Montag, 10. August 2009

Nekrolog auf Ludolf Müller


Als ich vorhin den Beitrag über Turgenjew geschrieben habe, ist mir bekanntgeworden, daß kürzlich (besser gesagt: bereits am 22. April 2009) Ludolf Müller verstorben ist. Er wurde 92 Jahre alt.

Ludolf Müller war ein Slawist, Übersetzer und Theologe, dem ich viel zu verdanken habe. Nein, ich kannte ihn (leider) nicht persönlich, doch seine Arbeiten haben mich geprägt und mir die russische (Geistes-)Geschichte aufgeschlossen. Erstmals begegnete er mir mit der von ihm übersetzten und kommentierten "Kurzen Erzählung vom Antichrist" von Wladimir Solowjow. Als ich mich später in Solowjows Werk vertiefte, fiel er mir als Betreuer der Werkausgabe auf. Auch bei meinen Studien über Fjodor Dostojewskij, Nikolaj Berdjajew und andere russische Philosophen und Schriftsteller des 19. und 20. Jahrhunderts stieß ich immer wieder auf Müller.

Am stärksten hat mich seine 1951 (auf schlechtem Nachkriegspapier) erschienene Habilitationsschrift mit dem Titel "Russischer Geist und evangelisches Christentum - Die Kritik des Protestantismus in der russischen religiösen Philosophie und Dichtung im 19. und 20. Jahrhundert" beeindruckt. Dieses Buch bietet m.E. bis heute den besten und zugleich kürzesten Einstieg in die russische Geistesgeschichte des 19. und 20. Jh. Manche Informationen mögen mittlerweile überholt sein, doch Müller hat es geschafft, eine hervorragende Tour d'horizon dieser Epoche zu schreiben, deren Inhalt weit über den eher eng gefaßten Titel hinausgeht. Philosophie und Kunst werden im Kontext der allgemeinen Geschichte dargestellt, weshalb man auch als Anfänger schnell einen guten Überblick gewinnt. Müller beweist zudem ein bei Protestanten seltenes, wohl auf Friedrich Heilers Einfluß zurückgehendes Einfühlungsvermögen für die russische Orthodoxie.

Es gibt nicht viele Autoren, von denen ich das sagen würde, aber Ludolf Müller zählt dazu: Man kann jede Schrift aus seiner Feder bedenkenlos lesen - natürlich unter der Voraussetzung, daß man sich für das Thema interessiert.
Mit seinem Ableben ist ein der breiten Öffentlichkeit wenig bekannter, aber dennoch bedeutender Slawist und Rußlandkenner von uns gegangen. Möge er in Frieden ruhen. Und hoffen wir, daß er würdige Nachfolger findet, was angesichts der Breite seines profunden Wissens keine einfache Aufgabe darstellt.

Weiterführende Links:
Vier Nachrufe (Uni Tübingen)


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