Montag, 22. Februar 2010

22.02.2010: Musik des Tages

Vorgestern hatte ich hier erwähnt, daß zwei Offiziere der Spezialeinheit Alfa mit der Rockband Ljube zusammen musizieren. Heute will ich dieses Lied mit dem Titel "Po wysokoj trawe" (dt.: Durch das hohe Gras) nachreichen. (Hier gibt es noch ein anderes Video desselben Titels mit englischen Untertiteln.)
Wobei ich gerade sehe, daß die noch mehr Aufnahmen gemeinsam produziert haben - deshalb also im Anschluß als zweites Stück "Wsje budjet kak nado" (dt.: Alles wird so, wie sein muß).
Das dritte Video ist ein hih-hop-mäßiges Danklied, das ein mir unbekannter Interpret in Erinnerung an die in Beslan gefallenen Alfa- und Vympel-Angehörigen aufgenommen hat. Musikalisch trifft es nicht meinen Geschmack, doch es zeigt, wie populär die Spezialeinheiten sind. (Das Video enthält außerdem viele Originalaufnahmen der Ereignisse in Beslan. Man achte dort auf die bewaffneten Zivilisten - das sind jene selbsternannten Geiselbefreier, deren dilettantisches und unkoordiniertes Vorgehen gegen die besetzte Schule das tragische Ende des Geiseldramas mit herbeigeführt hat.)










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Spetsnaz V: Alfa und Vympel heute

Samstag, 20. Februar 2010

Spetsnaz V: Alfa und Vympel heute

Im heutigen fünften Teil der Spetsnaz-Reihe – der zugleich der letzte ist, in dem die Spezialkräfte des Föderalen Sicherheitsdienstes der RF (FSB) Thema sind – werde ich die Organisation, Ausbildung und Ausrüstung dieser Einheiten vorstellen. Zuvor möchte ich jedoch einige Bemerkungen zu Fragen der Geheimhaltung machen, da insoweit in Rußland einiges anders läuft als in Deutschland.

Man ist recht offen hinsichtlich der Identität von (ehemaligen) Angehörigen der Spezialeinheiten. Diese Männer treten häufig unter eigenem Namen im Fernsehen auf oder veröffentlichen Erlebnisberichte - auch über Ereignisse, die noch nicht so lange zurückliegen wie z.B. die Geiselnahme im Dubrowka-Theater (Moskau 2003). Im allgemeinen gibt es aus heutiger Sicht jedoch eine Zeitgrenze, die etwa im Jahr 2000 liegt. Der Grund liegt darin, daß viele der damaligen Mitarbeiter heute noch im Dienst sind und ihre Identität geschützt werden soll. Von den aktiven Angehörigen sind nur wenige öffentlich bekannt. Die publizistischen Aktivitäten der (früheren) Alfa-Angehörigen zeigen sich auch in der von ihrem Veteranenverband herausgegebenen Zeitschrift Speznas Rossii belegt. Ihre Kollegen von Vympel sind insofern etwas zurückhaltender.
Sehr sparsam geht man mit Detailinformationen hinsichtlich der Organisationsstruktur, der Bewaffnung und Ausrüstung sowie der Einsatztaktik um. Deshalb werden bei öffentlichen Veranstaltungen (z.B. Tagen der offenen Tür), wo Spezialkräfte auftreten, häufig martialisch aussehende Kampfsportdarbietungen gegeben. Damit kann man die Zuschauer unterhalten, ohne technische und taktische Details preisgeben zu müssen.



Organisation und Aufgaben

Die Gruppen Alfa und Vympel sind heute keine eigenständigen Einheiten mehr. Im Oktober 1998 wurde im FSB das Zentrum für Spezialaufgaben (ZSN – russ.: Zentr spezialnogo nasnatschenija) gebildet, in dem beide Einheiten aufgegangen sind. Innerhalb dieses Zentrums firmieren sie heute offiziell als „Verwaltung ‚A’“ (Alfa) und „Verwaltung ‚W’“ (Wympel).
Das ZSN hat vielfältige Aufgaben bei der Bekämpfung des Terrorismus, insbesondere des islamischen Extremismus, wahrzunehmen. Deshalb besteht es nicht nur aus den bereits genannten Spezialkräften, sondern ihm gehören auch „operative“ Abteilungen an, die sich z.B. mit der Aufklärung von Terrororganisationen befassen. Darüber hinaus unterstützt das ZSN ggf. andere Diensteinheiten des FSB, etwa bei der Bekämpfung des Drogenschmuggels.

Über die genaue Struktur und die Personalstärke der Verwaltungen A und W ist wenig bekannt. Sie gliedern sich in mehrere, durchnumerierte Abteilungen (bei Alfa sollen es derer 6 sein). Ich vermute, daß Vympel zahlenmäßig etwas kleiner ist als Alfa. Denn 2004 in Beslan ist der Kommandeur von Vympel, Dmitrij Rasumowskij, gefallen. Rasumowskij war damals immer noch Oberstleutnant, wohingegen alle Chefs von Alfa in den letzten 20 Jahren entweder Oberst oder bereits Generalmajor gewesen sind. Konkret: Das ZSN wird seit 1999 vom hochdekorierten Generaloberst Alexander Tichonow geleitet; Chef der Verwaltung "A" ist derzeit Generalmajor Wladimir Winokurow.

Im Internet kursiert eine Zahl von 700 Mitarbeitern allein für Alfa. Diese Zahl halte ich allerdings für zu hoch. Die Unterhaltung von Spezialeinheiten ist sehr kostenintensiv (was dort nicht anders als in Deutschland ist), zudem existieren in der RF zahlreiche Spezialeinheiten außerhalb des ZSN, darunter auch die regionalen Spezialkräfte des FSB. Ich persönlich würde daher den Personalbestand von Alfa und Vympel auf gemeinsam etwa 300 bis 400 Mann schätzen. Die Zahl 700 beinhaltet möglicherweise alle Mitarbeiter des ZSN, das jedoch nicht nur aus den beiden Spezialeinheiten besteht.



Hauptaufgabe der Spezialeinheiten des ZSN ist die Bekämpfung von Terroristen und bewaffneten Straftätern, sei es bei der Reaktion auf einen stattgefundenen Anschlag (insbesondere einer Geiselnahme) oder bei der Festnahme derselben infolge einer erfolgreichen Fahndung. Dieser Auftrag ist natürlich sehr umfassend.
Einen Schwerpunkt in der Einsatzvorbereitung von Alfa bilden Verkehrs- und Infrastrukturobjekte wie Flugzeuge, Busse, Eisenbahnzüge und Schiffe sowie natürlich der Kampf im urbanen Raum (bisweilen auch „schwarze Taktik“ genannt). Einige, schon ältere Presseberichte vermitteln den Eindruck, daß sich Vympel ein wenig auf das, was man als „grüne Taktik“ bezeichnet, sowie auf amphibische bzw. triphibische Einsätze spezialisiert haben könnte. Allerdings scheint auch Alfa über eigene Taucher zu verfügen.

Stationiert ist die Einheit in Balaschicha (im Moskauer Gebiet gelegen), dem früheren Standort der Spezialschule des KGB. In der Regel sind ständig Teile des ZSN im Nordkaukasus im Einsatz. Deshalb wurde kürzlich in Dagestan eine Art vorgeschobener Basis gebildet, wo die Spezialkräfte nicht nur untergebracht werden, sondern auch trainieren können.



Personal und Ausbildung

In den Verwaltungen „A“ und „W“ dienen ausschließlich Offiziere und Berufsunteroffiziere. Anwärter, die höchstens 28 Jahre alt und nicht kleiner als 175 cm sein dürfen, müssen sich – was in der Natur der Sache liegt – umfangreichen medizinischen, physischen und psychologischen Tests unterziehen. Dazu kommen eine Hintergrundüberprüfung über die Vergangenheit des Bewerbers sowie Alkohol- und Drogentests. Sollte der Anwärter dies alles überstanden haben, werden seitens des FSB seine Eltern und ggf. seine Ehefrau angesprochen, ob die dem (die Familie belastenden) Dienst ihres Sohnes bzw. ihres Mannes in einer Spezialeinheit einverstanden sind.

Die Ausbildung vollzieht sich auf mehreren Wegen. Anwärter, die bereits der Armee, Polizei, den Grenztruppen usw. angehören, werden – wenn möglich – noch auf die Spetsnaz-Fakultäten von Offiziershochschulen des Verteidigungsministeriums (z.B. in Nowosibirsk und Moskau) umgeleitet. Neueinsteiger werden von Beginn an zum Studium auf diese Fakultäten geschickt, ebenso spricht man geeignete Absolventen derselben an, ob sie nicht ins ZSN wechseln möchten.
Ansonsten wird die Aus- und Fortbildung des Personals innerhalb des ZSN durchgeführt. Dabei kann auf geeignete Übungsplätze und Schießstände ebenso wie auf die Hubschrauber der FSB-eigenen Fliegerkräfte zurückgegriffen werden. Im ZSN geht man davon aus, daß es etwa drei Jahre dauert, bis ein neuer Mitarbeiter einsatzbereit ist. Nach Abschluß der Ausbildung wird dem neuen Mitarbeiter ein Messer mit dem passenden Namen „Antiterror“ überreicht.

Insgesamt vermitteln Alfa und Vympel den Eindruck, daß sie ausbildungsmäßig dem heute weltweit gültigen Standard für polizeiliche Spezialeinheiten entsprechen – ein Eindruck, der durch den Bericht in K-ISOM 1/2010 ebenfalls gestützt wird. Dies und auch die von den Einheiten geleisteten Einsätze (vgl. hier und hier) widersprechen dem Klischee vom schlangenfressenden Spetsnaz-Soldaten, bei dem der Bizeps das Gehirn ersetzt.



Ausrüstung

Den Angehörigen der Verwaltungen „A“ und „W“ steht ein umfangreiches Arsenal an Handfeuerwaffen zur Verfügung. Hauptwaffe ist selbstverständlich das Sturmgewehr AK-74 in diversen Varianten, wobei mittlerweile auch mit ausländischen Waffenteilen und Zubehör gearbeitet wird. Man beachte dazu meine früheren Berichte inkl. Bilder hier, hier und hier. Kurzwaffenmäßig werden wohl ausschließlich Pistolen verwendet – neben der Makarow (PMM) auch die neue Jarygin, die Stetschkin sowie Modelle aus dem Hause Glock.
Dazu kommen noch diverse (Klein-)Maschinenpistolen, Gewehre mit integriertem Schalldämpfer, MGs und weitere Unterstützungswaffen. Die Präzisionsschützen haben mittlerweile das Dragunow abgelegt und sind mit Repetiergewehren ausgestattet. Neben dem SW-98 wurden auch schon ausländische Modelle, etwa von Sako, gesichtet.

Man kann davon ausgehen, daß die Mitarbeiter des ZSN ggf. auf jede in Rußland gefertigte Waffe zurückgreifen können. Zudem wurde in den letzten Jahren, soweit das Budget es zuließ, fleißig im Ausland eingekauft.
Ansonsten steht das an persönlicher Ausrüstung zur Verfügung, was man von Spezialeinheiten dieses Kalibers im internationalen Vergleich erwarten kann: Helme und kugelsichere Westen (beides wird in der RF produziert), Funkgeräte (zumeist importiert), Fahrzeuge, Tauchausrüstung, Fallschirme usw. usf.



Sonstige Aspekte

Von 1974 bis 2009 sind 24 Angehörige von Alfa im Einsatz getötet worden; bei Vympel waren es 15 seit 1981. Zahlreiche Angehörige der beiden Einheiten sind mit Orden und Ehrenzeichen geehrt worden, darunter mindestens ein Dutzend „Helden der Sowjetunion“ bzw. „Helden Rußlands“.

In Diskussionen über Spezialeinheiten taucht immer wieder die Frage nach einer „Hackordnung“ auf: Wer ist der beste etc. In Rußland würde man diese Frage zumeist mit folgender Liste beantworten: Ganz oben stehen die Spezialkräfte des ZSN des FSB, dann folgen die regionalen Einheiten des FSB sowie ein Teil der Spezialeinheiten der Inneren Truppen des MWD (z.B. „Rus“, „Witjas“) und auf der dritten Ebene tummelt sich dann der Rest der Inneren Truppen sowie OMON und OMSN für die regionalen Innenbehörden und was es sonst noch so in der ziemlich bunten „Special Forces“-Landschaft der RF gibt.
Ich persönlich halte von solchen Zuschreibungen wenig, es kommt darauf an, die einzelne Einheit zu begutachten. So sind mir z.B. die Resultate eines Scharfschützenvergleichswettkampfes bekannt, bei dem ausgerechnet eine OMON-Mannschaft gewonnen hat. Dennoch läßt sich mit der „Hackordnung“ insofern arbeiten, als man z.B. bei den beiden Spezialeinheiten des ZSN weiß, daß sie immer sehr gut ausgebildet, ausgerüstet und vorbereitet sind, während sich bei den Kräften anderer Behörden bisweilen ein disparates Bild ergibt.



Die Angehörigen von Alfa und Vympel gelten heute in Rußland als Helden und sind entsprechend beliebt, wozu der Opfergang in Beslan (2004) wesentlich beigetragen hat. Es existieren mehrere Denkmale mit den Namen der Gefallenen. Das ZSN und insbesondere Alfa betreiben zudem eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, ebenso einige manche FSB-Dienststellen in den Regionen. So nehmen z.B. regelmäßig zwei Alfa-Offiziere an Veranstaltungen teil (siehe z.B. hier und hier) und sind auch schon mit der bekannten Rockband Ljube aufgetreten. Ferner betreiben Veteranen Kampfsportklubs oder richten Schießsportveranstaltungen aus, wobei der Name „Alfa“ auch als Markenzeichen dient. Die Spezialeinheiten isolieren sich also nicht von der Öffentlichkeit, sondern sind dort sehr aktiv. Das liegt auch daran, daß sie zu Recht auf ihre Leistungen stolz sein können. Möglich ist dies alles natürlich nur, weil alles, was mit Spezialeinheiten und Militär zu tun hat, in Rußland wie in ganz Osteuropa recht populär ist. Damit gehen die dortigen Gesellschaften anders um als es im pazifistischen Deutschland üblich.



Nachwort

Mit dem vorliegenden fünften Teil wird die Spetsnaz-Reihe hier auf Backyard Safari vorerst beendet. Ihre Fortsetzung wird sie mit Beiträgen über die übrigen Sicherheitsbehörden und ihre Spezialeinheiten finden. Am wichtigsten wäre eigentlich die intensive Behandlung von Miliz und Inneren Truppen (Bereitschaftspolizei). Da im Geschäftsbereich des Innenministeriums derzeit allerdings große Veränderungen (vulgo: Reformen) anstehen, werde ich damit noch warten müssen und voraussichtlich einige andere Behörden vorziehen.



Bibliographie

P. Jewdokimow: „Alfa“. Istorija antiterrora, in:
Bratischka 8/2009, S. 2 ff.

P. Jewdokimow: Uschel moj brat ..., in: Bratischka 7/2010, S. 24.

R. Faruschkin / A. Musijenko: Totschen-snatschet shiw, in: Bratischka 11/2009, S. 2 ff.

Kalendar „Bratischki“, in: Bratischka 10/2009, S. 78.

S. Koslow: Kak popast w speznas FSB, in: Bratischka 8/2009, S. 60 ff.

A. Michailow / D. Beljakow: „Eto nascha rabota“, in: Bratischka 8/2009, S. 52 ff.

Ju. Muchin: Odin djen s „Alfoj“, in: Bratischka 8/2009, S. 10 ff.

Ju. Muchin: Swjasannyje odnoj zelju, in: Bratischka 8/2009, S. 28 ff.

Wikipedia: Alfa (russ.), Vympel (russ.).




Fotos: Bratischka. Noch viel mehr davon gibt es hier, hier, hier und hier.



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Freitag, 19. Februar 2010

Spetsnaz IV: Einsätze von Alfa und Vympel seit 1992

Der Zerfall der Sowjetunion hat Kräfte freigesetzt, von denen manche – wie der berühmte böse Geist – wohl besser in der Flasche geblieben wären. Das Ende des „Reiches des Bösen“ hat eben nicht zur Ausbreitung von Freiheit und Demokratie im eurasischen Raum geführt. Im Gegenteil, manche der dort lebenden Menschen scheinen das Wort „Freiheit“ dahingehend mißverstanden zu haben, daß sie sich nun ungestraft an ihrem Nächsten vergehen dürfen. Freiheit hieß bisweilen in der Praxis, endlich „Rache“ an den Nachbarn im nächsten Dorf nehmen zu können, die dummerweise einer anderen ethnischen Gruppe angehörten und deshalb vertrieben oder massakriert werden sollten. Man muß sich beispielsweise nur die Vorgänge im Fergana-Tal 1990 vor Augen führen, um zu erkennen, welche archaischen Gewalten sich in den südlichen Teilen der SU, im Kaukasus und in Mittelasien, Bahn gebrochen haben.

Anfang der 1990er Jahre waren die Spezialeinheiten Alfa und Vympel hiervon weniger stark betroffen als die Einheiten des Innenministeriums und der Streitkräfte, die in allen Brennpunkten eingesetzt waren. Im Jahre 1992 hatte etwa Alfa nur einen Einsatz, als am 5. Dezember 347 Passagiere eines entführten Flugzeugs auf dem Flughafen Moskau-Wnukowo befreit werden konnten. Die Maschine war in Mineralnyje Wody (bei Stawropol im Nordkaukasus gelegen) abgeflogen; der Entführer wurde festgenommen.
Etwas mehr „Action“ hatten im selben Jahr die nunmehr selbständige Alfa-Einheit in Alma-Ata (Kasachstan). Im Februar waren 6 Berufsverbrecher ausgebrochen und hatten Geiseln in einem Bus genommen. Nach einer zweitägigen Verfolgungsjagd konnten sie jedoch befreit werden. Doch im folgenden soll es nurmehr ausschließlich um diejenigen Teile der Spezialeinheiten geben, die nun zur Rußländischen Föderation gehörten.



Am 3. und 4. Oktober 1993 wurde in Moskau wieder Putsch und Bürgerkrieg gespielt, diesmal Präsident Jelzin gegen das demokratisch gewählte und rechtmäßig agierende Parlament. Die von Jelzin eingesetzten Alfa- und Vympel-Kräfte, die eigentlich das Parlament im Weißen Haus hätten stürmen sollten, haben die Ausführung dieses Befehls verweigert. Statt dessen haben ihre Führer eigenverantwortlich Verhandlungen aufgenommen, in denen sie die Verantwortlichen der Parlamentsseite zur Aufgabe bewegen konnten. Anschließend wurde das schon von Panzern in Brand geschossene Weiße Haus evakuiert, wobei ein Alfa-Offizier ums Leben gekommen ist.



Vom 23. bis zum 26. Dezember 1993 wurde der Nordkaukasus von einer jener Geiselnahmen erschüttert, die im Laufe der Zeit immer größer werden sollten. Vier Terroristen hatten in Rostow am Don 15 Schüler und eine Lehrerin als Geiseln genommen. Als die aus Moskau eingeflogenen 53 Alfa-Männer unter dem Kommando von G. Sajzew in Rostow eintrafen, flogen die Geiselnehmer mitsamt ihren Geiseln in einem Hubschrauber nach Krasnodar ab. Alfa folgte ihnen an Bord eines anderen Flugzeugs. Die Verfolgungsjagd in der Luft setzte sich am nächsten Tag fort, Ziel war diesmal das schon bekannte Mineralnyje Wody.
Am 25.12. wurde nach einer Lösegeldübergabe ein Teil der Geiseln freigelassen, so daß noch 4 Schüler und 3 Erwachsene in ihrer Gewalt blieben. Am 27.12. kamen noch einmal drei Schüler frei, danach flog die unfreiwillige Reisegruppe weiter nach Machatschkala (Dagestan). Doch die Entführer glaubten, sie befänden sich im heimatlichen Tschetschenien und verließen den Helikopter. Sie konnten später von Spezialkräften des dagestanischen Innenministeriums festgenommen werden.



Am 26. und 27. Mai 1994 ging es in fast derselben Besetzung weiter. Vier bewaffnete Tschetschenen hatten bei Stawropol einen Ausflugsbus mit 36 Personen an Bord gekapert. Neben Teileinheiten von Alfa aus Moskau wurden auch Kräfte aus der „Alfa-Filiale“ in Krasnodar eingeflogen. Am Abend des 26.05. waren auf dem Flughafen von Mineralnyje Wody 64 Spezialkräfte von Alfa, Miliz und Inneren Truppen zusammengezogen worden; das Kommando übernahm der Chef der Inneren Truppen des MWD, Generaloberst Kulikow. Am 27. flogen Geiselnehmer und ihre Opfer frühs in einem Hubschrauber ab, ihnen folgten sechs Helikopter mit den Sicherheitskräften an Bord. Ziel war die Gegend von Batschi-Jurt (Tschetschenien). Es gelang Alfa-Kräften, die Terroristen unschädlich zu machen und festzunehmen; lediglich einer konnte in der von Wäldern geprägten Gebirgsgegend fliehen, wurde aber im folgenden Jahr ergriffen.



Im Dezember 1994 beschloß Präsident Jelzin, die Gewalt in jenes Land zurückzutragen, von dem sie ausgegangen war: der Erste Tschetschenienkrieg begann. Die bekanntesten Einsätze von Alfa und Vympel im Zusammenhang mit diesem Konflikt fanden außerhalb Tschetscheniens statt, dennoch waren die Einheiten auch dort eingesetzt, z.B. als Personenschützer.

Vom 14. bis 19. Juni 1995 dauerte die erste jener Massengeiselnahmen, die sich mittlerweile zum Markenzeichen tschetschenischer Terroristen entwickelt haben. In Budjonnowsk (Stawropoler Gebiet) war eine Bande unter Führung des berüchtigten Schamil Bassajew in ein Krankenhaus eingedrungen und hatte etwa 1.000 Geiseln genommen: Patienten, medizinisches Personal, Familienangehörige. Am Morgen des 17. unternahmen Alfa-Kräfte einen Versuch, das Krankenhaus zu stürmen und die Geiseln zu befreien. Die Operation insgesamt mißlang, allerdings konnten zumindest 280 Geiseln befreit werden. Die Terroristen konnten ihre Forderungen durchsetzen und so setzte sich eine Buskolonne mit Geiselnehmern und einigen Geiseln (die später freigelassen wurden) an Bord in Richtung Tschetschenien in Bewegung. Ein Desaster für die Sicherheitsbehörden. Nicht nur, daß die Gangster entkommen waren, zudem waren insgesamt 130 Zivilisten ums Leben gekommen. Aus den Reihen der Sicherheitskräfte waren an Gefallenen zu beklagen: 18 Milizionäre, 18 Angehörige der Inneren Truppen sowie 3 Offiziere von Alfa.



Verglichen damit waren die Geiselnahmen in Autobussen am 20.09.1995 in Machatschkala und am 14.10.1995 in Moskau Kleineinsätze, obwohl auch in diesen beiden Fällen Alfa die Geiseln gewaltsam befreien mußte – diesmal glücklicherweise ohne Opfer unter den Geiseln.

Der Krieg im Tschetschenien tobte unterdessen weiter und zog am 09.01.1996 wiederum Dagestan in Mitleidenschaft. In der alten Messerstadt Kisljar griff eine tschetschenische Kampfgruppe unter Führung von Radujew zunächst den Flugplatz sowie eine Garnison der Inneren Truppen an und zog sich danach ins Stadtgebiet zurück, wo sie sich in einem Krankenhaus und in Wohnhäusern mit insgesamt ca. 2.000 Geiseln verschanzten. Am 11.01. fuhren die Terroristen mit etwa 100 Geiseln als Schutzschild in Bussen in Richtung Tschetschenien. Die Kolonne wurde von Sicherheitskräften in der Nähe der Ortschaft Perwomajskoje gestoppt. Dort wurde vom 13. bis 15. Januar ein seltsamer Befreiungsversuch durchgeführt: Neben Spezialkräften waren auch Kampfhubschrauber und Artillerie eingesetzt, um das Dorf zu stürmen. Geholfen hat es nicht, der größte Teil der Terroristen konnte aus der Einkreisung entkommen und zurück nach Tschetschenien fliehen. Das ganze Drama dauerte bis zum 18. Januar. In Perwomajskoje waren u.a. auch Kräfte von Alfa neben solchen des MWD eingesetzt; sie führten dort vor allem Aufklärungshandlungen durch und halfen bei der Evakuierung der Geiseln. Beim Beseitigen von Sprengfallen nach Ende der Operation sind dann noch zwei Offiziere der Verwaltung „A“ gefallen.



Neben dem politischen Terrorismus wurden die Spezialkräfte des FSB auch durch die ordinäre Gewaltkriminalität in Anspruch genommen. So etwa am 19. und 20. Dezember 1997 in Moskau, als ein bewaffneter Mann den schwedischen Handelsvertreter Jan-Ulof Njystrom in seine Gewalt brachte. Es gelang dem Stabschef von Alfa, Oberst Anatolij Saweljew, den Geiselnehmer zur Freilassung des Schweden zu bewegen, indem er sich selbst als Austauschgeisel anbot. Nachdem Saweljew in seiner Geiselhaft einen tödlichen Herzinfarkt erlitten hatte, entschloß sich die Führung von Alfa zur gewaltsamen Bereinigung der Lage, wobei der Täter ums Leben kam.



Der Eindringen von islamistischen Insurgenten nach Dagestan im Herbst 1999 (vgl. auch hier, hier und hier) sowie der sich anschließende Zweite Tschetschenienkrieg stellten auch für die Angehörigen von Alfa und Vympel eine große Herausforderung dar, nahm doch die Zahl der Einsätze rapide zu. Einen Schwerpunkt bildete in den ersten zwei Jahren die Fahndung nach den wichtigsten Feldkommandeuren der Terroristen. Ein prestigeträchtiger Erfolg gelang z.B. Alfa-Angehörigen am 13.03.2000, als in Tschetschenien der bekannte Terrorist Salman Radujew festgenommen werden konnte.
Am 31.07.2001 brachte Sultan Said Edijewym einen Bus in Mineralnyje Wody in seine Gewalt und drohte mit der Zerstörung des Fahrzeugs und der darin befindlichen Passagiere; er trug Sprengmittel am Körper. Seine Forderung: Freilassung der 1994 nach einer Flugzeugentführung am selben Ort inhaftierten Terroristen. Edijewym wurde durch einen Scharfschützen von Alfa ausgeschaltet; keine der Geiseln kam zu Schaden.



Vom 23. bis 26. Oktober 2003 gelang den Islamisten aus dem Nordkaukasus ihr bislang öffentlichkeitswirksamster Anschlag mitten in Moskau. Eine etwa 30 Mann starke Terrorgruppe unter Führung von Mowsar Barajew drang während einer Vorstellung in das Dubrowka-Theater, wo gerade das Musical „Nord-Ost“ gegeben wurde, ein und nahm insgesamt 850 Personen als Geiseln, um den Abzug der rußländischen Behörden und Sicherheitskräfte aus Tschetschenien zu erpressen. Sie plazierten im Saal mehrere Bomben und drohten mit der Sprengung des Gebäudes, sollte man ihren Forderungen nicht nachgeben (was politisch natürlich ausgeschlossen war). Die Terroristen gingen mit den Geiseln sehr rüde um, weshalb es zu Todesopfern kam. Auch wenn es zwischenzeitlich gelungen war, einige der Geiseln herauszuholen, so mußte doch damit gerechnet werden, daß die Täter ihre Drohung wahrmachen würden. Deshalb wurde den Spezialeinheiten des FSB der Befehl zu Befreiung der Geiseln gegeben.
Am Morgen des 26.10. wurde über das Belüftungssystem ein Betäubungsgas in das Theater gepumpt, danach stürmten Spezialkräfte von FSB und MWD das Gebäude. 41 der Terroristen wurden getötet (zumeist durch Kopfschüsse), 750 Geiseln konnten befreit werden. Insgesamt starben jedoch 120 Geiseln, der Großteil infolge des Betäubungsgases, da für ihre Behandlung nicht genügend Antidota zur Verfügung standen. Auch in den Reihen der Sicherheitskräfte waren Tote zu beklagen.



Es ist dieser zweifelsohne tragische Ausgang des Geiseldramas, der zu der weitverbreiteten Wahrnehmung beigetragen hat, die Sicherheitskräfte seien „brutal“ und ohne Rücksicht auf Verluste vorgegangen. Diese Wahrnehmung ist jedoch falsch, denn es gab bei realistischer Betrachtung nur zwei Alternativen: Entweder wird der – immer riskante – Befreiungsversuch gewagt, oder man wartet tatenlos ab, bis die Geiselnehmer weitere Geiseln töten oder gar das ganze Gebäude in die Luft sprengen. Die Folge der zweiten Option wären zweifelsohne bis zu 800 Todesopfer gewesen. Daher hat man sich für die Befreiung entschieden und hat damit Recht behalten, denn immerhin konnten 700 sonst todgeweihte Menschen gerettet werden. Es ist selbstverständlich bedauerlich, daß es nicht mehr waren, aber bei realistischer und sachkundiger Betrachtung der Ereignisse war es eben nicht möglich.
Auch wenn allerlei selbsternannte „Experten“, die oftmals kaum fähig sind, eine Pistole von einem Revolver zu unterscheiden, die Durchführung der Befreiungsoperation in Bausch und Bogen verdammen, so halte ich sie doch für geradezu genial und im Ergebnis für einen Erfolg, der primär den Spezialkräften des FSB zuzurechnen ist. Warum? Jede andere Option für eine Befreiung (z.B. der Einsatz von Präzisionsschützen) war aufgrund der Örtlichkeiten extrem schwierig, wenn nicht ganz ausgeschlossen. Die Geiseln waren zentral in einem großen Saal konzentriert und so unter ständiger Bewachung der Terroristen. Eine gedeckte Annäherung und ein schrittweises Vorgehen bei der Befreiung waren somit unmöglich, wenn man nicht erheblich größere Verluste unter den Geiseln riskieren wollte. Die Geiselnehmer mußten mit möglichst einem Schlag neutralisiert werden, ohne daß sie Gelegenheit erhielten, die Bomben zu zünden. Dafür war die gewählte Variante mit dem Betäubungsgas m.E. gut geeignet.

Im übrigen ist mir kein anerkannter amerikanischer oder westeuropäischer Experte bekannt, der in die populäre Verdammung des „bösen Putin“ und die damit implizit einhergehende Glorifizierung der nordkaukasischen Geiselnehmer eingestimmt hätte. Im Gegenteil, die „üblichen Verdächtigen“ (z.B. ehemalige Kommandeure von Spezialeinheiten) waren erstaunlich still - vermutlich in dem Bewußtsein, daß sie mit der gegebenen Lage kaum besser fertiggeworden wären als ihre russichen Kollegen.
Des weiteren ist „Nord-Ost“ ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie im Falle der in Rußland aktiven islamistischen Terroristen die Täter durch einen Teil der Medien quasi zu bedauernswerten Opfern gemacht werden, während man ihren Opfern zumindest eine gewisse Mitschuld gibt – was m.E. nichts anderes als eine Verhöhnung der ums Leben gekommenen Geiseln ist.



Fast zwei Jahre später, vom 1. bis 3. September 2004, kam es im nordossetischen Beslan zur nächsten und, soweit ich sehe, bis dato auch letzten Massengeiselnahme in Rußland (ein Indiz für den Erfolg der Sicherheitskräfte bei der Bekämpfung der gewalttätigen Islamisten). Zu diesem Ereignis, das für Alfa und Vympel zu einem Opfergang werden sollte, habe ich hier bereits das nötige gesagt.

In den Jahren seit 2004 folgten dann für die Spezialeinheiten des FSB noch zahlreiche kleinere Einsätze, deren Ziel primär in der Zerschlagung festgestellter Terrorgruppen und der Festnahme ihrer Mitglieder bestand. Die Sicherheitskräfte konnten mittlerweile also von der Reaktion zur Aktion übergehen.

Diese kurze Darstellung der Einsätze seit 1991 soll hier und jetzt genügen. Im folgenden V. Teil der Spetsnaz-Reihe werde ich die Behandlung der Spezialkräfte des FSB abschließen und dabei die Organisation, Ausbildung und Ausrüstung der Einheiten thematisieren.



Hier sei mir bitte noch ein kurzer Exkurs gestattet. Wenn es in jedem regionalen „Low Intensity Conflict“ eine Art spezifischen „Modus operandi“ der irregulären Kräfte geben sollte, so ist das im Falle des Nordkaukasus zweifelsohne die Massengeiselnahme mit vielen hundert Betroffenen. Die Entwicklung dieser Massengeiselnahmen zeigt m.E. sehr gut auf, wie sich dieser Konflikt in den letzten 20 Jahren entwickelt hat. Bis in die zweite Hälfte der 1990er Jahre ging es noch um „nationale“ Ziele wie die Unabhängigkeit von der RF. Damals wollten die Teroristen Aufmerksamkeit erheischen, Geld erpressen, „die Russen“ demütigen – und zogen sich danach ins heimatliche Tschetschenien zurück (sofern man sie ließ). Dabei mußten nicht zwangsläufig viele Geiseln zu Schaden kommen und es war noch eine gewisse, bisweile auch zielführende zweiseitige Kommunikation möglich. Seit der Konflikt jedoch immer stärker religiös aufgeladen wurde (auch dank arabischen Emissären), kamen die Geiselnehmer, um an Ort und Stelle mit ihren Geiseln zu sterben. Einigermaßen rationale Verhandlungen waren damit fast unmöglich, denn ein Nachgeben im Hinblick auf die hochpolitischen Forderungen der Täter war natürlich von vornherein ausgeschlossen, wollte sich die Regierung der RF nicht erpreßbar machen. Dies führte dann fast zwangsläufig zu einem hohen Blutzoll bei der Beendigung der Geiselnahmen.



Bibliographie

P. Ewdokimow: „Alfa“. Istorija antiterrora, in: Bratischka 8/2009, S. 2 ff.

P. Ewdokimow: Polkownik speznasa, in: Bratischka 1/2010, S. 8 ff.

Kalendar „Bratischki“, in: Bratischka 6/2009, S. 78.

A. Michailow / D. Beljakow: „Eto nascha rabota“, in: Bratischka 8/2009, S. 52 ff.

G. Sajzew / P. Ewdokimow: Gruppa krowi „A“ (1), in: Bratischka 8/2007, S. 14 ff.

G. Sajzew / P. Ewdokimow: Gruppa krowi „A“ (2), in: Bratischka 9/2007, S. 32 ff.

M. Sotnikow: „Alfa“, stawschaja ego sudboj, in: Bratischka 9/2009, S. 28 ff.



Das erste Bild ist 1995 in Budjonnowsk entstanden, die Fotos 2 und 3 im Oktober 2003 in Moskau und die übrigen im September 2004 in Beslan.


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Mittwoch, 17. Februar 2010

Spetsnaz III: Der FSB nach 1991

Zeit der Wirren 1: Jeden Monat ein neuer Geheimdienst

Die Entwicklung der Nachrichten- und Sicherheitsdienste im postsowjetischen Rußland ist ein schwieriges und sehr komplexes Thema. Noch im Dezember 1991 wurde das Komitee für Staatssicherheit der UdSSR aufgelöst, an seine Stelle trat ein kurzlebiger „Zwischenrepubliks-Sicherheitsdienst“, von dem man hoffte, daß er im Rahmen der neugegründeten Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) erhalten bliebe. Dem war jedoch nicht so, obwohl sich im GUS-Vertrag auch Bestimmungen über die sicherheitspolitische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten, etwa im Bereich der Grenzsicherung, finden. Bereits vor dem formellen Ableben der SU waren in den sich nach und nach für unabhängig erklärenden Unionsrepubliken eigene Sicherheitsbehörden entstanden, die zumeist aus den dort angesiedelten vormaligen KGB-Diensteinheiten bestanden. (Dieser Vorgang lief bei den Streitkräften analog ab.)

In der Rußländischen Föderation liefen verschieden Organisationsentwicklungen parallel, deren wichtigstes Merkmal darin bestand, daß im Ergebnis der mächtige Apparat des KGB zerschlagen und in zahlreiche Einzelbehörden aufgespalten wurde. Dabei nahm man die Spitze des KGB weg und verselbständigte i.d.R. die auf der darunterliegenden Hierarchieebene befindlichen Organisationseinheiten. So wurde z.B. aus der 1. Hauptverwaltung des KGB später der Dienst für Auslandsaufklärung (SWR).
Nachfolgend einige Eckdaten der Entwicklung in Rußland im Hinblick auf die „inneren“ Nachrichten- und Sicherheitsdienste: 26.11.1991-24.01.1992 Agentur für föderale Sicherheit der RSFSR; 24.01.1992-21.12.1993 Ministerium für Sicherheit der RF; 21.12.1993-12.04.1995 Föderaler Dienst für Spionageabwehr der RF (FSK). Im Frühjahr 1995 hatte zumindest auf dieser Strecke Präsident Jelzins dauerndes Herumexperimentieren mit den Sicherheitsbehörden ein Ende: An die Stelle der letztgenannten Behörde ist der Föderale Sicherheitsdienst der RF (FSB - russ.: Federalnaja Slushba Besopanosti) getreten und existiert bis heute.

Nachfolgend soll diese Behörde so skizziert werden, wie sie sich heute darstellt, d.h. ich werde auf die Schilderung von Details der Entwicklung seit 1995 verzichten.



Die Lubjanka, das Hauptquartier des FSB im Zentrum Moskaus.


Aufgaben des FSB

Durch Art. 8 des Föderalen Gesetzes über den FSB sind der Behörde folgende Aufgaben zugewiesen worden: Spionageabwehr, Bekämpfung des Terrorismus, Bekämpfung der (organisierten) Kriminalität, Schutz der Staatsgrenze, Auslandsaufklärung (im Zusammenwirken mit dem SWR) und die Gewährleistung der Informationssicherheit.
Der FSB erfüllt mithin sowohl polizeiliche als auch nachrichtendienstliche Funktionen und läßt sich insofern am ehesten mit dem amerikanischen FBI vergleichen (vorab: der Grenzschutz spielt innerhalb des FSB eine Sonderrolle). Oder, wem der Vergleich mit deutschen Sicherheitsbehörden lieber ist: Der FSB entspricht gewissermaßen einer Kombination aus BKA, Bundesamt für Verfassungsschutz, MAD, und Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik – plus dem alten BGS.

Wichtig ist ferner, daß es sich beim FSB um eine föderale Behörde (zu Deutsch: eine Bundesbehörde) handelt, d.h. die Föderationssubjekte der RF (die den deutschen Ländern entsprechen) haben hier nichts zu melden, während sie auf die Innenbehörden und die Miliz einen großen Einfluß ausüben.

Organisation des FSB

Die Struktur des FSB ist nur in groben Zügen bekannt. Neben der Zentrale in Moskau und den dort angesiedelten Abteilungen existieren Verwaltungen in jedem Föderationssubjekt, die ggf. über zusätzliche lokale Dienststellen verfügen. Dazu kommen Abteilungen für die Spionageabwehr in den Streitkräften. Unterstützt werden diese (und weitere, selbständige Organisationseinheiten) von einem ganzen Apparat von „Servicediensten“: Ausbildungseinrichtungen, Spezialeinheiten, Fliegerkräfte, Medizinischer Dienst, Versorgungsdienst usw. usf.

Eine Sonderrolle spielt der Grenzschutzdienst. Von 1993 bis 2003 war er eine selbständige, direkt dem Präsidenten der RF unterstellte Behörde. Im Zuge von Putins Geheimdienstreform ist er jedoch dieses Status’ verlustig gegangen und dem Direktor des FSB unterstellt worden. Soweit bekannt, verfügt der Grenzschutz jedoch innerhalb des FSB nach wie vor über eine eigene Organisationsstruktur. D.h. er ist nicht in die übrigen Organe des FSB integriert, sondern diesem nur insgesamt unterstellt. Dabei fungiert der Chef des Grenzschutzes zugleich als stellvertretender Direktor des FSB.
Ebenfalls 2003 wurde die vormals selbständige Behörde FAPSI, die u.a. für Telekommunikationsaufklärung zuständig war, zwischen dem SWR, dem FSO und dem FSB aufgeteilt (daher kommt die Aufgabe Informationssicherheit).

Amtliche Daten zur Personalstärke des FSB werden m.W. nicht publiziert. In diversen Publikationen kursiert eine Zahl von 350.000 Mitarbeitern, ohne daß auf deren Herkunft oder Zusammensetzung näher eingegangen würde. Deshalb erscheint sie mir zu hoch. Eine russische Quelle spricht hingegen von 66.200 Mitarbeitern im eigentlichen „Kern-FSB“ plus 165.000 Mann im Grenzschutzdienst. Das wären dann zusammen 231.200 Mitarbeiter in der gesamten Behörde.

Heute ist der FSB m.E. die wichtigste Sicherheitsbehörde der RF, wenn es um die Bewältigung der aktuell drängenden Sicherheitsprobleme wie Terrorismus oder organisierter Kriminalität geht. Der jeweilige Direktor des FSB – derzeit General Alexander Bortnikow – ist nicht nur einem Minister gleichgestellt (hat also Kabinettsrang), sondern steht zugleich dem Nationalen Anti-Terror-Komitee, einer Art interministeriellen Arbeitsgruppe, vor.



Die bisherigen Ausführungen sollten genügen, um den FSB grob einordnen und auch die Stellung der Spezialeinheiten dieser Behörde einigermaßen verstehen zu können. Denn denen wollen wir uns jetzt wieder zuwenden. (Insofern ist außerdem zu bedenken – das sei hier nur am Rande vermerkt –, daß im Geschäftsbereich des Innenministeriums [MWD] ebenfalls zahlreiche Spezialeinheiten existieren. Diese werden das Thema späterer Beiträge der Spetsnaz-Reihe auf Backyard Safari sein.)

Der Weg von „Alfa“ nach 1991

Soweit ich das nachvollziehen kann, verlief der Weg von Alfa nach dem Ende der SU etwas weniger chaotisch als der ihrer Kollegen von Vympel (s.u.). Zunächst gehörte die Einheit zum Zwischenrepubliks-Sicherheitsdienst, dann zum Sicherheitsministerium der RF, später zum FSK (wo sie wohl, zumindest temporär, auch zur Hauptverwaltung für Bewachung [GUO] zählte), dann ab 1995 zum FSB. Der organisatorische Rahmen scheint somit relativ stabil gewesen zu sein, das Aufgabenfeld der Einheit – Terrorismusbekämpfung – blieb unverändert und sie hatte auf diesem Feld auch gut zu tun.



Zeit der Wirren 2: „Vympel“ nach 1991

Die erste Hälfte der 1990er Jahre war für die Angehörigen der einstmals auf Auslandseinsätze spezialisierten Gruppe „Vympel“ besonders chaotisch. Ende 1991 wurden sie zunächst in die Sicherheitsagentur der RSFSR und danach in das Sicherheitsministerium der RF übernommen. 1992 wurde die Einheit der für Bewachungsaufgaben zuständigen Behörde GUO unterstellt (selbige hing damals noch formell am FSK, wurde später eigenständig und ist 2003 im Föderalen Bewachungsdienst [FSO] aufgegangen). Während dieser Episode änderte sich das Aufgabenprofil von Vympel. Schwerpunkt war nun der Schutz strategisch wichtiger Objekte (z.B. Atomkraftwerke) gegen terroristische Angriffe – schließlich wußten diese Männer, wie man solche Attacken optimal durchführt.

Im Dezember 1993 verfügte Jelzin, daß Vympel ins Innenministerium überführt werden soll. Von den damals knapp 500 Angehörigen der Gruppe waren jedoch nur 57 bereit, diesen Weg zu gehen; sie bildeten später im MWD die Spezialeinheit „Wega“. Rund 150 Offiziere verblieben bei der GUO und wurden Personenschützer oder sie wechselten zu einem der anderen Nachrichtendienste. Viele ließen sich auch entlassen oder pensionieren. Unter ihnen wurde ein anderes, selbst für die damaligen Verhältnisse extrem kurzlebiges Projekt geplant: die Bildung einer neuen, direkt und ausschließlich dem Präsidenten der RF unterstellten Spezialeinheit. Es sollte bei der Idee bleiben, obwohl eine solche Einheit hervorragend in die chaotische Zeit gepaßt hätte, in der es wohl Dutzende Behörden gab, die allein dem Präsidenten verantwortlich waren (zumindest in der Theorie).

Das Ende des Kalten Krieges hatte die bis dahin bestehende Einheit Vympel überflüssig gemacht und das verbliebene Personal suchte nun händeringend nach einer neuen, qualifizierten Beschäftigung. Infolge des skizzierten organisatorischen Hickhacks war die alte Einheit ohnehin de facto zerschlagen worden, auch wenn einige Reste noch da und dort fortbestanden. Die einzige organisatorische und personelle Kontinuität zwischen der alten Vympel-Gruppe und der heutigen Spezialeinheit gleichen Namens stellt die bereits genannte Einheit Wega dar. Im August 1995 ordnete Präsident Jelzin an, daß Wega fortan zum FSB gehören soll – wo Alfa schon lange angekommen war. Seit diesem Zeitpunkt heißt die Einheit auch wieder Wympel bzw., in der offiziellen Version, Verwaltung „W“ (manchmal auch als „V“ transkribiert).

An dieser Stelle ging es mir erst einmal nur um die Organisationsentwicklung. Die Einsätze von Alfa und Vympel/Vega nach 1991 und die weitere Entwicklung der Einheiten, insbesondere die Bildung des Zentrums für Spezialaufgaben (ZSN) im FSB, werden im IV. Teil dieser Reihe behandelt.



Stärkere Regionalisierung der Spezialkräfte

Dieser Beitrag wäre unvollständig, wenn er nicht jene Spezialkräfte des FSB zumindest erwähnen würde, die formell zwar nicht zu Alfa oder Vympel gehören, aber dennoch einen Gutteil der Anti-Terror-Arbeit, auch im brenzligen Nordkaukasus, leisten.

Im August 1995 wurde die fünf Jahre zuvor unter der Überschrift „Anti-Terror-Schirm“ begonnene Aufstellung von über das Land verteilten Spezialeinheiten des KGB (später des FSB) fortgesetzt. Gemäß einem Erlaß des Präsidenten begann man in mehreren territorialen Verwaltungen des FSB mit der Bildung von Regionalen Spezialdiensten (RSSN) bzw. Regionalen Spezialabteilungen (ROSN) – und zwar in St. Petersburg, Murmansk, Woronesh, Krasnodar (mit Zweigstellen in Sotschi und Noworossijsk), Rostow am Don, Jekaterinburg, Nowosibirsk, Krasnojarsk, Irkutsk, Chabarowsk, Wladiwostok, Wolgograd und Nishnij Nowgorod. Berichten zufolge verfügen mittlerweile auch manche Grenzschutzbehörden über eigene Spezialkräfte in Form eines RSSN bzw. einer ROSN.

Dabei bildete man in Krasnodar, Jekaterinburg und Chabarowsk die seit 1990 bzw. 1984 bestehenden Filialen von Alfa um; in den übrigen Regionen waren es hingegen Neuaufstellungen. Seither tragen die regionalen Spezialkräfte einen großen Teil der Arbeitslast und es muß nicht mehr wegen jeder „Kleinigkeit“ Alfa-Personal aus Moskau eingeflogen werden. In ihrer Qualifikation stehen sie, sofern man verschiedenen Wettkampfberichten Glauben schenken darf, ihren Kameraden von Alfa in nichts nach. Genaue Angaben über die Stärke der einzelnen ROSN bzw. RSSN sind mir nicht bekannt; selbige dürfte jedoch, wenn man die Gesamtorganisation betrachtet, eher im niedrigeren zweistelligen Bereich liegen.



Bibliographie

BMI (Hrsg.): Verfassungsschutzberichte des Bundes 2004, Berlin 2005.

BMI (Hrsg.): Verfassungsschutzberichte des Bundes 2008, Berlin 2009.

F. Barmin: Speznas cholodnoj wojny, in: Bratischka 8/2009, S. 46 ff.

P. Ewdokimow: Polkownik Speznasa, in: Bratischka 1/2010, S. 8 ff.

R. Faruschkin / A. Musijenko: Totschen-snatschet shiw, in: Bratischka 11/2009, S. 2 ff.

Federal Border Service, o.o. o.J.

Kalendar „Bratischki“, in: Bratischka 8/2009, S. 78.

Kalendar „Bratischki“, in: Bratischka 1/2010, S. 79.

G. Sajzew / P. Ewdokimow: Gruppa krowi „A“ (1), in: Bratischka 8/2007, S. 14 ff.

G. Sajzew / P. Ewdokimow: Gruppa krowi „A“ (2), in: Bratischka 9/2007, S. 32 ff.


Wikipedia: FSB (russ.), FSK (russ.), MSB (russ.), MB (russ.), AFB (russ.), Border Guard Service (eng.).


Die Bilder 2 bis 6 zeigen Spezialkräfte des FSB bei einer Übung im Kaliningrader Gebiet im Juli 2009. Die genaue organisatorische Zuordnung ist mir leider nicht bekannt.


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Fotos: isidro2007, RIA Nowosti.

Montag, 15. Februar 2010

Spetsnaz II: Die Gruppe "Vympel" 1981-1991

Vorgeschichte 1: Kriegsvorbereitungen

Bereits während des Zweiten Weltkrieges hat der sowjetische Geheimdienst NKWD bzw. NKGB umfangreiche Kleinkriegsoperationen hinter den deutschen Linien durchgeführt. Dabei wurden nicht nur die autochthonen Partisanen unterstützt und angeleitet, sondern auch eigene „Aufklärungs- und Diversionsgruppen“ (RDG) für Nachrichtengewinnung und Sabotage eingesetzt. Die dort gewonnenen Erfahrungen waren offenbar weitgehend positiv, denn auch nach 1945 wurden im Komitee für Staatssicherheit (KGB) umfangreiche Planungen für den Kriegsfall betrieben, die teilweise unabhängig von denen der Streitkräfte und des militärischen Nachrichtendienstes GRU waren und sich bisweilen mit ihnen überschnitten.
Dahinter stand die Grundidee, das Territorium des voraussichtlichen Gegners (das waren im Kalten Krieg natürlich die NATO-Staaten) in Kriegs- und Spannungszeiten mit RDGs und Einzelkämpfern verdeckt zu infiltrieren, um wichtige militärische, wirtschaftliche und administrative Ziele anzugreifen. Die dafür vorgesehenen Kräfte stellten somit eine Kombination der Fähigkeiten militärischer Kommandoeinheiten mit denen des klassischen Geheimagenten dar. (Ähnlich übrigens der britischen SOE im 2. WK.) Daneben sollten ggf. auch in Friedenszeiten „fortschrittliche Kräfte“ in der Dritten Welt unterstützt werden, soweit dies der Förderung der sowjetischen Politik förderlich erschien (hier schwang deutlich die Partisanenromantik des 2. WK mit).

Im KGB war dafür die 1. Hauptverwaltung (Auslandsaufklärung) verantwortlich, wobei sich die Organisation und Bezeichnung der für „Sonderaktionen“ zuständigen Strukturelemente immer wieder änderte: zunächst 13. Abteilung, danach Abteilung „W“ (bisweilen auch als „V“ transkribiert) und später 8. Abteilung der Direktion „S“. Die Auslandsresidenturen unterstützten die Zentrale bei den Planungen für den Kriegsfall und verfügten dafür z.T. auch über informelle Mitarbeiter.
In der Sowjetunion selbst wurden zwei Kategorien von Personal für die Durchführung derartiger Sonderaktionen ausgebildet. Zum einen bereits aktive KGB-Angehörige, die von ihren Dienststellen für siebenmonatige Spezialkurse an die Hochschule des KGB in Balaschicha bei Moskau abgeordnet wurden. Danach kehrten sie in ihre bisherigen Diensteinheiten zurück, um wieder ihrem Tagesgeschäft nachzugehen. Die zweite Gruppe bestand aus gedienten Armeeangehörigen (vor allem Fallschirmjägern), welche unter der Tarnung einer Reserveübung einberufen und entsprechend geschult wurden. Diesen „Kadern“ war ihre Mitarbeit im KGB i.d.R. nicht bekannt. Die Aktivierung des Personals beider Kategorien wäre erst im Rahmen der Mobilmachung erfolgt. (Eine ausführliche Beschreibung der Organisation und Ausbildung findet sich bei Auerbach, S. 114 ff.)




Da es keine stehende Spezialeinheit gab, kam der genannten Spezialschule eine herausragende Rolle zu, vor allem hinsichtlich Einsatztaktik sowie Bewaffnung und Technik. Für die Ausstattung der „tschekistischen Kämpfer“ stand ein umfangreiches Arsenal zur Verfügung: Schußwaffen sowjetischer und ausländischer Provenienz (darunter in Kleinserie gefertigte Sonderwaffen) sowie Sprengmittel ebenfalls bevorzugt ausländischer Herkunft, um eine Beteiligung der SU bestmöglich verschleiern zu können. Dazu kamen natürlich Funkgeräte, Kleidung und alles, was man als „Illegaler“ im gegnerischen Ausland so brauchen könnte.

An dieser Stelle ist ein kleiner Exkurs angebracht. In den beiden „Schwarzbüchern des KGB“ werden die Sonderaktionen ausführlich behandelt. Allerdings habe ich mittlerweile erhebliche Zweifel an der Seriosität der beiden Autoren. Bereits bei der Lektüre fällt dem aufmerksamen Leser auf, daß Christopher Andrew bisweilen kühne Schlußfolgerungen zieht, die von dem zuvor ausgebreiteten Faktenmaterial nicht gestützt werden.
Doch auch dieses Faktenmaterial ist fehlerhaft. Ein Beispiel dafür hatte ich im Artikel über die Gruppe Alfa bereits genannt. An einer anderen Stelle behaupten Andrew und Mitrochin, der KGB habe „50 amerikanische AR-16-Pistolen“ mitsamt Munition an eine palästinensische Terrorgruppe geliefert. Komischerweise scheint es eine Waffe mit dieser Bezeichnung nicht zu geben. Ferner ist in den beiden „Enthüllungsbüchern“ überhaupt nicht vom Hauptdarsteller dieses Beitrags – der Gruppe „Vympel“ – die Rede, obwohl sie hervorragend in das Konzept der Autoren passen würde. War das von Mitrochin gelieferte Material wirklich so belastbar, wie oft behauptet wird?
Andrew ging es wohl vornehmlich um das Bedienen gewisser russophober Ressentiments in der britischen Gesellschaft. Seine (vorgegaukelte?) Empörung über die von den Sowjets geplanten und z.T. durchgeführten Maßnahmen verdeckt, daß jede dieser „Gemeinheiten“ auch auf das Konto der Geheimdienste der „freien Welt“ geht. Seien es Mordanschläge auf Einzelpersonen, Waffenlieferungen an Terrorgruppen (z.B. die UPA) oder der Einsatz bewaffneter Gruppen, um einen Aufstand auszulösen (so z.B. 1956 im Rahmen der CIA-Operation „Red Sox / Red Caps“ in Ungarn und der Tschechoslowakei). Insofern versagt Andrew völlig bei der Darstellung des Kalten Krieges als zweiseitigem Konflikt und es steht ihm nicht an, den Moralisten zu spielen.



Vorgeschichte 2: Afghanistan

Der Beginn des sowjetischen Engagements in Afghanistan zum Ende der 1970er Jahre änderte alles für die mit der Vorbereitung von „Sonderaktionen“ betrauten Dienststellen der 1. Hauptverwaltung des KGB. Hatten sie vorher wegen des (glücklicherweise!) ausbleibenden Dritten Weltkrieges ein Schattendasein geführt, so waren ihre Kenntnisse und Fähigkeiten angesichts des Partisanenkrieges am Hindukusch plötzlich aktuell – und gefragt.

Bereits am 5. Juli 1979 wurden 38 Offiziere, die gerade an der KGB-Spezialschule ausgebildet worden waren, nach Afghanistan entsandt, um dort die Operative Spezialgruppe „Senit“ (dt.: Zenit) zu bilden. Kommandeur der Gruppe war N. Surkow, als sein Stellvertreter diente Oberst Grigorij Bojarinow. Letzterer war zuvor Leiter der Spezialschule gewesen; er sollte am 27.12.1979 beim Sturm auf den Palast Amins fallen. Die Aufgabe von Senit war zweigeteilt. Zum einen der Schutz sowjetischer Einrichtungen und ihres Personals in Kabul sowie das Treffen von Vorbereitungen für deren eventuelle Evakuierung, zum anderen die Aufklärung der afghanischen Regierung und ihrer Sicherheitskräfte. Insofern waren die Senit-Angehörigen maßgeblich an der Vorbereitung des sowjetischen Einmarsches im Dezember 1979 beteiligt. Ihre Feuerprobe erlebte die Einheit am 27.12.1979, als 24 ihrer Kämpfer – zusammen mit Kameraden von Alfa und der Sowjetarmee – den Tadsch-Bek geheißenen Palast Hafizullah Amins stürmten (siehe auch Teil I).



Der Krieg in Afghanistan ist in seiner Bedeutung für Streitkräfte und Sicherheitsdienste der Sowjetunion und ihrer Nachfolgestaaten kaum zu überschätzen (und damit meine ich nicht nur die psychologische Komponente der Niederlage). Er sollte vielfältige Veränderungen einleiten, die langsam, aber sicher zur Abkehr von Konzepten aus der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg führten. Dazu zählte auch der Gebrauch von Spezialeinheiten. Wurden sie zuvor manchmal als teures Spielzeug angesehen, dessen Auftrag ebensogut von einer Atomrakete erledigt werden könne, so wurden sie in den Bergen des Hindukusch unersetzlich. Afghanistan war vor allem ein „Krieg der Aufklärer“. Insofern hat auch die Spezialschule des KGB in Balaschicha, an der viele, auch im Zivilbereich anerkannte Spezialisten lehrten, ihren Beitrag geleistet.

Die Spezialkräfte des KGB kamen vornehmlich im Rahmen der diversen Spezialgruppen, die großteils unter der Sammelbezeichnung „Kaskad“ (dt.: Wasserfall) firmierten, zum Einsatz. Sie waren von 1980 bis 1989 in Afghanistan aktiv. Für die Kaskad-Gruppen wurden vornehmlich die bereits als Kommandos ausgebildeten KGB-Angehörigen (s.o.) aktiviert und regional zusammengefaßt. So bestand etwa „Kaskad-Karpaty“ aus ukrainischen und moldawischen „Tschekisten“. 1981 waren an der Gruppe „Kaskad-2“ auch 15 Alfa-Kämpfer beteiligt. (Die Geschichte von Kaskad ist ein eigenes, spannendes Kapitel, das in diesem Beitrag leider nur kurz gestreift werden kann.)



Der Wimpel wird gehißt

Obwohl die 1. Hauptverwaltung des KGB bereits 1969 die Bildung einer kleinen, ständig einsatzbereiten Kadereinheit für notwendig erachtet hatte (vor allem, um evtl. Sonderaktionen auch in Friedenszeiten durchführen zu können), so wurde eine solche doch erst 1981 gegründet. Die Entwicklung des afghanischen Konfliktes hatte der sowjetischen Führung bewußt gemacht, daß es an geeigneten Instrumenten zur Führung eines irregulären Krieges fehlt, vor allem wenn die Missionen zu (formalen) Friedenszeiten im Ausland stattfinden und schon deshalb als heikel gelten. Die bisher in KGB und GRU vorhandenen Strukturen waren zu stark auf den „großen Knall“ ausgerichtet, nicht auf langwierige Kleinkriegsszenarien. In der Militäraufklärung wurde folglich die Bildung rein moslemischer Spetsnaz-Einheiten vorangetrieben, die sich vornehmlich aus den mittelasiatischen Sowjetrepubliken rekrutierten.



Dem KGB bewilligte das Politbüro der KPdSU nach dem Drängen von General Drosdow am 19.08.1981 die Aufstellung einer Spezialeinheit, die in der 1. Hauptverwaltung (Auslandsaufklärung), konkret in der 8. Abteilung der Verwaltung „S“, angesiedelt war. Ihr Name: „Vympel“ (dt.: Wimpel); erster Kommandeur war Kapitän zur See Ewald Koslow. Die Einheit wurde nach außen als Selbständiges Ausbildungszentrum des KGB getarnt und erhielt sogar eine eigene Feldpostnummer (w/tsch 35690). Ihre Aufgabe war die Durchführung verdeckter Operationen außerhalb der UdSSR im Kriegs- und Spannungsfall.

Vympel gehörten zunächst ausschließlich KGB-Offiziere an, die bereits die Spezialschule in Balaschicha absolviert hatten und sich jetzt hauptamtlich dem Partisanenkampf widmen konnten. Die Personalauswahl und das harte Selektionsverfahren sicherte der Gruppe von Beginn an ein hohes Bildungs- und Ausbildungsniveau. Dazu kamen im Laufe der Zeit auch geeignete Soldaten aus den Grenz- und Luftlandetruppen.



Besonderer Wert wurde auf die Nahkampfausbildung gelegt. Des weiteren standen folgende Fächer auf dem Dienstplan: Schießen, Gebirgskampf, Sprengwesen, Fallschirmspringen, Tauchen, Fahren mit allen möglichen Fahrzeugen u.a.m. Die Gruppe verfügte sogar über eigene Piloten. Dazu kamen noch die spezifisch geheimdienstlichen Fächer, z.B. das Leben mit falscher Identität im Ausland und natürlich die Fremdsprachenausbildung. Es war diese eigentümliche Kombination von klassisch militärischen mit nachrichtendienstlichen Fähigkeiten, die das besondere Profil von Vympel prägte und in der UdSSR einmalig machte. (Und es ist dieses Profil, was sich nach 1991 drastisch ändern sollte.)
Die gesamte Aufstellung und Ausbildung der Einheit dauerte fast fünf Jahre. Der KGB kooperierte zudem mit sozialistischen Staaten der Dritten Welt, um den Vympel-Kämpfern eine Ausbildung im Ausland zu ermöglichen. So lernten sie denn auch (sub-)tropische Länder wie Vietnam, Laos, Kuba, Nikaragua, Angola und Mosambik kennen und trainierten dort z.B. den Dschungelkampf.

Doch Afghanistan ließ Vympel nicht in Ruhe. Bereits im Frühjahr 1983 wurde im KGB für den Einsatz am Hindukusch die Spezialabteilung „Omega“ gebildet, deren Personal ausschließlich aus (in dieser Rolle rotierenden) Vympel-Angehörigen bestand. Jedoch war Omega formal selbständig und kein Teil von Vympel. Zuvor waren bereits seit Anfang 1982 Vympel-Kräfte auch im Rahmen von Kaskad-Gruppen eingesetzt worden.
Bezüglich der Nomenklatur hat man, nebenbei bemerkt, an eine alte sowjetische Tradition angeknüpft: Aufklärungsgruppen im Einsatz erhielten schon im 2. WK einen eigenen Codenamen. Dasselbe galt für die KGB-Kräfte in Afghanistan (Kaskad-1, Kaskad-2 usw.). Übrigens agierten auch die 24 Alfa-Männer, die am 27.12.1979 an der Angriffsoperation auf Tadsch-Bek beteiligt waren, unter einem besonderen Namen: „Grom“ (dt.: Donner).



Im Winter 1984/85 hatte die Gruppe einige besondere Übungen im sowjetischen Kernland zu bewältigen. Einsatztrupps „griffen“ wichtige Wirtschafts- und Infrastrukturobjekte (z.B. ein Atomkraftwerk) „an“, um die dort getroffenen Sicherheitsvorkehrungen zu überprüfen.
Von 1985 bis 1991 wurde Vympel von Konteradmiral Wladimir Mcheljew geführt. In seine Amtszeit fällt auch die Erweiterung des Aufgabenfeldes der Gruppe: Zu den „Klassikern“ Aufklärung und Diversion sowie Guerillabekämpfung trat nun der Schutz von Sowjetbürgern im Ausland hinzu.
In diesem Zusammenhang gibt es eine Episode, über die ich hier schon einmal ausführlich berichtet hatte. Im Libanon waren 1985 zwei sowjetische Diplomaten entführt worden. Einer wurde von den Kidnappern getötet, der zweite soll – Gerüchten zufolge – vom KGB befreit worden sein. Auch wenn es dafür keine Bestätigung gibt, so würde diese Aktion doch exakt in das Tätigkeitsprofil der sowjetischen Vympel-Gruppe passen: Verdeckte Infiltration, möglichst verdeckte Durchführung des eigentlichen Auftrages und ebenso eine möglichst verdeckte Exfiltration. In allem galt: Lieber still und leise als mit großem Feuerwerk. Der Einsatz im Libanon wäre, sollte es ihn tatsächlich gegeben haben, der einzige bekanntgewordene Auslandseinsatz der Einheit neben Afghanistan.

Über die Personalstärke der Gruppe Vympel im hier behandelten Zeitraum liegen mir derzeit keine verläßlichen Angaben vor. Aufgrund diverser Andeutungen in der Literatur sowie dem hochspezialisierten Charakter der Einheit schätze ich sie auf eine Größenordnung von etwa 150 bis 250 Mann. Alle darüber hinausgehenden Zahlen erscheinen mir zu hoch – es sei denn, man inkludiert sämtliche in Afghanistan eingesetzten Spezialkräfte des KGB. Allerdings gehörten die meisten davon eben nicht zu Vympel, auch wenn ihre Einheiten ebenfalls der 1. Hauptverwaltung unterstanden. Es spricht im übrigen für die Professionalität der Vympel-Angehörigen, daß sie während des hier behandelten Zeitraums nur einen Gefallenen in den eigenen Reihen zu beklagen hatten: Gefreiter Andrej Wotinzew, der 1982 bei Kandahar umgekommen ist.



Das Jahr 1989 brachte für die Angehörigen von Vympel einschneidende Veränderungen. Fortan sollten sie vornehmlich im Inland eingesetzt werden, um die gewalttätigen Erscheinungen, welche den Zerfall der UdSSR begleiteten, einzudämmen. Insofern teilten sie das Schicksal ihrer Kollegen von Alfa, waren aber im Gegensatz zu diesen aufgrund ihrer Ausbildung kaum auf diese Art von Einsätzen vorbereitet. Besonders markant waren die Einsätze in Aserbaidshan 1989 sowie der Augustputsch in Moskau 1991. Letzterer hat die Vympel-Männer mitten in den Feiern zum zehnjährigen Bestehen der Einheit getroffen. Der langjährige Chef der 1. Hauptverwaltung des KGB, Krjutschkow, gehörte zu den Initiatoren des Staatsstreiches. Teile von Vympel wurden in die Lubjanka beordert, um sich in Bereitschaft zu halten. Zu einem wie auch immer gearteten Einsatz scheint es jedoch nicht gekommen zu sein.

Im Dezember 1991 wurde dann der KGB aufgelöst, die Sowjetunion folgte ihm wenige Tage später. Damit war Vympel quasi herren- und arbeitslos geworden, denn für die „Spetsnaz des Kalten Krieges“ gab es nun, wo der Kommunismus gescheitert war und westeuropäische und amerikanische Berater sich in Moskau die Klinke in die Hand gaben, keine rechte Verwendung mehr. Wie und warum Vympel trotzdem überlebt hat, lesen Sie in den nächsten Teilen dieser Reihe.



Bibliographie

C. Andrew / W. Mitrochin: Das Schwarzbuch des KGB, München 2001.

C. Andrew / W. Mitrochin: Das Schwarzbuch des KGB 2, Berlin 2006.

T. Auerbach: Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front, Berlin 2001.

F. Barmin: Speznas cholodnoj wojny, in: Bratischka 8/2009, S. 46 ff.

P. Ewdokimow: „Alfa“. Istorija antiterrora, in: Bratischka 8/2009, S. 2 ff.

W. Jutow: Kaskadery - Speznas gosbeopanosti priobretal bojewoj opyt w Afganistane, in: Njesawismoje Wojennoje Obosrenije v. 22.09.2000.

Kalendar „Bratischki“, in: Bratischka 7/2009, S. 78.

Kalendar „Bratischki“, in: Bratischka 8/2009, S. 79.

W. Markowskij / W. Miljatschenko: Afghanistan – Krieg der Aufklärer, Klitzschen 2006.

Oni nasywali drug druga po imeni… – Spezpodrasdelenie KGB SSSR „Kaskad“, o.O. o.J.

A. Pljusnin / D. Beljakow: „Tak ush wyschlo, tschto likwidirowal Chafisullu Amina imenno ja…“, in: Bratischka 12/2009, S. 22 ff.

H. Schafranek / J. Tuchel (Hrsg.): Krieg im Äther – Widerstand und Spionage im Zweiten Weltkrieg, Wien 2003.

B. Stöver: Die Befreiung vom Kommunismus – Amerikanische Liberation Policy im Kalten Krieg 1947-1991, Köln 2002.



General Drosdow, der Ziehvater von Wympel.

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13.12.2008: Bilder des Tages

Fotos: Bratischka, http://kaskad-4.avtomat2000.com, http://cccp.narod.ru.