Sonntag, 6. Mai 2007

Jelzins Vermächtnis

Das Ableben Boris Jelzins hat weltweit in den Medien ein breites Echo gefunden, wobei es naturgemäß vor allem um die Einschätzung seiner Amtstätigkeit als russischer Präsident ging. Auch an der Blogosphäre sind die Kontroversen um ihn nicht spurlos vorübergegangen. Da Jelzins sterblichen Überreste nun schon einige Tage unter der Erde ruhen, ist es sicher nicht ungehörig, noch einmal kurz auf seine politische Tätigkeit und seine Darstellung in den deutschen Medien einzugehen.

Für die meisten von ihnen war und ist Jelzin, meiner Beobachtung nach, fast ein Heiliger, der zwar einige, in den jeweiligen Situationen natürlich unvermeidbare Fehler begangen hat, ansonsten aber ein lichtumstrahlter Held von Freiheit und Demokratie ist, wie es ihn in der russischen Geschichte weder davor noch danach gegeben hat (letzteres vielleicht mit Ausnahme von Kasparow). Daraus folgt die Charakterisierung der russischen (und ausländischen) Kritik an Jelzins Amtsführung als 'undankbar' oder 'unrealistisch'. Diese weitgehend kritische Bewertung seiner Person in Rußland selbst wird mithin von Jörg Mettke im Spiegel als "Geschichtslüge der Moskowiter Herrenklasse" denunziert und Michael Ludwig meint in der FAZ, daß sich "vor der schwarzen Folie der Jelzin-Ära [...] die Putin-Zeit um so glanzvoller" abhebt (was freilich auch als Vorwurf gemeint ist).

Die positive Einschätzung Jelzins ist nicht neu, auch in diesem Blog wurde sie - samt ihrer Geschichtsklitterung - schon am Beispiel der FAZ behandelt. An diesen Beitrag soll jetzt angeknüpft werden. Wir haben dort bereits gesehen, wie problematisch die Glorifizierung Jelzins, gerade im Hinblick auf das hohe Ideal der Demokratie, ist. Nachfolgend soll dazu noch Alexej Pankin, der mit Sicherheit kein Parteigänger Putins ist, zu Wort kommen:
"Ich hege keinerlei Zweifel, dass die Wahlkämpfe von 2003 und 2004 beachtliche Mängel in ihrer demokratischen Qualität aufwiesen. Während der ersten Parlamentswahlen und dem Referendum von 1993, ebenso wie bei den Präsidentschaftswahlen von 1996 war ich jedoch der Vorsitzende einer von der Europäischen Kommission finanzierten Mission, die die Wahlberichterstattung in den Medien beobachten sollte. Zu beiden Wahlen fertigten unsere Beobachter kritische Berichte an, die in einigen Fällen mit dem übereinstimmten, was 2003 und 2004 gesagt wurde. In beiden Fällen gab es Versuche, den Beobachtern den Mund zu verbieten, nicht zuletzt auf der Ebene der Botschafter der Europäischen Union in Rußland und, was paradox ist, des Europäischen Kommissars für Internationale Angelegenheiten."
(Zitiert nach Christian Wipperfürth: Putins Russland - ein vertrauenswürdiger Partner?, Stuttgart 2004, S. 148.)

Damit wird klar, daß es bei der im Augenblick modischen Kritik an Wladimir Putin nur bedingt um tatsächliche oder vermeintliche Demokratieprobleme geht, denn bei Jelzin hat man über gleichartige Mängel großzügig hinweggesehen.

Worin liegt nun die Ursache für die offenkundige Ungleichbehandlung von ähnlich gelagerten Sachverhalten? Von Russen hört man hierzu immer wieder den Vorwurf, in den 90er Jahren sei Rußland in jeder Hinsicht schwach gewesen - wie auch sein Präsident -, weshalb man ihn im "Westen" gemocht habe. Ist diese Einschätzung falsch oder eine Propagandalüge des Kreml? Wir lesen weiter in diesen Einlassungen über Jelzin und Putin, die Otto von Habsburg gegenüber der SZ gemacht hat:

"[...]

[Habsburg:] Daher ist das Allerwichtigste die Sicherheit. Schauen sie sich doch die Karte an, wo Europa liegt. Da haben wir einige Nachbarn, die nicht so erfreulich sind.

sueddeutsche.de: An welche Nachbarn denken Sie da?

Habsburg: Russland, an erster Stelle. Russland hat sich immer ausgedehnt. Unter Jelzin war das im Grunde schon so. Es ist das größte imperialistische Land, das es gibt. Es geht bis zu den Kurilen auf der einen Seite und träumt auf der anderen noch immer davon, die baltischen Staaten zurückzubekommen.

sueddeutsche.de: Wladimir Putin ist also eine Gefahr für Europa?

Habsburg: Putin ist etwas ganz anderes als Jelzin war. Jelzin war immer betrunken, was ihn sympathisch gemacht hat. (lacht) Er war halt so ein typischer hundertprozentiger Russe. Auf mich machte er immer einen sehr guten Eindruck.

sueddeutsche.de: Und Putin ist kein typischer Russe?

Habsburg: Putin ist ein eiskalter Bürokrat und Technokrat. Ich befasse mich schon sehr lang mit Putin, schon zu einer Zeit, als die Leute noch gar nicht wussten, dass er existiert. Aus einem reinen Zufall übrigens.

sueddeutsche.de: Aus Zufall? Sind sie sich etwa begegnet?

Habsburg: Schauen Sie, als damals der letzte Wahlkampf in der DDR (im Jahr 1990) stattfand, kam ich an einem Freitagabend in einem Dresdner Hotel an. Der Direktor sagte mir: Vergessen sie nicht, heute finden die antikommunistischen Demonstrationen statt. Man fürchtete, dass dort vielleicht geschossen würde. Ich bin natürlich hingegangen, hab dann bei dieser Demonstration Leute getroffen, die aus Gefängnissen herausgelassen wurden damals, in denen sie auch mit Russen zu tun hatten. Und einige haben gesagt: Da gibt es einen jungen Russen, der besonders arg ist. Sein Name sei Wladimir Putin. Und seither habe ich mich für ihn interessiert, weil sich niemand sonst für ihn interessiert hat.

sueddeutsche.de: Sie nehmen ihm also eine Wandlung nicht ab?

Habsburg: Das ist ein uralter KGB-Mann, der in der eigenen Schule die Schulkameraden denunziert hat.

[...]"


Neben dem erzherzoglichen Privatmärchen, wonach gerade ihm ein paar Demonstranten rein zufällig vom ganz üblen KGB-Major Putin berichtet hätten (man darf dagegen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß sich der KGB nicht mit der von der Stasi erledigten Kleinarbeit abgegeben hat, und selbst wenn, dürften die Gefangenen dort kaum den Klarnamen eines KGB-Offiziers gekannt haben, im übrigen siehe hier), wird auch hier wieder die sich gut verkaufende Silowiki-Geschichte präsentiert. Genauso aberwitzig und geschichtsfern ist seine Behauptung, daß man im Frühjahr 1990 (!) bei politischen Demonstrationen in der DDR hätte mit Schießereien rechnen müssen (als Zeitzeuge sei mir diese Offenheit bitte gestattet). (Über den Expansionsvorwurf u.a. können wir hier jetzt nicht handeln.)
Man wird sich der Feststellung nicht entziehen können, daß auch der Adelsstand im Alter nicht vor Senilität schützt. ;-)

Doch zurück zum Thema. Von Habsburgs Äußerungen lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Jelzin war 'gut', weil er alkoholabhängig, krank und mithin kaum regierungs- und handlungsfähig war (ein richtiger Russe eben), Putin ist 'schlecht', weil er ein disziplinierter Bürokrat und Technokrat ist, der auch etwas im Lande positiv verändert hat (eher untypisch für einen Russen).
Und der Erzherzog ist mitnichten der einzige, der im "Westen" so denkt, aber einer der wenigen, der es offen ausspricht. Rußland ist nur dann akzeptabel, wenn es schwach ist und vor dem Ausland den Kotau verrichtet. Unterbleibt diese Unterwerfung auf ideeller oder materieller Ebene, so wird es als Gefahr an die Wand gemalt und wir müssen in Deutschland mit dem Schleifen der Bajonette beginnen.

Hat man diesen Gedankengang einmal begriffen, erscheint ein Großteil der aktuellen Rußlandberichterstattung wie auch der politischen Äußerungen hierzulande in einem anderen Licht. Heute ist Rußland - Gott sei dank! - nicht mehr in dem jammervollen Zustand der 1990er Jahre und hat wieder einiges an Stärke gewonnen, weshalb man das Land nicht mehr als lästigen Schuldner und Entwicklungsland behandeln kann, das sich von oben herab Lektionen erteilen läßt, und schon entwickelt sich die neue Geschichte von der russischen Gefahr, der Europa angeblich ausgeliefert sei. Dabei stört es nicht, wenn marginale Probleme in einigen Bereichen aufgebauscht und gleichzeitig die fruchtbare Zusammenarbeit in anderen negiert wird. Je dunkler das Bild gezeichnet wird, desto besser.

Damit ist klar: Jelzin war gut, trotz seiner undemokratischen Innenpolitik und seiner wahrhaft imperialen Außenpolitik (von ihm stammt z.B. der Begriff des "Nahen Auslands" für die GUS) - letzteres bei genauerer Betrachtung übrigens im Gegensatz zu Putin (vgl. dazu u.a. das o.g. Buch von Wipperfürth); Putin ist schlecht, trotz seiner gern kleingeredeten Verdienste. Und zur Not, wenn einem die Argumente ausgehen, stellt man einfach auf die Physiognomie der beiden Präsidenten ab, um seine Präferenzen zu begründen. Erstaunlich ist, daß eine derartig irrationale und unpolitische Haltung offensichtlich in Europa über Parteigrenzen hinweg Anhänger findet. Und dies bei Leuten, die sich so furchtbar viel auf ihre, von der Aufklärung geprägte und den Russen angeblich überlegene europäische Zivilisation einbilden, im Ergebnis aber nur oberflächlich spenglern können. Gibt es dafür einen passenderen Begriff als Russophobie?

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