Donnerstag, 30. September 2010
Anatolij Bogdanow (1931-2001)
Heute vor neun Jahren, am 30.09.2001, ist mit Anatolij Iwanowitsch Bogdanow einer der bekanntesten Sportschützen der ehemaligen Sowjetunion gestorben. Er war eine Legende maßgeblich am internationalen Aufstieg der Schützen seines Landes in den 1950er Jahren beteiligt. Während seiner aktiven Laufbahn hat er viel öffentliche Beachtung gefunden, was neben den sportlichen Erfolgen mit daran gelegen haben dürfte, daß seine Biographie nahezu perfekt in die Vorstellungswelt der damals herrschenden Kommunisten paßte. Vom Waisenkind zum Olympiasieger - ein sowjetisches Leben wie aus dem Bilderbuch.
Geboren wurde er (dessen Name bisweilen auch als Anatoly Bogdanov transkribiert wird) am 01.01.1931 in Leningrad, das heute wieder St. Petersburg heißt. Nebenbei: Viele der in den 1950er Jahren besonders erfolgreichen Schützen kamen von dort. Im Alter von drei Jahren verlor der kleine Anatolij seine Eltern und kam in ein Kinderheim. Dort erlebte er nach 1941 auch die Blockade der Stadt. Im Verlaufe des Krieges trat er als Schiffsjunge in die Baltische Flotte ein und spielte in deren Orchester Trompete. Später hat er auch auf Schiffen Dienst getan. (Motivation dürfte die bessere Verpflegung der Soldaten gewesen sein.) Mit Kriegsende kehrte Bogdanow nach Leningrad zurück, um seine Ausbildung in einer Handwerksfachschule fortzusetzen. Dort kam er auch erstmals mit dem Schießsport in Berührung. Dabei waren seine ersten Ergebnisse unterdurchschnittlich schlecht, doch gerade die anfänglichen Mißerfolge motivierten ihn zu einem intensiveren Training. Und er begann, diesen Sport zu lieben.
Von 1947 bis 1949 gehörte er zur Leningrader Schützenmannschaft der Arbeitsreserven, danach wechselte er im selben Verband nach Moskau. Dort trat er in das Technikum für Körperkultur ein, wo er jahrelang unter der Anleitung von Ilja Jochelson intensiv trainierte. Innerhalb der UdSSR ist Bogdanow ab 1949 bei Wettkämpfen hervorgetreten. International bekannt wurde er jedoch bei den Olympischen Sommerspielen 1952 in Helsinki. Es war die erste Olympiade, an der überhaupt eine Mannschaft aus der UdSSR teilnahm. Und ihr Debüt glich einem Paukenschlag. Allein in den Schießwettbewerben gab es vier sowjetische Medaillengewinner. Die einzige goldene errang Anatolij Bogdanow im Dreistellungskampf über 300 m. (Sein Kamerad Lew Weinstein, der eigentlich als Kurzwaffenschütze bekannt geworden ist, gewann in derselben Disziplin Bronze.)
Der Wettkampf in Helsinki wird in zeitgenössischen Quellen als äußerst spannend geschildert. Der Schweizer Schütze Robert Bürchler galt aus guten Gründen als Favorit. Jener soll etwas mitleidig auf den jungen Bogdanow geblickt haben, verbunden mit der Bemerkung, daß das Schießen ein Sport für Leute mittleren Alters sei, die nicht nur die Waffe beherrschen, sondern auch sich selbst. Doch Bogdanow bewies, daß man auch mit 21 Jahren Olympiasieger werden kann - mit einem neuen olympischen Rekord von 1123 Ringen. Verwendet hat er ein in Tula gefertigtes Sportgewehr MZ-13 (manchmal auch MC-13 genannt) im Kaliber 7,62 x 54 mm. Bürchler war Sportsmann genug, seinem Konkurrenten als erster zu gratulieren und sich mit der Silbermedaille zu bescheiden.
Auf den Weltmeisterschaften 1954 in Caracas gelang Bogdanow dann der wohl größte Triumph seiner Karriere: Er erschoß sich insgesamt sechs Weltmeistertitel mit dem GK- und KK-Gewehr, drei davon mit neuen Weltrekorden. 1956 gewann er in Melbourne eine weitere olympische Goldmedaille, diesmal im Dreistellungskampf mit dem Kleinkalibergewehr auf 50 m. Er war von seinem Trainer gebeten worden, sich auf diese Disziplin zu konzentrieren, weil es in der SU noch zu wenige Schützen dafür gab. Und er enttäuschte die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht. Bei diversen nationalen und internationalen Wettkämpfen Mitte der 50er Jahre konnte er weitere Titel erringen. Doch danach ließ seine Form ein wenig nach. An der 1958 in Moskau ausgetragenen Weltmeisterschaft konnte er deshalb nicht teilnehmen; er trug sich mit dem Gedanken, den Leistungssport aufzugeben.
Bereits seit 1951 gehörte Bogdanow der Sowjetarmee an, war 1954 Offizier geworden und startete dementsprechend für Armeemannschaften bzw. den Zentralen Armeesportklub (ZSKA). Nach seinem Abschied vom Leistungssport begann er ein Aufbaustudium an der Philosophischen Fakultät der Militärpolitischen Akademie in Moskau, welches er im Jahre 1963 abschloß. (Sein Erststudium hatte er in Jaroslawl an der dortigen Offiziershochschule für Finanzwesen absolviert.) Während dieser Zeit begeisterte er sich für das Bogenschießen und wurde auch in dieser Sportart Armeemeister. Später war er als Dozent an verschiedenen Offiziersschulen der Sowjetarmee tätig.
Über sein weiteres Leben ist kaum etwas bekannt. Der Zerfall der Sowjetunion und sein Abschied vom Militär müssen für ihn verheerend gewesen sein. Die letzten Jahre vor seinem Tod hat er dem Vernehmen nach als Nachtwächter in einer Provinzstadt gearbeitet. (Damit ist er wohl auch ein Opfer seiner Karriere geworden, die einseitig auf den Leistungssport und den Staatsdienst ausgerichtet war. Doch der Staat hatte nun keine Verwendung mehr für ihn. Ganz anders etwa seine Kameraden Machmud Umarow oder Jefim Chaidurow, die neben dem Sport immer auch in ihren Zivilberufen gearbeitet haben.)
Sein Grab befindet sich auf dem Moskauer Danilowskij-Friedhof.
Dennoch war Anatolij Bogdanow ein herausragender Schütze, dessen Bedeutung neben der rein sportlichen Seite auch eine symbolische hat, verkörperte er doch auf internationaler Ebene den Aufstieg der Sportnation Sowjetunion, als die sich das Land schon seit den 1930er Jahren sah. Und seine Erfolge - die für sich sprechen - wurden weltweit ausgewertet. Der starke Eindruck, den er hinterließ, ist noch in westdeutschen Publikationen der 60er Jahre zu spüren.
Bogdanow war auch publizistisch aktiv; einiges aus seiner Feder ist auch ins Deutsche übersetzt worden. Doch dazu übermorgen mehr.
Bibliographie:
Anatoli Bogdanow - Träger des Leninordens, in: Der Sportschütze 1957
H.M.: Reliquien sportlichen Ruhmes, in: Der Sportschütze 1955
Orushie
Shooting UA
Sportiwnyj nekropol
V. Viktorow: 120 Schuß, in: Der Sportschütze 1955
Wikipedia
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Fotos: Der Sportschütze, www.arms-magazin.ru, talks.guns.ru.
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