Sonntag, 20. Juli 2014

Wie wird der Boeing-Absturz ausgeschlachtet?

Die Gemengelage nach dem Absturz des malaysischen Passagierflugzeugs mit der Flugnummer MH17 in der Region Donezk ist unübersichtlich. Die westlichen Kuratoren des Kiewer Regimes sind von dem Ereignis anscheinend ebenfalls überrascht worden. Daher sind sie im Augenblick damit beschäftigt, heftig und unkoordiniert Anschuldigungen zu erheben - was wiederum ein Indiz dafür ist, daß ihnen die Wahrheit höchst unangenehm ist.

Märchen und Desinformation

Da gab es zunächst am Freitag in der westlichen Presse den Vorwurf, die Flugschreiber seien nach Rußland gebracht worden. Dies wurde nicht nur von Moskau, sondern sogar von Kiew umgehend dementiert. Die "schwarzen Boxen" befinden sich in der - zur Zeit umkämpfen - Stadt Donezk. Dort werden ebenfalls die sterblichen Überreste der Flugzeuginsassen und ihr Gepäck gesammelt.

Gleich nach dem Absturz hatte es geheißen, im Flugzeug seien 80 Kinder und 23 US-Bürger gewesen. Diese Angaben haben sich nunmehr ebenfalls als falsch erwiesen. Die Fluggesellschaft hat gestern die Passagierliste veröffentlicht. Sonach befanden sich drei Kinder an Bord, des weiteren ein Fluggast, welcher zugleich die niederländische und die US-Staatsbürgerschaft besaß. Offenbar sollte mit den falschen Angaben in den Medien die Hysterie angeheizt werden.

Heute hat dann das State Departement behauptet, die Aufständischen würden der OSZE den Zugang zur Unglücksstelle verwehren. Die australische Regierung, ein treuer Vasall Washingons, hat noch einen draufgesetzt, indem sie behauptete, die OSZE-Mitarbeiter würden von den Aufständischen beschossen. Diese Anschuldigungen wurden jedoch von einem OSZE-Sprecher umgehend dementiert. Ebenso bestreitet die OSZE, daß der Unglücksort verfälscht würde. Wieder ein paar Lügen entlarvt.

Kiew blockiert internationale Untersuchung

Folgende Parteien fordern die Einrichtung einer internationalen Untersuchungskommission unter Ägide der ICAO: die Aufständischen in Donezk sowie die Regierungen Rußlands, der Niederlande und mittlerweile auch Malaysias. Eine Partei wehrt sich jedoch gegen eine internationale Untersuchung: die Junta in Kiew. Dort besteht man auf einer rein ukrainischen Untersuchung (natürlich ohne Beteiligung der Aufständischen), zu der einige ausländische Vertreter mit hinzugezogen werden sollen. Insbesondere ist Kiew daran interessiert, die Flugschreiber in seine Gewalt zu bekommen. Bis jetzt stehen sie unter Obhut der OSZE.

Aus diesen Gründen hatte das Regime auch die umfangreiche malaysische Delegation in Kiew festgehalten und ihre Abreise an den Unglücksort verzögert. Mittlerweile sind neben Rettungskräften des ukrainischen Katastrophenschutzes auch malaysische Experten an der Absturzstelle tätig. Nachdem die Leichen zwei Tage lang bei Temperaturen von 30 Grad herumgelegen hatten (eine davon in einem Wohnhaus), war ihre Bergung aus hygienischen Gründen unumgänglich geworden. Zuvor hatten Vertreter der Aufständischen dringlich die Entsendung internationaler Experten für die Untersuchung der Absturzstelle gebeten

Diese Umstände geben zu denken. Die stärkste Behinderung einer unabhängigen Untersuchung - insbesondere der Flugschreiber - geht vom Regime in Kiew aus. Doch die selbsternannte "zivilisierte Welt" will das nicht sehen.

Abstruse Anschuldigungen

Angesichts dessen wirkt es absurd, wenn westliche Regierungen Moskau unisono vorwerfen, es würde die Untersuchung des Absturzes behindern und erneut mit Sanktionen drohen. Wofür? Demgegenüber hat der malaysische Verkehrsminister während einer Pressekonferenz der rußländischen Regierung ausdrücklich für ihre Hilfe gedankt. Wer insoweit wohl Recht hat?

Auf der anderen Seite sind keine Aufrufe an Kiew zu vernehmen, etwa auf den von den Rebellen angebotenen Waffenstillstand einzugehen, um so die Aufklärung zu erleichtern. Ebensowenig fordert der Westen keine Aufklärung über die Luftabwehr-Aktivitäten der Ukro-Truppen in der Region. Warum wohl?


Einige technische Aspekte

Ein Fla-Raketensystem ist kein Gewehr, das man einfach so abfeuern kann. Das System Buk, über das zur Zeit spekuliert wird, besteht aus mindestens drei Kettenfahrzeugen: dem Kommandopunkt, dem Radarsystem und dem Raketenträger (siehe obiges Bild). Zunächst müssen alle diese Komponenten in einsatzbereitem Zustand sein. Zu ihrer Bedienung ist weiters eine größere Anzahl gut ausgebildeten Personals erforderlich. Ob all das im Aufstandsgebiet vorhanden ist, muß doch bezweifelt werden.

Das Kiewer Verteidigungsministerium müßte jedenfalls zunächst offenlegen, welche Flugabwehrmittel es in seinen Kasernen im Aufstandsgebiet verloren hat. Zudem müßte es nachweisen, was seine Buk-Systeme im Bürgerkriegsgebiet am Donnerstag getan haben. Doch darüber schweigt man sich aus - und der Westen hat sich darauf versteift, daß nur die Aufständischen den Flieger abgeschossen haben können. Daher werden an Kiew keinerlei kritische Fragen gestellt, auch von unserer Presse nicht.

In Rußland gehen Experten aufgrund der Bilder vom Absturzort zunehmend davon aus, daß die Boeing von einer Luft-Luft-Rakete getroffen wurde. Dafür soll die Schadenscharakteristik sprechen. Wenn dem tatsächlich so wäre, dann wäre das Passagierflugzeug von einem Jagdflieger abgeschossen worden, der genau wußte, was er tat. Vielleicht versteift man sich im Westen deshalb so auf die Version einer Boden-Luft-Rakete?

Im übrigen freuen sich die rußländischen Luftfahrtexperten darüber, daß die Maschine über Land und nicht über dem Meer heruntergekommen ist. Daher hätten sich an den Wrackteilen viele objektive Spuren erhalten, weil jede Fla-Rakete eine ganz eigene Charakteristik habe. Somit gebe es gute Chancen, die Absturzursache aufzuklären.

Was will der Westen?

Eines wollen Kiew und seine auswärtigen Sponsoren jedenfalls nicht: Die Ergebnisse einer unabhängigen internationalen Untersuchung abwarten. Erstens könnte diese unangenehme Tatsachen ans Licht bringen. Und zweitens dauert die Untersuchung einige Wochen. Doch der Westen will den Schwung der Ereignisse und die auf Hochtouren laufende Propagandamaschinerie nutzen, um seinen Kampf gegen die Menschen in der Ostukraine und gegen Rußland zu steigern. Daher kann er nicht auf hieb- und stichfeste Beweise warten. An deren Stelle treten bloße Anschuldigungen (natürlich nur gegen die Aufständischen und gegen Moskau), die immer wiederholt werden. Flankiert werden sie von "Beweisen", deren Qualität noch schlechter ist als die anno 2003 gegen den Irak.

So etwa ein als "Beweis" herangezogener Beitrag in einem sozialen Netzwerk, in dem Aufständischen angeblich den Abschuß bestätigen würden. Doch der Urheber dieses Textes ist unbekannt. Igor Strelkow dürfte es kaum gewesen sein, denn der schreibt dort nach eigenen Angaben nicht. Dafür gibt es eine Menge Wichtigtuer, die seit Wochen das Internet permanent mit vermeintlichen Exklusivmeldungen, die angeblich alle von Strelkow persönlich stammen, fluten. Die meisten dieser Texte entspringen eher der Phantasie ihrer Urheber, als daß sie mit Strelkows tatsächlichen Verlautbarungen im Fernsehen übereinstimmen.    

Oder der angeblich abgehörte Funkspruch der Aufständischen, welcher sich mittlerweile als Fälschung des SBU herausgestellt hat. Dummerweise hatten die Beamten in Kiew vergessen, daß das bei Youtube eingestellte Video in den Dateieigenschaften als Erstellungsdatum den 16. Juli zeigt. D.h. das Video wurde einen Tag vor dem Absturz produziert und taugt schon daher nicht als Beweis.

Doch im Informationskrieg kommt es auf die Wahrheit nicht an. Wichtig ist allein, das dieselben Anschuldigungen immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt werden, bis alle so stark daran glauben, daß niemand mehr nach den Fakten und plausiblen Beweisen fragt. (So war es im Irak und auch in Syrien.) Dazu muß jedoch die mediale Hysterie am Kochen gehalten werden. Sollte die Untersuchung der "black boxes" dann in einigen Wochen zu einem anderen Ergebnis kommen, dann interessiert das niemanden mehr, weil die beabsichtigten Folgen schon eingetreten sind. (So war es auch bei den Schießereien auf dem Kiewer "Euromiadan" im Februar und beim Massaker von Odessa am 2. Mai. In beiden Fällen ist eine internationale Untersuchung von der Junta hintertrieben worden und letztlich im Sande verlaufen.)

Deshalb wird Washington in den nächsten Tagen wohl gefälschte Radardaten vorlegen. Wären sie echt, so wären sie der Öffentlichkeit längst bekannt, denn Luftraumüberwachung erfolgt in Echtzeit. Die relativ lange Zeitspanne indiziert hingegen, daß die "Beweise" erst zusammengebastelt werden müssen. Deshalb sind offizielle Vertreter der USA in den letzten Tagen zum Teil sehr zurückhaltend gewesen, denn sie waren (und sind wohl bis jetzt) nicht in der Lage, die abstrusen Behauptungen von "Putins Rakete" auch nur einigermaßen seriös zu belegen.

Außerdem ist, neben den technischen Aspekten, eine weitere wichtige Frage zu klären, die im Westen jedoch kaum erörtert wird: Warum sollten die Aufständischen eine malaysische Passagiermaschine abschießen? Sie hatten dafür schlichtweg kein Motiv; das Regime verfügte hingegen nicht nur über die Mittel, sondern hatte auch ein Bündel von Motiven.

Wer darf ungestraft Passagierflugzeuge abschießen?

Da fallen einem spontan zwei Staaten ein. Zum einen die USA, die von einem Kriegsschiff aus am 3. Juli 1988 über dem Persischen Golf einen iranischen Airbus abgeschossen haben. Resultat: 290 Tote. Immerhin haben sich die Amerikaner 1996 dazu breitschlagen lassen, den Hinterbliebenen eine Entschädigung zu zahlen. Doch eine ausdrückliche Entschuldigung für den Abschuß haben die Präsidenten Bush sen. und Clinton immer abgelehnt.

Zum zweiten die Ukraine. Deren Luftverteidigung hat am 4. Oktober 2001 über dem Schwarzen Meer eine aus Israel kommende Tupolew vom Himmel geholt. Ergebnis: 78 Tote. Zunächst hatte die Regierung in Kiew auch damals jede Verstrickung bestritten, mußte jedoch schließlich den Abschuß einräumen.

In beiden Fällen hatte der Abschuß eines Passagierflugzeugs keine ernstzunehmenden Konsequenzen für die beiden Staaten. Weder gegen die USA noch gegen die seinerzeitige Ukraine wurden internationale Sanktionen erwogen oder gar mit Krieg gedroht. Auch die Soldaten, die den Abschuß durchgeführt haben, hatten weder straf- noch disziplinarrechtliche Konsequenzen zu fürchten.
Deshalb ist es Heuchelei hoch Zehn, wenn nun die "westliche Wertegemeinschaft" plötzlich und ohne stichhaltige Beweise wilde Drohungen in eine bestimmte Richtung ausstößt.

Lugansk, 18.07.2014: Opfer der ukrainischen Armee.

Welchen Effekt hat der Boeing-Absturz?

Nur die unglücklichen Insassen der Boeing sind es im Westen wert, in den Genuß medialer Aufmerksamkeit zu kommen. Dagegen gehen wichtige Ereignisse in der westlichen Berichterstattung unter. So etwa, daß seit Tagen die Gebietshauptstädte Lugansk und jetzt auch Donezk von Artillerie und Bombern des Ukro-Militärs heftigst beschossen werden. Allein am 19. Juli sind in Lugansk 19 Einwohner dadurch getötet worden. Außerdem hat die OSZE mitgeteilt, daß allein im Gebiet Lugansk während der Monate Juni und Juli 250 Zivilisten von den Truppen des Kiewer Regimes getötet und 800 Zivilisten verletzt worden sind.

Doch die Kriegsverbrechen der Kiewer Junta - so muß man den gezielten Beschuß von Wohnvierteln nennen - spielen keine Rolle. Die Toten sind ja gemäß Sprachgebrauch der westlichen Presse ohnehin bloß "Separatisten", also quasi Untermenschen. Die sind von Washington und Brüssel zum Abschuß freigegeben worden. Und damit man sich weder mit ihnen noch mit dem Schicksal der mittlerweile sechstelligen Zahl von Flüchtlingen beschäftigen muß, kommt so ein mutmaßlich abgeschossenes Passagierflugzeug ganz passend.

So kann Kiew weiter unbehelligt seinen Strafkrieg gegen die unbotsamen Einwohner der Ostukraine führen. Das Regime weiß, daß es von seinen ausländsichen Freunden niemals mit Sanktionen belegt wird. Denn an allem Ungemach sind nicht diejenigen schuld, die ganze Straßenzüge in Schutt und Asche legen, sondern einzig und allein Rußland. Perfide Logik der "westlichen Wertegemeinschaft".


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