Samstag, 25. Januar 2014

Tatsächliche Spaltung der Ukraine


Seit der Nacht zu gestern ist der ukrainische Bürgerkrieg - so muß man die Unruhen mittlerweile wohl nennen - in eine neue Phase getreten. (Konsumenten deutscher Medien haben davon vermutlich kaum etwas mitbekommen. Deren Reporter konzentrieren sich nach wie vor auf Kiew.) Die etwas gemäßigtereren Regierungsgegner wie etwa Vitali Klitschko wurden von den Extremisten aus dem Umfeld der rechtsradikalen Partei Swoboda an den Rand gedrängt. Jetzt scheint endgültig der Mob die Macht übernommen zu haben. Diese Entwicklung hatte sich freilich schon angedeutet, als Nationalisten Klitschko kürzlich während einer Rede mit dem Inhalt eines Feuerlöschers besprühten.

Nationalistische Kämpfer haben zum einen das Landwirtschafts- und das Energieministerium in Kiew erobert und dort die Fahnen von Swoboda gehißt. Diese "friedlichen Demonstranten" in Tarnanzug und Stahlhelm erklärten denn auch stolz im Fernsehen, sie seien keine Europäer, sondern Ukrainer. Deshalb interessiere es sie nicht, ob ihre Aktionen europäischen Standards entsprächen oder was man in Europa über sie denke. In der Hauptstadt wird zur Zeit das Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft belagert.

Noch viel wichtiger als diese Aktionen ist jedoch die faktische geographische Teilung des Landes, die seit gestern besteht. Vor allem im Westteil des Landes, wo sie die Mehrheit stellen, haben Regierungsgegner die Gebäude von Bezirks- und Kommunalverwaltungen attckiert und oft auch besetzt. Was als Demonstration begann, endete im Tumult. In den Fernsehberichten war sehr gut zu sehen, wie einige distinguierte Herren in Anzug und Krawatte - offensichtlich Vertreter der Gemäßigten - versuchten, die Menge, die oft nur aus wenigen hundert Randalierern bestand (revolutionäre Volksmassen sehen anders aus), zu besänftigen. Oft erfolglos - der militärisch gekleidete Pöbel ließ seiner Zerstörungswut freien Lauf. So wurde z.B. die Autobahn, die von Lwiw (Lemberg) nach Polen - also nach Westen - führt, besetzt und mittels brennender Barrikaden blockiert und teilweise zerstört. Zwischenzeitlich wurden auch mehrere Gouverneure zum Rücktritt gezwungen.

Der Polizei gelang es nur in Ausnahmefällen, dem Chaos, welches im Namen der "Demokratie" angezettelt wurde, Einhalt zu gebieten und eine Besetzung zu verhindern. Kein Wunder, werden doch mittlerweile Polizeibeamte sogar außer Dienst angegriffen, als Geiseln genommen oder erstochen.

Nunmehr besteht eine faktische Teilung der Ukraine, die sich anhand folgender Karte (Stand: heute, 13 Uhr Ortszeit) nachvollziehen läßt:


Sonach sieht es folgendermaßen aus: Die gelb markierten Regionen stehen großteils unter Kontrolle der Aufständischen, dort wurden die Regionalbehörden gestürmt und besetzt. In den lilafarbenen Gebieten werden Verwaltungsgebäude blockiert, in den orangefarbenen gibt es Proteste.

Gegenbewegungen formierten sich bisher in den beiden hellblauen Gebieten, der Krim und Lugansk. Dort wurden Unterstützungserklärungen für die Regierung abgegeben. Möglicherweise droht auch da eine Besetzung von Verwaltungsgebäuden, allerdings von seiten der Unterstützer der Regierung, um diese Liegenschaften nicht in die Hand zugereister Krawallmacher aus dem Westen des Landes fallen zu lassen. 

Einigermaßen ruhig ist es noch in den grau markierten Regionen im Osten und Südwesten (Odessa).

Man muß heute konstatieren, daß es die Ukraine als einheitlichen Staat nicht mehr gibt. Was ich selbst noch vor wenigen Tagen für unwahrscheinlich gehalten hätte, ist eingetreten. Die Westukraine hat sich nicht nur von der Zentralregierung losgesagt und sich ihrer Kontrolle entzogen, sondern kämpft nun auch offen gegen ihre Mitbürger Rest des Landes. Das Land ist faktisch geteilt.

Fraglich ist, wie lange sich die Bürger im Osten und Süden der Ukraine diese Angriffe und Provokationen noch gefallen lassen. Vielleicht wird es auch hier demnächst zu Ausschreitungen kommen, die sich dann gegen die nationalistischen Kämpfer richten, die vom armen Lemberg aus mit Bussen ins ganze Land gebracht werden, um auch dort, in den wirtschaftlichen und industriellen Zentren der Ukraine, das Feuer des Bürgerkrieges zu entfachen.

Aus geopolitischer Perspektive ist der Vorgang besonders interessant. Die Bruchlinie, welche ich schon gestern anhand demoskopischer Erhebungen darstellen konnte, ist nun manifest geworden. Jetzt haben die Westukrainer ihre Ausgangsbasis erobert. Die Polizei dort ist zu schwach, um dagegen vorzugehen. Bliebe noch ein Einsatz der Armee, doch den wird Janukowitsch wohl kaum anordnen.

Den Westukrainern wird es nunmehr darum gehen, noch möglichst viele Teile des Staatsgebietes unter ihre Kontrolle zu bringen und die dortigen Einwohner - oft ethnische Russen - wieder unter ihre Knute der "Ukrainifizierung" zu zwingen. Insbesondere können sie nicht auf die industriellen Kerngebiete verzichten. Die Westukraine mag unheimlich stolz sein, doch ökonomisch gesehen ist sie ein Armenhaus.

Der Ausgang dieses Ringens hängt jetzt weniger von der Zentralregierung in Kiew als vielmehr von den Bürgern im Osten und Süden ab. Möglicherweise wird am Ende tatsächlich eine auch staatsrechtliche Teilung des Landes stehen (analog zur Teilung der Tschechoslowakei 1993). Doch daran kann den westlichen Sponsoren des Aufstandes nicht gelegen sein, sie wollen die ganz Ukraine als Beute haben.

Auch die Vorgänge vom heutigen Tage in Kiew deuten darauf hin, daß sich die Aufständischen immer weiter radikalisieren. Schon seit Tagen werden Losungen, in denen das Wort "Tod" auftaucht, skandiert. Die Opposition lehnt jedes Gespräch mit der Regierung ab und stellt ultimative Forderungen, die für die legale Regierung unerfüllbar sind. Somit ist eine weitere Gewalteskalation vorprogrammiert und wird, so ist zu befürchten, im Laufe des Wochenendes noch eintreten.

Das entspricht übrigens exakt dem Schema, welches auch in Libyen und Syrien abgelaufen ist: Nicht etwa die Regierung treibt zum Bürgerkrieg, sondern die Opposition mit ihrer unversöhnlichen und kompromißlosen Haltung. Für die Regierungsgegner ersetzt die Zahl ihrer Straßenkämpfer die fehlende Mandatierung durch die Wähler. Die Macht der Truppen, die uns hierzulande als "demokratischen Opposition" verkauft werden, stammt von Molotowcocktails, nicht aus Wahlurnen. Und deutsche Politiker und Journalisten unterstützen das natürlich. Die Gesundheitsrisiken, die etwa von den seit Tagen rund um die Uhr brennenden Barrikaden aus Autoreifen entstehen, werden gekonnt ignoriert. Dabei fürchten wir Deutschen uns doch sonst vor "Gammelfelisch", "Genkartoffeln" und Kernenergie, als ob es reines Gift wäre.

Nachtrag: Hier noch ein Video vom Sturm auf die Bezirksverwaltung in Winniza (wo sich übrigens im 2. WK das Führerhauptquartier "Werwolf" befand):



Verwandte Beiträge:
Ukrainisches Volk und fremde Agenten
Die Ukraine als Kolonie
Bürgerkrieg in Kiew
Kurz zur Lage in der Ukraine

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen