Dienstag, 22. November 2011

Der Tod des Alexander Gribojedow

Im Zentrum Sankt Petersburgs quert der Gribojedow-Kanal den Newskij-Prospekt und fließt dann an der Kasaner Kathedrale vorbei. Doch wer war eigentlich der Namensgeber dieses Kanals? Alexander Sergejewitsch Gribojedow wurde am 4. Januar 1795 in Moskau geboren. In seiner Jugend durchlief er die damals für das Zarenreich typische Laufbahn: Universitätsstudium, Militärdienst in einem Husarenregiment, Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung. Von 1818 bis 1822 arbeitete er an der russischen Botschaft in Teheran; danach war er in Tiflis tätig. Er liebte diesen Landstrich und ehelichte eine georgische Prinzessin. Daneben versuchte er sich als Schriftsteller und Dramatiker. Sein Komödie „Gore ot uma“ (dt.: Wehe dem Verstand) ist noch heute ein beliebtes Theaterstück.

Bemerkenswert sind vor allem die Umstände von Gribojedows Tod. Ab 1828 war er, der mit den Verhältnissen des Landes gut bekannt war, als russischer Botschafter in Teheran. Nach dem Persisch-russischen Krieg der Jahre 1826 bis 1828, der mit Gebietsverlusten für Persien endete (so mußte u.a. das christliche Armenien von den Truppen des Schah geräumt werden), war die Stimmung dort noch aufgeheizt. Englische Agenten heizten sie – ganz im Sinne des „Great Game“ – weiter an und so wurde die russische Botschaft in Teheran im Januar 1829 von einem wütenden Mob gestürmt. Dabei wurde Gribojedow, der die Eindringlinge aufhalten wollte, ermordet und verstümmelt.

Der Dichter Alexander Puschkin, der im selben Zeitraum den Kaukasus bereiste, berichtete später von der Begegnung mit dem Sarg Gribojedows mitten im Gebirge:
"[…]

Zwei Ochsen, vor eine Arba gespannt, erklommen die steile Straße. Einige Georgier begleiteten die Arba. Wo kommt ihr her, fragte ich sie. Aus Teheran. – Was führt ihr mit euch? – Griboed. Es war der Körper des getöteten Griboedov, den sie nach Tiflis begleiteten.

Nie hätte ich gedacht, je noch einmal unserem Griboedov zu begegnen! Wir schieden im vergangenen Jahr in Petersburg, vor seiner Abreise nach Persien. Er war bekümmert und hatte sonderbare Vorahnungen. Ich hatte ihn beruhigen wollen; er sagte zu mir: Vous ne coinnaissez pas ces gens-la: vous verrez qu’il faudra jouer des couteaux. Er nahm an, Ursache des Blutbades werde der Tod des Schahs und der Familienzwist unter seinen siebzig Söhnen werden. Doch der hochbetagte Schah ist immer noch am Leben, und Griboedovs prophetische Worte sind in Erfüllung gegangen. Er ist durch die Dolche der Perser gefallen, Opfer der Unwissenheit und des Treubruchs. Sein verunstalteter Leichnam, drei Tage lang Spielzeug des Teheraner Pöbels, ist nur an der hand wiedererkannt worden, die einst [im Duell] eine Pistolenkugel durchschlagen hatte.

Ich habe Griboedov im Jahre 1817 kennengelernt. Sein melancholischer Charakter, sein erzürnter Verstand, seine Gutmütigkeit, selbst seine Schwäche und Laster, unumgängliche Gefährten der Menschheit, – alles an ihm war außergewöhnlich attraktiv. Geboren mit einem Ehrgeiz, seiner Begabung ebenbürtig, war er lange Zeit verstrickt in die Netze kleinlicher Nöte und der Ungewißheit. Die Fähigkeiten zum Staatsmann blieben ungenutzt, das Talent zum Dichter wurde nicht anerkannt; selbst seine kaltblütige und glänzende Tapferkeit wurde eine Zeit lang in Zweifel gezogen. Einige Freunde kannten seinen Wert und bekamen das Lächeln des Argwohns zu sehen, dieses dumme unerträgliche Lächeln, wenn sie Gelegenheit nahmen, von ihm als einem außergewöhnlichen Menschen zu sprechen. Die Leute glauben nur dem Ruhm, und sie begreifen nicht, daß sich unter ihnen ein Napoleon befinden könnte, der kein einziges Jägerbataillon befehligt, ein zweiter Descartes, der keine einzige Zeile im „Moskauer Telegraphen“ veröffentlich hat. Übrigens rührt unsere Verehrung des Ruhmes vielleicht aus der Eitelkeit: ist Bestandteil des Ruhmes doch auch unsere eigene Stimme.

Griboedovs Leben war von einigen Wolken verdunkelt: Folge flammender Leidenschaften und mächtiger Umstände. Er verspürte die Notwendigkeit, ein für alle Male mit seiner Jugend abzurechnen und sein Leben jäh zu wenden. Er nahm Abschied von Petersburg und der müßigen Zerstreuung, reiste nach Georgien, wo er acht Jahre in einsamer, unermüdlicher Tätigkeit verbrachte. Seine Rückkehr nach Moskau im Jahr 1824 wurde zur Wende seines Schicksals und zum Beginn unablässiger Erfolge. Seine unveröffentlichte Komödie „Weh dem, der denkt“ erzeugte eine unbeschreibliche Wirkung und stellte ihn mit einem Schlag in eine Reihe mit unseren ersten Dichtern. Einige Zeit später eröffnete ihm die genaue Kenntnis der Gegend, in der der Krieg ausbrach, ein neues Betätigungsfeld, er wurde zum Gesandten ernannt. In Georgien eingetroffen, heiratete er die, die er liebte … Ich kenne nichts Beneidenswerteres aus den letzten Jahren seines stürmischen Lebens. Der Tod, der ihn fand im tapferen, ungleichen Kampf, hatte für Griboedov nichts Schreckliches, nichts Qualvolles. Er kam im Augenblick und war schön.

[…]" (A. Puschkin: Die Reise nach Arzrum während des Feldzugs im Jahre 1829, 2. Aufl., Berlin 1998, S. 45 ff.)
Die sterblichen Überreste Alexander Gribojedows ruhen seit 1832, auf Wunsch seiner Witwe, im Tifliser Pantheon. Der diplomatische Eklat infolge seiner Ermordung veranlaßte den Schah dazu, einen Gesandten nach St. Petersburg zu schicken, der, mit Geschenken versehen, die Wogen wieder glätten sollte.

Der Vorfall im Jahr 1829 zeigt, daß man in Persien, dem heutigen Iran, schon damals ein Problem mit ausländischen Diplomaten hatte. Das Schauspiel sollte sich im November 1979 wiederholen, nur daß diesmal die Botschaft der USA gestürmt wurde. Glücklicherweise wurde dabei keiner der 52 Amerikaner getötet, doch mußten sie über ein Jahr in Geiselhaft ausharren.


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