Dienstag, 11. August 2009

11.08.2009: Text des Tages

Die "Aufzeichnungen eines Jägers" aus der Feder von Iwan Turgenjew habe ich hier gestern bereits vorgestellt. Heute möchte ich einen Auszug daraus, nämlich die Erzählung "Lgow", bringen, der gewissermaßen als Kostprobe dienen soll:
"»Wollen wir doch mal nach Lgow fahren«, sagte mir einmal Jermolai, den meine Leser schon kennen, »wir können dort nach Herzenslust Enten schießen.«

Für den echten Jäger hat die Wildente zwar nichts besonders Anziehendes, aber in Ermangelung anderen Wildes (es war Anfang September; die Waldschnepfen waren noch nicht da, und den Rebhühnern auf den Feldern nachzulaufen, war mir zu dumm geworden) folgte ich dem Vorschlag meines Jägers und begab mich mit ihm nach Lgow.

Lgow ist ein großes Steppendorf mit einer sehr alten steinernen, einkuppeligen Kirche und zwei Mühlen an dem sumpfigen Flüßchen Rossota. Dieses Flüßchen verwandelte sich etwa fünf Werst von Lgow in einen breiten Teich, der an den Ufern und auch hier und da in der Mitte mit dichtem Schilf, das man im Orjolschen Gouvernement Maier nennt, bewachsen ist. Auf diesem Teiche, in den Buchten und den windstillen Verstecken zwischen dem Schilf brüteten und lebten zahllose Enten aller möglichen Gattungen: Krick-, Spieß-, Kriech-, Tauchenten usw. Kleine Ketten flogen jeden Augenblick über dem Wasser, bei einem Schuß aber erhoben sie sich in solchen Schwärmen, daß der Jäger unwillkürlich mit der Hand nach der Mütze griff und ›Ah!‹ ausrief. Ich ging mit Jermolai zuerst am Ufer entlang, aber die Enten sind erstens vorsichtige Vögel und halten sich niemals nahe am Ufer; zweitens, wenn schon eine zurückgebliebene und unerfahrene junge Kriechente getroffen wurde, so waren unsere Hunde gar nicht imstande, sie aus dem dichten Schilf zu holen: Trotz ihrer edlen Selbstaufopferung verstanden sie weder zu schwimmen noch zu waten und zerschnitten sich nur unnütz ihre kostbaren Nasen an den scharfen Rändern des Schilfes.

[...]

Nach einer Viertelstunde saßen wir schon in Sutschoks Flachboot. (Die Hunde hatten wir unter der Aufsicht des Kutschers Jehudiel in einem Haus zurückgelassen.) Wir hatten es nicht sehr bequem, aber die Jäger sind nicht wählerisch. Am hinteren stumpfen Ende stand Sutschok und ›stieß‹; ich und Wladimir saßen auf dem Querbänkchen; Jermolai hatte vorn an der äußersten Spitze Platz gefunden. Trotz des Werges befanden sich unsere Füße bald im Wasser. Zum Glück war es windstill, und der Teich lag wie schlafend da.

Wir bewegten uns langsam vorwärts. Der Alte hatte große Mühe, aus dem zähen Schlamm seine lange Stange herauszuziehen, die ganz von den grünen Fäden der Wasserpflanzen umschlungen war; die dicht beieinander gedrängten runden Blätter der Sumpflilien hinderten auch die Bewegung unseres Bootes. Endlich erreichten wir das Schilf, und nun ging das Vergnügen los. Die Enten erhoben sich mit großem Lärm von der Teichoberfläche, durch unser plötzliches Erscheinen auf ihren Besitzungen erschrocken, und die Schüsse knallten ihnen nach. Es war lustig, zu sehen, wie die kurzschwänzigen Vögel sich in der Luft überschlugen und schwer auf das Wasser plumpsten. Wir konnten alle angeschossenen Enten natürlich nicht holen: Die leicht verwundeten tauchten unter; manche, die sofort getötet waren, fielen in einen so dichten Maier, daß selbst Jermolais Luchsaugen sie nicht entdecken konnten; dennoch füllte sich unser Boot um die Mittagsstunde bis an den Rand mit Wild.

Wladimir schoß, zum großen Trost Jermolais, gar nicht so vorzüglich; nach jedem Fehlschuß wunderte er sich, untersuchte seine Flinte, blies in den Lauf und erklärte uns schließlich den Grund, warum er fehlgeschossen habe. Jermolai schoß wie immer glänzend; ich, meiner Gewohnheit nach, ziemlich schlecht. Sutschok betrachtete uns mit den Augen eines Menschen, der von jung auf in herrschaftlichen Diensten steht; ab und zu rief er: »Da, da ist noch eine Ente!« und kratzte sich fortwährend den Rücken, aber nicht mit den Händen, sondern durch eine bloße Bewegung der Schulterblätter. Das Wetter war herrlich; weiße, runde Wolken schwebten langsam und hoch über unseren Köpfen dahin und spiegelten sich klar im Wasser; das Schilf rauschte um uns herum; der Teich glänzte stellenweise in der Sonne wie Stahl. Wir wollten schon ins Dorf zurückkehren, als wir plötzlich ein recht unangenehmes Abenteuer erlebten.

Wir hatten schon längst merken können, daß das Wasser allmählich in unser Flachboot hereinsickerte. Wladimir hatte den Auftrag, es mittels einer Schöpfkelle zu entfernen, die mein umsichtiger Jäger einem Bauernweib, das sich gerade auf etwas vergaffte, entwendet hatte. Die Sache ging ordentlich, solange Wladimir seine Pflicht nicht vernachlässigte. Aber gegen das Ende der Jagd stiegen die Enten wie zum Abschied in solchen Schwärmen auf, daß wir kaum Zeit hatten, unsere Gewehre zu laden. Im Eifer des Gefechts achteten wir nicht mehr auf den Zustand unseres Bootes, als plötzlich, infolge einer heftigen Bewegung Jermolais (er bemühte sich, einen erschossenen Vogel aus dem Wasser zu holen und beugte sich mit dem ganzen Körper über den Rand), unser altersschwaches Schiff sich auf die Seite neigte, sich mit Wasser füllte und feierlich sank, glücklicherweise an einer nicht tiefen Stelle. Wir schrien auf, aber es war schon zu spät. In einem Augenblick standen wir bis an den Hals im Wasser, umgeben von den schwimmenden Körpern der toten Enten. Heute kann ich mich nicht des Lachens enthalten, wenn ich an die erschrockenen und blassen Gesichter meiner Genossen zurückdenke (auch mein Gesicht zeichnete sich damals wohl kaum durch besondere Röte aus); aber damals kam es mir gar nicht in den Sinn, zu lachen. Ein jeder von uns hielt sein Gewehr über den Kopf, und Sutschok hob, wohl aus Gewohnheit, alles seinen Herren nachzumachen, seine Stange über den Kopf. Jermolai brach als erster das Schweigen.

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