Montag, 20. Februar 2012

Die Kandidaten positionieren sich

Eine der Kundgebungen von Putins Unterstützern.

Bis zur Wahl des nächsten Staatspräsidenten der Rußländischen Föderation sind es nur noch zweieinhalb Wochen. Die technischen Vorbereitungen der Wahl laufen. Unter anderem werden derzeit in sämtlichen Wahllokalen Webcams installiert, die – in Verbindung mit gläsernen Urnen – im wahrsten Sinne des Wortes für transparente Wahlen sorgen sollen. Unter der Internetadresse Webvybory2012.ru können die Wahllokale am 4. März live überwacht werden. Damit dürften dann die Wahlfälschungsvorwürfe obsolet sein.
Komischerweise wurde hierzulande über diese umfangreiche und kostspielige Maßnahme fast gar nicht berichtet, obwohl die rußländischen Medien voll von Berichten waren. Die Redaktionen basteln vermutlich noch daran, wie sie das alte Mantra "Wahlfälschung" trotzdem verbreiten können.

Unterdessen läuft auch der Wahlkampf auf Hochtouren. Im Fernsehen werden die Werbespots der Kandidaten gezeigt und selbige veröffentlichen Zeitungsartikel, in denen sie ihre Konzepte für den Fall eines Wahlsieges entwerfen.

Davon hat auch der aussichtsreichste Kandidat Wladimir Putin Gebrauch gemacht. In einem ersten Artikel mit der Überschrift "Rußland - Die nationale Frage" (eine deutsche Zusammenfassung gibt es hier) hat er sich zu einem Thema geäußert, das in den letzten Monaten gerade von Vertretern der außerparlamentarischen "demokratischen" Opposition hochgeschossen worden war. Deren Vorkämpfer Alexej Nawalnyj strebt bekanntlich eine ethnische Segregation der multinationalen Rußländischen Föderation an. Dem widersetzt sich Putin im o.g. Artikel. Zwar plädiert auch er für strengere Einwanderungsregeln – so sollen z.B. Sprachtests erfolgen –, doch hält er an der Idee eines multinationalen Staates, indem verschiedene ethnische Gruppen friedlich zusammenleben, fest. Zugleich wanrnt er vor einem Wiederaufflammen des Bürgerkrieges. Er entwirft das Konzept einer polyethnischen Zivilisation, die durch einen russischen kulturellen Kern befestigt werden soll.

Am 6. Februar erschien ein zweiter Artikel unter der Überschrift "Die Demokratie und die Qualität des Staates" (deutsche Zusammenfassung hier), worin er verschiedene Probleme anspricht und Reformen ankündigt. So sollen z.B. die Gouverneure der Föderationssubjekte künftige wieder direkt gewählt werden statt wie bisher von den Regionalparlamenten. Des weiteren soll die lokale Selbstverwaltung gestärkt werden, wozu die Kommunen mehr Steuern zugewiesen bekommen sollen. Auch das Thema Korruption wird angesprochen. Deren Bekämpfung, so Putin, erfordere nicht nur Strafen, sondern vor allem ein Umdenken in der Gesellschaft. Massenrepressalien (wie unter Stalin und wieder von der Opposition gefordert) seien keine Lösung des Problems, vielmehr müsse man die einzelnen Amtsträger überprüfen und dafür sorgen, daß neue Beamte nicht um des schnellen Gledes willen in den Staatsdienst treten.

In weiteren Artikeln hat sich Putin mit Fragen der Wirtschaftspolitik und der Sozialpolitik befaßt. Gerade das Thema der "sozialen Gerechtigkeit" bleibt, trotz des in den vergangenen zwölf Jahren erheblich gestiegenen Wohlstands, für viele Bürger der RF wichtig, wie der Linksruck bei der Dumawahl zeigt.
Bemrkenswert ist, in welchen Tageszeitungen Putin seine Aufsätze publiziert hat. Kommersant, Wedomosti, NG und Komsomolkskaja Prawda gelten durchweg als liberal bis offen regierungsfeindlich. Damit unterstreicht der Ministerpräsident sein Dialogangebot an die Opposition. Viele Beobachter sind der Auffassung, daß die in den Beiträgen enthaltene Problemanalyse durchaus zutreffend ist. Doch fraglich ist wie immer die Möglichkeit der Umsetzung.

Der kommunistische Kandidat Gennadij Sjuganow, derzeit auf Rang zwei in der Wählergunst, scheint unterdessen Kreise gefressen zu haben. In seinen jüngsten Stellungnahmen war nicht mehr viel von der Forderung nach einer Nationalisierung der Schlüsselindustrien zu hören. Er übt sich wohl schon im staatsmännischen Auftreten, um in einem möglichen zweiten Wahlgang bestehen zu können.

Der einzige Anwärter auf das Präsidentenamt, der von keiner politischen Partei nominiert wurde, heißt Michail Prochorow. Er versucht, sich als wichtigster Anti-Putin zu positionieren. Seine Versprechungen klingen z.T. recht abenteuerlich. So will er, der "liberale" Milliardär, nicht nur die Steuern erhöhen, sondern in Sibirien auch einen Gürtel aus neuen Industriestädten errichten, deren Erzeugnisse nach China verkauft werden sollen. Bodenständigere Liberale wie der ehemalige Finanzminister Kudrin haben Prochorows Pläne bereits als illusorisch und nicht finanzierbar abgetan. Andere wirtschaftspolitische Konzepte, die im Ergebnis auf eine Schwächung des Staates zugunsten von einigen wenigen Oligarchen hinausliefen, dürften angesichts des Linksrucks bei den Parlamentswahlen im Dezember höchst unpopulär sein. Vermutlich ist es die Furcht vor dem Volkszorn, die Prochorow bis dato davon abgehalten hat, als Redner bei den großen Kundgebungen für „faire Wahlen“ aufzutreten.

Seine Forderungen, darunter die Begnadigung Chodorkowskijs, entsprechen großteils denen der (teilweise vom Ausland finanzierten) APO. Deshalb ist es gut, wenn Prochorow deren und seine Wünsche in der Präsidentenwahl dem Volk zur Entscheidung vorlegen kann. Dann wissen die Vertreter dieses politischen Lagers endlich, wie (un-)populär ihre politischen Ziele wirklich sind. Und sie können nicht mehr den bösen Putin für ihr Scheitern verantwortlich machen.

Das führt uns zur Frage nach den aktuellen Umfragewerten der Kandidaten. Seit meinem letzten Beitrag zu diesem Thema hat allerdings nur das All-Rußländisches Zentrum für das Studium der öffentlichen Meinung (WZIOM) neue Werte publiziert (Stand vom 16.02.2012):
W. Putin - 53,3 % (+ 1)

G. Sjuganow - 10,3 % (- 1)

W. Shirinowskij - 8,2 % (- 1)

S. Mironow - 3,3 % (- 1)

M. Prochorow - 4,6 % (+ 3).
Die KPRF hat eine eigene Umfrage durchführen lassen. Deren Ergebnisse stimmen mit den eben genannten Werten überein - mit zwei Ausnahmen: Putin soll lediglich auf 28 % kommen, Sjuganow hingegen auf 22 %. Was davon zu halten ist, wird der 4. März zeigen.

Vor dem Wahltag sind noch zahlreiche Kundgebungen angekündigt worden. Am 4. Februar sind erstmals die Unterstützer von Wladimir Putin auf die Straße gegangen (siehe das obige Bild). Und es waren mehr Pro- als Anti-Putin-Demonstranten. Diesem unbequemen Befund haben sich unsere Medien dadurch entzogen, daß sie erstens die wahrscheinlich massiv überhöhten Zahlen der Opposition ungeprüft übernommen (120.000 Teilnehmer) und zweitens die Pro-Putin-Demonstration verunglimpft haben. Da hieß es, die Teilnehmer wären gar nicht authentisch, da ein Teil aus dem Umland angereist sei. Oder man behauptete gar, die Demonstranten wären von der Regierung zur Teilnahme gezwungen worden. Die Beweise für dies Behauptung sind allerdings ausgesprochen dünn - anonyme Twitter-Tweets und ebenfalls anonyme Anrufe bei einer Hotline sind die einzigen dürren "Beweise" dafür, daß z.B. auf Lehrer und andere Staatsbedienstete Druck ausgeübt worden sein soll.

In den nächsten Wochen sind verschiedene Demos geplant. So will die Opposition am 26.02. den Gartenring in der Innenstadt mittels einer Menschenkette umschließen. Bei diesen und ähnlichen Aktionen kommt immer wieder der oft unpolitische Charakter der Demonstranten zum Vorschein. Sie sind für faire Wahlen, aber nicht unbedingt für einen der Oppositionskandidaten. Auch bei den zurückliegenden Veranstaltungen waren die relevanten Oppositionspolitiker oft gar nicht auf der Bühne. Auch die Kundgebung der Putin-Unterstützer am 04.02. stand unter dem Motto "Für faire Wahlen - gegen eine orangene Revolution". Die Teilnehmer an beiden Manifestationen sind sich also zumindest in ihrer Hauptforderung einig.

Unterdessen hat die Moskauer Stadtverwaltung eine für den 23.02. geplante Unterstützungsdemonstration für den Kandidaten Putin aus technischen Gründen nicht erlaubt, statt dessen wird wohl am Lushniki-Stadion nur eine Kundgebung stattfinden. Darüber werden sie deutschen Medien höchstwahrscheinlich wieder entstellend berichten - dabei unterschlagen sie, warum viele Menschen den derzeitigen Premierminister nach wie vor unterstützen.

Abschließend noch eine Warnung vor den problematischen Folgen einer Einmischung von außen, die Thomas Fasbender in einem Kommentar ausgesprochen hat (und er ist bei weitem nicht der einzige Beobachter, der solche Befürchtungen hegt):
"[...]

Wer heute als europäischer Politiker oder Journalist in Russland zündelt, muss wissen, was er tut. Die Parteinahme zugunsten der neuen Opposition ist eine Parteinahme zugunsten materiell Privilegierter, einer wachsenden urbanen Schicht, die politische Repräsentanz verlangt.
Steht es aber Spitz auf Knopf, dann hängen die Massen immer noch am Rockschoß der Xenophoben und Sozialisten. [...]

Fiat iustitia, et pereat mundus. Schafft Gerechtigkeit, wenn auch die Welt zu Schanden geht.
Ein blauäugiges Europa, das lauthals Menschenrechte, Rechtsstaat und Frühlinge für sieben Milliarden propagiert – und in seinem Süden ein Kranz aus islamistischen Regimen, im Osten ein nationalistisch-sozialistisches Russland. Stellen wir uns so die Zukunft vor?"

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Foto: RIA Nowost.

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