Dieser Tage kam es nun im moslemisch-kroatischen Landesteil zu schweren Ausschreitungen. Die wurden von den deutschen Medien auch so genannt und - erstaunlicherweise - nicht etwa als "friedliche Demonstrationen" verbrämt. Über hundert Verletzte, ausgebrannte Gebäude und Autos sind die vorläufige Bilanz. Doch die offene Benennung der Unruhen als solche ist nicht der einzige Unterschied zur Ukraine. Es war ferner keine Kritik an der bosnischen Polizei zu hören und die EU erwägt sogar - man höre und staune! - den Einsatz ihres Militärs gegen die Demonstranten. Darüber soll am Dienstag entschieden werden.
Man stelle sich einmal vor, der ukrainische Präsident Janukowitsch hätte den Einsatz seiner Armee gegen die Molotowcocktailwerfer vom "Euromaidan" gefordert. Die USA und wohl auch die EU fordern sogar den Abzug der Polizei aus dem Stadtzentrum von Kiew, damit sich die von ihnen unterstützten Krawallbrüder ungestört austoben können. Aber wenn ihre eigene Macht bedroht ist, sind weder Washington noch Brüssel zimperlich.
Jetzt zum Aufreger ver vergangenen Woche, dem abgehörten Telefonat zwischen der US-Staatssekretärin Nuland und dem amerikanischen Botschafter in Kiew (siehe obiges Video). Die deutsche Presse hat den Inhalt auf Nulands Ausruf "Fuch the EU" reduziert und damit die viel interessanteren Teile des Gesprächs übergangen. Denn die beiden US-Beamten arbeiten gerade eine Regierungsliste für die Ukraine aus. Die USA wollen Arsenij Jazenjuk als Premierminister installieren, Vitalij Klitschko soll hingegen von einem Regierungsamt ferngehalten werden. Begründet wird dies damit, daß Klitschko erst einmal seine politischen Hausaufgaben machen müsse (was zweifelsohne stimmt, Jazenjuk ist ein Politprofi). Doch zugleich würde damit der deutsche Repräsentant in Kiew von der Macht ferngehalten und somit der Einfluß der BRD und der EU in der Ukraine geschmälert. Dies dann noch garniert mit der Fuck-Aussage verleiht dem Ansinnen der USA eine bestimmte Richtung.
In einem weiteren Punkt sind sich Brüssel und Washington offensichtlich uneins. Die Amerikaner wollen, wie man im Telefonat hören kann, einen "outreach" zu Präsident Janukowitsch. Dieser soll also wohl, aus welchen Gründen auch immer, im Amt bleiben. Die EU und ihr Propaganda-Apparat hingegen haben sich voll auf den Staatschef als Person eingeschossen und betreiben offen seinen Sturz.
Von diesem kleinen Detail abgesehen, hat die Veröffentlichung des abgehörten Gesprächs nichts neues zutage gefördert. Alles war im Prinzip bekannt, einschließlich dessen, daß ausländische Mächte hinter dem Umsturzversuch in der Ukraine stehen, um ihre politischen Zöglinge an die Macht zu bringen. Doch jetzt liegt erstmal ein offener Beweis in englischer Sprache vor. Damit könnten z.B. auch die Bürger der EU-Staaten hellhörig werden.
Für den politischen Beobachter wesentlich bedeutender waren die Folgen der Publikation. Zunächst dachte ich, amtliche Stellen der USA würden den Mitschnitt als Fälschung bezeichnen. Doch das ist nicht geschehen, Nuland hat sich dazu bekannt und sogar in Richtung EU entschuldigt. Damit sind jetzt sowohl Washington als auch Brüssel in einer diffizilen Lage. Wo ein Telefonat abgehört wurde, wird es wohl noch weitere Mitschnitte geben. Daher weiß keiner der westlichen Auftraggeber der ukrainischen Opposition, welche kompromittierende Material noch ans Tageslicht kommen könnte. Dies erklärt die Gereiztheit mancher Statements aus den letzten Tagen. Insofern war das eilige Eingeständnis der US-Regierung ein schwerer taktischer Fehler.
Ob die ukrainischen Nachrichtendienste diese Abhöraktion allein durchgeführt haben, um ihr Land vor dem Angriff der "Eurointegratoren" zu schützen, oder ob ihnen befreundete Dienste dabei behilflich waren, ist egal. Wichtig ist, daß scheinbar jederzeit belastendes Material publiziert werden kann, welches die "großen drei" Anführer der ukrainischen Opposition als Marionetten in fremder Hand entlarvt - was im Widerspruch zu deren zur Schau gestellten Patriotismus steht.
Damit wird das ukrainische Volk (also das real existierende, nicht das imaginierte der deutschen Medien) weiter von ihnen entfremdet. Seit der "Euromaidan" immer stärker in Gewalt umgeschlagen ist, haben sich ohnehin viele vorherige Unterstützer abgewandt. Sie sehen den von den Westukrainern entfachten Bürgerkrieg nicht als "europäischen Wert" an.
Unterdessen mehren sich die Anzeichen dafür, daß die militanten Teile der Opposition, die Bandrea-Anhänger aus der Westukraine vom "Rechten Sektor" und ähnlichen Gruppierungen, auf eine Gewalteskalation drängen. Deren Führer sprechen inzwischen davon, daß sie nach der "Revolution" an die Macht kommen wollen. Davon geht auch der Ukrainische Sicherheitsdienst (SBU) aus, der am Sonntag seine Anti-Terror-Einheiten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt hat. Am Donnerstag gab es eine Explosion im besetzten Haus der Gewerkschaften, genauer gesagt in dem Teil des Gebäudes, wo der Rechte Sektor logiert. Die regierungsfeindlichen Schläger verbreiten darüber verschiedene, nicht stimmige Versionen, doch es dürfte klar sein, daß dort unsachgemäß mit Sprengstoff hantiert wurde. Jetzt bauen die "friedlichen Demonstranten" offenbar schon Bomben, weil Molotowcocktails ihnen nicht mehr reichen.
Vorsorglich hatte Klitschko diese Woche schon im Fernsehen erklärt, daß er den Euromaidan nicht leite, sondern daß die Leute dort selbst verantwortlich seien. Eine salvatorische Klausel? Unterdessen mehren sich Berichte über Kämpfe zwischen verschiedenen Fraktionen der Opposition in Kiew, wobei es schon Tote und Verletzte gab. Es gibt jetzt sogar schon einen "Oberkommandierenden der Selbstverteidigungsabteilungen des Maidan in der gesamten Ukraine". Vielleicht nennt er sich demnächst Generalissimus? Andere "Europafreunde" haben am Donnerstag in der Hauptstadt Restaurants überfallen und gestern einen Supermarkt besetzt, mit der Begründung, sie hätten Hunger. Vielleicht ist das Geld zur Bezahlung der vielen Demonstranten, welche die Stadt seit zwei Monaten unsicher machen, aufgebraucht? Oder gehen sie jetzt zum allgemeinen Terror über?
Am Donnerstag gab es noch einen Versuch der "friedlichen Demonstranten", das Parlamentsgebäude zu blockieren, doch zwischenzeitlich formiert sich auch in Kiew Widerstand gegen die Zumutungen des "Euromaidan". Am Mittwoch fand eine Kundgebung vor der US-Botschaft statt. Und gestern wurde für ein "sauberes Kiew" demonstriert, um eine Aufhebung der Straßenbarrikaden zu erreichen (siehe das obige und das untenstehende Video - diese Bilder werden wohl kaum im deutschen TV zu sehen sein). Die Barrikaden wurden von den martialischen, pardon, "friedlichen Demonstranten", die "für eine europäische Perspektive der Ukraine eintreten", bewacht und die Gegendemonstranten mit Waffen bedroht.
Die Anhänger des Präsidenten sind auch in der Ost- und Südukraine weiter auf dem Vormarsch. Kundgebungen des "Anti-Maidan" gab es dieser Tage z.B. in Odessa (siehe hier, hier, hier und hier), Donezk (siehe hier, hier, hier und hier), Lugansk, Jalta, Saporoshje und Cherson. (Bitte auch die verlinkten Seiten anklicken, um zu Fotos und Videos aus den genannten Städten zu gelangen.)
Während die Opposition - mit Ausnahme ihrer extremistischen und gewaltbereiten Elemente - anscheinend immer schwächer wird, gewinnen ihre Gegner zunehmend an Fahrt. Von den Versuchen vor 8 und 14 Tagen, Verwaltungsgebäude in der Ost- und Südukraine zu erobern, sind die Maidan-Anhänger offenbar verstört nach Kiew zurückgekehrt. Da im Osten wohnen wilde Leute, so schrieben sie in den sozialen Netzwerken. Man steigt vor dem Bahnhof in ein Taxi, sagt sein Ziel (das Verwaltungsgebäude) an, doch der Taxifahrer bringt die angereisten Randalierer prompt zum nächsten Polizeirevier - nicht ohne vor dem Aussteigen noch den Fahrpreis zu kassieren.
Noch ein kleines Detail am Rande: Letzte Woche war eine dänische "Aktivistin" des Euromaidan mehrere Tage verschwunden und ist dann nach Angaben dänischer Medien in Polen wieder aufgetaucht. Soviel zum "ukrainischen Volk", das uns auf den deutschen Fernsehkanälen präsentiert wird.
Der ersten Terroranschlag der "Euromaidan"-Anhänger mit internationalen Auswirkungen wurde am Freitagabend begangen. Ein ukrainischer Staatsbürger namens Koslow versuchte, eine Boeing, die von Charkow nach Istanbul fliegen sollte, in seine Gewalt zu bringen. Er forderte die Besatzung auf, nach Sotschi zu fliegen, es sei eine Bombe an Bord, die er über dem Stadion, wo gerade die Olympischen Spiele eröffnet wurden, zur Explosion bringen wolle. (Sowohl Janukowitsch als auch Putin waren dort.) Der Flugkapitän ging zum Schein auf diese Forderung ein, flog aber statt dessen weiter nach Istanbul, wo die Passagiermaschine von türkischen Jagdflugzeugen in Empfang genommen und zu einem Flugplatz geleitet wurde. Dort konnte der Hijacker überwältigt werden. Sprengmaterial oder Waffen waren nicht an Bord.
Koslow ist als Kämpfer des Euromaidan bekannt. Es existieren Fotos, auf denen er z.B. mit Vitali Klitschko zu sehen ist oder wo er vor den Barrikaden in Kiew posiert. Somit kann Klitschko sich rühmen, daß seine Freunde und Kampfgefährten schon dazu fähig sind, Angriffe auf den zivilen Luftverkehr durchzuführen - alles im Namen der "europäischen Werte". Koslow wurde in der Türkei natürlich festgenommen. Die Türken werden den Vorfall wohl kaum auf die leichte Schulter nehmen, denn auch ihr Ministerpräsident Erdogan war in Sotschi und wäre unter den Opfern eines erfolgreichen Anschlags gewesen. Folglich hat Koslow großes Pech gehabt. Er dürfte einige Zeit in türkischen Haftanstalten zubringen. Und diese sind, dem Vernehmen nach, nicht gerade als Kurorte bekannt.
Eine der wichtigsten Fragen für den Fortgang des Staatsstreiches in der Ukraine ist die nach dem weiteren Agieren Polens. In der polnischen Presse mehrt sich die Kritik an der Regierungspolitik. Dieser Tage war z.B. in einem Kommentar zu lesen, es sei falsch, ausgerechnet diejenigen politischen Kräfte in der Ukraine zu unterstützen, die am stärksten anti-polnisch eingestellt sind.
Noch ist die Regierung in Warschau wohl strikt auf dem Kurs, der von EU und den USA vorgegeben wurde, d.h. sie arbeitet auf den Sturz der derzeitigen Kiewer Regierung und auf eine Machtübernahme durch die Opposition hin. Fragt sich nur, wie lange sie diese Politik, die offensichtlich den Interessen des polnischen Staates zuwiderläuft, fortsetzen werden. Denn Warschau ist in einer Zwickmühle: Die EU-Nachbarschaftspolitik wurde maßgeblich von Polen initiiert, insbesondere mit dem Ziel der Schwächung Rußlands. Scheitert diese Politik im Großen und Ganzen, wonach es zur Zeit aussieht (nur zwei - noch nicht unterzeichnete - Verträge mit Moldawien und Georgien), dann droht das Prestige Polens innerhalb der EU zu sinken. Doch gelänge der jetzige Staatsstreich, würden in der Ukraine höchstwahrscheinlich die westukrainischen Nationalisten an die Macht kommen, von denen Polen noch nie etwas Gutes zu erwarten hatte.
Ich möchte hier nicht mehr viele Worte über die deutsche Bundesregierung verlieren. Doch eine der letzten Stellungnahmen unserer Bundeskanzlerin kann nicht unkommentiert bleiben. Von der ARD wurde sie mit der Aussage zitiert, Präsident Janukowitsch müsse endlich aufhören, elementare Bürgerrechte zu mißachten, sonst würden ihm Sanktionen drohen. Mir war neu, daß die BRD das Entführen von Flugzeugen oder das Werfen von Brandsätzen mittlerweile als elementares Menschenrecht ansieht. Gegen diesen kollektiven Irrsinn unserer politischen und medialen Klassen hilft nur noch Ironie:
"Ein Sprecher der EU-Kommission: “Wir haben festgestellt, dass Janukowitsch für seine Sicherheitsgesetze entsprechende Regelungen demokratischer Staaten plagiiert hat. Er verletzt damit das Urheber- und Leistungsschutzrecht unserer freiheitlichen Wertegemeinschaft.”Medien, die sich von der Realität abgekoppelt haben, sind schlimm, doch Politiker, die in einer Phantasiewelt regieren, sind eine Katastrophe für ihr eigenes Land. Und wir Deutschen haben diese Frau zu unserer Anführerin gewählt ...
So durften ukrainische Demonstranten plötzlich nicht mehr Zelte oder Bühnen ohne Genehmigung aufbauen. Sie konnten vor Gericht gezerrt werden, wenn sie Polizisten bedrohten oder beleidigten, extremistische Informationen verbreiteten und die öffentliche Ordnung störten. Es war ihnen auch verboten, den Zugang zu Gebäuden zu blockieren sowie Ministerien zu besetzen. Und wenn sie dann das Gericht missachteten, gab es noch eine Strafe obendrauf…
Der Gipfel der Unverfrorenheit sei jedoch, dass Janukowitsch sein unerträgliches Vermummungs-, Helm- und Uniformverbot fast wörtlich aus dem deutschen Versammlungsgesetz abgeschrieben und einzig die Strafandrohung variiert habe: In der Ukraine drohten bei Zuwiderhandlungen zehn Tage Gefängnis, in Deutschland sei es ein Jahr: “Hätte er die Haftdauer auch noch angeglichen, dann müsste er vor den Internationalen Gerichtshof.”"
Abschließend noch kurz zu der vermutlich weiteren Entwicklung. Fakt ist: Die "Revolution" in der Ukraine stockt. Und zwar schon seit über einer Woche. Damit verliert sie ihre Dynamik und droht, im Sande zu verlaufen. Daher brauchen die Regierungsgegner, wollen sie doch noch auf dem einmal beschrittenen Weg gewinnen, eine weitere Gewalteskalation. Aber diese würde unweigerlich die Extremisten stärken. Ansonsten zeigt sich, daß der Rückhalt des Präsidenten in der Bevölkerung doch nicht so schwach ist und immer mehr zunimmt. Daher ist aus Sicht der Opposition schnelles Handeln geboten.
In der politischen Perspektive scheint alles auf eine Föderalisierung der Ukraine hinauszulaufen. Doch eine solche Abkehr vom bisherigen Prinzip des Zentralstaates hätte auch zahlreiche Nachteile, z.B. die Frage nach der Grenzziehung. Außerdem könnte damit die Kardinalfrage dieser Wochen - nämlich die Assoziierung mit der EU - nicht beantwortet werden. Denn auch ein Bundesstaat wäre völkerrechtlich eine Einheit. Also EU-Assoziierung ja oder nein. Von daher böte nur eine echte Teilung des Landes beiden Seiten die Möglichkeit, ihre jeweiligen Ziele und Interessen durchzusetzen. Doch ob es dazu kommen wird oder ob nicht am Ende die ukrainische Tradition des politischen Sichdurchwurstelns ohne Entscheidung die Oberhand behalten und damit alle ukrainischen Bürger gleichmäßig verärgern wird?
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