Mittwoch, 18. April 2007

"Kein Schach dem Kreml"

Unter diesem Titel analysiert Peter Nowak in Telepolis das russische Oppositionsbündnis um Garri Kasparow:
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Kasparow hat es sich zum Ziel gesetzt, die zerstrittene russische Opposition zu einen und den russischen Präsidenten schachmatt zu setzen. Die Chancen dafür stehen eher schlecht. Doch in der Öffentlichkeitsarbeit ist die russische Staatsmacht unbeabsichtigt zum besten Verbündeten von Kasparow und seinen Anhängern geworden. Das sollte sich am vergangenen Wochenende wieder zeigen.

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Wenn man noch die schlechte Infrastruktur und die fehlende Medienöffentlichkeit betrachtet, hat die Opposition so zumindest einen Propagandaerfolg errungen. Schließlich zielen ihre Aktionen auch nicht in erster Linie auf die russische Bevölkerung, sondern auf das Ausland. Das machte Kasparow zuletzt in verschiedenen Interviews auch mit deutschsprachigen Zeitungen deutlich.
"Zum Glück nehmen jetzt die anderen Freunde von Putin im Westen ihren Hut. Chirac, Blair. Berlusconi ist schon weg, und Bush hat auch nicht mehr viel Zeit," erklärte er am Wochenende. Mit solchen Tönen macht sich die von Kasparow repräsentierte Opposition die russische Bevölkerung, die durchaus Angst vor einer Einkreisung durch den Westen hat und das US-Raketenabwehrprogramm als Bedrohung empfindet, nicht gerade zu Bündnispartnern.

Ein weiteres Handicap der von Kasparow repräsentierten Opposition ist ihre Zerstrittenheit. Einig ist man sich nur gegen Putin, dessen Amtszeit eigentlich ausläuft. Da man aber fürchtet, dass sich der Präsident durch eine Verfassungsänderung eine weitere Amtszeit genehmigen lässt, richtet man den Widerstand vor allem auf seine Person. Damit holt man Neoliberale mit ins Boot, die unter Jelzin zu Milliardären geworden sind und jetzt fürchten, dass ihr schneller Reichtum staatlich begutachtet wird. Auf der anderen Seite lockt man auch die Nationalbolschewisten. Die haben zwar die NS-Anleihen in ihrer Propaganda in der letzten Zeit etwas zurück gesetzt, als Alternative zu Putin werden sie aber wohl von den wenigsten Menschen in Russland gesehen.

Keine Alternative

Das größte Manko der Opposition in den Augen der russischen Öffentlichkeit ist allerdings deren mangelnde Alternative, vor allem auf wirtschaftlichen Gebiet. Kasparow selber fordert mehr Transparenz und den Kampf gegen Korruption sowie eine bessere Verteilung der Gelder auch in der russischen Provinz. Das sind erstaunlich vage Ziele für eine Bewegung, die sich im entscheidenden Kampf gegen eine Diktatur wähnt. In den Augen vor allem vieler russischer Menschen mit niedrigen Einkommen wird natürlich kritisch vermerkt, dass zu Kasparows Verbündeten auch Teile jener neoliberalen Kreise gehören, die in den ersten Jelzin-Jahren mit einem Schockprogramm die russische Wirtschaft fit für den Weltmarkt machen wollten.

Eine linke Opposition, wie sie vor einigen Jahren in Ansätzen in Russland existierte, ist heute weitgehend marginalisiert. Die ehemalige sowjetische Staatspartei, die KP, hat noch einen gewissen Anhang vor allen bei Menschen über 50. Doch über eine Sowjetnostalgie, gepaart mit nationalen Tönen, kommt sie nicht hinaus. Moderneren sozialen Gruppen ist es bisher nicht gelungen, in breiten Kreisen der Bevölkerung Fuß zu fassen. Diese Schwäche der Opposition ist die Chance für Kasparow. Doch solche fragilen Bündnisse werden trotz der Prominenz einiger Führungspersonen den Kremlgewaltigen kaum gefährlich werden.

Nicht frei von Heuchelei

Hinzu kommt noch der ehemalige russische Magnat Boris Beresowski, der von London aus offen zum gewaltsamen Sturz von Putin aufruft. Er betätigt sich so als Provokateur, der mit seinen Äußerungen dem Kreml zumindest die Handhabe für sein hartes Vorgehen gibt. Die russische Politik kann schließlich damit argumentieren, dass sich die Opposition nicht von den Aufrufen zum Sturz der Regierung distanzierte, auch wenn sie sich selber diese Methoden nicht zu eigen macht.

Auch in anderen europäischen Staaten, beispielsweise in Spanien, werden Parteien und Organisationen verboten, weil sie sich nicht von Gruppen wie der ETA distanzieren. Auch dort werden mit der Begründung der mangelnden Distanz von gewalttätigen Gruppen, immer wieder Demonstrationen verboten oder gewaltsam aufgelöst. Dieses Vorgehen wird in großen Teilen der europäischen Öffentlichkeit begrüßt oder zumindest toleriert.
Deswegen ist auch die Aufregung um die Demokratie in Russland stellenweise nicht frei von Heuchelei.

[...]"

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