Freitag, 30. März 2007

Selektive und fiktionale Wahrnehmung

Aus einem Artikel über die Leipziger Buchmesse:
"[...]

Gerade in Leipzig, der Messestadt der alten DDR, so sagte Ryklin, dürfte noch gut in Erinnerung sein, wie eine forcierte "Freundschaft" mit dem großen Bruder in Moskau zu einer weitgehend fiktionalen oder selektiven Wahrnehmung der Gesellschaft und Kultur des anderen Landes führe, ja eigentlich einer gegenseitigen Missachtung gleichkomme."

Recht hat er! Fragt sich nur, wessen Wahrnehmung Rußlands hierzulande selektiv und fiktional ist. Wohl eher die der Laudatorin Kerstin Holm u.a. FAZ-Korrespondenten, deren Texte - wie etwa ihr Lobpreis auf A. Politkowskaja als vermeintlich letzter Hoffnung des russischen Volkes, deren Tod zu allgemeiner Depression geführt habe - oft so weit von der Wirklichkeit in Rußland entfernt sind, daß man als 'Insider' nur lachen kann, gleichzeitig aber diejenigen Menschen bedauert, welche nur aus solchen Quellen (des-)informiert werden.

Ein weiteres Beispiel für die von Holm transportierten Mythen ist dieser Satz:
"[...] Die russische Demokratie der neunziger, so erscheint es aus heutiger Sicht, verdankt sich auch einem Machtvakuum und der zivilisierenden Altersmilde der Sowjetgesellschaft, die noch nachwirkte. [...]"

Wir erinnern uns: Die so gerühmte "Demokratie" im Rußland der 90er Jahre hatte zwei besondere Höhepunkte: 1993 die Außergefechtsetzung des legitimen Parlaments durch Militär (die man auch als Staatsstreich bezeichnen könnte) und 1996 die Präsidentenwahlen, bei denen der (im "Westen" gefürchtete) KP-Chef Sjuganow nur verloren hat, weil ihm der Zugang zu staatlichen und staatsnahen Medien beschnitten worden ist und weil Jelzin von den Oligarchen und aus dem Ausland massiv finanziell unterstützt wurde. Vom autokratischen Regierungsstil Jelzins mit der damit einhergehenden Marginalisierung der Staatsduma, der undemokratischen Macht der Oligarchen u.a. ganz zu schweigen.
Also wahrhaft kein verklärungswürdiger Zustand, weshalb schon das Wort Demokratie noch heute bei nicht wenigen Russen diskreditiert ist. Aber davon bekommt der durchschnittliche deutsche Medienkonsument nichts mit, stattdessen werden ihm eine goldene Vergangenheit und eine im Vergleich dazu schrecklich finstere Gegenwart vorgegaukelt.

PS: Leider beschränken sich diese Probleme nicht auf deutsche Medien.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen