Freitag, 25. Juni 2010

Militärstruktur und Rüstungsprojekte in Rußland


Zu Beginn dieses Monats hatte ich mich hier intensiv mit der seit Herbst 2008 in der Rußländischen Föderation laufenden Militärreform beschäftigt. RIA Nowosti hat in der vergangenen Woche einen dazu passenden Kommentar mit dem Titel "Straffere Struktur für Russlands Armee: Noch viele Fragen offen" von Ilja Kramnik publiziert. Diesen nachfolgend wiedergegeben, um meine bisherigen Ausführungen zu ergänzen:
"[...]

Russland will im Zuge der Militärreform die sechs Wehrkreise abschaffen und Kommandos einführen.

Die vor 150 Jahren geschaffenen Wehrkreise sollen durch vier operativ-strategische Kommandos mit Hauptquartieren in Chabarowsk, Jekaterinburg, Sankt Petersburg und Rostow am Don ersetzt werden. Die neuen Kommandostrukturen sollen von den Befehlshabern geleitet werden, denen alle Streitkräfte einschließlich Marine, Luftstreitkräfte und Luftabwehr unterstellt sein sollen.

Die Kommandos werden beträchtlich größer als die Wehrkreise sein. Das Kommando Ost soll den Wehrkreis Fernost und einen Teil des Wehrkreises Sibirien sowie die Pazifikflotte umfassen. Die Wehrkreise Moskau und Leningrad sollen als Kommando West vereint werden. Das Kommando Süd soll auf der Grundlage des Nordkaukasischen Wehrkreises entstehen. Auch die Schwarzmeerflotte, deren Stärke etwas gekürzt werden soll, und die Kaspische Flottille sollen dem Kommando Süd angehören.

Eine Reform, in deren Verlauf die Wehrkreise durch Kommandos für alle Teilstreitkräfte ersetzt werden, war seit langem fällig. Doch ihre Umsetzung ruft zahlreiche Fragen hervor. Die erste Frage ist, inwiefern das russische Offizierskorps und die Generäle bereit sind, Verbände zu leiten, die sehr unterschiedliche Kräfte umfassen. Die zweite Frage ist, ob und wie diese Verbände auf die Bedrohungen in ihren umfassenden Zuständigkeitsbereichen im In- und Ausland reagieren können. Die größte Frage betrifft die Leitung der Flotte, unter anderem in entfernten Gebieten wie im Indischen Ozean, im Mittelmeer und anderen strategisch wichtigen Gegenden.

Damit die Leitung der Teilstreitkräfte-übergreifenden Kommandos effizient ist, müssen die Marineoffiziere bei deren Führung eine größere Rolle spielen. Sonst wird die Marine aus einer selbständigen Teilstreitkraft de facto zu einer „seegestützten Abteilung der Armee". Dadurch sind viele Aufgaben der Marine gefährdet.

Es gibt ebenfalls viele Fragen zur Ausrüstung der Truppen und Stäbe mit neuen Führungs- und Kommunikationsanlagen. Ohne entsprechende technische Ausrüstung wird der Umbau der Verbände nicht das notwendige Ergebnis bringen. Im Gegenteil: Dadurch wird die Lenkbarkeit der Truppen selbst im Vergleich zur heutigen Situation sich radikal verschlechtern. Die jetzige Situation ist beileibe nicht ideal.

Auch die Ausstattung der Truppen durch moderne Kampfmaschinen ist ein großes Problem, obwohl das Liefertempo und -menge in der letzten Zeit angestiegen ist. Das Problem wird durch die Widersprüche im Verwaltungssystem der staatlichen Rüstungsaufträge verstärkt. Es gibt nämlich zwei parallel existierende Ressorts, nämlich Rosoboronsakas (Behörde für Rüstungsaufträge) und Rosoboronpostawka (Agentur für Waffenlieferungen), deren Aufgaben sich stark überschneiden. Der Chaos bei der Verwaltung der staatlichen Rüstungsaufträge und die Finanzkrise haben 2009 dazu geführt, dass viele staatliche Rüstungsverträge nicht abgeschlossen wurden. Außerdem ist das System nicht transparent und gegen Korruption gefeit genug.

Am stärksten liegen die Ausstattung der Truppen mit modernen Führungs- und Kommunikationssystemen, der Bau von neuen Flugzeugen für die Luftstreitkräfte und Schiffen für die Marine zurück. Dort werden die vereinbarten Lieferfristen am häufigsten nicht eingehalten. Es muss aber bemerkt werden, dass in diesen Fällen oft nicht nur das Verteidigungsministerium, sondern auch die Auftragnehmer die Schuld daran tragen.

[...]"
Hier müssen auch die an das deutsche Vorbild angelehnten Pläne für die Privatisierung von Dienstleistungen erwähnt werden.



Die im obigen Text angesprochenen Probleme bei der Entwicklung und dem Einkauf neuer Wehrtechnik haben kurz danach ein "Personalopfer" gefordert. Der Leiter der Beschaffungsbehörde Rosoboronpostawka mußte seinen Stuhl räumen. Kramnik schreibt dazu:
"[...]

Russlands Präsident Dmitri Medwedew hat den Chef der Agentur für Waffen- und Spezialtechniklieferungen (Rosoboronpostawka) entlassen.

Viktor Tscherkessow, dessen Treiben in den letzten Jahren bei den Kollegen und in der Regierung nicht immer auf Verständnis traf, muss seinen Stuhl räumen. Zu seiner Nachfolgerin wurde Nadeschda Sinikowa ernannt.

Die Agentur wurde 2007 auf Initiative von Vizepremier Sergej Iwanow zur Kontrolle der Rüstungsausgaben ins Leben gerufen. Sie sollte dabei helfen, der Korruption unter den Generälen und Direktoren der Rüstungsbetriebe den Garaus zu machen.

Nach dem neuen Schema sollten die Auftraggeber aus Verteidigungs-, Innenministerium, Inlandsgeheimdienst FSB und aus sonstigen Sicherheitsstrukturen Waffen und Technik anfordern, während die Agentur die Verträge schließt, die Zahlungen vornimmt und die Technik den Auftraggebern übergibt.

Zuerst wurde die Agentur von Alexander Denissow, Vizechef der Agentur für militärisch-technische Zusammenarbeit, geleitet. Am 12. Mai 2008 wurde er von Tscherkessow abgelöst, der bis dahin der Drogenkontrollbehörde (Gosnarkokontrol) vorgestanden hatte.

Der Führungswechsel bei Rosoboronpostawka war seit langem fällig. Viele kritisierten zu Recht die Ausführung des staatlichen Rüstungsauftrags, vor allem bei der Versorgung der russischen Armee mit neuer Technik. Im Mai wurde die Agentur, für die bis dahin die Regierung zuständig war, dem Verteidigungsministerium unterstellt. Vom juristischen Standpunkt aus bedeutet das, dass für die Waffenlieferungen wieder eine militärische Behörde verantwortlich ist.

Übrigens wurden die Waffenlieferungen im Grunde ohnehin vom Verteidigungsministerium gelenkt: Deren Kontrolle erfolgte über die dem Verteidigungsministerium unterstellte Behörde für Rüstungsaufträge (Rosoboronsakas), deren Aufgaben fast dieselben waren wie von Rosoboronpostawka. Viele Experten verwiesen darauf, dass Rosoboronpostawka nicht ausreichend Befugnisse habe.

Der Wirrwarr um die Verwaltung des Rüstungsauftrags führte, mit der Finanzkrise multipliziert, 2009 dazu, dass viele Verträge nicht abgeschlossen wurden, während die Transparenz und die Widerstandsfähigkeit gegenüber der Korruption weiterhin zu wünschen übrig ließen. Im Ergebnis wurde der staatliche Rüstungsauftrag von 2009 laut Angaben des Verteidigungsministeriums trotz 100-prozentiger Finanzierung lediglich zur Hälfte erfüllt.

Besonders ungünstig wirkt sich das auf die Ausstattung der Truppen mit modernen Verwaltungs- und Kommunikationsmitteln aus, genauso verhält es sich auch beim Bau neuer Flugzeuge und Schiffe für die Luftwaffe und Kriegsflotte. In diesem Bereich wurden bereits vereinbarte Termine mehrmals verschoben oder sogar aufgehoben. Gesagt sei allerdings, dass daran oft nicht nur das Verteidigungsministerium schuld ist, sondern auch die Auftragnehmer: Die Unternehmen gehen häufig Verpflichtungen ein, denen sie nicht gewachsen sind.

Die Tatsache, dass Rosoboronpostawka dem Verteidigungsministerium unterstellt wird, kann als die Absicht verstanden werden, der Doppelherrschaft in der Verwaltung des Rüstungsauftrags ein Ende zu setzen und die Kontrolle über Käufe bei Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow zu konzentrieren, der offenbar das Vertrauen der Staatsführung genießt. Davon zeugt auch die Wahl der neuen Agenturchefin: Nadeschda Sinikowa ist Serdjukow schon aus gemeinsamen Zeiten in Sankt Petersburg bekannt.

Vermutlich wird dieser Personalwechsel im Rahmen des Rüstungsauftrags nicht der letzte sein: Das Bestehen von zwei fast identischen Behörden, die obendrein unter dem Dach des Verteidigungsministeriums vereint sind, ist offensichtlich überflüssig, deshalb ist zu erwarten, dass das eine Amt vom anderen "verschlungen" wird.

Aber durch einen Personalwechsel und neue Richtlinien, die die Aufgaben der entsprechenden Behörden regeln, lässt sich die Situation nicht von Grund auf verändern. Damit das System der Lieferungen von Waffen und Technik an die Armee normal abläuft, müssen die Gesetze mit nachfolgender Anpassung des Systems geändert werden.

[...]"
Siehe dazu bitte außerdem hier, hier und - grundlegend - hier.



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Fotos: www.mil.ru.

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