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Mittwoch, 24. April 2013

Der Amoklauf von Belgorod


Vor zwei Tagen kam es in der rußländischen 350.000-Einwohner-Stadt Belgorod zu einem Amoklauf (hier trifft dieser breitgetretene Begriff wohl wirklich zu), der auch in den deutschen Medien eine gewisse Beachtung gefunden hat. Allerdings wurde er - wie üblich - nur in dem Kontext Waffenrecht gesehen, während die eigentliche tat und ihre Hintergründe im Dunkeln blieben. So war das MDR-Fernsehen am Montagabend ganz erstaunt darüber, daß es auch in Rußland, wo das Waffenrecht restriktiver als in den USA ist, zu einer derartigen Gewaltstraftat kommen konnte. Als würde es auf das Tatmittel ankommen. Da der Täter jedoch nicht legal im Besitz seiner Tatwerkzeuge war, werden die hiesigen Hauptstrommedien wohl kaum weiter darüber berichten. Die Ereignisse von Belgorod eignen sich eben nicht als Futter für den Kampf der deutschen Medien gegen den legalen privaten Waffenbesitz in aller Welt.

Die Tat

Am Vormittag des 22. April hat der Täter den Tresor seines Vaters mit Gewalt aufgebrochen, um ein darin befindliches Jagdgewehr zu entwenden, das dem Vater legal gehörte. Daraufhin stahl der Täter auch das väterliche Auto, einen BMW, und fuhr in die Innenstadt zu einem Jagdgeschäft. Gegen 14 Uhr betrat er dieses, erschoß zwei Verkäufer und einen Kunden, und stahl zwei weitere Gewehre sowie Munition. Nach dem Verlassen des Ladens eröffnete er das Feuer auf Passanten, wobei drei weitere Menschen getötet wurden, darunter zwei Schülerinnen. Dann floh er mit dem bereitgestellten Fahrzeug.

Der Täter

Name: Sergej Pomasun. Alter: 31 Jahre. Er hat schon eine längere Karriere als Krimineller hinter sich. Im Jahre 2003 wurde er erstmals wegen einem Autodiebstahl zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. 2005 folgte die zweite Verurteilung wegen Autoklau, diesmal zu vier Jahren Haft. Kaum war er vorzeitig entlassen worden, stahl Pomasun wieder Kraftfahrzeuge und wurde 2008 erneut zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, die er dann auch absitzen mußte. Nach seiner Haftentlassung im vergangenen Jahr fiel Pomasun mit Gewalttätigkeiten innerhalb der Familie auf. Seine Eltern haben mehrmals die Polizei gerufen, weil er sie angegriffen hat. Seit Monaten bestehen Zweifel an der psychischen Gesundheit Pomasuns.

Allerdings ist nicht ersichtlich, weshalb Pomasun auf die schiefe Bahn geraten ist. Er stammt nach den bisher vorliegenden Informationen aus einem soliden Elternhaus, in dem sicher keine Armut herrscht. Die Mutter arbeitet als Verwaltungsbeamtin in der Bildungsbehörde von Belgorod, der Vater ist Geschäftsmann. Der Vater ist nicht nur selbst ein begeisterter Jäger, sondern ihm gehört auch das Jagdgeschäft, das sein Sohn am Montag überfallen hat. Berichten zufolge soll Pomasun junior einige Zeit vorher in dem Laden erschienen sein, um die Herausgabe von Waffen und Munition zu verlangen. Als die Angestellten seines Vaters dieser Forderung nicht nachkamen, soll er gedroht haben, wiederzukommen, um sie alle zu töten.


Flucht, Fahndung und Festnahme

Die Fahndung nach dem flüchtigen Amokläufer hat zu einer der größten Polizeioperationen in der jüngeren Geschichte Rußlands geführt. Insgesamt waren über 2.000 Polizisten in Belgorod und benachbarten Regionen direkt an der Suche nach Pomasun beteiligt, zur Unterstützung wurden auch Spezialkräfte des Innenministeriums aus Moskau sowie Polizisten aus anderen Regionen herangeführt. (Die Beamten, die den Täter schließlich festnahmen, kamen aus Kursk.)

Der föderale Innenminister Wladimir Kolokolzew leitete die Operation persönlich. Es war eine Belohnung in Höhe vom umgerechnet 100.000 USD ausgesetzt wurden. Außerdem hatten die Behörden die Bevölkerung aufgefordert, möglichst ihre Wohnhäuser nicht zu verlassen. Auf Ausfallstraßen wurden Straßensperren errichtet und jedes Auto kontrolliert. Da sich Belgorod nahe der ukrainischen Grenze befindet und man eine Flucht Pomasuns ins Ausland befürchtete, wurden auch der rußländische Grenzschutz und die ukrainischen Sicherheitsbehörden eingeschaltet.

Doch in der vergangenen Nacht konnte der Täter gegen 23.00 Uhr im Stadtgebiet von Belgorod ergriffen werden. Eine Streife der Transportpolizei hatte auf dem Güterbahnhof einen verdächtigen Mann festgestellt, auf den die Beschreibung des Flüchtigen zutraf. Bei der Personenkontrolle gab Pomasun einen anderen Namen an und behauptete, keine Papiere mit sich zu führen. Als die Polizisten ihn vorläufig festnehmen wollten, widersetzte er sich dieser Maßnahme, zog ein Messer und stach mehrfach auf einen Beamten ein. Dieser mußte noch in der Nacht notoperiert werden. Doch seine Kollegen konnten Pomasun überwältigen und unverletzt festnehmen.

Nach der Festnahme

Bei ersten Befragungen gab Pomasun an, er habe sich in der Zeit vor seiner Festnahme in einem Sumpfgebiet (ein solches befindet sich in der Nähe des Güterbahnhofs) versteckt gehalten. Außerdem habe er am Montag auf der Straße nicht etwa auf Kinder, sondern "in die Hölle geschossen". Diese Aussage nährt Zweifel an seiner geistigen Gesundheit, weshalb er jetzt von Pychiatern untersucht wird. Pomasun wird sich, wenn es zu einer Anklage kommen sollte, vor Gericht u.a. wegen sechsfachen Mordes, Diebstahls von Waffen und Angriffs auf einen Vollzugsbeamten verantworten müssen. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe.

Drei Lehren aus den jüngsten Ereignissen von Belgorod

1. Einer Person, die eine Gewaltstraftat plant, wird es immer möglich sein, sich in den Besitz von Tatmitteln (Waffen und Munition) zu bringen. Da kann der Tresor noch so dick sein, zur Not wird eben einem Polizisten die Pistole aus dem Holster entwendet oder, wie in Belgorod, ein Dreifachmord begangen, um sich in den Besitz von Schußwaffen zu bringen. Deshalb sind alle Ansätze, die sich auf die Tatmittel konzentrieren, zum Scheitern verurteilt. Die Forderungen nach noch schärferen Waffengesetzen, die hierzulande regelmäßig vorgetragen werden, sind bestenfalls Placebos. Wer solchen Taten begegnen will, muß am Täter ansetzen, nicht an den zur Tatausführung benutzten Hilfsmitteln.

2. Die Polizeioperation hat gezeigt, daß die rußländische Polizei doch nicht so verrottet ist, wie ihre Kritiker gerne behaupten. Offensichtlich hat die überörtliche und überregionale Zusammenarbeit gut funktioniert und die eingesetzten Beamten haben sich professionell verhalten. Es kam zu keinen wilden Schießereien mit dem Flüchtigen und er konnte schließlich unverletzt in Gewahrsam genommen werden. Das alles ist in Anbetracht der Skandale, die während der letzten Jahre einige Polizeibehörden in Rußland erschüttert haben, eine gute Nachricht. Offenbar zeigt die ins Stocken geratene Polizeireform jetzt doch positive Ergebnisse.  

3. Es muß endlich auch in Deutschland eine ernsthafte Diskussion über die negative Rolle der Medien bei solchen Massenmorden geführt werden. In Rußland wurde sie von Wladimir Shirinowskij begonnen:
"[...]

Massenmorde werden nach seiner Ansicht immer weiter verübt werden, solange die Massenmedien detailliert darüber berichten. 
„Wir werden diese Art von Verbrechen niemals aufhalten könnten, weil es diese krankhafte Geltungssucht gibt – so aus dem Leben gehen, dass man wenigstens eine Woche lang über dich spricht, oder zwei oder drei“, sagte der Chef der Liberaldemokratischen Partei Russlands (LDPR) am Dienstag vor Journalisten. „Hier haben Sie Boston, hier haben Sie Belgorod.“

Er habe „schon immer gesagt, Schluss mit der Information“. Mit der Auflage der Zeitungen würden auch die Massenmorde vervielfältigt, so der Populist. „Sie schauen, dass die ganze Welt in Aufruhr ist und sie wollen bei diesem Prozess dabeisein“, führte Schirinowski aus.
Je mehr Information über blutige Verbrechen in allen Details an die Öffentlichkeit gelange, desto mehr derartige Fälle treten auf, so der LDPR-Chef.

[...]"
Der Einfluß, den die umfangreiche und detaillierte Berichterstattung über solche Taten auf - meist psychisch instabile - Nachahmungstäter hat, ist hinreichend bekannt. Wer es sonst im Leben zu nichts gebracht hat, bekommt wenigsten so noch ein paar Tage Ruhm. Aber die selbsternannte "vierte Gewalt" will sich bis jetzt auf keine Einschränkungen ihrer Macht, neue Amokläufe und damit neue dramatische Berichterstattung zu produzieren, einlassen.  


Quellen:
Вооружен и очень опасен
«Я стрелял в ад»
„Schütze von Belgorod“ festgenommen
„Massenmedien mehren Massenmorde“: Schirinowski für Pressesperre bei Amokläufen und Anschlägen

Fotos: MK.ru, Vesti.ru.

Mittwoch, 29. Februar 2012

Informationskrieg um Syrien



Ein schönes Beispiel für den mit allerlei Lügen und Halbwahrheiten gespickten Informationskrieg, der derzeit um Syrien tobt, kommt diesmal vom französischen TV-Sender France 24. In einem Bericht vom 27. Februar wird ein Video (s.o.) gezeigt, das wie folgt kommentiert wird:
"[...]

Other pieces of amateur video footage have also been posted online in recent months, showing what appear to be Russian-made armoured vehicles in action across Syria, tanks like this one for example, which is carrying surface to air missiles and opening fire in residential neighbourhoods in the Damascus suburbs of Douma. Despite growing international outcry, last year Russia boosted its arm sales to Syria.

[...]"
Dieser Bericht steckt voller Ungereimtheiten. Zunächst dürfte auch dem oberflächlichsten Betrachter auffallen, daß das dort gezeigte Fahrzeug gerade keine Fla-Raketen trägt (Lüge Nr. 1) und auch kein Kampfpanzer ("tank") ist. Vielmehr handelt es sich um eine 23-mm-Vierlingsflak, die auf einem Kettenfahrzeug montiert ist. Das gesamte Waffensystem heißt ZSU-23-4 "Schilka" und wurde ab Mitte der 1960er Jahre in der Sowjetunion produziert. Wie man mit einer derart alten Waffe die "Verdammung" der Rußländischen Föderation begründen will, bleibt das Geheimnis der französischen Journalisten.

Zweitens stellt sich die Frage nach den Umständen, unter denen das "Amateur"-Video entstanden ist. Erstens: Woher weiß man, daß das Fahrzeug tatsächlich von den syrischen Regierungstruppen und nicht von den Aufständischen der "Free Syrian Army" betrieben wird? Zweitens: Woher weiß man, daß das Video tatsächlich in einem Wohngebiet nahe Damaskus aufgenommen worden ist? Drittens: Wer sind die Urheber? Der Youtube-Poster nennt sich "DoumaCommandos", was nicht unbedingt nach einer friedlichen NGO klingt. Und die ständigen "AAlahuakbar"-Rufe sollten schon zu denken geben ...
Doch auf diese Fragen erhält man keine Antwort. Statt dessen - wie auch im deutschen Fernsehen - die übliche einseitige Anti-Assad-Propaganda, die schon lange an die Stelle echter Berichterstattung getreten ist, im vorliegenden Fall ergänzt um antirussische Ausbrüche, weil das Land sich weigert, die im "Westen" übliche Verengung von Gesichtsfeld und Gehirn mitzutragen.

Diesen "engagierten Journalismus" und die von ihm ausgehenden Gefahren einer Kreuzfahrermentalität hat Mick Hume dieser Tage sehr anschaulich beschrieben:
"[...]

This is an example of how the debate about Syria in the West is being shaped more by emotional reactions than by rational analysis. As Brendan O’Neill has noted on spiked, when it comes to Syria Western governments have largely abandoned proper geopolitics in favour of striking moralistic postures [...]. Meanwhile, the Western media focuses on the bloodshed caused by Assad’s crackdown on rebels in a city such as Homs, and repeats the familiar indignant cry that ‘something must be done’. The difficult question of what exactly that ‘something’ might be, and the more difficult question of what effect any increased intervention will have on the civil war, are shouted down in the emotional clamour for more action.

I did not know Marie Colvin. But to judge by her writing, it seems likely that, while the reporter may not have been comfortable with finding herself at the centre of the story, she would have approved of the way that the recent bloodshed in Homs is being used to demand further intervention. Writing for The Sunday Times (London) and sometimes broadcasting for the BBC, Marie Colvin was to the fore in a new school of war reporting that has developed in recent years, notably in the UK media. It is a fashionable current of war reporting with which some of us at spiked have often clashed.

Sometimes referred to by Americans as ‘I-was-there’ reporting, this school of journalism emphasises the role of the reporter as eyewitness to the horrors of war. It focuses less on the political causes and military strategies of war, and more on the human cost of conflict in terms of civilian suffering. Marie Colvin was a pioneer of this type of war reporting. As she explained in November 2010, speaking at a service to commemorate war reporters who had died in the previous decade, while the ‘sanitised’ language with which governments justify wars might change, ‘the scene on the ground has remained remarkably the same for hundreds of years. Craters. Burned houses. Mutilated bodies. Women weeping for children and husbands. Men for their wives, mothers [for their] children. Our mission is to report these horrors of war with accuracy and without prejudice.’

Focusing on mutilated bodies and weeping women and men, this school of war reporting tends to cast conflicts in simple moral terms of victims and aggressors. It uses undoubtedly emotive images and reports to demand that something must be done, that the international community – meaning the West – must intervene in conflicts around the world. The journalists involved can sound less like objective reporters than crusaders on a personal mission.

Colvin was praised as ‘a crusader’ by her editor. In her last despatches from Homs before her death, she called desperately for more intervention to defend the civilian population: ‘In Baba Amr. Sickening, cannot understand how the world can stand by. Watched a baby die today. Shrapnel, doctors could do nothing. His little tummy just heaved and heaved until he stopped. Feeling helpless.’ Those of us who try to argue that more Western intervention can only exacerbate the crisis in Syria are confronted with the counter-argument of dead babies.

The debate about this current in war reporting really took off in the 1990s around the wars in Bosnia and elsewhere in the Former Yugoslavia. Martin Bell of the BBC argued that Bosnia had shown the need for a new ‘journalism of attachment’, a sort of war reporting ‘that cares as well as knows’. During the Balkan conflicts, leading Western correspondents became ‘laptop bombardiers’, leading calls for more military intervention against the Serbs.

A few years ago this sort of reporting was still being seriously questioned by more old-school writers and editors, notably in the US media. For example, in an April 2000 article about Marie Colvin published in the American Journalism Review, a foreign editor from the New York Times spoke about the importance of ‘keeping emotions and judgements in check’ among his reporters: ‘We are not referees in the conflicts of the world… Advocacy journalism, in our eyes, is always suspect.’

Today, however, it seems that, while almost nobody would endorse the phrase ‘journalism of attachment’, that approach to war reporting has triumphed over the traditionalists. Bell himself wrote last week that ‘the targeted killing’ of Marie Colvin confirmed that ‘bystander journalism is now a thing of the past. Journalists are not the main players but are important in any conflict.’ He argued that ‘the more we see and read about innocent civilians being caught in the crossfire, the harder it is for [Western] governments to remain inactive and indifferent’. Bell was clear that it was the reporters who transmitted ‘a sense of imminent catastrophe’ in Libya last year who had paved the way for the Anglo-French aerial war of intervention there. Now other reporters are taking up Colvin’s cause and demanding more intervention in Syria.

Some of us have taken issue with these developments in war reporting from the start. In 1997 I wrote a pamphlet entitled Whose War Is It Anyway? The Dangers of the Journalism of Attachment. There is no space here to rehearse all the arguments about objectivity and emotionalism. But one point worth repeating concerns the danger of reducing complex conflicts to simple moral issues, by focusing on the suffering of civilians removed from any wider political context. As Marie Colvin said, the tales of carnage and suffering ‘on the ground’ do not change much from one war to the next. But what can that tell us about the specific causes and consequences of that conflict, or what the solution might be? It can only end in another demand for something-must-be-done intervention. The hard truth is that, from Bosnia onwards, Western intervention has been a disaster for those on the receiving end. Yet it is still offered as the only solution for those facing repression at the hands of despotic regimes in Libya and now Syria.

There is an irony in the way that some reporters who insist the news should focus on civilian suffering often seem to find themselves at the centre of the story. As one injured French journalist in Homs told the world last week, ‘I need a ceasefire’. It seems that the question ‘whose war is it anyway?’ is still worth asking. Discussing the inherent dangers of the I-was-there school in that AJR article from 2000, Marie Colvin noted that ‘it is easy to go over the top’. Some younger reporters might do well to heed her advice.

Since her tragic death, Marie Colvin has been widely praised as an example of the public good that journalists can do, a world removed from the allegations of sleaze and crime around the phone-hacking scandal and the Leveson Inquiry. Those like Colvin who fearlessly report what they witness are indeed crucial to making the news and informing the world. When reporters become crusaders, however, it is not good news for journalism or for political debate.

[...]"

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Samstag, 18. Februar 2012

Neue Kalaschnikows: AK-12

Izhmash hat kürzlich eine neue Version des Sturmgewehrs Kalaschnikow der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Waffe läuft unter dem Kürzel AK-12 und verfügt über alle Attribute einer modernen Waffe. Ausführlicher wird die AK-12 im folgenden Video behandelt:




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Dienstag, 14. Juni 2011

Fjodor W. Tokarew (1871-1968)

Heute vor 140 Jahren, am 14. Juni 1871, wurde der spätere russische Waffenkonstrukteur Fjodor Wassiljewitsch Tokarew geboren. Er kam in einer armen Kosaken-Familie, die in der Staniza Jegorlykskaja (bei Rostow am Don) lebte, zur Welt. Seit seinem elften Lebensjahr arbeitete er bei Dorfhandwerkern. 1885 trat er in eine Berufsschule für Metallverarbeitung ein und kam erstmals mit dem Bau von Schußwaffen in Berührung. 1888 wurde er - wie bei den Kosaken üblich - Soldat und besuchte eine Unteroffiziersschule in Nowotscherkassk, wo er zum Waffenmeister ausgebildet wurde. Ab 1892 diente er als Waffenmeister im 12. Donkosaken-Regiment.

Von 1896 bis 1900 studierte Tokarew an der Militärtechnischen Schule in Nowotscherkassk und verließ diese als Offizier. Danach kehrte er als leitender Waffenmeister ins 12. Regiment zurück. 1907 wurde er an die Offiziersschießschule in Oranienbaum (bei St. Petersburg) kommandiert. Diese Schule war, zusammen mit den am selben Ort vorhandenen Waffenschule und Schießplätzen, eines der Zentren des Waffenbaus im Zarenreich. Bekannte Konstrukteure von Handfeuerwaffen wie Fjodorow oder Degtjarjow wirkten in Oranienbaum.


Fjodor Wassiljewitsch in seiner Werkstatt.


An diesem Ort begann Fjodor Wassiljewitsch seine Entwicklungsarbeit. 1910 legte er einen ersten Prototypen für die Konversion des Mosin-Nagant-Repetiergewehrs in einen Halbautomaten vor. Die Arbeiten an diesem Projekt gingen bis zum Kriegsausbruch 1914 weiter. Während des 1. WK war Tokarew in der Waffenfabrik von Sestrorezk tätig, zuletzt als als Technischer Direktor. 1919, nach der Oktoberrevolution, wurde er als "Militärspezialist" in die Waffenfabrik nach Ishewsk geschickt; 1921 wechselte er nach Tula. Damit hat Tokarew in fast allen russischen Waffenfabriken seiner Zeit gearbeitet.

Von 1921 bis 1925 arbeitete er an einer Modernisierung des schwerem Maschinengewehrs Maxim, dem "Maxim-Tokarew Modell 1925". Zwei Jahre danach legte er den Prototypen einer "Maschinenpistole Tokarev Modell 1927" vor. Diese vollautomatische Waffe verschoß die vom Nagant-Revolver her bekannte Patrone 7,62 x 38 mm.



Ab 1930 beteiligte er sich am Wettbewerb für eine neue sowjetische Armeepistole. Sein Entwurf mit einem modifizierten Browningverschluß wurde als "Tula-Tokarew Modell 1930" bezeichnet und ging als Sieger aus dem Wettbewerb hervor. 1933/34 wurde die TT-30 weiterentwickelt und schließlich unter dem Namen TT-33 (Tula-Tokarew Modell 1933) als offiziell als neue Seitenwaffe in die sowjetischen Streitkräfte eingeführt. Dort löste sie den Nagant-Revolver M 1895 ab. Bis zum 22. Juni 1941 wurden in Tula rund 600.00 Tokarew-Pistolen produziert. Insgesamt werden es wohl über 1,7 Mio. Stück gewesen sein.
Die TT-33 wurde eine der erfolgreichsten Kurzwaffen des 20. Jahrhunderts, nicht nur wegen ihrer Beteiligung am Zweiten Weltkrieg. Neben der Sowjetunion wurde sie in Polen, Ungarn, Rumänien, China, Jugoslawien und Nordkorea hergestellt; Dutzende von Staaten haben bzw. hatten sie eingeführt. Noch heute bietet Izhmekh in Rußland Schreckschuß- und CO2-Varianten an, was für die Popularität der Waffe spricht.


Eines der bekanntesten sowjetischen Propagandabilder aus dem 2. WK:
Ein Offizier führt den Sturmangriff seiner Einheit an und hält dabei eine TT-33 in der rechten Hand.


Seit Beginn der 30er Jahre arbeite Fjodor Tokarew wieder an Entwürfen für ein Selbstladegewehr. 1933 stellte er einen neuen Prototypen vor. Nach weiteren Arbeiten wurde es 1938 unter dem Namen "Selbstladegewehr Tokarew Modell 1938" (SWT-38) in die Rote Armee eingeführt. Wegen geringfügiger Änderungen erhielt es zwei Jahre später die Bezeichnung "SWT-40".
Dieses Gewehr entwickelte sich zum Markenzeichen der sowjetischen Marineinfanterie; eine größere Anzahl wurde auch als Scharfschützengewehr eingerichtet. Taktisch gesehen sollte das SWT-38/40 in der Infanterie die Maschinenpistolen ergänzen und die Repetiergewehre ablösen - so wie auch das Garand und das Gewehr 41. Die Beliebtheit des SWT-38/40 unter den sowjetischen Soldaten hielt sich in Grenzen, bei den deutschen war es jedoch gefürchtet.
Obwohl über 1,6 Mio. Exemplare produziert worden waren, verschwand das SWT-40 kurz nach Ende des 2. WK aus dem Bestand der aktiven Truppe. Es wurde zunächst vom SKS und dann vom AK-47 abgelöst. Seiner Pistole war hingegen eine weitaus längere Dienstzeit beschieden. Auf Basis des SWT-40 wurde übrigens auch ein Vollautomat entwickelt, der sich jedoch nicht bewährte.



Zwischenzeitlich war Fjodor Tokarew, der mit seinen Waffenentwicklungen entscheidend dazu beigetragen hatte, daß sein Heimatland den Zweiten Weltkrieg überleben konnte, der Doktortitel verliehen worden (1941). Bereits 1933 wurde er als Held der Arbeit und 1940 als Held der sozialistischen Arbeit geehrt.

Nach Kriegsende arbeite Tokarew, der das Renteneintrittsalter schon lange überschritten hatte, weiter in der Waffenbranche. Er wirkte u.a. an den Tests für neue sowjetische Pistolen mit und schrieb Aufsätze. 1948 brach er kurzzeitig aus den angestammten Geleisen aus und entwickelte die Fotoapparate FT-1 und FT-2, deren Fertigung in Krasnogorsk bis 1965 lief. Der Konstrukteur blieb bis ins hohe Alter aktiv. Am 7. Juni 1968, im gesegneten Alter von 97 Jahren, ist Fjodor Wassiljewitsch Tokarew verstorben. Sein Grab befindet sich in Tula. Dort und in St. Petersburg tragen Straßen seinen Namen.
(Mehr über ihn ist hier zu finden.)


Die tschechoslowakische Scharfschützin Marie Ljalková mit einem SWT-40 während des 2. WK.


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Fotos: Wikipedia, www.tokarev.com.

Dienstag, 1. März 2011

"Russland investiert Rekordsumme in neue Waffen und High-Tech-Armee"


In der vergangenen Woche hat der stellvertretende Verteidigungsminister der Rußländischen Föderation eine Pressekonferenz abgehalten, auf der er Eckdaten des staatlichen Rüstungsprogramms bis zum Jahr 2020 bekanntgegeben hat. Die angekündigten umfangreichen Beschaffungen von Militärmaterial sehe ich jedoch mit einiger Skepsis. Nicht, daß die russischen Streitkräfte keinen Bedarf für eine solche Modernisierung hätten. Im Gegenteil, von wenigen punktuellen Ausnahmen abgesehen befinden sie sich heute auf dem technischen Stand der 1970er und 80er Jahre. Ein drastisches Beispiel hierfür ist die Schwarzmeerflotte, deren Kampfschiffsbestand in den nächsten zehn Jahren fast vollständig außer Dienst gestellt werden muß. Der Bedarf für neue Systeme ist somit enorm, auch wenn die Armeestärke in den letzten Jahren deutlich gesunken ist.

Es bleiben jedoch Zweifel an der Umsetzung eines derart ehrgeizigen Programms. Selbst wenn die Finanzierung gesichert wäre, ist es fraglich, ob die zum Teil nur noch aus Rudimenten bestehende Rüstungsindustrie in kurzer Zeit zur geforderten Hochform auflaufen kann. Auf welchen Werften sollen etwa in neun Jahren die angekündigten 100 Marineschiffe gebaut werden? M.W. sind entsprechende Schiffbaukapazitäten derzeit nicht vorhanden. Papier ist bekanntlich geduldig (in Deutschland ebenso wie in Rußland) und man wird wohl noch bis etwa 2015 warten müssen, um die Ankündigungen endgültig zu beurteilen.

Zur Information wird nachfolgend ein Kommentar von RIA Nowosti wiedergegeben:
"[...]

Russlands Verteidigungsministerium hat am Donnerstag Einzelheiten zum „Rüstungsprogramm 2020“ bekannt gegeben.
Bis 2020 sollen 100 Schiffe (darunter 20 U-Boote), 600 Flugzeuge und 1000 Hubschrauber angeschafft werden.

Zudem befindet sich zurzeit ein neuer Langstreckenbomber und eine hochintelligente schwere ballistische Rakete in der Entwicklung. Auch die Soldaten kommen nicht zu kurz. Laut Vizeverteidigungsminister Wladimir Popowkin wird gerade über den Erwerb einer kleinen Partie von modernen Felin-Kampfanzügen verhandelt (Ausrüstung für den „Soldaten der Zukunft“: Waffen, Munition, schusssichere Weste, Schutzhelm mit zwei Displays und einem Mikrofon, Kommunikationsmittel und anderes High-Tech). Russland will bei den Franzosen nur einige Kampfanzug-Partien kaufen. Bis 2020 will Russland eine eigene Soldatenausrüstung entwickeln.

Staatsprogramm 2020

Wie Popowkin auf einer Pressekonferenz in Moskau verkündete, sind zehn Prozent der für das Rüstungsprogramm bereitgestellten Summe (insgesamt über 19 Billionen Rubel, 1 Euro = ca. 40 Rubel) für Forschungen und die Entwicklung neuer Waffen bestimmt.

Den größten Ausgabeposten macht der Kauf neuer Waffen aus. Für dieses Ziel werden zwischen 78 bis 80 Prozent der vorgesehenen Finanzmittel ausgegeben. Russland hat in der Vergangenheit noch niemals so viel Geld für Aufrüstung ausgegeben. Als der russische Premier Wladimir Putin im Dezember des Vorjahres die Zahlen des Programms nannte, gab er zu: „Ich habe Angst davor, diese Zahl laut zu sagen.“

Den Streitkräften wird ebenfalls viel Geld zugeteilt. Laut Popowkin werden 100 Schiffe, darunter 20 U-Boote, 35 Korvetten und 15 Fregatten gekauft. Zudem sollen bis 2020 über 600 Flugzeuge und 1000 Hubschrauber erworben werden. Bereits in diesem Jahr werden mehr als 100 Hubschrauber gekauft. Dazu gehören die neusten russischen Hubschrauber Mi-28, Mi-26, Ka-52 u.a.

Wie Popowkin betonte, werden bis zu zehn Flugabwehrkomplexe S-500 gekauft. Vorher hatte die russische Armee zwar bereits bekannt gegeben, dass neue Flugabwehrraketen in den nächsten zehn Jahren gekauft werden müssen, genauere Zahlen wurden jedoch nicht genannt.

„Ab 2015 sollen die Tests dieses Komplexes beginnen. Zu Beginn basieren die Raketen auf dem S-400-Komplex“, sagte Popowkin. Die Raketensysteme S-500 sollen die Grundlage der sich gerade entwickelnden Luft- und
Weltraumverteidigung Russlands bilden.

Das russische Verteidigungsministerium will außerdem 56 Flugabwehrsysteme S-400 anschaffen. Ein Regiment ist bereits in Elektrostal bei Moskau stationiert. Ein weiteres Regiment soll im März in Dmitrow aufgestellt werden. Danach sollen S-400-Raketen im Fernen Osten installiert werden.

Strategische Kräfte

Popowkin zufolge hat die Entwicklung der strategischen Atomkräfte Priorität im Rüstungsprogramm. Bis 2020 würden acht strategische Atom-U-Boote gebaut, die mit den ballistischen Interkontinentalraketen „Bulawa“ ausgerüstet werden müssten, so Popowkin.

Die sich derzeit in der Testphase befindlichen „Bulawa“-Raketen sollen in diesem Jahr in Dienst gestellt werden. „Sie sollen zusammen mit dem Borej-U-Boot (neues strategisches Atom-U-Boot) in Dienst genommen werden“, sagte Popowkin. Zwei Borej-U-Boote seien bereits einsatzbereit, es gebe jedoch keine Rakete (“Bulawa“).

Sieben der bislang 14 Teststarts der Bulawa-Rakete sind fehlgeschlagen. In diesem Jahr sollen weitere vier oder fünf Teststarts stattfinden. Die Starts scheiterten vor allem deshalb, weil sich der Raketenbauer nicht an die Konstruktionsdokumente gehalten hatte.

Ein weiteres Projekt ist die Entwicklung neuer Langstreckenbomber. Gegen 2015 soll ein technisches Projekt fertig gestellt werden. „Wir forcieren nicht die Entwicklung eines neuen Komplexes der Langstrecken-Fliegerkräfte (strategische Bomber). Gegen 2015 sollen die Langstrecken-Fliegerkräfte ein neues Gesicht bekommen“, so Popowkin.

Russland will zudem hochintelligente schwere ballistische Rakete bauen. Im Unterschied zu den neuen Topol-Feststoffraketen hat eine schwere Rakete mehr Gefechtsköpfe und eine längere Betriebsdauer (35 statt 20 Jahre)

Ausrüstung für „Soldaten der Zukunft“

Bis 2020 will Russland ein Analogon für die Ausrüstung des „Soldaten der Zukunft“ entwickeln.

Diese Ausrüstung müsse mit der aus den USA, Deutschland und anderen Ländern mithalten können, so Popowkin. Russland verhandelt zurzeit mit Frankreich über den Erwerb französischer Felin-Kampfanzüge.

Wie ein Vertreter des französischen Rüstungskonzerns Sagem Defense Securité (SAFRAN Gruppe) betonte, ist der Preis für die Felin-Ausrüstung deutlich niedriger als bei anderen ausländischen Herstellern. Ein deutscher oder US-Kampfanzug samt Ausrüstung schlägt mit 50.000 bis 60.000 Euro zu Buche.

Laut dem Vertreter von Sagem Defense Securité hat das Unternehmen einen Auftrag für 22.600 Kampfmonturen erhalten. Gegen 2014/2015 werden alle 22 französischen Infanteriebataillons mit den Felin-Anzügen ausgerüstet.

Um die Sicherheit der Soldaten gewährleisten zu können, will Russland die Produktion von Panzerfahrzeugen aufnehmen. Mit dem Unternehmen Iveco wurde bereits ein Abkommen über die Produktion der italienischen Panzerwagen in Russland geschlossen. „Das ist der sicherste Wagen der Welt. Das haben die Ereignisse im Irak bewiesen“, so Popowkin."

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Foto: RIA Nowosti.

Sonntag, 13. Februar 2011

Raketen über See

Vorab: Ich interessiere mich nicht besonders für militärisches Großgerät wie Panzer, Schiffe oder Flugzeuge. Doch das heute anzuzeigende Buch geht weit über rein technische Fragen hinaus: "Raketen über See - Die taktische Seezielrakete P-15 (Styx) im Kalten und heißen Krieg" von Holger Neidel und Egbert Lemcke ist im Jahre 2008 erschienen. Wie schon mit dem vom selben Verlag herausgebrachten Buch von Frank Preiß werden dem Leser, welcher der russischen Sprache nicht oder nur bedingt mächtig ist, erstmals in seriöser und kompetenter Weise Informationen über das Militär der heutigen Rußländischen Föderation sowie der früheren Sowjetunion präsentiert. Hier geht es zuvörderst um die in den 1950er Jahren entwickelte Seezielrakete P-15 (NATO: Styx) und ihre diversen Abarten und Nachfolgemodelle, wobei die behandelte Zeitspanne von den 1950er Jahren bis 2007 reicht. Schiffsgestützte Flugkörper, die erstmals von der UdSSR gebaut und eingesetzt wurden, waren eine kleine Revolution des Marinewesens.

Dabei werden nicht nur die technischen Entwicklungen detailliert nachvollzogen, die Autoren stellen sie auch in den notwendigen sicherheitspolitischen Kontext: Welchen Sinn ergeben see- und landgestützte Seezielraketen? Sie ermöglichen auch einem vergleichsweise schwachen Staat die kostengünstige Abwehr überlegener Marinekräfte des potentiellen Gegners. Die beiden Autoren vertiefen diese und ähnliche Fragen mehrfach, wenn sie nicht nur Fallbeispiele aus der Sowjetunion selbst, sondern auch aus den Staaten analysieren, die von der SU oder China mit diesen Waffensystemen beliefert worden sind (z.B. DDR, Indien). Neben der Vorstellung der verschiedenen Raketen werden auch ihre Trägerplattformen, insbesondere die damals neuartigen Raketenschnellboote, vorgestellt und ihre Entwicklung nachvollzogen.

Der Band ist durchgängig mit instruktiven Tabellen, Fotos und Zeichnungen versehen. Das alles macht dieses Werk zu einer Fundgrube sowohl für Marineinteressierte als auch für jene, die die Wechselwirkung zwischen Strategie und Technik studieren wollen. Überdies wird man nach der Lektüre besser dazu fähig sein, manches aktuelle militärische Problem zu verstehen. Freilich muß man den beiden Autoren nicht bei jeder Bewertung oder Schlußfolgerung folgen, doch tut dies dem Wert ihres Werkes keinen Abbruch.



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Foto: RIA Nowosti.

Samstag, 20. November 2010

Herbstzeit ist Messezeit


Zumindest in Rußland. Dort finden alljährlich im Herbst mehrere Waffenmessen statt. Die wohl bedeutendste für Zivilpersonen ist die Ausstellung Arms & Hunting in Moskau. Vom 14. bis 17. Oktober präsentierten sich im Alten Gostiny Dwor die Aussteller aus aller Welt dem russischen Publikum, wobei der Schwerpunkt auf Jagd- und Sportwaffen sowie Jagdzubehör lag.

Der Fotograf Witalij Kusmin war ebenfalls wieder vor Ort und hat in seinem Blog zwei Bilderserien von der Messe veröffentlicht: Teil 1 und Teil 2. Sie vermitteln einen kleinen Eindruck von der "Waffenszene" in der RF. Und von der Gesetzeslage, denn Nachtzielgeräte sind z.B. nicht verboten.



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Fotos: vitalykuzmin.net.

Montag, 18. Oktober 2010

Russische Schußwaffen

Im September 2010 ist im Motorbuchverlag ein Buch erschienen, auf das alle, die sich für die russische und sowjetische Waffentechnik und -geschichte interessieren, schon lange gewartet haben dürften. Gemeint ist „Russische Schusswaffen – Typen, Technik, Daten“ von Ilya Shaydurov. Der Band ist, wie bereits der Titel nahelegt, ein Übersichtswerk – das erste in deutscher Sprache. Sein Erscheinen war um so wichtiger, als ein Standardwerk aus den 1990er Jahren – D. N. Bolotins „Soviet Small Arms and Ammunition“ – selbst in Rußland kaum noch aufzutreiben ist.

Der Autor des hier anzuzeigenden Buches, dessen Name im Deutschen eigentlich als Ilja Schajdurow transkribiert wird, ist ein ausgewiesener Fachmann, der den größten Teil seiner Ausbildungs- und Berufszeit in der udmurtischen Waffenstadt Ishewsk verbracht hat. Zuerst ein Maschinenbaustudium, dann Promotion und wissenschaftliche Tätigkeit am Insititut für Schußwaffen der Staatlichen Technischen Universität Ishewsk. Von 2005 bis 2009 war Shaydurov wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr. Von dieser Hochschule ist auch das Erscheinen von „Russische Schußwaffen“ gefördert worden. (Leider hat der Verlag auf eine biographische Notiz verzichtet, so daß man auf die Webseite der Uni zurückgreifen muß.)

Das Buch gliedert sich in sechs Kapitel, worin einzelne Waffenarten behandelt werden: Faustfeuerwaffen, Maschinenpistolen, Sturmgewehre, Gewehre und Karabiner, Kampfflinten sowie Maschinengewehre. Nach einer kurzen Einleitung werden die einzelnen Modelle auf mehreren Seiten in Wort und Bild vorgestellt. Erfreulich ist, daß sowohl bekannte als auch weniger bekannte (Sonder-)Waffen behandelt werden, wobei der Zeitrahmen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute reicht. Im Rahmen der Entwicklungsgeschichte wird auch auf die Konstrukteure eingegangen; sie sind zumeist auch mit einem Bild bedacht worden. Hinzu kommen noch Tabellen mit den technischen Daten sowie Übersichten über die Modellvarianten. Des weiteren sind zu jeder Waffe Fundstellen in Literatur und Internet angegeben. Die Qualität der Texte ist natürlich hoch und entspricht dem, was man von solch einem lexikonartigen Werk erwarten darf.

Zwei Wermutstropfen bleiben allerdings. Erstens liegt der Fokus eindeutig auf behördlich geführten Schußwaffen. Spezifische Jagd- und Sportwaffen werden nur am Rande behandelt, soweit sie auch eine behördliche Verwendung gefunden haben oder aus einer Behördenwaffe entstanden sind. Das ist bedauerlich, denn die sowjetischen Sportwaffenkonstrukteure waren nicht untätig. Zweitens merkt man dem Buch an, daß der Autor es wohl vollständig in deutscher Sprache geschrieben hat. Dies ist eine beachtenswerte Leistung, immerhin waren knapp 400 Seiten zu füllen. Dennoch hätte ein sachkundiger Lektor dem Buch gutgetan, denn manche typisch russischen Sprachkonstrukte sind nur schwer adäquat ins Deutsche zu übersetzen. Ein wenig schmunzeln mußte ich z.B., als an einer Stelle von „Anhängerstaaten“ der Sowjetunion die Rede war – gemeint sind, wie aus dem Kontext hervorgeht, die Nachfolgestaaten der UdSSR.

Doch das sind Kleinigkeiten, die nicht geeignet sind, den Wert von Shaydurovs Werk zu schmälern. Es ist eines jener Bücher, an denen man nicht vorbeikommen kann, sofern man sich für das behandelte Thema auch nur partiell interessiert.

Zumindest bei Teilen der ersten Auflage ist es zu Fehldrucken gekommen, weshalb das Vorwort im Buch fehlt. Es wäre schön, wenn der Verlag dieses auf seiner Webseite publizieren könnte, damit sich die Leser nicht „blind“ und ohne Hinweise des Autors durch das Buch „hangeln“ müssen.


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Montag, 27. September 2010

Neulich im Dussmann-Haus


Vor wenigen Wochen habe ich wieder meiner bibliophilen Leidenschaft gefrönt und bin im Berliner Dussmann-Haus eingekehrt. In der vermutlich größten deutschen Buchhandlung waren auch manche interessanten Neuerscheinungen zu finden. Gestört hat mich allerdings, daß kaum waffenrechtliche Literatur zu finden war, wohl aber das Buch „Waffenrepublik Deutschland“ von Lars Winkelsdorf. Die Verlag stellt sein Produkt in einer LWB-feindlichen Art und Weise dar. Dazu kam das Gerichtsverfahren gegen den Autor wegen Verstößen gegen das WaffG (mittlerweile ist er jedoch freigesprochen worden). Das alles hat mich nicht zum Kauf des Buches angeregt, denn man muß nicht jedes Machwerk kennen. Nachdem es aber mittlerweile einige positive Rezensionen gibt (u.a. in Visier 7/2010), werde ich es mir in nächster Zeit wohl doch zulegen müssen.

Der nächste Blick in die landeskundliche Abteilung zu den Publikationen über Rußland hat mich ebenfalls ein wenig enttäuscht. Ich wurde dabei an einen Ausspruch des Literaturkritikers Wissarion Belinskij aus dem 19. Jahrhundert erinnert, den ich hier schon einmal erwähnt hatte:
"[…]

Deshalb schenkt man bei uns jedem sogenannten liberalen Trend, selbst bei geringster Begabung, so viel Aufmerksamkeit, und deshalb sinkt auch die Popularität großer Dichter, die sich - ob aufrichtig oder nicht - in den Dienst der [...] Autokratie [...] stellen, so rasch.

[…]"
Das traf vor hundert Jahren nicht nur auf das Zarenreich selbst, sondern auch auf die Rezeption der russischen Kunst in Deutschland zu, wie Gerd Koenen in seinem Buch "Der Rußland-Komplex" beschreibt:
"[...]

Wie es ja überhaupt die Kehrseite aller so heftigen Invektiven gegen den 'zaristischen Despotismus' bildete, dass sie die Welt der 'Erniedrigten und Beleidigten', und erst recht die der Aufrührer und Kämpfer gegen die Despotie in ein übertrieben großartiges moralisches Licht rückten.

[...]"
Vornehmlich werden dem deutschen Leser heute die Schriften von Anna Politkowskaja, Edward Lucas, Jelena Tregubowa und anderen, zum Teil etwas obskuren Autoren anempfohlen. Meine tägliche Horrormeldung aus dem ewig kalten Rußland gib mir heute! Und wenn es schon keine Horrormeldung gibt, dann doch wenigstens negative Dauerberieselung. Dieses einseitige Angebot muß beim deutschen Publikum zwangsläufig zu Fehleinschätzungen führen.

Dabei überrascht nicht, daß die Qualität der Autoren und ihrer Schriften gleichgültig ist, Hauptsache, es wird die „richtige“ Meinung (oder besser: Gesinnung) vertreten. Ein Phänomen, welches sich auch in der schöngeistigen Literatur feststellen läßt. Es zählt nicht die schriftstellerische Leistung, sondern der politische Impetus. Der Übersetzer Robert Chandler hat dies in einem Leserbrief an die London Review of Books sehr treffend formuliert:

"[…]

It is more likely, however, that Lanchester simply underestimates how difficult it has been, during the last thirty years, to establish a readership for a 20th-century Russian writer purely on the basis of literary merit. Pasternak and Solzhenitsyn became famous in the West not because of literature but because of politics; Osip Mandelstam’s fame owes a great deal to the eloquence of his widow. Varlam Shalamov and Andrei Platonov, however, did not benefit from any major international scandal, nor have their life stories been told by their widows, and to this day they remain relatively unknown in the West, even though Shalamov’s Kolyma Tales is far more vivid and subtle an evocation of the gulag than anything by Solzhenitsyn, and even though Joseph Brodsky, at the height of his fame, repeatedly hailed Platonov as the equal of Joyce, Kafka, Musil or Proust.

[…]"

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Dienstag, 20. Juli 2010

Aktuelles aus der russischen Waffenindustrie


In der Vergangenheit hatte ich über verschiedene Entwicklungen der Waffenindustrie in Rußland berichtet. Dazu zählte auch die - aus deutscher Sicht nur schwer nachvollziehbare - Preisentwicklung. So wurde im Forum Talks.guns.ru behauptet, daß Innenministerium und Föderaler Sicherheitsdienst derzeit nur Präzisionsgewehre des finnischen Herstellers Sako beschaffen würden, weil ihnen das in Ishewsk produzierte Modell SW-98 zu teuer geworden sei.
Dieser Tage habe ich nun einen Zeitungsartikel auf Gazeta.ru finden können, in dem konkrete Zahlen genannt werden. Es handelt sich um ein Interview mit dem Duma-Abgeordneten Igor Barinow, der zugleich Mitglied des Verteidigungsausschusses des Parlaments ist. Auf die Frage nach den Kosten des im Inland produzierten Rüstungsmaterials antwortet Barinow:
"[...]

Die Preise für die Produkte des militärisch-industriellen Komplexes wachsen stärker als die Inflation und die Löhne. Zum Beispiel [die Rakete] Topol ist innnerhalb von drei Jahren zweieinhalb mal teurer geworden, und das Scharfschützengewehr kostete zu Beginn der 2000er Jahre weniger als 30.000 Rubel und jetzt kauft das Ministerium für Verteidigung [die Gewehre] für 400.000 [Rubel].

[...]"
Rechnet man die eben genannten Rubelpreise für das SW-98 in Euro um, dann betrug der Preis zunächst knapp 770 € und ist später bis auf rund 10.250 € pro Waffe gestiegen. Den Hauptgrund für diese drastische Verteuerung sieht der Abgeordnete im Fehlen genügender Konkurrenz. M.a.W.: Es gibt in der RF zu wenige Anbieter, die somit als Monopolisten agieren können.

Dies treibt die staatlichen Nachfrager zu Käufen im Ausland. War man das schon seit Jahren von den diversen Sicherheitsbehörden gewöhnt, so sind die jüngsten Beschaffungsvorhaben des Verteidigungsministeriums ein Alarmsignal: Drohnen in Israel, evtl. Landungsschiffe in Frankreich (Stichwort: "Mistral") und u.U. sogar Panzerungen für SPWs in Italien oder Deutschland. Dieses Ministerium war bis dato eine sichere Bank, denn es hat grundsätzlich nur in Rußland selbst eingekauft. Jetzt sollte die russische Waffenindustrie jedoch aufwachen und sowohl an ihren Preisen als auch an ihrer Qualität arbeiten.

In die gleiche Richtung gehen auch die Bemerkungen, die Präsident Dmitrij Medwedew anläßlich der Amtseinführung des neuen stellvertretenden Verteidigungsministers Wladimir Popowkin gemacht hat:
"[...]

Aber hier wird die methodische, akribische Arbeit gefordert, insbesondere mit den Lieferanten der technischen Kampfmittel, weil sie manchmal verwöhnt werden, nicht die nötige Qualität liefern und für uns sehr unangenehme Preissteigerungen auftreten.

[...]"
Daß die rußländische Regierung dabei auch vor dem "Schlachten heiliger Kühe" in der Rüstungsindustrie nicht zurückschreckt, hat in den letzten anderthalb Jahren die Krise des unrentablen Waffenherstellers Molot bewiesen. Seit zwei Monaten wird mit der italienischen Firma Beretta über ein Joint Venture verhandelt, mit dem der Kernbereich von Molot - die Fertigung von Handfeuerwaffen - gerettet und modernisiert werden soll. Im Fokus sollen dabei Dienstpistolen sowie Jagd- und Sportwaffen stehen. Für die Umstrukturierung von Molot hat die Regierung im Juni 171 Mio. Rubel (ca. 4,39 Mio. €) bereitgestellt. Das Geld soll vor allem Umschulungsmaßnahmen für entlassene Mitarbeiter und ähnlichen Zwecken dienen.

Für die Waffenhersteller in Ishewsk, namentlich Izhmash und Izhmekh, wurden kürzlich in der Presse ebenfalls radikale Maßnahmen diskutiert. Die oben erwähnten hohen Preise und allgemeine Unrentabilität könnten dort mittelfristig zu größeren Umstrukturierungen führen. Izhmash hat kürzlich eine neue Webseite erstellt, auf der die zahlreichen Zivilwaffen des Unternehmens intensiv (und zweisprachig) beworben werden. Damit findet der Zivilmarkt neue Aufmerksamkeit, während der Behördenmarkt ein wenig zu stagnieren scheint - gerade auch hinsichtlich von Neuentwicklungen wie der AK-200.

Bleibt zu hoffen, daß sich für die Jagd- und Sportwaffen auch geeignete deutsche Importeure finden, die bereit sind, diese nicht gerade kleinen Sortimente bei uns zu vertreiben, ggf. auch auf eine Einzelbestellung hin. Denn eines ist kurios: Zivilwaffen aus einheimischer Produktion sind in Rußland selbst nicht teuer. Wenn sie jedoch in Deutschland auf den Markt kommen, dann liegen die Preise häufig bei 150 bis 250 Prozent des russischen Ladenpreises. Die oben behandelte Preisentwicklung der Behördenwaffen korreliert offenbar nicht mit jener des Jagd- und Sportsegmentes. Anders formuliert: Wenn russische Waffen hierzulande z.T. recht teuer sind, dann liegt das eher an den Importeuren als an den Herstellern.



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Die Fotos sind bei Izhmash entstanden (Quellen: venividi.ru, www.ej.ru).

Donnerstag, 1. Juli 2010

Jefim Chajdurows Erstlingswerk


Die Freie Pistole TOZ-35 ist Sportschützen auf der ganzen Welt ein Begriff. Seit 1962 wird sie im Tulaer Waffenwerk gefertigt und hat Standards für das 50-m-Kurzwaffenschießen gesetzt (ausführlich zu dieser Waffe und ihrer Geschichte vgl. den hervorragenden Artikel von Ulrich Eichstädt in Visier 5/2008).
Schon etwas weniger bekannt ist der Name ihres Konstrukteurs: Jefim Leontjewitsch Chajdurow (manchmal auch Efim Khaidurov geschrieben). Am 16.01.1925 im burjatischen Dorf Molta geboren, begann er 1948, nach fünfjährigem Militärdienst (zuletzt als Chiffrieroffizier im Generalstab), ein Ingenieurstudium in Moskau. Während seines Studiums war Chajdurow zum Sportschießen gekommen und sogar in eine Auswahlmannschaft aufgenommen worden. Während die besten Schützen mit Pistolen von Hämmerli schossen, mußte er mit einer MZ-2 aus Tula Vorlieb nehmen. Diese stellte ihn jedoch nicht zufrieden, erschien ihm unausgewogen.

Also versuchte er sich an der Verbesserung dieser Pistole. Nach Gesprächen mit seinem Trainer Schgutowym kam Chajdurow zu der Überzeugung, daß eine vollständige Neukonstruktion vonnöten sei. Der Trainer ging zum Dekan der Fakultät, um das bereits vergebene Thema für Chajdurows Diplomarbeit dahingehend abzuändern, daß er nun eine Pistole konstruieren sollte. Nach einigem Hickhack hat die Hochschule diesem Ansinnen schließlich zugestimmt. Es handelte sich um die berühmte Staatliche Technische Universität Moskau, welche seit 1930 den (typisch russischen ;-)) Namen des Berufsrevolutionärs Nikolaj Ernestowitsch Baumann trägt.



Deshalb wird die hier vorgestellte Pistole auch als "Baumanez" bezeichnet. Ihr korrekter Titel ist allerdings Ch-1MT (russ.: Х-1МТ, eng.: Kh-1MT) und sie ist einer von drei Prototypen, die 1959 von Chajdurow in den Werkstätten der Uni hergestellt worden sind. Sie wurde vollständig aus Stahl gefertigt, während bei den beiden anderen Prototypen mit Duralaluminum experimentiert wurde. Letztendlich hat sich diese gewichtssparende Technologie aber nicht durchgesetzt, weshalb in der Serienfertigung, die 1962 in Tula unter dem Namen TOZ-35 anlief, für die Metallteile nur Stahl verwendet wurde.

Der Konstrukteur selbst hat mit seiner Pistole ausgezeichnete Resultate geschossen. Nach 1959 haben sich auch viele andere Schützen positiv über die Ch-1MT geäußert, was den Ausschlag für ihre industrielle Fertigung gegeben hat. Kurzum: Eine Waffe von Schützen für Schützen.

Jefim Chajdurow war ein sehr umtriebiger Mensch. Während seines ganzen Lebens (das noch andauert!) ist er sowohl der Waffenindustrie als auch dem Schießsport verbunden geblieben, war zugleich Schütze und Konstrukteur. Er hat sowohl in Tula als auch in Ishewsk an der Entwicklung von Sportpistolen und -revolvern gearbeitet. Seine Ideen wurden auch bei ausländischen Modellen wie der Feinwerkbau AW93 aufgegriffen. Derzeit ist Chajdurow als Chefingenieur an der neuen Demjan SP-08 beteiligt.
Während seiner Laufbahn als aktiver Schütze hat er in verschiedenen Disziplinen mit Groß- und Kleinkaliberkurzwaffen Medaillen auf sowjetischen, Europa- und Weltmeisterschaften gewonnen. Danach war er als Trainer tätig und außerdem von 1972 bis 1986 Mitglied der UIT-Pistolenkommission. In Kaluga wird seit einigen Jahren im Januar anläßlich seines Geburtstages der Chajdurow-Pokal in den olympischen Kurzwaffendisziplinen ausgetragen, an dem Jefim Leontjewitsch zumeist als Ehrengast teilnimmt. Ein kleiner Artikel von ihm in deutscher Sprache ist hier zu finden.



Bibliographie:

Talks.guns.ru (Waffengeschichte und -bilder)

Toz35.blogspot.com (Waffengeschichte und Foto von Je.Ch.)

Shooting-ua.com (Biographie)

Wiki.buryatia.org (Biographie)

U. Eichstädt: Besuch der alten Dame, in: Visier 5/2008, S. 38 ff.




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Samstag, 12. Juni 2010

Luftpistolenschießen wird immer populärer

Die junge Schützin Jekaterina Barsukowa mit ihrer Trainerin Jelena Abarinowa.


Wer sich angesichts der Überschrift fragt, ob von Deutschland die Rede ist, den kann ich beruhigen: Nein, natürlich nicht. Hierzulande wird weiter gegen jede Art von Schießsport gehetzt - selbst dann, wenn lediglich harmlose Druckluftwaffen Verwendung finden (siehe z.B. hier und hier). In Schottland sind die Waffengegner sogar noch weiter; dort werden jetzt sämtliche Luftgewehre und -pistolen unter Erlaubnispflicht gestellt. Aber noch gibt es, auch in Europa, Gesellschaften, die sich diesen Dekadenzerscheinungen widersetzen. Rußland gehört dazu.

Der deutschsprachige Dienst des Rundfunksenders Stimme Rußlands hat am 29. Mai einen interessanten Beitrag über das LP-Schießen von Moskauer Jugendlichen gebracht. Darin wird auch ein Blick auf die Entwicklung des Schießsports in der RF geworfen, wo die Frauen langsam zu dominieren scheinen:
"[...] Dieses Jahr - 2010 - kann als Olympisches Jahr bezeichnet werden. Die Winterolympiade in Vancouver ging zu Ende, und im August wird in Singapur die erste Sommer-Olympiade der Junioren im Alter von 14 bis 18 Jahren stattfinden. Eine der Sportarten, die dort vertreten sein werden, ist das Luftpistolenschießen. Die verdiente Trainerin Russlands Jelena Abarinowa brachte [der Reporterin, E.K.] Anna Akopowa das Luftpistolenschießen bei.

Die Schützlinge von Jelena Abarinowa sind Sieger der Europa-Meisterschaft. Jekaterina Barsukowa brachte aus Deutschland 3 Silbermedaillen der jüngsten Wettkämpfe. Sie sagte, dass die deutsche Auswahlmannschaft im Luftpistolenschießen eine sehr starke Konkurrenz für Russland darstellt. Aber man hat überall Angst vor unseren Sportlern.

In Tschechien fanden praktisch gleichzeitig mit den Wettkämpfen im Luftpistolenschießen in Deutschland internationale Wettkämpfe teil, aber ältere Sportler. Die Deutschen gewannen alle Medaillen. Was die Wettkämpfe unter den Junioren in Deutschland betrifft, so gewann meine Freundin Katja Lewina eine Goldmedaille. Ich dachte bis zum Schluss, dass ist siegen wird, aber sie schoss besser.

Die Trainerin der höchsten Kategorie im Pistolensportschießen Jelena Abarinowa arbeitet mit ihren sechs Schützlingen in der Moskauer Schule der olympischen Reserve Nr. 2. Es stellte sich heraus, dass in der Schule nur Mädchen sich mit dem Schießen befassen. Als unsere Korrespondentin fragte, worauf das zurückzuführen ist, erläuterte die Trainerin. Es ist schwer zu sagen, wer mehr Sport treibt - die Jungen oder die Mädchen. Das Schießen assoziiert sich mehr mit Männern, aber bei uns gibt es keine Privilegien aus Geschlechtsgründen. Warum Mädchen? Sie waren einfach würdiger als jene Jungs, die versuchten in unsere Schule aufgenommen zu werden. Man muss bestimmte Verpflichtungen erfüllen, um in der Schule der olympischen Reserve zu lernen. Man muss eine gute Gesundheit haben, sehr gut lernen, weil parallel zum Schießen der Bildungsprozess verläuft, und natürlich sportliche Errungenschaften demonstrieren. Die Ergebnisse dieser Mädchen entsprachen den Anforderungen. Alle kommen aus verschiedenen Städten, unter ihnen gibt es keine Moskauerinnen.

Wenn sie bei den russischen Wettkämpfen erfolgreich auftreten, dann haben sie Chancen in die Auswahlmannschaft des Landes zu gelangen und an Europa- und Weltmeisterschaften teilzunehmen. Zwei hervorragende Sportlerinnen, über die wir bereits sprachen, gewannen die Lizenz, die ihnen das Recht gibt an den Olympischen Spielen der Junioren in Singapur im Sommer 2010 teilzunehmen. Die Spezialisierung der Mädchen ist die Pistole, weil zum Schießen auch das Gewehrschießen gehört. In Moskau gibt es nur in dieser Schule eine Abteilung für Schießen.

Warum entschloss sich Jekaterina Barsukowa für diese, wie es scheint, männliche Sportdisziplin? Sie sagte im Gespräch mit unserem Korrespondenten:

„Die Eltern meiner Freundin sind Trainer im Schießen, und wir gingen ein Mal zum Schießplatz, wo sie arbeiten. Man schlug mir vor zu schießen. Mir gefiel das. Das Schießen war für mich zuerst wie ein Hobby. Dann hat man mir vorgeschlagen mich damit professionell zu befassen, ich verhielt mich zur Sache ernst. Dann nahm ich an Wettkämpfen teil, die in Smolensk stattfanden. Ich trat erfolgreich auf und wollte etwas Besseres erreichen. Dieses Streben ging so weit, dass ich etwas Größeres erreichen will".

Vielleicht werden Mädchen aus der Moskauer Schule der Olympischen Reserve Nr. 2 in absehbarer Zukunft Olympiasiegerinnen in Singapur und danach auch bei der Olympiade in London 2012 sein."

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Foto: Anna Akopowa/german.ruvr.ru.

Dienstag, 1. Juni 2010

AK-200 - Die neuen Kalaschnikows


Vor einer Woche haben russische Medien über die Vorstellung einer Serie neuer Kalaschnikow-Modelle durch die Firma Izhmash berichtet, die unter dem Namen AK-200 laufen wird (vgl. hier, hier, hier und hier). Anlaß war ein Besuch von Ministerpräsident Putin in Ishewsk.

Bei den neuen Sturmgewehren handele es sich um die schon im Jahre 2008 angekündigte Weiterentwicklung der bewährten AK-74M- bzw. AK-100-Serie. Die neuen AKs sollen nicht nur präziser und zuverlässiger als ihre Vorgänger sein, sondern zudem serienmäßig mit Anbaumöglichkeiten für diverses Zubehör wie Zielfernrohre, Leuchtpunktzielgeräte, Laser etc. ausgestattet sein. Deshalb werden die neuen Gewehre mit einer Masse von 3,8 kg auch 500 Gramm schwerer sein als die AK-74M. Überdies sollen ab Werk Magazine mit Kapazitäten von 30, 50 und 60 Schuß verfügbar sein.
Damit hätte die rußländische Waffenindustrie Anschluß an die weltweiten Trends moderner Infanteriewaffen gefunden und die Kalaschnikownutzer wären nicht mehr auf "After-Market"-Produkte wie z.B. gesonderte Picatinny-Schienen angewiesen.

Die neue Waffe soll im kommenden Jahr in Truppenversuchen getestet werden. Lenta.ru berichtet, daß sowohl das Innenministerium (MWD) als auch der Föderale Sicherheitsdienst (FSB) bereits Interesse an der AK-200 bekundet hätten. Demgegenüber hält sich das Verteidigungsministerium bedeckt, worauf auch das Fachmagazin NWO hinweist. Zum einen seien in den letzten Jahren mehrfach moderne Waffen wie z.B. das Gewehr Abakan oder die Pistole Wul konstruiert worden, die jedoch nie über das Prototypen- oder bestenfalls das Kleinserienstadium (für Spezialeinheiten) hinausgekommen sind. Zweitens seien die Arsenale der Armee gut mit den vorhergehenden Kalaschnikowmodellen gefüllt, weshalb es keinen Grund für großangelegte Neubeschaffungen gebe.
(Insofern ist auch die derzeit laufende Militärreform zu berücksichtigen. Es gibt Teile des rußländischen Militärs, die stärker modernisierungsbedürftig sind als die Handfeuerwaffen.)

Daher bleibt abzuwarten, was aus diesem neuen Projekt werden wird. Die avisierte Nachfrage aus dem Inland wird jedenfalls kaum hinreichen, um die Kosten zu decken. Somit dürfte die Frage nach den Exportaussichten entscheidend sein.



Die Nachrichtenagentur RIA Nowosti hat einen längeren Text von Ilja Kramnik zu diesem Vorgang publiziert, den ich nachfolgend wiedergebe:
"[...]

Das Schnellfeuergewehr Kalaschnikow wird weiterhin seinen Dienst in der russischen Armee tun.
Das teilte Wladimir Gorodezki, Direktor des Maschinenbauwerkes von Ischewsk (Ischmasch), wo die weltbekannten Automatikgewehre hergestellt werden, am vergangenen Dienstag mit. Nach seinen Worten startet das Verteidigungsministerium kommendes Jahr die Tests einer neuen Modifikation der Waffe. Das Basismodell wird mit dem Index AK-200 bezeichnet.

Laut vorliegenden Informationen ist das neue Maschinengewehr leichter und ergonomischer. Wegen der Zusatzausrüstung (optisches Visier, Laser-Zielanweiser usw.), mit der jedes Gewehr ausgestattet wird, wird das Gesamtgewicht aber von den jetzigen 3,3 auf 3,8 Kilogramm steigen.

Inwieweit entspricht diese Modifizierung den Bedürfnissen der russischen Streitkräfte und den modernen Kampfanforderungen? Um diese Frage zu beantworten, müssen die Vorwürfe an die russische Waffenlegende (und dass Kalaschnikow längst eine legendäre Waffe ist, muss wohl nicht neu bewiesen werden) berücksichtigt werden:

1. Geringe Präzision bei Einzelschüssen und große Zielabweichung bei Feuersalven im Vergleich zu westlichen Sturmgewehren. Vor allem sind diese Mängel für die Modelle des 7,62-mm-Kalibers typisch.

2. Moderne optische Visiere lassen sich schwer aufbringen.

3. Ergonomische Mängel des standardmäßigen Spanngriffs.

4. Veraltetes offenes Visier.

Probleme mit der Schusspräzision wären Experten zufolge hauptsächlich durch die Qualitätsförderung von seriell hergestellten Waffen und Munition lösbar. Es ist kein Geheimnis, dass in verschiedenen Ländern und aus verschiedenen Zulieferteilen hergestellte AK-Gewehre einer Modifikation ganz unterschiedliche Qualität haben können.

Was die Zielabweichung und den Rückstoß angeht, so sind sie aufgrund der Konstruktion bedingt. Für die Beseitigung dieser Mängel sind also neue konstruktive Entscheidungen erforderlich - wenigstens solche, die für die Modifikation AK-107/108 getroffen wurden, deren Rückstoß dank ausbalancierter Automatik geringer ist.

Solche Änderungen werden aber letztendlich die Einführung eines neuen Systems von automatischen Waffen zur Folge haben, was unter den aktuellen Wirtschaftsbedingungen wohl unangebracht ist. Ein anderer Ausweg bestünde in der Verwendung von neuen Modellen der Mündungsbremse, die den Rückstoß wesentlich verringern könnte.

Die Probleme bei der Installierung von optischen Visieren auf den AK-Waffen sind mit den konstruktiven Besonderheiten des Installation der Optik nicht gestattet - nach jeder Abnahme und Aufsetzung des Deckels müsste das darauf (beispielsweise mit einer Picatinny-Schiene) montierte Visier neu eingestellt werden.

Bis zuletzt wurde die Optik auf den AK-Gewehren mit einem Träger auf der linken Seite des Gehäuses montiert, was die Verwendung von Visieren verschiedener Arten wesentlich einschränkte. Zur Lösung dieses Problems haben die Gewehre der 200er Serie die Picatinny-Schiene auf dem Gasabzugrohr. Außerdem ist der Deckel des Gehäuses anders konstruiert. Der Deckel ist nicht mehr abnehmbar, sondern abklappbar, was die Steifheit der Konstruktion erhöhte und gestattete, darauf die Schiene aufzubringen, dank der ganz verschiedene optische und Kollimatorvisiere verwendet werden können.

Das offene Visier wurde von vielen Experten als veraltet anerkannt. Viele andere Experten finden allerdings, dass das offene AK-Visier unter den typischen Gefechtsbedingungen durchaus nach wie vor effektiv ist und nur unwesentlich modernisiert werden sollte.

Im Großen und Ganzen erfordert das AK-200-Modell keine radikale Modernisierung der jetzigen Produktionslinien, die für den Übergang zu einem neuen Waffensystem notwendig wäre.

[...]

Das Innenministerium und der Inlandsgeheimdienst FSB denken derzeit über den Kauf von limitierten Partien der neuen Maschinengewehre nach. Alles hängt von der Entscheidung des Verteidigungsministeriums ab. Wenn das AK-200 in Serie geht, wird das den Anschluss Russlands an den globalen Trend zum Verzicht auf die nicht besonders erfolgreiche Entwicklung von „Zukunftsschusswaffen" und zur Verbesserung der aktuellen Systeme durch die Förderung ihrer Ergonomie und Zusatzausstattung bedeuten. Russland würde das übrigens sehr gut passen: Wegen der turbulenten Ereignisse in den vergangenen 20 Jahre ist hier die Entwicklungsphase der „Zukunftswaffen" nahezu unbemerkt verlaufen.

[...]"


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