Samstag, 14. April 2007

Ist Beresowski ein Terrorist?

Diese Frage mag zunächst absurd erscheinen, doch man sollte einmal die rechtlichen Implikationen seiner Forderung nach einem gewaltsamen Umsturz in Rußland (und seine aktive Unterstützung eines solchen) in den Blick nehmen. Dies geschieht nachfolgend unter der Voraussetzung, daß die im Guardian-Artikel gemachten Angaben den Tatsachen entsprechen.

Hierfür ist die Klärung des Terrorismusbegriffs von zentraler Bedeutung. Selbiger ist zwar international schon immer umstritten gewesen, im Jahre 2002 gelang es jedoch zumindest der Europäischen Union, unter dem Eindruck des 11. September 2001, sich im Rahmenbeschluß 2002/475/JI auf eine gemeinsame Definition zu verständigen (dieser Beschluß ist, BTW, eines der wichtigsten internationalen Rechtsdokumente zur Terrorismusbekämpfung). Dessen Art. 1 I lautet:

"Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die unter den Buchstaben a) bis i) aufgeführten, nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften als Straftaten definierten vorsätzlichen Handlungen, die durch die Art ihrer Begehung oder den jeweiligen Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen können, als terroristische Straftaten eingestuft werden, wenn sie mit dem Ziel begangen werden,

- die Bevölkerung auf schwer wiegende Weise einzuschüchtern oder
- öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder
- die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören:

a) Angriffe auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können;
b) Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit einer Person;
c) Entführung oder Geiselnahme;
d) schwer wiegende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrsmittel, einer Infrastruktur einschließlich eines Informatiksystems, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können;
e) Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder Gütertransportmitteln;
f) Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung oder Bereitstellung oder Verwendung von Schusswaffen, Sprengstoffen, atomaren, biologischen und chemischen Waffen sowie die Forschung und Entwicklung im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen;
g) Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Herbeiführen von Bränden, Überschwemmungen oder Explosionen, wenn dadurch das Leben von Menschen gefährdet wird;
h) Störung oder Unterbrechung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen gefährdet wird;
i) Drohung, eine der in a) bis h) genannten Straftaten zu begehen."


Zwar hat Beresowski noch nicht zu den in den Buchstaben a) bis h) konkret genannten Straftaten aufgerufen oder sie begangen bzw. begehen lassen (zumindest ist derartiges nicht bekannt), doch zielt er bekanntermaßen auf eine - ggf. auch gewaltsame - Absetzung der jetzigen russischen Staatsführung, also das, was oben unter dem dritten Spiegelstrich als Destabilisierung der politischen und verfassungsrechtlichen Grundstrukturen eines Landes bezeichnet wird.
Desweiteren sollen, wie unter dem zweiten Spiegelstrich erwähnt, öffentliche Stellen - hier: der Präsident, die Regierung und/oder die Staatsduma der Russischen Föderation - rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen - hier: Verzicht auf die Ausübung der ihnen von verfassungswegen zustehenden Befugnisse und Übertragung derselben auf andere, nicht im Rahmen des geltenden russischen Staats- und Verfassungsrechts legitimierte Personen - gezwungen werden.
Und es ist kaum vorstellbar, daß im Verlauf eines solchen Putsches keine der oben unter a) ff. konkret aufgeführten Taten begangen werden. Außerdem haben sich die EU-Mitgliedsstaaten in Art. 4 des Rahmenbeschlusses verpflichtet, auch die Anstiftung zu entsprechenden Handlungen unter Strafe zu stellen.
Auch formale Einwände sind nicht ersichtlich, schließlich hält sich Beresowski derzeit auf dem Staatsgebiet des EU-Mitglieds Großbritannien auf, weshalb britisches und EU-Recht anwendbar sind.

Mithin ist es ohne größere Verrenkungen möglich, Boris Beresowski als Terroristen zu kennzeichnen. Welche Konsequenzen sind nun daraus bezüglich der Frage seiner Auslieferung zu ziehen?

Der erwähnte Rahmenbeschluß (Art. 34 II lit. b) EUV) ist als Rechtsakt in der "dritten Säule" der EU nicht im gleichen Maße für die innerstaatliche Rechtsordnung der EU-Mitglieder verbindlich wie es die Verordnungen und Richtlinien (Art. 249 EGV) in der "ersten Säule" (EG, EAG) sind. Darauf hat hierzulande im Juli 2005 das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Europäischen Haftbefehl (Az.: 2 BvR 2236/04) aufmerksam gemacht (vgl. Rdnr. 80 f.) und damit die - abenteuerliche - Argumentation der Bundesregierung, wonach Rahmenbeschlüsse aufgrund der Dynamik der europäischen Integration mittlerweile die gleiche Verbindlichkeit wie Richtlinien erlangt hätten, zurückgewiesen.
Somit scheidet eine unmittelbare Anwendung des Rahmenbeschlusses durch die britische Justiz aus. Allerdings ist er und die sich aus ihm ergebenden Folgerungen im Rahmen des wohl anstehenden Verfahrens um eine Auslieferung Beresowskis an Rußland vom Gericht und, soweit ihr möglich, von der britischen Regierung zu berücksichtigen. Das ist ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit.

Daß man solche Drohungen nicht auf die leichte Schulter nehmen kann, hatte man auch im britischen Außenministerium früher schon einmal erkannt, denn im Vergleich zu Frau Beckett hat Jack Straw im Februar 2006 deutlichere Worte gefunden:

"[...]

We are aware of the comments made by Mr. Boris Berezovsky in an interview on 24 January. Advocating the violent overthrow of a sovereign state is unacceptable and we condemn these comments unreservedly. The UK Government respects Russia's constitutional arrangements and the territorial integrity of the Russian Federation. We enjoy a close working relationship with Russia, as a valued partner of the UK.

Those granted asylum in the United Kingdom have duties to the UK which require in particular that they conform to its laws and regulations. They are advised that their refugee status can be reviewed at any time where it is considered their presence is not conducive to the public good. As we have made clear on many occasions, the UK Government will take action against those who use the UK as a base from which to foment violent disorder or terrorism in other countries."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen