Dienstag, 25. Juni 2013

Ein Spionagefall als Rührstück und Lachnummer

Sheremetyevo airport,Terminal B
Der Flughafen Moskau-Scheremetjewo, in dessen Transitbereich Snowden sich im Augenblick aufhalten soll.

Der Fall des kürzlich desertierten NSA-Mitarbeiters Edward Snowden hat in den letzten Tagen unerwartet weite Kreise gezogen. Zunächst tauchte er in Hongkong auf, wo sich die Regierung der USA sofort an seine Fersen heftete und seine Auslieferung beantragte. Dann verließ er China, um über Moskau vermutlich nach Lateinamerika zu fliegen. Spätestens an dieser Stelle wird die Sache zur Lachnummer für Washington.  

Bereits der Auslieferungsantrag an China war absurd. Warum sollte der Staat, der für weite Teile der politischen Klasse in den USA der Hauptfeind ist (und gegen den entsprechend gearbeitet wird), seinen Gegnern am Ostufer des Pazifik den Gefallen tun und einen abgängigen Geheimdienstler zurückschicken? Welcher vernünftige Grund spräche dafür? Viel besser und logischer ist es doch, ihn selbst abzuschöpfen, verbunden mit der Zusage der Nichtauslieferung. Warum sollte sich die Regierung in Peking daran stören, daß amerikanische Staatsgeheimnisse öffentlich bekannt werden? In den USA nimmt man insofern doch auch keine Rücksicht auf andere Staaten.

In Washington hätte man nun zur Besinnung kommen und trotz allem Ärger die in solchen Fällen üblichen Maßnahmen ergreifen müssen: Schadensbegrenzung innerhalb der Geheimdienste, öffentliche Verdammung Snowdens, Propaganda gegen die Enthüllungspresse („Gefährdung der nationalen Sicherheit“) und Einleitung einer (verdeckten) Fahndung, um des Deserteurs vielleicht doch noch irgendwie habhaft zu werden. Stattdessen forderte die US-Regierung allen Ernstes auch von Russland, auf dessen Staatsgebiet Snowden mittlerweile eingetroffen war, dessen Auslieferung.

Als sie dies hörten, wussten viele Russen nicht, ob sie über den Witz herzhaft lachen oder sich über die Dummheit der Amerikaner wundern sollten. Als in den letzten Jahren mehrere rußländische Geheimdienstoffiziere unter Mitnahme von Geheimakten in die USA gegangen sind, hat Moskau sich darüber nur hinter vorgehaltener Hand empört. Von einer Auslieferung war gar keine Rede. Natürlich wurden die Verräter auch dort verdammt, aber man ist sich in Rußland darüber im Klaren, daß auch innerhalb der Nachrichtendienste mit Verrat gerechnet werden muß. Er gehört eben zum Geschäft – sehr unschön zwar, aber nicht ganz unnatürlich. Dumm gelaufen … Kein Geheimdienst dieser Welt kann es sich leisten, wertvolle Überläufer zurückzuschicken, allein schon, um zukünftig die eigene Position in der Branche des Nachrichtenhandels nicht zu verschlechtern.

Ganz anders das Verhalten in Washington. Dort erwartet man allen Ernstes, daß Rußland großzügig auf seine eigenen Sicherheitsinteressen verzichtet und Snowden nicht abschöpft, sondern ausliefert. Doch welcher Abwehrspezialist würde sich die einmalige Chance auf ein Gespräch mit solch einer Quelle entgehen lassen? Und warum sollte er auch? Umso mehr, als erst vor wenigen Wochen ein US-Spion in Moskau aufgeflogen war und des Landes verweisen wurde. Auf diesen Vorfall hatte die amerikanische Presse überaus hysterisch reagiert und der Regierung der RF vorgeworfen, sie leide unter paranoider Angst vor Spionen und würde ausländische Spionage erfinden, um ihr eigenes Volk einzulullen. Doch die causa Snowden liefert jetzt den Beweis, daß an den Befürchtungen der Abwehrdienste anderer Staaten hinsichtlich der von den USA betriebenen Aufklärung nicht paranoid sind und daß die Aktivitäten von Amerikanern und Briten eher unterschätzt wurden.

Theoretisch könnten die Russen natürlich dem amerikanischen Begehren nachkommen und Snowden ausliefern. Doch warum sollten sie das ihnen zufällig zuteil gewordene Geschenk verschmähen? Zumal die USA ihrerseits keinerlei Hemmungen haben, rußländische Deserteure bei sich aufzunehmen. Außerdem haben die Sicherheitsbehörden der Vereinigten Staaten ihre Partner in Rußland nach dem Terroranschlag in Boston schwer düpiert, als sie – trotz der konkreten und mehrfachen Hinweise auf die Brüder Zarnajew – schwere Vorwürfe gegen die rußländischen Behörden erhoben. Das Ziel dieses Manövers – Ablenken vom Versagen des FBI – war leicht zu durchschauen, doch in den amerikanischen Medien sind im Zweifelsfall immer die Russen die Bösen, weshalb man bereitwillig mitgemacht hat. Damals hat Moskau aus Höflichkeit erst spät auf die Anwürfe reagiert und eigene Informationen öffentlich gemacht, um die Regierung Obama nicht zu sehr zu düpieren. Doch die Ausweisung des spionierenden Diplomaten kurz darauf hat gezeigt, daß die russische Langmut nicht grenzenlos ist.

Die bloße Vernunft müßte der US-Regierung eigentlich eingeben, daß ihr Auslieferungsansinnen nicht nur absurd, sondern außerdem lächerlich ist. Doch scheinen manche Amerikaner dermaßen von sich eingenommen zu sein („god’s own country“), daß ihnen solche Gedanken nicht kommen. Sie sehen sich selbst als die gutmütigen Beherrscher der Welt, denen alle anderen Staaten zu Diensten zu sein haben. Wenn dem nicht so ist und eine andere Regierung ganz „störrisch“ ihre eigenen Interessen verfolgt, dann stellt sie sich gegen das Gute in der Welt. Sonach sind selbstverständlich auch die anderen Staaten an sämtlichen Konflikten und Problemen schuld. 

Ein neuerlicher Tiefpunkt im deutschen Staatsfernsehen war am gestrigen Abend erreicht, als die Tagesthemen diese seltsame Blickweise übernahmen und aus dem Fall Snowden ein Rührstück in den internationalen Beziehungen machten. Statt nüchtern die Person Snowdens, seine Flucht und die Interessenlage der wohl eher unfreiwillig involvierten Staaten zu analysieren, wird die Angelegenheit emotional aufgeladen. Für die drei ARD-„Journalistinnen“ Caren Miosga, Ina Ruck und Tina Hassel bewegt sich die internationale Politik auf derselben Ebene wie eine Herzschmerzserie im Vorabendprogramm.

Da wird wieder auf den ewigen Bösewicht Wladimir Putin geschimpft, der liebreich „die ausgestreckte Hand“ des guten Onkels Barack Obama immer so brüst zurückweisen würde. Daß Putin als Präsident – ebenso wie Obama – immer die (Sicherheits-)Interessen seines Staates im Auge hat (und haben muß!), wird wortlos übergangen. Auch die in den letzten zwei Jahren bekanntgewordenen Spionagefälle der Briten und Amerikaner in Rußland werden mit keiner Silbe erwähnt. Stattdessen wähnt die ARD schon wieder eine sinistre Verschwörung der Russen, mit dem Ziel, von ihren eigenen Menschenrechtsverletzungen abzulenken. Daß diese vermeintlichen Verletzungen auch in den Rechtssystemen der BRD und anderer „westlicher“ Staaten enthalten sind, interessiert die ARD wiederum nicht.

Heute hat der Sender mit einem Kommentar von Horst Kläuser noch einmal nachgelegt: Snowden lasse sich mit den Feinden der Freiheit ein und gefährde Bürgerrechtsgruppen. Wie heißt es so schön: Alle lieben den Verrat (auch die ARD, denn Snowdens Enthüllungen haben auch ihr viel Stoff geliefert), aber niemand liebt den Verräter. Außerdem respektiert Snowden nicht die ARD-interne Bösartigkeitsmatrix: Das, was sein Ex-Arbeitgeber tut, sei zwar schlimm, aber bei weitem nicht so schlimm wie die Verhältnisse in China oder Rußland. Deshalb müsse gegen diese Staaten auch mit geheimdienstlichen Mitteln gekämpft werden, um den Mächten des Guten zum Sieg zu verhelfen. Kalter Krieg 2.0.