Sonntag, 21. August 2011

Anarchismus im ZDF

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Es ist Sommerzeit und damit für das deutsche Fernsehen wieder Gelegenheit, Reportagen aus Rußland und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu senden, zumal sich dieser Tage der Putschversuch vom August 1991 zum zwanzigsten Mal jährt. So hatte sich das ZDF in seiner dreiteiligen Reihe "Die Schönen des Ostens" am 11. August Sankt Petersburg vorgenommen (Video).



Zunächst ließ sich die Reportage ganz gut an, doch zur Mitte hin versank Anne Gellineks Produkt wieder in den üblichen und lange gepflegten Rußlandklischees des deutschen Fernsehens. Die deutschen Sender können offenbar nicht ohne Straßenkinder, Alkoholiker und verlodderte Komunalkas auskommen. Doch wo waren die normalen Menschen, deren überwiegender Teil in Eigentumswohnungen lebt? Wo waren die Bewohner der neuen, seit Jahren aus dem Boden sprießenden Straßenzüge? Kurzum: Wo waren die "Iwan-Normalbürger", die weder auf der Straße noch in Luxusvillen leben? Von den im Film vorgestellten Personen kommen ihnen nur der Brückenwärter und - mit Abstrichen wegen ihrer besonderen Herkunft - die adeligen Damen nahe.



Mit diesen Defiziten könnte man (zähneknirschend) leben, denn sie sind in deutschen Medien so normal, daß sie keine besondere Aufmerksamkeit verdienen. Doch ZDF-Korrespondentin Gellinek glaubte wohl, sie müsse auch noch politisch werden und hat ausführlich die Anarchistengruppe "Wojna" porträtiert. Wojna heißt auf Deutsch "Krieg" und die Protagonisten dieser Gruppe wähnen sich im Krieg gegen das "System". Alle Politiker wären unfähig (komischerweise sagen Wirtschaftsdaten und Meinungsumfragen etwas anderes), weshalb es in Rußland eine neue Revolution bräuchte.



Spätestens an dieser Stelle hätte der kritische Journalismus, auf den die deutsche Journaille immer so stolz ist, eingreifen müssen: Revolution warum? Rußland hat in den zurückliegenden 110 Jahren mehrere gewaltsame Revolutionen erlebt und tiefgreifende Veränderungen durchmachen müssen. Allein für die Periode 1917 bis 1922 (Februar- und Oktoberrevolution, Bürgerkrieg, ausländische Intervention) verloren schätzungsweise mehrere Millionen Menschen ihr Leben, von den verheerenden ökonomischen Folgen ganz zu schweigen. Wollen die "Wojna"-Aktivisten erneut ein solches Blutbad heraufbeschwören, wo sich das Land seit etwa zehn Jahren wieder erholt?



An kritischen Rückfragen mangelte es auch, als die Aktionen von "Wojna" gezeigt wurden. Es handelt sich dabei nicht, wie vom ZDF behauptet, um "Kunst" bzw. legitimen, künstlerisch ausgedrückten Protest, sondern durchweg um das Begehen von Straftaten, die nicht nur im angeblich so furchtbar autoritären Putinreich, sondern auch in Deutschland (und den meisten übrigen Staaten) strafrechtlich geahndet würden. Deshalb ist es absurd, wenn "Wojna" als verfolgte demokratische Opposition dargestellt wird.



Zu diesen Straftaten zählen nicht nur zahlreiche Sachbeschädigungen, etwa das Beschmieren von Bauwerken und das Zerstören von Polizeifahrzeugen, sondern auch die tätlichen Angriffe auf Polizeibeamte. Das, was im ZDF als harmlose "Kußattacke" dargestellt wird, ist rechtlich ganz anders zu bewerten. Neben der möglichen Körperverletzung sowie der Frage des Widerstands gegen die Staatsgewalt steht hier vor allem der Vorwurf der Vergewaltigung im Raum. Die genaue Rechtslage in der RF ist mir insoweit zwar nicht bekannt, aber in vielen EU-Staaten gilt ein erzwungener Zungenkuß bereits als vollendete Vergewaltigung! Dies verdeutlicht, daß es sich bei den Wojna-Kämpfern nicht um harmlose Aktionskünstler, sondern um Kriminelle handelt.



Doch die Fehlleistungen beschränken sich insofern nicht nur auf die Rußlandberichterstattung des ZDF. Oftmals wurde in den letzten Wochen versucht, den Gewaltausbrüchen in London, Madrid und Berlin eine politische Note zu geben. Das ist ein Reflex der seit hundert Jahren geübten Praxis, andere Personen oder einfach "die Gesellschaft" für Straftaten verantwortlich zu machen, nur nicht denjenigen, der sie tatsächlich begangen hat. Doch worin besteht die angeblich politische Botschaft wahllos angezündeter Autos in der deutschen Hauptstadt? Wieso unterstellt man dem tagelang in Großbritannien randalierenden Mob politische Intentionen, wenn kein einziges Plakat zu sehen war und die Chaoten sich auf das Morden, Plündern und Brandschatzen in ihrer eigenen Nachbarschaft (!) beschränkten, während die angeblich am allgemeinen Elend schuldigen Großbanken etc. verschont blieben? Wie krank muß man sein, um gemeine Diebstähle als "sozialen Protest" auszugeben?



Nein, in England und andernorts zeigt sich nicht die Not der europäischen Jugend, sondern eine weitverbreitete Lust an Gewaltstraftaten. Es wäre die Aufgabe der Sicherheitsbehörden, dabei nicht tatenlos zuzusehen, sondern unverzüglich und energisch einzuschreiten. Die Versammlungsfreiheit gilt auch nach Artikel 11 EMRK nur für friedliche Veranstaltungen, nicht für Randale.

Die tendenzielle Schönfärberei von Straßengewalt durch die deutschen Medien hat sich schon Anfang diesen Jahres im Kult um den "arabischen Frühling" gezeigt (vgl. hier, hier, hier und hier). Da im Nahen und Mittleren Osten nunmehr der Katzenjammer Einzug gehalten hat, muß sich die Revolutionslust der (oft linksdrehenden) Journalisten und Sozialwissenschaftler andere Spielwiesen suchen. An die mittelbaren und unmittelbaren Opfer ihrer verantwortungslosen Agitation denken diese Herrschaften freilich nicht.





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