. Pasternak and Solzhenitsyn became famous in the West not because of literature but because of politics; Osip Mandelstam’s fame owes a great deal to the eloquence of his widow. Varlam Shalamov and Andrei Platonov, however, did not benefit from any major international scandal, nor have their life stories been told by their widows, and to this day they remain relatively unknown in the West, even though Shalamov’s Kolyma Tales is far more vivid and subtle an evocation of the gulag than anything by Solzhenitsyn, and even though Joseph Brodsky, at the height of his fame, repeatedly hailed Platonov as the equal of Joyce, Kafka, Musil or Proust.

[…]"

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Montag, 20. September 2010

Spetsnaz VII: Die Spezialkräfte des FSO

Nachdem am 16. September der Föderale Wachdienst (FSO) der Rußländischen Föderation und seine Aufgaben und Organisation vorgestellt wurden, soll heute auf die Spezialkräfte, über die auch diese Sicherheitsbehörde verfügt, eingegangen werden.

Geschichte

Im Jahre 1993 wurde im Sicherheitsdienst des Präsidenten – als Teil der Hauptverwaltung für Bewachung (GUO) – ein Zentrum für Spezialaufgaben (russ.: Zentr Spezialnogo Nasnatschenija; Abk.: ZSN) gebildet. Erster Leiter des ZSN war Kapitän 1. Ranges Gennadij Sacharow (der Dienstgrad entspricht einem deutschen Kapitän zur See). Sacharow kam aus der Marine und hatte bis 1993 in der Baltischen und der Nordmeerflotte gedient, zunächst auf Überwasserschiffen, später bei den Spezialkräften der Marineaufklärung. Mit anderen Worten: Er war Kampfschwimmer und brachte seine vielfältigen Erfahrungen mit in die neue Einheit. Die damalige GUO muß eine ziemlich bunte Truppe gewesen sein, mit einem sehr disparaten Ausbildungsstand etwa hinsichtlich der Schieß- und Nahkampfausbildung. Und die politischen Rahmenbedingungen waren sehr unsicher, hatte Präsident Jelzin doch gerade das Parlament zusammenschießen lassen.



In diesem Umfeld wurde das ZSN aufgebaut. Viele der neuen „Spezial-Personenschützer“ hatten zuvor in den Speznas-Einheiten von Armee und Marine gedient und waren durch die Schule des Afghanistankrieges gegangen. 1994 wurde es als einsatzbereit gemeldet und bestand damals aus drei Spezialabteilungen plus Administration und Logistik.
1996 wurde das ZSN aus dem Personenschutzdienst herausgelöst, in Verwaltung für Spezialaufgaben (USN) umbenannt und der FSO-Führung direkt unterstellt. 2003 wurde der FSO grundlegend reorganisiert, weshalb 2004 die USN erneut in den Sicherheitsdienst des Präsidenten eingegliedert wurde.

Neben den klassischen Schutz- und Sicherungseinsätzen, wie sie für den Föderalen Wachdienst typisch sind, waren die Spezialkräfte in den 1990er Jahren auch im unruhigen Nordkaukasus eingesetzt. Darüber hinaus begleiten sie den russischen Präsidenten etwa auf Auslandsreisen und arbeiten insoweit auch mit ausländischen Anti-Terror-Einheiten zusammen.



Aufgaben und Organisation

Die Verwaltung für Spezialaufgaben ist für Aufgaben zuständig, die über die Fähigkeiten der normalen Personen- und Objektschützer des FSO hinausgehen. Sie besteht aus sieben Abteilungen:
Die 1. Abteilung ist für die besondere Absicherung von Objekten zuständig. Der 2. Abt. werden besondere Personenschutzaufträge, insbesondere an, auf und über Verkehrswegen, anvertraut, wobei der Umgang mit Ultraleichtfliegern und Fallschirmen einen Ausbildungsschwerpunkt darstellt. Die Scharfschützen der USN gehören ebenfalls zur 2. Abteilung. Die 3. Abt. ist die Versorgungseinheit der Verwaltung; der Stab wird als 4. Abt. bezeichnet. Die 5. Abt. ist auf Einsätze über und unter Wasser spezialisiert, wenn es etwa gilt, unter einem Schiff, auf dem der Präsident mitfährt, nach Sprengsätzen zu suchen. Die 6. Abt. ist für die Sicherung von Staatsobjekten in Gebirgs- und Waldgegenden zuständig, weshalb besonderer Wert auf die Ausbildung im Bergsteigen und Skifahren gelegt wird. Die Abteilung verfügt auch über Spezialfahrzeuge, die z.T. gepanzert sind. Hinzu kommen noch die medizinische Abteilung und zwei weitere kleine Teileinheiten („selbständige Wachen“).

Über die Personalstärke der USN sind keine Zahlen bekannt. Die Gliederung deutet aber darauf hin, daß es keine übermäßig große Einheit ist. Ich persönlich würde auf eine Größenordnung von etwa 200 bis 300 Mann tippen. Derzeitiger Leiter der USN ist Alexander Gordejew.



Sonstiges

Ausbildung und Ausrüstung der USN-Abteilungen erfolgen aufgabenspezifisch. Man kann davon ausgehen, daß ihren Beamten viele moderne Waffen und Ausrüstungsgegenstände in- wie ausländischer Provenienz zur Verfügung stehen. Jedoch scheint auch hier die AK-74 nach wie vor die Standard-Langwaffe zu sein. Die Verwaltung für Spezialaufgaben des FSO gilt in Rußland als sehr effektive Spezialeinheit – trotz ihres niedrigen Bekanntheitsgrades und ihrer geringen Größe.



Damit sind die Beiträge über den FSO abgeschlossen. In den nächsten Folgen der Spetsnaz-Reihe sollen die Marineinfanterie, die Kampfschwimmer und die Anti-Drogen-Behörde behandelt werden.



Bibliographie

S. Koslow: Presidentskij speznas, in: Bratischka 4/2010, S. 2 ff.

Wikipedia: FSO (russ.).




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Spetsnaz VI: Der Föderale Wachdienst (FSO)

Fotos: Bratischka.

Donnerstag, 16. September 2010

Spetsnaz VI: Der Föderale Wachdienst (FSO)

Heue möchte ich die im Februar begonnene Reihe über die Sicherheitsbehörden der Rußländischen Föderation mit einem Artikel über den Föderalen Wachdienst der RF (russ.: Federalnaja Slushba Ochrany; Abk.: FSO) fortsetzen.

Aufgaben

Die Aufgaben des FSO sind im föderalen Gesetz „Über die staatliche Bewachung“ aus dem Jahre 1996 festgeschrieben. Es sind dies u.a.:

  • Personenschutz für den Präsidenten und weitere Repräsentanten des Staates sowie für ausländische Staatsgäste;
  • Objektschutz für wichtige staatliche Gebäude und Liegenschaften;
  • Sicherstellung der Kommunikationsverbindungen der Staatsführung sowie Mitwirkung an der Spionageabwehr im IuK-Bereich;
  • Repräsentations- und Protokollaufgaben;
  • Mitwirkung bei der Bekämpfung des Terrorismus;
  • Betrieb des präsidialen Fuhrparkes.


Organisation

Der FSO ist entsprechend seinen Aufgaben gegliedert, worüber jedoch nur wenige Details bekannt sind. Die Personenschützer gehören zum Sicherheitsdienst des Präsidenten; der Fuhrpark ist ebenfalls eine eigene Diensteinheit („Garage besonderer Bestimmung“).

Der bekannteste Teil des FSO ist das Präsidentenregiment, inoffiziell auch als Kreml-Regiment bezeichnet. Diese großteils aus Wehrpflichtigen bestehende Truppe nimmt vor allem zeremonielle Aufgaben wahr: sei es durch Ehrenformationen bei Staatsbesuchen, die Wache am Grab des unbekannten Soldaten (offiziell Posten Nr. 1 genannt) oder durch die große samstägliche Wachablösung im Kreml, die sich seit Jahren zu einer Touristenattraktion entwickelt hat. (In diesem Sommer mußte sie wegen der großen Hitze schon mal abgesagt werden.) Doch die Angehörigen des Regiments sind auch in die Objektsicherung des Kreml-Areals (und anderer Objekte) eingebunden, wenn sie etwa an den Eingängen die Touristenströme kontrollieren und innerhalb des Geländes – wo es so gut wie keine weiteren Zäune oder Mauern gibt – bisweilen lenkend eingreifen.



Das Kreml-Regiment besteht seit 1935, als nach Abzug von Lettischen Schützen (1918) und Offiziersschülern (1918-1935) in der Roten Armee ein Wachbataillon für die Staats- und Parteiführung aufgestellt wurde. 1936 wurde diese Truppe zum Regiment erweitert und dem Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (NKWD) unterstellt. (Später gehörte in der DDR das Wachregiment Feliks Dzierzynski ebenfalls zum MfS.) Im Jahre 1941 nahm das Regiment an der Verteidigung Moskaus teil. In den Folgejahren wurden aus seinen Reihen Scharfschützengruppen an verschiedene Fronten entsandt, wo sie insgesamt 1.200 Gegner getötet haben. Das Regiment selbst hat von 1941 bis 1945 Verluste in Höhe von 97 Mann erlitten. Nach 1945 kam es zu verschiedenen Namensänderungen; die heutige Bezeichnung „Präsidentenregiment“ erhielt es 1993.

Das Regiment gliedert sich in fünf unterschiedlich strukturierte Wachbataillone, die berittene Ehreneskorte (mit dem Kern von 2 Kavallerieeskadronen), ein Motorisiertes Schützenbataillon als mobile Einsatztruppe (ausgestattet u.a. mit BTR-90) und die notwendigen Unterstützungseinheiten. Die Unterkünfte für den Personalbestand von rund 3.000 Mann befinden sich im Zeughaus des Kreml, im Alexandergarten sowie im Moskauer Umland. Das Regiment dürfte der einzige Verband der russischen Streitkräfte und Sicherheitsbehörden sein, in dem als eine der Standardwaffen noch das Gewehr SKS geführt wird.



Der quantitativ größte Teil der FSO-Mitarbeiter dürfte auf die IuK-Dienststellen entfallen, die für die Sicherstellung der Kommunikationsverbindungen von Präsident und Regierung und weitere IuK-Aufgaben verantwortlich sind. Diese bestehen aus Verwaltungen und Zentren für Spezialkommunikation und -information, die über das gesamte Land verteilt sind. Zentrum ist hier die Fernmeldezentrale des Kreml. Ebenso wie im Präsidentenregiment sind in diesem Bereich viele Wehrpflichtige eingesetzt.

Hinzu kommen die Verwaltung für Objektschutz, die Verwaltung für Spezialaufgaben (dazu demnächst ausführlicher), ein Orchester sowie weitere Diensteinheiten für administrative und logistische Aufgaben. Für die Aus- und Fortbildung, insbesondere des Offizierspersonals im IuK-Bereich, ist die Akademie des FSO mit Standorten in Orjol und Woronesh zuständig.

Exakte Zahlen über die Anzahl der Mitarbeiter des Föderalen Wachdienstes sind nicht bekannt. Im Internet kursieren Zahlen zwischen 20.000 und 30.000 Mann. Diese erscheinen mir ein wenig hoch; die Größenordnung könnte jedoch stimmen, wenn man den personalintensiven weil flächendeckenden IuK-Bereich mit in Rechnung stellt.
(Zum Vergleich: Etwas Analoges existiert in Deutschland nicht. Hierzulande sind die zivilen Behörden auf Drahtverbindungen der Telekom und den – im Sinne einer durchgehenden Informationskette unzureichenden – BOS-Funk angewiesen.)

Seit dem Jahr 2000 ist Jewgenij Murow Direktor des FSO. Die Behörde ist unmittelbar dem Präsidenten der RF unterstellt. Die Regierung koordiniert lediglich die Zusammenarbeit mit den übrigen Föderalbehörden.



Geschichte

Wie bei allen Sicherheitsbehörden Rußlands reichen auch die Wurzeln des FSO in die Sowjetzeit zurück. Für die Bewachung der Staats- und Parteiführung sowie für ihre Fernmeldeverbindungen waren verschiedene Diensteinheiten des Komitees für Staatssicherheit (KGB) verantwortlich. Nach dessen Auflösung 1991 traten verschiedene Behörden an ihre Stelle. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die verzweigte Organisationsgeschichte nachzuzeichnen. (Zeitweise war sogar das Kreml-Regiment eigenständig und direkt dem Präsidenten Jelzin unterstellt.)
Deshalb nur die wichtigsten Eckdaten: 1991 Bildung des Sicherheitsdienstes des Präsidenten, der 1992 in Hauptverwaltung für Bewachung (GUO) und 1996 in Föderaler Wachdienst (FSO) umbenannt wird. 2004 wurden durch einen Präsidentenerlaß der Dienst für Spezialverbindungen (s.o.) aus der aufgelösten Fernmelde(-aufklärungs-)behörde FAPSI in den FSO eingegliedert. Infolgedessen erweiterte der FSO sein Tätigkeitsfeld und wurde teilweise umstrukturiert.



Exkurs: Der Feldjägerdienst

Aufgabenmäßig mit dem FSO verwandt ist der Feldjägerdienst der RF (russ.: Gosudarstwennaja Feldjegerskaja Slushba; Abk.: GFS); er gilt jedoch nicht als Sicherheitsbehörde. Vielmehr handelt es sich um einen Postdienst, der für den Transport der Korrespondenz – z.T. auch per Kurier – zwischen den obersten Staatsorganen, Ministerien und einigen anderen wichtigen russischen Zivil- und Militärdienststellen zuständig ist.
Der GFS wurde 2004 gegründet, es gab jedoch diverse Vorläuferbehörden, deren erste auf das Jahr 1796 datiert. Bereits damals wurde das aus dem Deutschen stammende Wort „Feldjäger“ für solche besonderen Kuriere verwendet. Das dürfte kein Zufall gewesen sein, galt doch der damals regierende Kaiser Paul I. als besonders preußenfreundlich – und ebendort gab es seit 1740 ein Reitendes Feldjägerkorps. (Ausführlich zur Geschichte siehe hier.)
Der GFS untersteht direkt dem Präsidenten und wird seit 2002 von Direktor Gennadij Kornijenko geleitet. (Über diesem Abschnitt ist die Fahne des GFS abgebildet.)



Die nächste Folge dieser Reihe, die voraussichtlich übermorgen erscheint, wird den Spezialkräften des FSO gewidmet sein.



Bibliographie

O. Galkin: Presidentskij polk, in: Wojenno-istoritscheskij Shurnal 4/2006, S. 8 ff.

Ju. Kornew et.al.: Spezialnaja swjas w sisteme gossudarstwennogo uprawlenija Rossii, Moskau 2006.

S. Koslow: Presidentskij speznas, in: Bratischka 4/2010, S. 2 ff.

Je. Murow et.al.: Presidentskij polk - Istorija i sowremennost, Moskau 2008.

Offizielle Webseite des FSO

Webseite des Präsidentenregiments

Offizielle Webseite des GFS

Wikipedia: FSO (russ. / eng.); Präsidentenregiment (russ. / eng.); GFS (russ.).





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Die militärischen Einheiten der Staatssicherheit II

Fotos: www.ppolk.ru.

Dienstag, 14. September 2010

14.09.2010: Bilder des Tages


Im Mai 2010 hat in Ungarn ein internationaler Wettkampf von Scharfschützen aus Militär und Polizei stattgefunden, bei dem Teams aus der Ukraine und China sehr gut abgeschnitten haben. Einige Teilnehmer haben im Forum von Talks.guns.ru zahlreiche Bilder ins Netz gestellt, darunter auch die hier gezeigten. Mehr davon sind hier zu finden.




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Freitag, 10. September 2010

Machmud Umarow (1924-1961)


Heute wird die kleine Reihe mit Porträts von Sportschützen aus der früheren Sowjetunion mit Machmud Bedalowitsch Umarow fortgesetzt. (Sein Name wird manchmal auch als Makhmud Umarov transkribiert.) Er war - wie der Vorname schon vermuten läßt - kein Russe, sondern ein am 10.09.1924 (also vor exakt 86 Jahren) in Usbekistan geborener Uigure. Der Handwerkerssohn hatte gerade die Schule beendet und bereitete sich auf den Eintritt in ein Institut vor, als 1941 der Krieg ausbrach. Umarow trat in die Rote Armee ein und wurde Offizier bei den Fallschirmjägern.

Nach 1945 verblieb er in der Armee und nahm ein Studium an der Militärmedizinischen Akademie im damaligen Leningrad auf. (Die Klinik dieser Hochschule gilt noch heute als eine der besten Rußlands.) Während seines Studiums war er mit der Schießsportsektion der Akademie in Verbindung gekommen und begann, systematisch zu trainieren. Im Jahre 1953 promovierte er im Fachgebiet Neuropathologie und nahm eine wissenschaftliche Stelle an der Akademie an. Im gleichen Jahr erfüllte Machmud Umarow die Norm im Schießen mit dem Großkaliberrevolver, um sich fortan "Meister des Sports" nennen zu dürfen.

Damit begann seine Blitzkarriere als Wettkampfschütze. 1954 nahm er in den Reihen der Leningrader Auswahlmannschaft erstmals an den sowjetischen Meisterschaften teil. Aufgrund seiner hohen Leistungen hat man ihn danach in die Nationalmannschaft aufgenommen und er wurde mit zu den Weltmeisterschaften nach Caracas entsandt. Hier reichte es jedoch "nur" für einen Mannschaftstitel. Nach Leningrad zurückgekehrt, intensivierte er sein Training. 1955 wurde Umarow in Bukarest Europameister mit dem Revolver (Resultat: 588 Ringe = Weltrekord) und gewann 1956 in Melbourne mit der Freien Pistole über 50 m olympisches Silber. Weitere Medaillen bei der WM 1958 in Moskau, der Olympiade 1960 und in anderen Wettkämpfen folgten. Die Freie Pistole entwickelte sich zu seiner Paradedisziplin; 1960 hat er mit ihr während eines Trainings 585 Ringe geschossen (das sind 4 Ringe mehr als der derzeit gültige Weltrekord).

Doch dann ereilte ihn, der sowohl Mediziner als auch Weltrekordschütze gewesen war, das Schicksal: Am 25.12.1961 erlag er einem Herzinfarkt. Sein Herzleiden war ihm bekannt, aber er schaffte es nicht mehr rechtzeitig, das Medikament, das er bei sich trug, einzunehmen. Ein höchst tragisches und viel zu frühes Ende für einen sehr begabten und erfolgreichen Kurzwaffenschützen. Machmud Umarow wurde 37 Jahre alt.
(Am selben Tag, nur 43 Jahre später, ist übrigens sein Mannschaftskamerad Lew Weinstein gestorben.)



Eine seiner Schriften, "Die Psyche des Schützen", ist 1963 auch auf Deutsch erschienen. Darin beschäftigt er sich mit den psychologischen Aspekten des Sportschießens, sowohl hinsichtlich des Trainings als auch der Wettkämpfe. Eine sehr interessante Lektüre! Ein weiterer deutschsprachiger Aufsatz folgt übermorgen.


Bibliographie:

WP-HM: Mahmoud Umarow - Gelehrter und Weltrekordschütze, in: Der Sportschütze 1957, S. 109.

Shooting UA



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Foto: Der Sportschütze.

Dienstag, 7. September 2010

80 Jahre Luftlandetruppen


Am 2. August 2010 haben die Luftlandetruppen (russ.: Wosduschno-desantnyje wojska, Abk.: WDW) der Rußländischen Föderation ihr achtzigjähriges Bestehen gefeiert (siehe auch hier und hier). Als Anfang der Luftlandetruppe gilt die erste Landeübung am 2. August 1930 nahe der mittelrussischen Stadt Woronesh. Am Vorabend des Jubiläums führte die Nachrichtenagentur RIA Nowosti ein Interview mit dem Befehlshaber der Elitetruppe, Wladimir Schamanow, das im folgenden wiedergegeben wird:
"[...]

Die erste Frage gilt der Reform der russischen Streitkräfte. Welche Rolle spielt die Luftlandetruppe nach der Reform?

Die Truppe behält den Status der Reserve des Oberbefehlshabers. Hauptzweck dieser Reserve ist die Verteidigung von Russlands Interessen und der russischen Bürger im In- und Ausland. Die Luftlandetruppe wird ihre Aufgaben sowohl selbständig als auch als Teil der Gruppierungen der Landstreitkräfte in den Verantwortungszonen der vereinten strategischen Kommandos erfüllen. Sie soll die Flanken und Lücken in der Kampfordnung der Landstreitkräfte schließen, die gegnerischen Luftlandetruppen bekämpfen, im gegnerischen Hinterland und an den gegnerischen Flanken landen. Außerdem muss sie alle anderen Aufgaben bewältigen, die eine hohe Mobilität und schnellen Aufmarsch erfordern, vor allem bei lokalen Konflikten.


Wie hat sich die Struktur und Zahlenstärke der Luftlandetruppe im Verlauf der Reform verändert? Wie soll die Truppe bemannt werden?

Im Zuge der Reform haben wir 26 Truppeneinheiten gekürzt. Größtenteils waren das Versorgungseinheiten, deren Funktionen an die Strukturen der vereinten strategischen Kommandos und an zivile Organisationen übergeben werden. Die Bewachung der Verpflegungslager sowie die Wäschereidienstleistungen sind zu 85 Prozent an zivile Organisationen weitergegeben worden. Zivile Organisationen sind fortan auch für 40 Prozent der gastronomischen Versorgung verantwortlich. Wir planen, die Essensversorgung bis zum 1. Dezember vollständig an zivile Strukturen zu übergeben. Doch dabei gibt es einige Fragen. Die Einheiten und Verbände der Luftlandetruppe sind größtenteils in Gebietszentren stationiert, wo wir problemlos zivile Auftragnehmer finden können. Doch die Nahrungsmittelverpflegung der Truppen im Feld können sie nicht auf sich nehmen. Dabei ist das für die Luftlandetruppe besonders wichtig.

Wir werden nach einem Kompromiss suchen. Die Luftlandetruppe muss die Fachleute und die Ausrüstung behalten, die die Nahrungsmittelverpflegung der Truppen fern vom Hinterland ermöglichen.

Die Luftlandetruppe ist 35.000 Mann stark. Im Zuge der Reform haben wir 40 Prozent der Offiziere der Luftlandetruppe in den Ruhestand geschickt. Gegenwärtig sind rund 4000 Offiziere im Dienst. Rund 400 davon bekleiden Unteroffiziersposten, weil es an Berufssergeanten fehlt und die Offiziersposten abgebaut werden. Außerdem leisten rund 7000 Vertragssoldaten als normale Soldaten und Unteroffiziere bei der Luftlandetruppe ihren Dienst. Der Rest sind Zeitsoldaten.

Weiterhin soll die Zahl der Vertragssoldaten verdoppelt werden. Wir wollen alle Unterführer- und Fachkräfteposten mit Vertragssoldaten bestücken. Das sind die Posten, die die beste Ausbildung und die meiste Arbeit erfordern. Der Mangel an Vertragssoldaten ist momentan unter anderem mit der mangelhaften Besoldung verbunden: Der Monatslohn beträgt 12 000 bis 18 000 Rubel pro Monat (Anm. der Redaktion: 1 Euro = 39,47 Rubel). Samt Zulagen und Reisezuschüssen kann der Lohn 18 000 bis 25 000 Rubel betragen. Ab 2012 soll ein Unteroffizier mindestens 30 000 Rubel erhalten, samt allen Zuschüssen soll diese Summe 40 000 bis 45 000 Rubel erreichen. So ein Einkommen wäre erheblich höher als der Durchschnittslohn in den Regionen und wird für einen Zustrom von besser ausgebildetem Personal sorgen.

In der Tat soll das russische Unteroffizierskorps wiedergeboren werden, das einst das Rückgrat der Armee bildete. Der Standard, den wir anstreben, sind hochprofessionelle Offiziere und Unteroffiziere und gut ausgebildete, ausgewählte Vertrags- ebenso wie Zeitsoldaten, die offensiv und energisch handeln können.


Wie gut entspricht die gegenwärtige Bewaffnung der Luftlandetruppe ihren Aufgaben? Was kommt noch hinzu?

Gegenwärtig bekommt die Luftlandetruppe rund sieben Prozent neue Ausrüstung. Doch wir halten die zur Verfügung stehende Ausrüstung einsatzbereit, und sie wird ihren Aufgaben gerecht. Gegenwärtig verwirklichen wir ein Programm der teilweisen Modernisierung, das die Kampffähigkeiten der Truppe in den kommenden Jahren mit der existierenden Ausrüstung um zehn Prozent steigen lassen wird. Wir kaufen automatische Operationssysteme, Landungs- und Landungskontrollsysteme, Aufklärungs-, Beobachtungs-, Navigations- und Kommunikationsmittel. Davon wäre das automatische Operationssystem Poljot-M hervorzuheben, das eine lückenlose Kommandokette vom Stab der Luftlandetruppen bis zum Bataillonsstab ermöglicht und den Kampfeinsatzzyklus erheblich verkürzt.

Die Käufe, die wir jetzt tätigen, entsprechen bislang nicht ganz unseren Zielen. Die Neubewaffnung der Truppen muss während der Umsetzung des neuen staatlichen Bewaffnungsprogramms erfolgen. Auf diesem Programm stehen Luftlande-Schützenpanzer BMD-4M mit gekoppelten 30- und 100-mm-Kanonen sowie Panzer auf der Grundlage des existierenden Schützenpanzerwagens Rakuschka. Wir müssen auch die Luft- und Panzerabwehr stärken. Um letztere Aufgabe zu meistern, wollen wir später den Jagdpanzer Sprut mit einer 125-mm-Kanone erwerben.


In einigen Medien gab es Informationen, dass die Sprut-Einkäufe eingestellt worden waren und nicht wieder aufgenommen werden sollen.

Diese Informationen sind nicht glaubwürdig. Das Fahrzeug soll einige zusätzliche Entwicklungen erhalten und als Serienmodell gekauft werden.


Wie wird der aktuelle Zustand der Militärtransportflieger eingeschätzt?

Die Militärtransportflieger haben einen goldenen Mittelweg gefunden, sie halten ihre Verbände kampfbereit, nutzen aber ihre Maschinen nicht zu stark ab. Gegenwärtig können wir ein Regiment landen lassen und ihm Fliegerunterstützung gewähren. In der Perspektive wollen wir in der Lage sein, dies mit einer Division zu bewältigen.

Die Militärtransportflieger sollen auch neue Maschinen erhalten. Unter anderem sieht der Rüstungsplan den Kauf von 40 An-70-Maschinen und die Wiederaufnahme der Serienherstellung von Ruslan-Flugzeugen vor. Ebenso soll die Produktion der wichtigsten Maschine der Militärtransportverbände, der Il-76, aus Taschkent (Usbekistan) nach Uljanowsk (Russland) verlagert werden. Die modernisierte Version dieser Maschine ist als Il-476 bekannt.


Auch die anderen Armeen verfügen über Luftlandetruppen. Können die russischen Luftlandetruppen mit den ausländischen verglichen werden?

Die wichtigste Grundlage für einen Vergleich sind die Kampfhandlungen. Heute können wir beobachten, wie schlecht bewaffnete und ausgebildete Insurgenten in Afghanistan eine riesige Koalition aus führenden westlichen Ländern in Angst halten. Die Koalitionssoldaten wagen sich nicht aus den kontrollierten „grünen Zonen" hinaus. Das sowjetische Militär, darunter auch die Luftlandetruppen, konnte seinerzeit die gestellten Aufgaben in Afghanistan erfüllen, wenngleich es technisch viel schlechter ausgerüstet war.

Die NATO zeigt sich derzeit völlig unfähig, ihre Aufgaben zu erfüllen. Es sei allein darauf hingewiesen, dass der Drogenschmuggel aus Afghanistan nach Russland ums vierzigfache angestiegen ist, obwohl die Unterbindung der Drogenproduktion zu den wichtigsten Zielen der Kampagne zählte.

Die westlichen Armeen bieten bei der individuellen Ausstattung der Soldaten, vor allem mit Beobachtungs-, Leitungs-, Kommunikations- und Navigationsmitteln, ein gutes Beispiel. Wir haben in dieser Hinsicht Probleme. Gegenwärtig kaufen wir neue Ausrüstung, darunter Wärmesichtgeräte, neue Scharfschützengewehre und Navigationsmittel. Unsere Möglichkeiten auf diesem Gebiet sind mit der Inbetriebnahme des GLONASS-Systems erheblich gewachsen.

Bei einigen Richtungen steht Russland nach wie vor an erster Stelle. Beispielsweise haben wir die besten Leichtpanzer, die vom Flugzeug aus gelandet werden können. Wir können als einzige unsere [Fahrzeuge] samt Besatzung aus der Luft landen lassen, was die Kampffvorbereitungszeit erheblich verkürzt.

Generell beachtet das Kommando der Luftlandetruppe die Situation in den ausländischen Armeen. Bei den russischen Luftlandetruppen gibt es im Vergleich zu ihnen keine offensichtlichen Lücken, die schleunigst ausgebessert werden sollten. Die russische Luftlandetruppe gehört nach wie vor zu den weltbesten. Wir sind ständig kampfbereit - sowohl für In- als auch für Auslandseinsätze.

[...]"


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Sowjetische Manöverfilme
Ein paar Verweise ...

Fotos: www.mil.ru.

Freitag, 3. September 2010

"Jagd in Steppe, Wald und Eis"


Hin und wieder passieren schöne Zufälle. So hat am Montag - zeitgleich mit meinem Beitrag über die herrschaftliche Jagd in der Sowjetunion - das JagdWaffenNetz die Rezension eines Buches von Christoph Stubbe über die Jagd in Sibirien publiziert. Und wie der Zufall es will, liegt derzeit eine Anthologie von Jagdgeschichten sowjetischer Schriftsteller auf meinem Schreibtisch. "Jagd in Steppe, Wald und Eis" wurde von Helmut Sträubig zusammengestellt und ist 1969 in zweiter Auflage in Leipzig erschienen.

Der Band ist eine Mischung aus Fachbuch und Belletristik. Die letztere Komponente wird durch den aus Jagdgeschichten bestehenden Hauptteil dargestellt. Dafür hat der Herausgeber über zwei Dutzend Erzählungen sowjetischer Autoren zusammengestellt, die um die Themen Jagd und Wild kreisen. Ausdrücklich wurden vor allem weniger bekannte Schriftsteller ausgewählt, um sie dem deutschen Publikum näherzubringen. Der Herausgeber weist jedoch darauf hin, daß es im russischen Sprachraum eine lange jagdliterarische Tradition gibt, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht - wie etwa Turgenjews "Aufzeichnungen eines Jägers". Es dürfte nur wenige Länder geben, in denen die Jagd einen derart großen Einfluß auf das Volksleben im allgemeinen und die Kunst im besonderen hatte.

Die Geschichten in Sträubigs Band sind in der Regel sehr gut zu lesen und vermitteln einen Eindruck von den jagdlichen Verhältnissen in der UdSSR. Die eher fachliche Komponente des Buches stellt neben dem Anhang, der u.a. Karten über die Verbreitung einzelner Wildarten enthält, sowie den zahlreichen Farbfotos die vom Herausgeber verfaßte Einleitung dar, die z.T. sehr interesante Informationen enthält. An dieser Stelle schließen sich auch einige vom JagdWaffenNetz aufgeworfene Fragen an.

Sträubig weist zum einen auf die vielen unterschiedlichen Klimazonen hin, in den sich das Gebiet der SU erstreckt hat. Daraus folgte ein großer Artenreichtum. Die Bestände mancher Arten, die zuvor vom Aussterben bedroht waren, konnten durch Schutzmaßnahmen wieder auf ein hohes Niveau gebracht werden. Des weiteren werden - natürlich geschätzte - Zahlen für die 1960er Jahre genannt: 2,5 bis 3 Mio. Saigas, 800.000 bis 900.000 Wildschweine, 700.000 Elche, 500.000 Rehe etc. (vgl. S. 16).

Die Jagd hat hier seit Jahrhunderten immer auch wirtschaftlichen Zwecken gedient, sei es zur Beschaffung von Nahrung oder zum Gewinnen der Felle. Das ist vermutlich einer der größten Unterschiede im Vergleich mit Deutschland, auch wenn z.B. die Bejagung von Pelztieren seit deren Zucht auf Farmen rückläufig ist. Doch es gab in der SU nicht nur Berufsjäger. Die Jagd als Freizeitbetätigung hat sich großer Beliebtheit erfreut. Im Jahr 1965 hatten die Jagdvereinigungen, der allerdings nicht alle Jäger angehörten, über zwei Millionen Mitglieder. Zum Vergleich: Damals hatte die Sowjetunion knapp 230 Mio. Einwohner. Voraussetzung für die Jagdausübung war - wie auch hierzulande - das Absolvieren einer Ausbildung, die mit der Jagdscheinprüfung abschloß.

Kommen wir zum Thema Waffenbesitz, das von Sträubig (leider) nicht thematisiert wird. Es ist ja bekannt, daß die Jagdwaffenvergabe in der DDR extrem restriktiv erfolgte und ein privater Waffenbesitz für den Durchschnittsbürger de facto unmöglich war. Das war jedoch nicht in allen sozialistischen Staaten der Fall. Meinem Kenntnisstand zufolge war es in der UdSSR für einen Jäger durchaus möglich, eigene Waffen zu erwerben. Die Crux bestand allerdings darin, daß man zunächst fünf Jahre lang glattläufige Waffen ohne Beanstandung besessen haben mußte, bevor man auch solche mit gezogenem Lauf erwerben durfte. Folglich wurden zumeist Flinten zur Jagd eingesetzt, was jedoch bisweilen eine höchst suboptimale Wahl war, selbst mit Slugs.

Demgegenüber war die öffentliche Akzeptanz für Waffenbesitz und -tragen recht groß. So beschreibt einer der Autoren - A. Schachow (vgl. S. 52 ff.) - wie Moskauer Jäger vor den Toren ihrer Stadt auf die Pirsch gehen - Fahrten mit Bus und Straßenbahn inklusive. Dabei befanden sich die Flinten wohlgemerkt nicht in einem verschlossenen Behältnis, sondern wurden am Riemen über der Schulter getragen. Dieser Anblick hat weder Miliz noch KGB auf den Plan gerufen, sondern war akzeptierte Normalität, wenn man von ein paar witzigen Kommentaren anderer Passanten absieht.

Nun zu einem weiteren Kritikpunkt des Rezensenten vom JagdWaffenNetz:
"[...]

Wie reizvoll muss heute deshalb mit moderner Waffe und Ausrüstung eine Jagdreise nach Sibirien sein [...]? Man muss dazu nicht, wie der Verfasser anzunehmen scheint, in übel riechenden Hütten auf dem Boden schlafen. Das hat nichts mit Jagd zu tun, sondern mit den Rahmenbedingungen eines harten Lebens in Armut und unter dem Kommunismus.

[...]"
Hinsichtlich der Reize einer sibirischen Jagd will ich nicht widersprechen. ;-) Doch bezüglich der Lebensumstände möchte ich es einmal so formulieren: Jagd und Angeln (letzteres ist Volkssport!) haben in Rußland und der früheren SU nach meiner Beobachtung häufig etwas mit der Sehnsucht nach einem einfachen, ursprünglichen Leben in freier Natur zu tun. Das spiegelt sich auch in der Jagdliteratur wider. Selbst Jäger, die gut betucht sind, lieben es, sich in Tarnanzug und Stiefel zu kleiden, durch die Wälder zu streifen und ihre Nahrung am offenen Feuer zuzubereiten. Und die Jagdhütte ist dementsprechend rustikal gehalten. Es ist natürlich nicht immer so, aber doch ziemlich oft. Insofern ist dies weniger eine Frage des Budgets, sondern eher eine der Kultur und des Lebensstils.

Hinzu kommt noch ein zweiter Aspekt, der gewiß zum Schmunzeln anregt, nämlich der Naturschutz. Es gab, schon vor Aufkommen der Grünen, in der SU agile Umweltschützer, die schon vor Jahrzehnten für die Einrichtung von Schutzgebieten gesorgt haben. Darin fand selbst die Forstwirtschaft teilweise nur mit Pferdefuhrwerken statt, obwohl im Land sicher keinen Mangel an Traktoren herrschte.
Anders war die Lage vermutlich hinsichtlich der selbstgefertigten Flintenlaufgeschosse. Wenn ein russischer Jäger dergleichen heute noch tun sollte, dann nicht, weil es keine fertigen Produkte zu kaufen gäbe. Das Angebot auf den Jagd- und Waffenmessen ist in Rußland fast ebenso groß wie hierzulande.

Es gäbe noch viel über die Jagd in Rußland und den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu schreiben. Die Lektüre der hier genannten Bücher kann für das Verstehen der dortigen Situation mit Sicherheit hilfreich sein.


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