Montag, 9. April 2012

Rußland als Hauptfeind

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Solche Bilder kommen bei den meisten Russen nicht gut an: Demonstration gegen Wladimir Putin am 04.02.2012 in Berlin, mitsamt US-Flagge und symbolischer Erschießung Putins.


Die Vereinigten Staaten von Amerika, die sonst von Politologen ob ihrer Fähigkeiten von "soft power", Kulturexport und verdeckter Einflußnahme in fremden Staaten gelobt werden, haben in Bezug auf Rußland während der letzten Monate einige schwerwiegende, fast schon unverzeihliche Fehler begangen. Selbige werden die vielgerühmte Anziehungskraft der USA wohl fürderhin schwer beeinträchtigen.

Fehler Nr. 1 war das unverblümte Eingeständnis, daß die US-Regierung politische und "zivilgesellschaftliche" Organisationen (vulgo: NGOs) in der RF finanziell unterstützt und sich damit direkt in die Innenpolitik des Landes einschaltet. Bereits am 5. Dezember 2011 hatte der Sprecher des Außenministeriums dies eingeräumt, weil die Wahl zur Staatsduma offenbar nicht den erwünschten Ausgang genommen hatte. Zugleich wurde angekündigt, kurzfristig zusätzliche Mittel bereitzustellen. Am 15. März hat dann Philip Gordon, seines Zeichens Assistant Secretary of State, in einer offiziellen Stellungnahme konkrete Zahlen auf den Tisch gelegt:
"[...]

Since 2009 we’ve spent more than $ 200 million seeking to promote democracy, human rights and civil society on the recent elections. [...]

We have proposed, as you know, using some of the resources that were generated from the U.S.-Russia investment fund and asked Congress to consider taking those resources which would be some $ 50 million and using it as a further effort to promote democracy, civil society and human rights in Russia.

[...]"
Die USA sind zwar kürzlich nur knapp an der Zahlungsunfähigkeit vorbeigeschrammt, doch für Einflußnahme auf die Wahlen in der RF können sie eine Viertelmilliarde Dollar lockermachen. Bemerkenswert - doch immerhin hat die US-Regierung nun die Maske fallen lassen und räumt unumwunden ein, daß es um die massive "Förderung von NGO's und junger politischer Kräfte" geht. (Jetzt weiß die Öffentlichkeit endlich, wer die Gehälter von Boris Nemzow und Konsorten bezahlt und ist nicht mehr auf Spekulationen und Verschwörungstheorien angewiesen.)

Dieses Gebaren wird in Rußland selbst vor allem negativ aufgenommen. Man erinnert sich noch der Oktoberrevolution 1917, die ohne massive deutsche Unterstützung für Lenin und seine Bolschewiki schlicht nicht möglich gewesen wäre. Der Oktoberumsturz wurde mit deutschem Geld finanziert, allein aus dem Etat des Auswärtigen Amtes flossen bis Ende 1917 über 26 Millionen Mark in die Kassen der Bolschewiki. Wieviel Leid wäre den russischen Menschen erspart geblieben, hätte Berlin auf diese Einmischung verzichtet. Lenin hätte dann weiter in seinem Schweizer Exil ausharren müssen, anstatt in Aktion zu treten und die bekannten Folgen herbeizuführen.

Somit überrascht es nicht, daß sich in der RF Widerstand gegen die neuerliche Finanzierung von Regierungsgegnern aus dem Ausland formiert. Manche Kommenatoren meinten, die an sich berechtigte Opposition würde durch das Annehmen ausländischer Gelder zu einer Ansammlung von Einflußagenten. Im Internet wurde sogar eine Petition aufgesetzt, mit der eine Gesetzesinitiative gestartet werden soll. Deren Ziel besteht darin, rußländische "Nichtregierungsorganisationen" dazu zu verpflichten, ihre im Ausland liegenden Geldquellen offenzulegen, damit jeder Bürger weiß, in wessen Auftrag die betreffenden NGOs arbeiten und das öffentliche Leben in Rußland beeinflussen. Bisher haben schon über 34.100 Personen die Petition unterzeichnet. Es ist also die gleiche Informations- und Zivilgesellschaft, die von der US-Regierung angeblich gefördert werden soll, die sich gegen eben dieses Engagement wendet.
Vorbild der Gesetzesinitiative ist übrigens ein ähnlicher Rechtsakt in den USA (Foreign Agents Registration Act), welcher Personen, die im Auftrag fremder Staaten agieren, zu einer Registrierung verpflichtet. Dies dürfte es den Kritikern der Petition schwermachen, dagegen zu argumentieren, wenn selbst in ihrem großen Vorbild - den Vereinigten Staaten - die Rechtslage so ist.


Reklame soll als solche benannt werden: Video der russischen Netzaktivisten für die Offenlegung der Geldquellen von NGOs.


Fehler Nr. 2 war das Verhalten des erst kürzlich ernannten neuen Botschafters in Moskau, Michael McFaul. Obwohl er erst seit Januar im Amt ist, hat McFaul keine Gelegenheit ausgelassen, sich selbst und den Staat, den er repräsentiert, in ein schlechtes Licht zu rücken.
So bereits an seinem ersten Arbeitstag, wo man eigentlich erwarten würde, daß sich ein neuer Botschafter zunächst mit seinen Mitarbeitern und den örtlichen Gegebenheiten bekannt macht. Doch McFaul hatte wichtigeres zu tun. Eine größere Zahl oppositioneller Politiker und NGO-Aktivisten wurde zu einer Sammelberatung in die Botschaft bestellt. Dummerweise hat ein Fernsehteam sie dabei gefilmt. Bis heute ist die Frage offen, was der Sinn dieses Treffens war. Ein sinnvoller Gedankenaustausch kann angesichts der Fülle und Heterogenität der Teilnehmer innerhalb der kurzen Zeit kaum zustande gekommen sein. Somit drängt sich fast zwangsläufig der Verdacht auf, daß es sich um eine "Befehlsausgabe" mit Blick auf die Präsidentenwahlen gehandelt hat.

Oder es war ein geplanter Affront gegen die Regierung, der man so kundtun wollte, daß Washington lieber Kontakt mit unbeliebten 1-%-Politikern sucht als mit den Regierenden, die vom Volk gewählt worden sind. Wie dem auch sei, McFauls Verhalten war ein - vermutlich kalkulierter - Verstoß gegen die Regeln des diplomatischen Stils. Ein Botschafter wird bei der Regierung des Gastlandes akkreditiert, nicht bei irgendeiner beliebigen "NGO". Ähnlich muß man einen Vorfall aus St. Petersburg bewerten. Dort hatten zwei Mitarbeiter des Generalkonsulats der USA an einer Oppositionsdemonstration teilgenommen. So etwas gehört sich für Angehörige des konsularischen Dienstes einfach nicht.

Und zumindest im patriotisch gestimmten Rußland reagieren die meisten Bürger nicht nicht positiv, wenn Teile der Opposition als ferngesteuert gelten. Entsprechend bösartig waren mithin die Reaktionen der betroffenen Aktivisten auf kritische Veröffentlichungen. Doch das hätten sie vorher wissen müssen. Ihr eigenes Verhalten gegenüber den Journalisten kann man nicht anders als infantil bezeichnen - und es wurde zur Primetime im Fernsehen ausgestrahlt. (Diese zweiteilige Reportage hat im übrigen einen Nerv getroffen. Sie stellt die richtigen Fragen, auf die die befragten Oppositionellen zumeist keine schlüssige Antworten geben können. Deshalb die wütenden Reaktionen.)

Auf die Medien reagiert auch McFaul zunehmend gereizt und ärgert sich über die Präsenz von Pressevertretern bei seinen Terminen. Der Botschafter von "god's own country" hat ein eigentümliches Verständnis von Pressefreiheit, wenn er die Berichterstattung rußländischer Medien über seine Fauxpas nicht ertragen kann. Immerhin wollen die USA doch "Demokratie und Menschenrechte" in Rußland fördern. Kritische Berichte über die Politik der Vereinigten Staaten scheinen jedoch nicht in dieses Konzept zu passen ...

Für Fehler Nr. 3 sind die (maßgeblich vom Ausland finanzierten) NGOs in der RF verantwortlich - und er wird natürlich auch ihren Sponsoren zugerechnet. In ihrer Wahnvorstellung, wonach sie kurz vor einer Revolution stünden, haben sie eine Liste "politischer Gefangener" vorgelegt und deren Freilassung verlangt. Diese Liste hat nur einen Schönheitsfehler: Die dort benannten Personen sitzen bzw. saßen wegen normaler Straftaten in Haft. Zum Teil haben sie ihre Taten offen zugegeben. Unter den 39 angeblichen "politischen Gefangenen" sind unter anderem mehrere Terroristen, die wegen zweifelsfrei erwiesener Terrorakte verurteilt worden sind. Teilweise konnten ihnen sogar Aufenthalte in afghanischen Al-Quaida-Lagern nachgewiesen werden.

Diese Mörder und Bombenleger sollen also "politische Gefangene" sein, die das böse Putin-Regime zu Unrecht "einkerkert"? Die Initiatoren der Liste glauben doch nicht im Ernst, daß die Bürger Rußlands dieser kruden Auffassung zustimmen werden?! Schon wieder ein Eigentor der selbsternannten Superdemokraten, das ihrem Ansehen abträglich sein wird. (Ironischerweise gehören zu den sog. politischen Gefangenen nicht nur mehrere islamistische Terroristen, sondern auch Sergej Araktschejew, ein ehemaliger Offizier der Breitschaftspolizei, der wegen der Ermordung dreier Dorfbewohner in Tschetschenien im Jahre 2003 verurteilt wurde.)

Den vorerst letzten großen Fehler beging der republikanische Anwärter auf das Präsidentenamt Mitt Romney. Am 26. März sagte er in einem TV-Interview, Rußland sei "without question our number one geopolitical foe". Ein zukünftiger US-Präsident, der im Jahr 2012 Rußland als Hauptfeind seines Landes sieht. Und gegen den "Feind Nummer 1" muß man natürlich mit allen Mitteln kämpfen - diese Schlußfolgerung drängt sich von allein auf, auch wenn Romney sich nicht explizit dazu geäußert hat. Damit hat er seinen Parteifreund John McCain als wichtigsten Russophoben in den Vereinigten Staaten abgelöst.

Doch mit seiner verbalen Entgleisung dürfte Romney, trotz des laufenden Wahlkampfes, über das Ziel hinausgeschossen sein. Selbst Kollegen distanzierten sich von ihm und es bleibt zweifelhaft, ob die Wähler solche Einlassungen, die von verhärteten Denkmustern aus der Zeit des Kalten Krieges zeugen, goutieren werden. Des weiteren hält Romneys Anschuldigung, die RF blockiere die Lösung wichtiger Probleme in internationalen Gremien, einer genaueren Analyse nicht stand, wie die Washington Post gezeigt hat.

An dieser Stelle sollen zwei Meinungsumfragen in den USA und Rußland erwähnt werden. Foreign Policy publizierte am 28.03 unter dem Titel "The Not-So-Evil Empire" eine Zusammenfassung von Umfragen über das Rußlandbild in den Vereinigten Staaten. Sonach sahen im Jahr 2011 61 % der Befragten die RF eher als befreundetes Land, während 37 % eine negative Meinung hatten.
Diese Zahlen korrelieren mit einer Umfrage in Rußland, die das Lewada-Zentrum am selben Tag veröffentlicht hat. Auf die Frage "Wie verhalten Sie sich zu den USA insgesamt?" antworteten im März d.J. 50 % mit gut bzw. sehr gut (im November 2011 waren es sogar 64 %!), 35 % antworteten mit schlecht bzw. sehr schlecht (im November 2011 reagierten so nur 23 %!). (Nebenbei bemerkt, sind die bisherigen Werte aus 2012 so schlecht wie schon seit Jahren nicht mehr.)

Diese Zahlen zeigen zweierlei. Erstens sehen sich sowohl Amerikaner als auch Russen gegenseitig zumeist nicht mehr als Feinde an. Und zweitens bleiben die negativen Verlautbarungen und Aktivitäten amerikanischer Politiker und Diplomaten in Rußland nicht unbemerkt und schädigen direkt das Ansehen der USA unter den Bürgern der RF. Die Menschen leben nicht mehr hinter einem Eisernen Vorhang, sie wissen, wie man in Washington über sie und ihr Land redet. Die USA haben in den letzten Monaten ihre "Soft-power"-Fähigkeiten eingebüßt. Anstatt ein positives Bild Amerikas zu vermitteln, fühlen sich die Menschen von der einzig verbliebenen Supermacht zunehmend abgestoßen. Und dagegen hilft offenbar auch nicht die verstärkte Finanzierung von russischen "NGOs" durch die US-Regierung.


Auch dieses Bild kommt in der RF schlecht an: Boris Nemzow (Mitte) trifft sich mit John McCain (li.), einem der größten Rußlandhasser in den USA.


Zur Entschuldigung von Romneys Ausfällen wurde in einigen amerikanischen Medien angeführt, in Rußland liefe zur Zeit eine antiamerikanische Kampagne. Betrachtet man diese vermeintliche Kampagne allerdings genauer, dann stellt man fest, daß es sich lediglich um Berichterstattung über die bereits oben erwähnten Äußerungen von Politikern aus den USA geht. Die USA an sich sind den meisten Russen mehr oder minder egal, wenn negative Emotionen hochkommen, dann aufgrund der massiven Einflußnahme der USA und anderer Staaten auf die Innenpolitik. Der Journalist Wladimir Solowjow hat dies kürzlich in einer Fernsehsendung schön zusammengefaßt:
Die USA sind ein schönes Land mit netten Menschen. Und diese haben sich ihren Staat so eingerichtet, wie sie es gut finden. Das ist in Ordnung. Doch wir müssen unseren Staat und unsere Gesellschaft selbst ordnen. Ein bloßes Kopieren der USA ist nicht möglich.
Dies ist der Kern des sog. Antiamerikanismus in der RF. Es geht nicht um eine Herabwürdigung der USA, sondern um die Verteidigung des Eigenen. Mithin richtet sich die kritik gegen die massiven Versuche der Vereinigten Staaten, Rußland (und anderen Ländern) innenpolitische Entscheidungen aufzunötigen. Die Anmaßung vieler Politiker in Washington D.C., die glauben, sie hätten darüber zu befinden, wer in anderen Hauptstädten regieren darf und wer nicht, wird in Rußland nicht akzeptiert. Die Bürger der RF wollen selbst über ihr Schicksal bestimmen und nicht nur Satrapen fremder Herren sein.

Im übrigen ist dieser angebliche "Anti-Amerikanismus" auch vom Völkerrecht gedeckt. Die staatliche Souveränität ist als altes Völkerrechtsprinzip nach wie vor in Geltung (obwohl dies den atlantischen Interventionisten mißfällt) und findet ihren Ausdruck u.a. in Artikel 2 Nr. 7 der UN-Charta. Folglich handeln diejenigen Russen, die sich gegen Einmischungen des Auslands in ihre inneren Angelegenheiten verwahren, in Übereinstimmung mit dem geltenden Völkerrecht.

Doch dies wollen viele in den USA und auch in der EU nicht einsehen. Sie wähnen sich im Besitz des universalen Heils und fühlen sich zum Messias berufen, der anderen Völker - ggf. auch gegen deren Willen - bekehren und erlösen soll. Diese Haltung besitzt in den USA eine lange Tradition. Schon 1917, beim Eintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg, teilten einflußreiche protestantische Theologen die Welt in gut und böse ein und schrieben den USA die Mission der Welterlösung zu. Ein Staat wie seinerzeit Deutschland, der meinte, seinen eigenen Weg gehen zu dürfen, müsse mit dem Schwert bekehrt werden. "Freiheit" und "Demokratie" (was immer diese Begriffe auch bedeuten mochten) wurden schon damals in den USA als christliche Werte verstanden, deren Umsetzung der kollektiven Erlösung im religiösen Sinne gleichkommt.

Diese typisch amerikanische Einstellung zum "Rest der Welt" ist höchst anmaßend und muß auf andere Völker zwangsläufig abstoßend wirken. Letzteres ist ohne weiteres nachvollziehbar, auch wenn abschätzig von "Antiamerikanismus" die Rede ist. Statt sich Gedanken über die innerweltliche Erlösung der Menschheit zu machen und ihr Land zum Messias zu stilisieren (wobei die Soldaten der US-Streitkräfte Träger des göttlichen Schwertes sind), sollten amerikanische Politiker lieber Augustinus lesen und ansonsten ihre eigenen Probleme lösen. Damit dürften sie eine Weile beschäftigt sein und ihr Ansehen bei den übrigen Völkern würde wachsen.


Das Sternenbanner weht über Sibirien: Amerikanische Truppen hatten von 1918 bis 1920 u.a. die Hafenstadt Wladiwostok besetzt. Rußland war infolge des Bürgerkrieges als Spieler auf der internationalen Bühne ausgeschaltet.


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Fotos: Flickr, www.nemtsov.ru, nortvoods.net.

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