Samstag, 24. März 2007

Christian Hackes Ausfälle

In letzter Zeit hat Christian Hacke mehrere Beiträge publiziert, die in mehrfacher Hinsicht bedeutsam sind. In seinem Aufsatz "Die Außenpolitik der Bundesregierung Schröder/Fischer in zeitgeschichtlicher Perspektive" (in: Politische Studien Nr. 402, 2005) geht er mit der früheren Bundesregierung ins Gericht. Neben den in der Tat angebrachten Hinweisen auf deren ursprünglich linkspazifistische Traditionen und das unkluge Agieren in der Frage der UN-Reform finden sich dort (wie auch in seinem Beitrag zu diesem Sammelband) nicht nur atlantische (sprich: pro-amerikanische) Stellungnahmen, sondern auch antifranzösische und antieuropäische Ausfälle, wie man sie aus dem Umfeld der CDU/CSU sonst überhaupt nicht kennt:
"Bis 1998 agierte Bonn klüger: Man verfolgte in der UNO eine ausgleichende Politik, suchte also gleichermaßen Amerikas, Europas und deutsche Interessen zu stärken, also zwischen amerikanischem Unilateralismus und multilateraler Weltordnungspolitik auszugleichen. Diese Rolle korrespondierte bis 1998 mit der entsprechenden regionalen Vermittlerrolle der Bonner Republik im Kräfteviereck Washington, London, Paris und Bonn. Bonn wusste jahrzehntelang die Begehrlichkeiten nach einem angelsächsisch dominierten Europa ebenso zu verhindern wie die Ambitionen aus Paris auf ein neogaullistisches Europa. Auf die USA wurde, wenn nötig, auch in der Vergangenheit couragiert, aber sensibel eingewirkt, doch immer unter dem Primat der Vertraulichkeit.

Außenpolitisch unerfahren haben Schröder und Fischer gar nicht bemerkt, wie Chirac in der Tradition von Richelieu, Talleyrand, de Gaulle und Mitterand jetzt Deutschland gänzlich unter seine Fittiche nimmt und eine neue europäische Sicherheitsstruktur in Distanz zu den USA anstrebt. Diesen Sirenen haben alle Bundesregierungen seit den 50er-Jahren bis zum Ende des Jahrhunderts widerstanden. Doch seit dem Sommer 2002 ist sinnvolle deutsch-französische Freundschaft zu einem unwürdigen einseitigen Abhängigkeitsverhältnis degeneriert, das den außenpolitischen Handlungsspielraum Deutschlands nachhaltig einengt und dem deutschen Selbstverständnis in Europa und der Welt widerspricht. Frankreich lacht sich ins Fäustchen, das alte Europa schüttelt verständnislos den Kopf und die neuen europäischen Demokratien sind über Deutschland enttäuscht und erschüttert."

Aha. Ein Abhängigkeitsverhältnis zu Frankreich ist also unwürdig; wenn dergleichen - oder sogar ein Untertanenverhältnis - zu den USA besteht, ist es das natürlich nicht. Denn die sind per se die Guten, wie Hacke uns weiter demonstriert, haben sie doch ganz selbstlos den Diktator in Bagdad gestürzt. Aber dann bekommt es der Autor mit der blanken Angst zu tun:
"Auch deshalb vertiefen sich die Gräben im Atlantik, wird der transatlantische Verbund brüchig mit möglicherweise schwer wiegenden Folgen, denn mittel- und langfristig droht Washington seine schützende Hand über Deutschland abzuziehen."

Ich sehe den Einfall barbarische Horden aus Paris und Moskau schon vor meinem geistigen Auge. :) Und auch über die Charakterisierung Putins als linkem Spätkommunisten, der "russische Weltmachtansprüche" verfolge, kann man eigentlich nur herzhaft lachen.

Neben dieser sicher verzeihlichen Polemik verdient Hackes Text auch eine ernsthafte Betrachtung. Er konstatiert eine faktisch unipolare Weltpolitik unter Führung der USA, gegen die erst eine multipolare Weltordnung aufgebaut werden soll (S. 82). Dabei übersieht er allerdings, daß es eine solche Unipolarität faktisch spätestens seit 2003 nicht mehr gibt (wahrscheinlich hat sie auch nach 1990 nur in der Phantasie einiger amerikanischer Ideologen existiert).
Die Bedeutung weltpolitischer Akteure wie China und Rußland wird moralisierend kleingeredet oder lächerlich gemacht, die der Vereinigten Staaten hingegen überzeichnet:
"Die USA als größte, bewährteste und mächtigste Demokratie der Welt wird in der eigenen moralisierenden Selbstüberhöhung negiert, ja in ihrem historischen weltpolitischen Wert gemindert. Die historische Bedeutung der USA für die demokratische und freiheitliche Entwicklung in der Welt im 20. Jahrhundert und besonders die unverzichtbare Rückendeckung aus Washington für Deutschlands Interessen wird sowohl werte- wie auch interessenmäßig aufgegeben, stattdessen werden zweifelhafte neue Machtachsen mit autoritären Regimen geschmiedet, nicht nur mit ökonomischen Argumenten. Wohin ist Deutschlands Außenpolitik geraten?"

Dazu paßt, das Hacke die "bewährten Traditionen" bundesrepublikanischer Außenpolitik vor 1989 bzw. 1998 beschwört, ohne freilich zu bemerken, daß die Lage Deutschlands, Europas und der gesamten Welt damals eine gänzlich andere war als heute. Das die veränderte deutsche Außenpolitik nur der Reflex einer veränderten Lage sein könnte, kommt ihm nicht in den Sinn.
Er wirft der Regierung Schröder vor, in einem manichäischen Weltbild befangen zu sein, obwohl das gleiche auch auf ihn zutrifft: Die "Guten" sind die USA und andere europäische Staaten, soweit sie sich den USA unterordnen, die "Bösen" sind der Irak, China, Rußland und andere. Es ist immer wieder befremdlich, mit ansehen zu müssen, wie Professoren das Denken einstellen.

Insgesamt sind Hackes Einlassungen ein schönes Beispiel für das Denken unserer Atlantiker. Über die bedingunglose Unterordnung unter die USA wird auch die europäische Verständigung und Einigung aufs Spiel gesetzt. Damit hat Hacke in schöner Offenheit etwas mitgeteilt, was sonst häufig peinlich verschwiegen wird: Die Frage nach der weltpolitischen Orientierung Deutschlands - Bindung in Europa oder an die USA - läßt sich nur noch alternativ beantworten. Die Zeiten eines 'sowohl - als auch' sind vorbei, der Begriff der "euroatlantischen Strukturen" ist eine Chimäre.
Nur daß dies die Außenpolitiker der CDU/CSU nicht wahrhaben wollen, zu stark hängt man dort noch an den alten Reflexen aus den Kalten Krieg. Doch diese Zeiten sind - glücklicherweise - vorbei. Nun muß man auch in der Union erwachsen werden. Die Außenpolitik der Regierung zeigt, daß, auch unter dem Einfluß abstruser ideologischer Prämissen, eine ansehnliche Bilanz zustande kommen kann. Aber vielleicht sind die 'unideologischen Konservativen' in Wirklichkeit viel verbohrter als es die Marxisten je waren?

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