Freitag, 16. März 2007

Die polnische Perspektive

Es ist immer wieder überraschend, wie viel Rücksicht auf Polen man in Deutschland zu nehmen bereit ist. So konnte man heute aus der Feder von Peter Frei folgendes lesen:

"[...]

Wir in Deutschland müssen die Traumata der Polen verstehen lernen, nach wie vor mit viel Geduld. Deutschland hat Polen 1939 überfallen, von Hitler befohlen, aber vom Volk bejubelt. Dann, 14 Tage später, wie vereinbart im Hitler-Stalin-Geheimpakt, haben sich die Sowjets Polens Osten einverleibt. Polen war als Staat ausradiert. Millionen von Polen, Juden und Nichtjuden, bekamen den Naziterror und seine stalinistische Variante zu spüren. Beim Warschauer Aufstand 1944 gegen das deutsche Regime, nicht zu verwechseln mit dem zeitlich früheren Aufstand im Warschauer Juden-Ghetto, sind allein 200 000 Polen im Kampf gegen SS und Wehrmacht ums Leben gekommen.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hätte sich Polen fast befreit fühlen können, wieder auferstanden, hätten nicht die Sowjets weitergemacht und Polen als ihr Souterrain betrachtet. An ihrer Westgrenze das damalige DDR-Regime zu wissen, wirkte auf die Polen obendrein wie Zynismus der Geschichte. Diesem Regime in Ostberlin war auch später die polnische Solidarność höchst suspekt mit ihren Versuchen, Freiheit zurück zu gewinnen.

Erst mit der großen Wende in Europa 1989 wurde Polen frei in den von den Kriegsalliierten in den Konferenzen von Jalta und Potsdam zugewiesenen neuen Grenzen einschließlich der ehemaligen deutschen Ostgebiete.

[...]"


Ähnlich Richard Herzinger, allerdings mit einem aktuellen politischen Hintergrund: "Hört auf die Polen!", der der Bundesregierung die rußlandfeindliche Position der polnischen Regierung aufnötigen möchte, um die aktuelle polnische Politik in der Ukraine, Weißrußland und dem Kaukasus (die frappierend an die 20er Jahre erinnert - s.u.) zu stützen (was sollte man von einem notorisch US-freundlichen Welt-Autoren auch anderes erwarten? ;)).
(Auch die Kritik an der Ostsee-Pipeline folgt ja dem strategischen Kalkül, Deutschland auf Gedeih und Verderb an die Ergebnisse der polnischen Ostpolitik zu binden und derselben so mehr Gewicht zu verleihen. Angesichts der polnischen Rolle als Agent der USA in Europa und 'Spaltpilz' in der EU muß man sich in Berlin allerdings fragen, ob dies deutschen Interessen dient.)

Gemeinsam ist beiden Autoren, daß die typisch polnische Sichtweise, wonach die Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges erst 1939 mit dem Hitler-Stalin-Pakt begonnen hätte, völlig unkritisch übernommen wird. Kein Wort von der aggressiven polnischen Außenpolitik nach 1918: Feindschaft gegen Deutschland und die Sowjetunion, die auch schon einmal gewaltsame Formen annehmen konnte (wie z.B. 1920 im polnisch-sowjetischen Krieg oder 1921 in Oberschlesien); Gebietsforderungen gegen alle Nachbarstaaten, die gegen Litauen (Wilnaer Gebiet 1920) und die Tschechoslowakei (1938 infolge des Münchner Abkommens) auch durchgesetzt werden konnten; Pläne für einen unter polnischer Führung stehenden Staatenbund von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer usw. usf.
Bedauerlicherweise haben etwa die Arbeiten Stefan Scheils (siehe z.B. diese Zusammenfassung) oder, populärwissenschaftlicher, Gerd Schultze-Rhonhofs hierzulande noch nicht die notwendige und wünschenswerte Aufnahme gefunden.

Es ist m.E. nicht übertrieben, festzustellen, daß die Lage Polens nach 1945 das Ergebnis einer politischen Entwicklung war, die es selbst nicht unwesentlich beeinflußt hat. Daß sich dabei nicht alle Wünsche polnischer Politiker aus der Zwischenkriegszeit erfüllt haben, war - Pech. Deswegen aber deutscherseits, dem polnischen Leidensgestus folgend, besondere, aus Schuldgefühlen resultierende Sympathien zu entwickeln oder gar seine eigenen Interessen zu vergessen, ist falsch.
Polen betreibt heute eine Außenpolitik, die - auf eine fast schon ironische Weise (hatte Marx vielleicht doch recht?) - an die Zwischenkriegszeit erinnert: man sei aggressiv gegen seine beiden großen Nachbarn (Deutschland und Rußland) und hoffe dafür auf den Beistand eines weit entfernten Dritten (früher Frankreich, heute die USA). Die europäische Solidarität, welche heute zugunsten Polens von Berlin eingefordert wird, ist in Warschau selbst unbekannt! Die Probleme der polnischen Außenpolitik resultieren nicht nur aus den Eigenarten der Regierung Kaczinsky, sondern sind z.T. auch struktureller Natur. Solange sich daran nichts ändert, werden die deutsch-polnischen Verstimmungen wohl nicht enden.

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