Donnerstag, 27. Mai 2010

Die linke DDR-Opposition


Schon mehrfach habe ich in diesem Blog kundgetan, welche "Bauchschmerzen" ich mit großen Teilen der Oppositionellen und sog. Bürgerrechtlern aus der früheren DDR habe. Diese Damen und Herren hängen oftmals einer linksgrünen und somit freiheitsfeindlichen Ideologie an, die keinen Deut besser ist als der DDR-amtliche Marxismus-Leninismus. (Vielleicht ist sie sogar schlimmer, denn die DDR hat ihren Bürgern immerhin den Besitz von Druckluftwaffen zugestanden, was den pazifistisch gesonnenen "Bürgerrechtlern" schon zuviel war.)

Der Mitteldeutsche Rundfunk hat vor kurzem Reinhard Schult, im Jahr 1989 Gründungsmitglied des Neuen Forums, interviewt. Hier eine seiner Kundgebungen, in der er sich über die aktuellen Zustände in Deutschland ausläßt und die m.E. kennzeichnend für ihn und seine Gesinnungsgenossen ist:
"[...]

Nach der deutschen Einheit hat die Politik die Demokratie wieder abgebaut, Stichwort 'Asylrechtsabschaffung', 'Militarisierung der Außenpolitik', 'Verschärfung der Sicherheitsgesetze', 'Harz-IV-Gesetze'. Das geht in Richtung eines autoritären Staats.

[...]"
Ich kann Schult insoweit zustimmen, daß die verschärften Sicherheitsgesetze durchaus sehr bedenklich sind und in Richtung eines Überwachungsstaates gehen (zumindest, wenn man die Phantasien mancher Politiker mit in Betracht zieht). Doch was hat, bitteschön, die Änderung des Asylrechts in dieser Aufzählung zu suchen? Oder die Tatsache, daß die Bundeswehr nicht mehr (nur) zur Landes- und Bündnisverteidigung eingesetzt wird? Und was ist an den Hartz-IV-Gesetzen so furchtbar undemokratisch (denn das unterstellt Schult ja)? Überhaupt stellt sich die Frage, welchem Demokratiebegriff er anhängt. Oder meint er damit vielleicht irgendeine Form von Sozialismus?

Völlends lächerlich macht sich Schult jedoch mit der These vom angeblich dräuenden autoritären Staat. Denn ein solcher Staat bräuchte defintionsgemäß zunächst einen führenden Politiker, der im Volk Autorität genießt. Wer sollte das im heutigen Deutschland sein? Angela Merkel? Steinmeier? Westerwelle? Oder gar Schäuble? Das ist doch, mit Verlaub, absurd.

Wegen derartiger Äußerungen kann ich nach wie vor nicht verstehen, was Menschen aus Westdeutschland an diesen sog. "Bürgerrechtlern" finden. Gewiß, mit den Grünen und der SPD sind große Schnittmengen vorhanden. Aber doch nicht mit den "Bürgerlichen" in CDU, CSU und FDP. Ist denn der ideologische Antikommunismus im Westen noch so tief verwurzelt, daß man nicht erkennen kann (oder will), daß diese Leute hinsichtlich ihrer politischen Ziele kaum besser sind als die Linkspartei?

Man stelle sich bitte - natürlich hypothetisch - einmal vor, was in der DDR passiert wäre, hätte diese Ost-Version der "68er" die Macht übernommen. Sie hätten ihre Ideologie mithilfe des vorhandenen Gehorsamserzwingungsapparates den Menschen eingetrichtert. Dagegen war der historischer Materialismus, der, einmal an die Macht gekommen, aufgrund der Alltagsprobleme ohnehin verwässert werden mußte, fast noch harmlos. Ich selbst bin fast schon so weit, daß ich Erich Mielke gegenüber Dankbarkeit empfinde, weil er uns diese Typen vom Schlage eines Roman Grafe solange vom Hals gehalten hat. (Und die orthododoxen Marxisten-Leninisten, als deren Schild und Schwert sich Mielke sah, haben sich durch ihre jahrzehntelange Herrschaftspraxis ohnehin selbst desavouiert.)


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Foto: Robert-Havemann-Gesellschaft/MDR.

Montag, 24. Mai 2010

Söldner oder Bürger in Uniform?


Der 12. Juli des Jahres 1871 war ein stürmischer Tag in New York. Stürmisch zumindest im politischen Sinne, denn anläßlich eines politischen Aufzuges kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen protestantischen und katholischen Einwanderern aus Irland. Mittendrin: Mehrere Regimenter der Nationalgarde des Staates New York, welche die Ausschreitungen eindämmen sollen. Am Ende der "Orange Riots" sind Dutzende Tote und Hunderte Verletzte zu beklagen. Mitverantwortlich dafür war der schlechte Ausbildungszustand der Nationalgardisten. Dies gab den Anstoß für die Gründung jener Organisation, die wir heute unter dem Namen National Rifle Association (NRA) kennen. Die Gründerväter - William Church und George Wingate - wollten insbesondere die Mängel im Schießwesen der Bürgermiliz abbauen. So gingen die Landesverteidigung und der Schießsport eine langandauernde Symbiose ein, für die heute in den USA vor allem das Civilian Marksmanship Program (CMP) mit den National Matches in Camp Perry als sportlichem Höhepunkt steht. Schnitt.



Im 19. Jahrhundert hatten sich im heutigen Südafrika zwei Burenstaaten, die von den Nachfahren niederländischer Einwanderer gegeründet worden waren, etabliert: Transvaal und der Oranje-Freistaat. Die meisten Buren waren Landwirte und somit gehörte die Jagd zu ihren alltäglichen Beschäftigungen, wobei die Munitionskosten zu einem sparsamen Verbrauch und damit zu treffsicherem Schießen zwangen. Ein Bure berichtete später aus seiner Jugend, wie ihm sein Vater ein Gewehr und eine Patrone gab - verbunden mit dem Auftrag, ein Tier zu erlegen, um den Kochtopf zu füllen. Und er hat seinen Vater nicht enttäuscht (anderenfalls hätte es vermutlich Prügel gegeben).

Als 1899 der Zweite Burenkrieg ausbrach, lehrten die Buren den einrückenden Truppen Ihrer britannischen Majestät das Fürchten. Sie waren nicht nur hervorragende Schützen, sondern mit dem Mausergewehr auch noch exzellent bewaffnet - und damit den Briten nicht nur ebenbürtig, sondern partiell überlegen. Im Dezember 1899 verbluteten vor den Magersfontein-Bergen über tausend englische Soldaten, wohingegen die zahlenmäßig schwächeren Bureneinheiten kaum 300 Mann verloren hatten. Und hier spielte das vollautomatische Maschinengewehr, das später im Russisch-japanischen Krieg (1905/05) und im Ersten Weltkrieg (1914-1918) so gewaltige Verluste fordern sollte, noch keine Rolle.



Doch während es sich bei den afrikaanischen Soldaten um exzellente Schützen handelte, hatte man in der britischen Armee (wie in den meisten europäischen Armeen zu Beginn des 20. Jh.!) den Bajonettangriff favorisiert. Um einen solchen erfolgreich durchführen zu können, muß man jedoch erst einmal auf Nahkampfweite an den Gegner herankommen. Wie miserabel die englische Schießausbildung war, mag die folgende Zahl illustrieren: Noch anno 1902 trafen bei einem Armeewettkampf von 1100 abgegebenen Schüssen nur fünf die Scheibe. Kein Wunder, mit den etatmäßigen 30 Schuß pro Mann für drei Jahre lassen sich keine treffsicheren Schützen heranbilden.

Welche Konsequenzen zogen die Briten aus ihren anfänglichen Niederlagen im Burenkrieg? Unter anderem wurde die Schießausbildung verbessert. Zunächst sammelten die Offiziere Geld für zusätzliche Übungsmunition. Die bereits Ende der 1850er Jahre unter den (ebenfalls verheerenden) Eindrücken des Krimkrieges entstandene Freiwilligenbewegung erhielt neuen Auftrieb. In diesem Kontext ist auch die 1859 gegründete britische NRA zu sehen, die sich - als zivile Organisation - der Pflege des Gewehrschießens gewidmet hat. Um die Jahrhundertwende kamen noch Wettkämpfe mit den damals neuen Kleinkalibergewehren sowie entsprechende Vereine hinzu. So gehörten der Society Of Miniature Rifle Clubs im Jahre 1914 über 200.000 Mitglieder an. Dies alles geschah auch mit dem Ziel, die Verteidigung des Empires sicherzustellen. Schnitt.



Wir schreiben den Sommer 1941. Deutsche Truppen stoßen tief in die Sowjetunion vor. In der seit 1927 existierenden sowjetischen Wehrsportorganisation Osoaviachim wird auch der Schießsport gepflegt - und zwar nicht nur von Männern, sondern - die Gleichberechtigung schreitet voran - auch von zahlreichen Frauen. Zwar war der Zweite Weltkrieg erheblich stärker technisiert (um nicht zu sagen: industrialisiert) als der Burenkrieg, weshalb den Einzelschützen immer weniger Gewicht zukommt. Doch kann man auch unter diesen Umständen nicht ganz auf den gezielten Einzelschuß verzichten.



Mithin hat man in der Roten Armee relativ viel Wert auf das Scharfschützenwesen gelegt. Unter den sowjetischen "Snajpery" waren im Jahr 1943 über 1.000 weibliche Soldaten, die freiwillig der Roten Armee beigetreten waren. Die meisten von ihnen dürften so wie Ljudmila Pawlitschenko in der Osoaviachim mit dem Schießen, das im Notfall auch der Landesverteidigung dienen konnte, begonnen haben. Schnitt.



Auch nach 1945 wurde und wird in vielen europäischen Staaten den grundsätzlich zivilen Schieß-Sport unterstützt, um die Bürger auch zu guten Verteidigern des Vaterlandes heranzuziehen. Zu nennen sind hier etwa die Jungschützenkurse in der Schweiz, die enge Anbindung der Schützenverbände an die Verteidigungsministerien in den skandinavischen Staaten. Oder in unserem Nachbarland Polen die Liga zur Verteidigung der Heimat (LOK), welche unter anderem als Schießsportverband fungiert (siehe z.B. hier), sowie die von den Schulbehörden organisierten Schülerwettbewerbe im Gewehrschießen namens "O Srebrne Muszkiety" (dt.: Über silberne Musketen), die von lokalen Wettkämpfen bis hin zu polnischen Meisterschaften gehen. Schnitt.



Frühjahr 2010, Nordafghanistan. Deutsche Soldaten werden zunehmend in heftige Gefechte mit bewaffneten Einheimischen verwickelt; die Zahl der Gefallenen steigt. Unter den dabei in der Bundeswehr zutage getretenen Mängeln ist Medienberichten zufolge auch die unzureichende Ausbildung der eingesetzten Soldaten an ihren Handfeuerwaffen. In der Heimat müsse gespart werden, weshalb auch die Schießausbildung häufig auf der Strecke bliebe.

Was müßte jetzt eigentlich in Deutschland passieren, wenn man die soeben skizzierten Beispiele aus anderen Staaten als Maßstab nähme? Patriotische und wehrwillige Bürger sowie die Schießsportverbände würden mit dem Bundesverteidigungsministerium kooperieren, um angehenden Rekruten noch vor ihrer Einberufung ein erstes Schießtraining zuteil werden zu lassen. Doch dergleichen geschieht in der Bundesrepublik Deutschland anno 2010 nicht und wird wohl auch in Zukunft nicht geschehen. Das vielbeschworene bürgerschaftliche Engagement ist in dieser Richtung nicht gefragt. Warum?





Erstens ist vielen Deutschen alles, was im weitesten Sinne mit Waffen und Militär zu tun hat, suspekt geworden. Die Schießsportverbände tun daher (klugerweise) alles, um irgendwelche paramilitärischen Anklänge zu vermeiden. Selbst der Reservistenverband bemüht sich um ein betont ziviles, unmilitärisches Erscheinungsbild. Aus der alten preußischen Idee des Staatsbürgers in Uniform, dem (zugespitzten) Ideal des "Volks in Waffen", ist heute der bestenfalls temporär tarnanzugtragende Zivilist geworden. Diese Entwicklung ist in der Sache zwar bedauerlich, sollte nach zwei verlorenen Weltkriegen jedoch keine allzu große Verwunderung hervorrufen.

Freilich kann man so keine Armee führen und unterstützen, die mittlerweile auf weltweite Einsätze ausgerichtet ist. Der Soldat einer solchen Einsatzarmee muß Profi sein. Dadurch vergrößert sich allerdings seine Distanz zur deutschen Mehrheitsgesellschaft deutlich. Die zivile Gesellschaft kann damit leben, solange keine Wehrpflichtigen gezwungen werden, im Ausland zu kämpfen. Das Nebeneinander zwischen Armee und Gesellschaft ist auch für die politische Führung der Bundeswehr kein wirkliches Problem. Denn so kann man die Truppe fast beliebig einsetzen, ohne allzu viel öffentlichen Widerstand fürchten zu müssen. Wenn der Wunsch mancher Politiker wahr würde und sich die Deutschen tatsächlich intensiv für das Schicksal unserer Soldaten in Afghanistan interessieren würden, dann hätten wir vermutlich bald Sitzblockaden vor Kasernen und andere pazifistische Demonstrationen zu erwarten.

Sowohl Volk als auch Politik sind mit dieser Sonderlage der Einsatzarmee zufrieden, wobei deren Soldaten wohl eher als eine Art "Söldner" denn als Mitbürger und Nachbarn gesehen werden. Zu diesem Image trägt natürlich die Art und Weise der Personalgewinnung bei, die (zumindest hier in Ostdeutschland) nicht wenige junge Männer vornehmlich aus finanziellen Erwägungen in die Streitkräfte lockt. Letzteres ist weder schlimm noch unmoralisch, aber es trägt zwangsläufig zur Entfremdung zwischen Front und Heimat bei. Es sind eben nicht "unsere Jungs", die bei Kunduz fallen oder verwundet werden, sondern zumeist anonyme Staatsangestellte, die freiwillig einen Risikoberuf gewählt haben und dafür sehr gut bezahlt werden. (Und die, die unversehrt zurückgekommen sind, haben bisweilen keine Scheu, ihren neuerworbenen Wohlstand zur Schau zu stellen.)





Dazu kommt noch die extreme Unklarheit hinsichtlich der politischen Ziele, die in Afghanistan verfolgt werden. Weshalb stehen im Jahr 2010 deutsche Truppen noch am Hindukusch? Um den afghanischen Frauen den Schleier vom Gesicht zu reißen? Um ihren Töchtern eine Schulbildung zu ermöglichen? Um den seit Jahren abgetauchten Osama bin Laden zu fangen? Um lokale Guerillas und Banditen zu bekämpfen? Um das (zunehmend unzuverlässige) Regime von Hamid Karzai und diverse regionale Fürsten zu stützen? Um die Durchsetzung des islamischen Rechts zu ermöglichen (vgl. Artikel 3 der afghanischen Verfassung von 2004) - Todesstrafe für Konvertiten inklusive? Oder gar, um den Opiumanbau und -handel zu schützen?

Aus den genannten Gründen werden auch sämtliche Initiativen zur Stärkung des zivil-militärischen Verhältnisses wie etwa die gelben Bänder weithin erfolglos bleiben, so lobenswert sie auch sind. Die derzeitige Situation ist den meisten in Deutschland ganz recht, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Unter die Räder kommen dabei natürlich die betroffenen Soldaten und ihre Familien. Doch das sind zu wenige Wähler, um politisch relevant zu werden.
Somit wird es wohl in der absehbaren Zukunft keine öffentlich wirksamen Denkmäler für gefallene Bundeswehrsoldaten geben, von einem Grabmal des unbekannten Soldaten mitsamt Ewiger Flamme wie z.B. in Paris oder Moskau ganz zu schweigen. Es werden mit Sicherheit keine deutschen Schulen nach in Afghanistan Gefallenen benannt werden, schließlich leben wir in einer "post-heroischen" Gesellschaft (wie selbst BW-Angehörige nicht ohne Stolz verkünden).

Und es wird mit ebensolcher Sicherheit keine, wie auch immer geartete vormilitärische (Schieß-)Ausbildung für junge Männer und Frauen geben, denn Waffen sind grundsätzlich böse, das Militär ebenso und wer sich mit beidem beschäftigt, gehört entweder in die geschlossene Anstalt oder in ein Feldlager im Wüstensand. Aber auf jeden Fall nicht in das heutige Deutschland, das lieber auf "Friedenserziehung" und "gewaltlose Konfliktprävention" setzt. Und wenn unsere unzureichend geschulten Soldaten im Mittleren Osten krepieren? Sei's drum, denn laut Bundesminister a.D. Joschka Fischer gilt bekanntlich die Devise: "Deutsche Helden müßte die Welt, tollwütigen Hunden gleich, einfach totschlagen".


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Fotos: Library of Congress, www.maxpenson.com, www.zstslubice.edu.pl/muszkiet, Reuters u.a.

Sonntag, 16. Mai 2010

Putin über die russische Jugend


Heute folgt noch ein Interview mit einem russischen Politiker. ;-) Am vergangenen Wochenende hat das russische Fernsehen eine Dokumentation mit dem Titel "Urok istorii" (dt.: Geschichtsstunde) ausgestrahlt, in der ältere Schüler aus St. Petersburg, die kurz vor dem Abitur stehen, zu ihren Ansichten über den Zweiten Weltkrieg, ihr Verhältnis zu den Veteranen und ihre Zukunftspläne befragt worden sind. Ich habe den Film zufällig gesehen und fand ihn sehr interessant.

Darin wurden kurze Interviewschnipsel mit Personen älterer Jahrgänge integriert. Unter ihnen war auch Wladimir Putin. Auf seiner Webseite wurde nun das vollständige Interview in einer englischen Übersetzung veröffentlicht. Besonders wichtig erscheint mir seine Meinung, wonach die heutige Jugend in Rußland gar nicht so schlecht ist, wie der Macher des Films wohl annimmt:
"[...]

Question: Mr Putin, we ask school children a lot of questions in our film, including questions about the war. But we were quite struck by their responses to the question "What do you dream of?" We also asked veterans the same question: "What did you dream of?" The war altered the lives, and dreams, of most veterans. The 17 year olds of today dream about quite bourgeois things: a successful career, an apartment, a good salary, a nice car, and so on. On the one hand, there is nothing wrong with that. They are prepared to work to for all that. But on the other hand, personally, I was struck that nobody said: "I want to win the Noble Prize", "I dream of becoming the President," and the like. Do you think it is good that this new generation is so bourgeois and thinks so pragmatically or you do you feel that they are missing some real values?

Vladimir Putin: I do not think that. You know, I don't think that because I have had the opportunity to understand that when our young people find themselves in extraordinary circumstances, they meet the challenges they are faced with, and as strange and surprising as it may seem to us, they display heroism, courage, and patriotism. So in extreme situations they display these traits, while in a normal, routine environment they behave quite pragmatically, which I think is no bad thing, it is good.

Question: A 17 year-old girl asked me this, after I asked her what the differences were between their generation the generation of the 1940's. She said "They were one, that generation was better and more honest, and in general, I feel that generation had something which ours lacks. But she still said "I am proud of my motherland, of its past achievements: victory in the Great Patriotic War, Gagarin's space flight... Can you tell me what is there for me today to be proud of?" Maybe this is routine now, as they probably do not understand what the 1990's were like, when they were growing up, while today... As Prime Minister and as the second president of Russia, how would you answer that question? What is there for young people to be proud of today?

Vladimir Putin: You know, answering your previous question, I said that when people find themselves in extreme situations, they display all the traits that others think they lack. I was referring, first of all, to circumstances related to counter-terror operations and other such situations. Just recently I had a conversation with a former officer, who has seen active service and who is well known in our country.

He spent a significant amount of time fighting in various anti-terror operations in various places. Being originally from the Caucasus, he told me quite sincerely that for him there was no one better than a Russian soldier. And this is most directly manifested today in all those brave people who love their country. This statement applies not even to career officers, but to those young lads, regular soldiers. The Russian soldier is the most effective fighter.

This does not mean, of course that we should always live in a militarised environment. What I want to say is that first, our young people do have these qualities, and secondly, under normal circumstances we should always seek to surpass our competitors, to be competitive in the economy, public life, and political system. In order to ensure we are an efficient state. Only then will we have a stable future.

There are plenty of areas in which we can apply our talents: science, business, or sports. There is always an opportunity to shine. An individual should aspire to find his place in life. Of course, the state and society should help, but first and foremost, it is our own responsibility to find the right way to channel our talents and succeed. When we achieve these results in our own minds we grow in our own sights and our confidence builds. I believe that every young man and woman has this opportunity.

Question: Essentially, you are telling the young lady to be proud of her own generation as well?

Vladimir Putin: Yes, of course.

[...]"
Wladimir Wladimirowitsch dürfte mit seiner Einschätzung der Realität näherkommen als jene, die in der Jugend immer nur Niedergang sehen wollen. (Solche Leute gab es vor 2500 Jahren auch schon. ;-))
Solange die jungen Männer und Frauen so engagiert beim von Lew Leschtschenko vorgetragenen Lied "Djen pobedy" (dt.: Tag des Sieges) mitsingen, wie am vergangenen Sonntagabend während des Konzertes im Moskauer Lushniki-Stadion, muß man sich wohl keine Sorgen machen:





Es fehlt der Jugend nicht an gesundem Patriotismus, auch wenn sie sich heute vor allem für die Gestaltung des eigenen Lebens und nicht für irgendwelche großen Weltentwürfe und Ideologien interessiert. Diesen Kelch mußten hingegen ihre Groß- und Urgroßeltern bis zur Neige leeren.


Daneben hat mich noch ein zweiter Punkt berührt. In der vorletzten Woche habe ich den im Jahr 2000 erschienenen Interviewband "Aus erster Hand" gelesen, der die nach mehreren Fragestunden dreier Journalisten mit Putin entstanden ist. Darin äußerst sich Putin auch ausführlich zu seiner Kindheit und Familie. (BTW: Das Buch wird in deutschen Medien viel zu selten erwähnt. Nach der Lektüre erscheint die Person Putin gar nicht mehr so rätselhaft wie oft behauptet.)

Im o.g. Interview hat er diesem Bild noch ein paar Pinselstriche hinsichtlich seines Vaters (und seiner Mutter) während der Leningrader Blockade hinzugefügt:
"[...]

Question: What about your personal perception of it ... Naturally, this is something that changes with age ... While in childhood, it is mainly shaped by war movies, etc., with age you come to understand the tragedy of it. How did your understanding of what the war and blockade really were change as you grew up?

Vladimir Putin: You know, with age I came to see those stories they told me as a child in a different light. For example, I knew that my mum visited my father in hospital after he had been wounded. My father had told me that he was with a partisan unit in the beginning of the war, but I later found out that in reality he was with a sabotage group. When I was President, I requested documents from the archives. My father was no longer alive then, had already passed away. Amazingly, the documents tallied with everything he had told me, right down to the tiniest detail.

I did learn that there were 28 of them who were sent across enemy lines to gather intelligence and carry out sabotage operations. Only four of those 28 survived. One thing that my father had never told me, something I learnt from the archives, was that the group was led by a Russian citizen of German descent.

Question: He wasn't interned at the beginning of the war?

Vladimir Putin: I don't know. I don't know anything about that. They only gave me the archival documents, record cards, personal records, and I was surprised to learn that the group was led by an ethnic German. It was probably because he knew German. I do not know why those in charge back then made that decision. But it was new to me, it was something I knew nothing about.

[...]"


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Foto: www.premier.gov.ru, www.ruvr.ru.

Mittwoch, 12. Mai 2010

Stalin im heutigen Rußland


Am Vorabend des 9. Mai hat der Präsident der Rußländischen Föderation, den Üblichkeiten folgend, der Tageszeitung Iswestija ein längeres Interview gegeben. Darin äußert sich Dmitrij Medwedew neben vielen anderen Themen auch zur Bewertung des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit:
"[...]

VITALY ABRAMOV: The events in the Baltic states, Ukraine and Georgia over recent years evidence that the history of World War II is being interpreted to fit some political interests there. Yet at the same time, we cannot ignore the fact that different peoples have a different historical memory. What can we do to ensure that memory of those who died fighting Nazism is kept sacred in every country?

DMITRY MEDVEDEV: Of course every country has its own history, and it would be senseless to say that the post-war events brought all of the liberated countries nothing but blessings. But the thing is, there’s a certain cunning in these arguments. We need to remember that if the Soviet Union, together with the other countries in the anti-Nazi coalition did not liberate Europe, Europe would be a different place today and would probably be one big concentration camp put to work for a single country. Most people living in Europe today would simply not be alive at all. This was something I talked about recently when marking the anniversary of national liberation together with our Slovakian colleagues.

But at the same time, the post-war events already mark a different period in history, a period in which ideology played the biggest part, and obviously, during that period, the Soviet Union as a state pursued its own aims. The Soviet Union was a very complex state and, frankly, the regime that emerged in the Soviet Union, can only be described as totalitarian in nature. Unfortunately, this was a regime that suppressed basic rights and freedoms, and not only those of its own people, some of whom, sadly, came home as victors after the war, only to be sent to labour camps, but also those of other peoples in the socialist countries, and this is something we cannot erase from history.

But the historian’s art and the ordinary person’s common sense lies in the ability to make the separation between the Red Army and Soviet state’s mission during the World War II and the events that followed later. Yes, in real life this can be very hard to do, but it is something that we must do. I say again, were it not for the Red Army, were it not for the colossal sacrifice the Soviet people laid on the altar of war, Europe would be a different place. There would be no prosperous, flourishing, steadily developing Europe of today, that is for sure. I think one would have to be deaf not to heed these arguments.

[...]

You mentioned a number of countries where we have seen examples of Nazi criminals being turned into heroes. This is very sad. Of course, no one idealises the Soviet Union’s role in the post-war period, but under no circumstances can one make victims of executioners. Those who describe Red Army’s mission in the same terms as that of the Nazi aggressors are committing a moral crime.

I just want to say that in this respect the Germans behave with far greater dignity than do some representatives of the Baltic states, although for Germany this is all a very painful issue. At the same time, there are valid post-war verdicts, including the verdicts of the Nuremberg trials – verdicts that I hope can never be revoked. These rulings qualify the Nazis’ crimes as crimes against humanity. These crimes have no prescription and must be answered for no matter how much time has passed.

[...]"
Dann geht es um die Person Josef Stalins und seine Bewertung im heutigen Rußland:
"[...]

VITALY ABRAMOV: You were recently asked a question about Stalin's role in the victory. And we at Izvestia [newspaper] can’t side-step it either. And the context is as follows: it’s true that Stalin ruled the country that defeated fascism. But does this give us the right to turn a tyrant who committed many crimes against his fellow citizens into a hero? Hitler, for example, saved Germany from unemployment, built highways and so on, yet there are no highways named after him in Germany. And no one hangs his posters on holidays.

DMITRY MEDVEDEV: There are things that are absolutely clear - our people won the Great Patriotic War, not Stalin, not even the generals, as important as their role was. Yes, of course the role they played was quite significant but, all the same, it was the people who won the war as a result of enormous efforts and at the price of millions of lives.

As far as Stalin's role is concerned, different people see this differently. Some believe that the Supreme Commander played an extraordinarily important role, others don't think he did. That's not the question – the question is how we generally assess Stalin as a figure. If we are talking about the official view of him, about what our leaders think of him since the emergence of a new Russian nation in recent years, then the verdict is clear: Stalin committed a vast array of crimes against his own people. So despite the fact that he worked hard, despite the fact that under his leadership the country flourished in certain respects, what was done to our own people cannot be forgiven. That is the first thing.

Second, those who love or hate Stalin are entitled to their points of view, and it is no surprise that many veterans and people from the generation that went through the war admire him. I think they have the right to do so. Everyone has the right to their own opinion. That this kind of personal assessment has nothing to do with official attitudes towards Stalin is a different question, and I just reiterated them for you. I think that sometimes these things get exaggerated. If you talk about respect for Stalin and other leaders, I'm sure that in the 1990s there were many who admired this man, but nobody was talking then about the renaissance of Stalinism. Whereas now all of a sudden everyone is talking about that. True, historical figures can become the object of worship or idolatry. Sometimes it's young people who get involved in this, especially young people on the left. But in the end that's their business, although of course most people in the world see this particular figure very clearly: he does not evoke any sort of warm feeling.

In any case it's not true to say that Stalinism is once again part of our everyday life, that we are coming back to that symbolism, that we are planning to use some posters, or do something else of this kind. We are not going to do this and never will. That is absolutely out of the question, and that answer is both the view of current authorities and my assessment as President of the Russian Federation. So I would always insist on separating our official assessment in this regard and individual assessments.

[...]"
Das vollständige Interview kann man sich auch im folgenden Video (ebenfalls mit einer englischen Übersetzung) ansehen und -hören:





Warum zitiere ich so ausführlich aus dem Interview? Weil es leider in Deutschland und anderen Staaten zahlreiche Autoren gibt, die allen Ernstes behaupten, in Rußland fände "seit Jahren eine systematische Umwertung" (Karlheinz Weißmann) - gemeint ist die Aufwertung - der Person Stalins statt. Weißmann ist kein Rußlandexperte, weshalb die Folgen seiner unqualifizierten Einlassungen begrenzt bleiben werden. Doch andere mit mehr Reputation schreiben das gleiche.
So etwa der angriffslustige Orlando Figes, der vor kurzem wegen einer akademischen Affäre den Rückzug antreten mußte. Figes schrieb 2009 für die New York Review of Books eine Rezension mit dem bezeichnenden Titel "Putin vs. the Truth", worin er den jetzigen Ministerpräsidenten Wladimir Putin beschuldigt, Stalin öffentlich zu rehabilitieren: "The rehabilitation of Stalin is the most disturbing element of Putin’s historical rhetoric [...]".
Oder jüngst Matthias Schepp im Spiegel. Ähnliche Thesen wurden in den letzten Jahren in zahlreichen Veröffentlichungen vertreten und dürften mittlerweile zum "common sense" im "freien Westen" zählen.

Was ist nun wahr? Wird Stalin im heutigen Rußland von der politischen Führung wertgeschätzt und den Bürgern, insonderheit der Jugend, als Vorbild anempfohlen? Ist das, was Medwedew im o.g. Interview gesagt hat, nicht bloß Maskerade für die ausländische Presse?

Nein, ist es nicht. Die Aussage des Präsidenten, wonach die Staatsspitze der RF - Jelzin, Putin und Medwedew selbst - niemals einen Zweifel an der Verdammung des Kommunismus im allgemeinen und der Person Stalins im besonderen gelassen hat, entspricht den Tatsachen und läßt sich dokumentarisch belegen. Dies trifft für die gegenteilige Behauptung nicht zu. Mir ist keine einzige öffentliche Äußerung etwa Putins bekannt, in welcher er in irgendeiner Weise die Person Stalins oder dessen Regierungsstil positiv bewertet hätte.

Da es an derartigen Verlautbarungen fehlt, müssen jene Schreiberlinge, die eine Schönfärbung des Stalinismus behaupten, auf recht absurde Konstrukte, die bisweilen Verschwörungstheorien gleichen, zurückgreifen. Da werden zitierte Wortgruppen völlig aus dem Zusammenhang gerissen, so daß ihr ursprünglicher Sinn verlorengeht. Oder es wird eine Kausalkette nach folgendem Muster aufgemacht: Weil ein alter Rentner, natürlich Mitglied einer der vielen kommunistischen Gruppierungen in der RF, am 1. Mai mit einem Stalin-Bild auf der Mai-Demo erscheint, ist Putin daran schuld, weil er ein öffentliches Klima geschaffen habe, in dem sich solche Menschen auf die Straße trauen.

Dabei wird freilich außer Acht gelassen, daß das Rußland des Jahres 2010 nicht mehr die Sowjetunion ist. Das Spektrum der öffentlich präsenten politischen Meinungen ist sehr breit und reicht von strammen Kommunisten, Nationalbolschewiken und Sozialdemokraten auf der Linken über diverse Spielarten von Liberalen und zentristischen Technokraten in der Mitte bis hin zu gemäßigten Konservativen, orthodoxen Monarchisten und rassegläubigen Neonazis auf der Rechten. Und es ist das gute Recht der Bürger, sich eine eigene Meinung zuzulegen. Mithin verbietet es der Staat niemandem, sich ein Stalin-Bild ins Wohnzimmer zu hängen, genausowenig, wie es untersagt ist, eine Ikone mit dem Bild des letzten Zaren Nikolaus II. zu verehren.

Es ist jedoch unzulässig, solche privaten Handlungen einzelner Bürger der Staatsführung zuzurechnen. Deren Position zu Stalin ist seit vielen Jahren eindeutig.
So hat der damalige Präsident Putin im Oktober 2007 ein Denkmal auf dem früheren Schießplatz Butowo eingeweiht, wo während der großen Säuberungen Ende der 1930er Jahre über 20.000 Menschen von NKWD-Mitarbeitern füsiliert worden waren. (Kurz zuvor hatte die Orthodoxe Kirche am selben Ort ein Kreuz aufgestellt, denn unter den Ermordeten waren über 1.000 Christen, darunter viele Priester.) Rußland Aktuell berichtet hierüber:
"[...]

[Putin] betonte, dass diese „kolossale Tragödie“ nicht in Vergessenheit geraten dürfe.

[...]

„Tragödien dieser Art hat es in der Geschichte der Menschheit mehrfach gegeben und all dies geschah, wenn eine auf den ersten Blick anziehende, bei näherem Hinsehen jedoch leere Idee höher gestellt wurde als die grundsätzlichen Werte – das menschliche Leben sowie Rechte und Freiheiten des Menschen“, sagte Putin. Er erinnerte daran, dass die Repressionen sich nicht nur auf die Jahre 1937 – 1938 beschränkten, sondern Bestandteil des politischen Systems gewesen seien.

[...]"
Oder, nächstes Beispiel, die Auszeichnung des Schriftstellers Alexander Solschenizyn mit dem dem Staatspreis der RF im Juni 2007. Nicht nur die Zuerkennung des Preises (dafür war eine aus Künstlern bestehende Jury verantwortlich), sondern auch dessen Überreichung an den Geehrten haben in Rußland viel Beachtung gefunden.
Solschenizyn hatte sich unter Verweis auf seine angeschlagene Gesundheit geweigert, in den Kreml zu fahren, um dort die Auszeichnung entgegenzunehmen. Daraufhin hat sich der Präsident und ehemalige KGB-Offizier Wladimir Putin die Zeit genommen, um den Dissidenten und Autoren des "Archipel Gulag" zu Hause zu besuchen und dort den Preis zu überreichen - ein Vorgang, der an Symbolkraft kaum zu überbieten ist, hat sich doch der Staatschef vor dem einstmals verfemten Schriftsteller gebeugt. (Das dürfte auch Alexander Issajewitsch selbst so gesehen haben.)

Auch die Ereignisse nach Solschenizyns Tod im August 2008 sprechen Bände. Der damals neue Präsident Medwedew hatte seinen Urlaub unterbrochen, um an der Beisetzung teilzunehmen und in der Stadt Moskau wurde kurz danach die "Große Kommunistische Straße" in "Solschenizyn-Straße" umbenannt. Bereits zwei Jahre zuvor war sein Buch "Im ersten Kreis der Hölle" verfilmt und im Fernsehen ausgestrahlt worden. Zudem gehören Solschenizyns Bücher in den russischen Schulen zur obligatorischen Lektüre.
Wie man sieht: Alles gewichtige Maßnahmen des Staates, um die Stalin-Ära schön zu färben.



Von dort führt eine gerade Linie bis zur vielbeachteten Rede Putins in Katyn im April 2010, die freilich niemanden überraschen konnte, der dieses Thema schon länger bearbeitet. RA berichtet:
"[...]

"Diese Verbrechen sind durch nichts zu rechtfertigen", sagte Putin während der gemeinsamen Besichtigung der Gedenkstätte in der Nähe von Smolensk. "In Russland haben wir eine klare politische, juristische und moralische Verurteilung der Untaten des totalitären Regimes, die nicht wieder umkehrbar ist".

Man könne die Vergangenheit zwar nicht mehr ändern, man müsse aber die Wahrheit und die historische Gerechtigkeit wiederherstellen, sagte Putin. Diese Arbeit werde von russischen und polnischen Historikern und Geistlichen geleistet.

Mit zynischen Lügen sei Jahrzehntelang versucht worden, die Wahrheit über die Massenerschiessungen von Katyn zu verdunkeln. Allerdings sei es auch eine Lüge, die Schuld daran dem russischen Volk zu geben. Das russische Volk, das selbst die Schreckensjahre des Bürgerkriegs, der Zwangskollektivierung und der Repressionen durchgemacht habe, könne wohl besser als andere nachempfinden, was die Namen Katyn, Mednoje (bei Twer) und Pjatichatka (bei Charkow) für polnische Familien bedeuten.

In dieselbe Reihe gehören, so sagte Putin, auch der Truppenübungsplatz Butowo bei Moskau, wo unter Stalin tausende von russischen Geistlichen erschossen wurden, und die Solowki-Inseln, Magadan, Kolyma, Workuta, Norilsk und Belomorkanal.

Die Logik der Repressionen, die alle Teile der Bevölkerung betraf, war es, Angst und Schrecken zu verbreiten, die niedersten Instinkte in den Menschen zu wecken, sie gegeneinander zu hetzen und sie zu zwingen, blind und gedankenlos Gehorsam zu üben.

[...]"
Weitere Belege für die hier von mir vertretene Auffassung ließen sich unschwer finden. Man denke nur an das Staatsbegräbnis, welches 1998 den Mitgliedern der 1918 ermordeten Zarenfamilie in der St. Petersburger Peter-und-Paul-Kathedrale zu Teil geworden ist, die noch Präsident Boris Jelzin verantwortet hat.

All dies hat einen Leser von Sublime Oblivion zu folgendem Kommentar veranlaßt:
"One distinction of Putin that I wish more people would understand: he is Russia’s Number One Anti-Communist. From denouncing the purges at the Butovo memorial, to giving Solzhenitsyn a medal, to commemorating the Katyn massacre, to marginalizing Russia’s currently existing Communist Party, to expressing his contempt for the communist system on more than one occasion … this seems to me one of his most significant characteristics, and it is largely ignored outside Russia, or worse, turned upside down.

[...]"
Wo sind sie nun, die Beweise für die angebliche Rehabilitierung und positive Bewertung Stalins im heutigen Rußland, gesteuert durch den Staat und die beiden derzeit führenden Politiker? Ich sehe keine.

Aber war da nicht mal etwas mit einem Geschichtslehrbuch für Schulen, in dem Stalin gepriesen wurde? In diesem Fall handelt es sich ebenfalls eher um einen Übersetzungsfehler bestimmter Medien, geboren aus deren Sensationsgeilheit, nicht um eine Abkehr von der soeben skizzierten Linie der Regierenden. Anatoly Karlin hat sich des Falles angenommen und dankenswerterweise eine englische Übersetzung dieses Textes erstellt, so daß sich der geneigte Leser selbst ein Bild davon machen kann.
Dem Autor ging es offensichtlich darum, die unterschiedlichen Sichtweisen, die es in der russischen Gesellschaft zu Stalin gibt, darzustellen, damit sich der Leser ein eigenes Urteil bilden kann. Das wird schon im ersten Absatz deutlich:
"[...]

Iosif Vissarianovich Stalin (Jughashvili) remains one of the most polarizing figures in the politics and history of our country; it is difficult to find another personality in Russian history who is subjected to so many contradictory interpretations, both during his rule and after. For some, he is the hero and orchestrator of Victory in the Great Patriotic War; to others, he is the embodiment of evil itself.

[...]" vollständig lesen
Ich kann aus diesem Text weder Schönfärberei noch gar pro-stalinistische Indoktrination herauslesen. Vielmehr werden mündige Bürger herangezogen und zum selbständigen Denken animiert. Wer daran etwas negatives findet, verfolgt keine ehrlichen Absichten, sondern möchte sein eigenes partikulares Geschichtsbild dem Rest der Gesellschaft aufzwingen. Das funktionierte früher in der Sowjetunion (und auch in der DDR), aber sicher nicht im heutigen Rußland. Dafür ist die dortige politische und kulturelle Landschaft viel zu heterogen. Und der Staat kann, wie Medwedew gesagt hat, mit dieser Meinungspluralität leben.

Jetzt noch ein paar Bemerkungen aufgrund meines eigenen Erlebens in Rußland. Die Untaten Stalins sind allgemein bekannt und werden von sehr vielen Menschen (und von allen, die ich kenne) verurteilt. Wenn eine linke Gruppe Geld in die Hand nimmt, um Werbeflächen zu mieten und mit Josef Dschugaschwilis Konterfei zu verzieren, dann finden sich schon beherzte Bürger, die dieses Ansinnen vereiteln (so dieser Tage in Petersburg geschehen). Außerhalb des linken Spektrums gibt es keinen öffentlich wahrnehmbaren oder gar wirkmächtigen Stalin-Kult in der russischen Gesellschaft. Derartige Erscheinungen sind auf bestimmte Randgruppen beschränkt, deren Aktivitäten von den Medien jedoch dankbar aufgegriffen und mit maßloser Übertreibung weiterverbreitet werden.

Kurzum: Ich habe dasselbe wie der Historiker Sean Guillory erlebt:
"[...]

After all, when she enters work everyday, she doesn’t see Stalin, but large photos of Petr Stolypin and Sergei Witte on one end, and Gorbachev, George Bush I, and Yeltsin on the other. All the stories the media pounds about the rehabilitation of Stalin has nothing to do with daily life. His image is mostly where it belongs – in museums.

[...]"
Darüber und über die Darstellung der Stalin-Zeit in Filmen und Literatur habe ich hier auf Backyard Safari in der Vergangenheit bereits mehrfach berichtet (s.u.).

Abschließend möchte ich noch auf einige Artikel anderer Blogger zum Thema der angeblich systematischen Stalin-Renaissance hinweisen, die ich für äußerst lesenswert halte, um ein einigermaßen ausgewogenes und realistisches Bild zu gewinnen:

May Day with the Russian Communists

Why is Yuri Luzhkov Promoting Stalin?

Reconciling Stalin with Victory

Missing the Story with Stalin

Manipulating Russia’s Manipulation of History

Der Tag des Sieges und seine Relativierungsversuche

The Stalin Bus

Mein Woschd



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Sowjetisch oder russisch?
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Fotos: Sean Guillory, Reuters.

Dienstag, 11. Mai 2010

Zur Lage des Schießsports in Rußland


Von Beginn an habe ich hier auf Backyard Safari hin und wieder über die Entwicklung des Sportschießens in Rußland berichtet. Die folgenden, sehr allgemeinen Einlassungen (die ich schon im Meisterschaftsbericht versprochen habe) sind keine wissenschaftliche Analyse, vermutlich nicht einmal ein seriöser journalistischer Text, denn dazu fehlt es ihnen an substantieller, nicht-virtueller Recherche. Es geht vielmehr darum, gewisse Impressionen zu vermitteln, wobei ich mich selbstverständlich um eine objektive Darstellung bemühen werde. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß ich bestimmte Aspekte falsch wahrnehme oder schief wiedergebe. In diesem Fall bitte ich um einen kritischen Kommentar. Als wichtigste Informationsquelle, auch hinsichtlich weiterer Verweise, dient mir das Forum Talks.guns.ru, insbesondere jener Teil, der sich mit den „traditionellen“, also den ISSF-Disziplinen befaßt.

Beginnen wir mit den waffenrechtlichen Grundlagen. Das Waffengesetz der Rußländischen Föderation stammt aus den 1990er Jahren und ermöglicht den privaten Besitz von Schußwaffen. Allerdings in unterschiedlicher Abstufung. Druckluftwaffen bis zu einem Kaliber von 4,5 mm und einer Energie von 7,5 Joule sind erlaubnisfrei. Alle anderen Langwaffen bedürfen einer „WBK“, wobei diese für einen nicht vorbestraften Bürger ohne größere Probleme erhältlich ist. Restriktiver scheint die Vergabe von Erlaubnissen für Kurzwaffen zu sein, obwohl auch in Rußland IPSC- und ähnliche Wettbewerbe ausgetragen werden. Das soll für heute genügen; Details des russischen Waffenrechts bleiben einem späteren Artikel vorbehalten, zumal derzeit eine Gesetzesänderung bezüglich der sog. Traumawaffen diskutiert wird.



Einen Aufschwung haben in den letzten Jahren neue, aus dem Ausland importierte Schießsportdisziplinen erlebt. Zum Teil auch deshalb, weil sie für die aufstrebende Mittelschicht von Interesse waren und nicht dem verstaubten Image der traditionellen Disziplinen entsprochen haben. Zum Teil aber auch deshalb, weil man hier nicht von vorgefundenen, halb-öffentlichen, halb-privaten (und oftmals nicht funktionierenden) Organisationsstrukturen abhängig war und sich seine eigenen gemäß dem „Bottom-up“-Prinzip aufbauen konnte, die dem bürgerlichen Selbstbewußtsein eher entsprochen haben.

Nehmen wir als Beispiel das Luftgewehrschießen. Jeder darf sich ein Luftgewehr kaufen und – theoretisch – überall damit schießen. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis aus dem fallweisen Plinking mehr wurde und sich Gleichgesinnte zusammengefunden haben. Heute existiert in Rußland eine agile Druckluftwaffenszene, in der man nicht nur Field Target, sondern auch Benchrest, Varmint und andere Disziplinen schießt, die oftmals kreativ zusammengestellt werden. Viele Schützen verfügen mittlerweile über erlaubnispflichtige Waffen, die zumeist aus dem Ausland importiert wurden. Aus dem einstigen Zeitvertreib ist somit ein ernsthafter (und teurer) Sport geworden.
Eine ähnliche Entwicklung möchte ich dem GK-Benchrestschießen und den dynamischen Disziplinen (insonderheit IPSC) attestieren. Sie sind, wenn man so will, in Mode.

Das kann man von den traditionellen Disziplinen, die mit Kleinkaliber- und Druckluftwaffen geschossen werden, nicht gerade behaupten. Der größten Beliebtheit dürften sich noch das Flintenschießen erfreuen, sind diese Waffen doch weitverbreitet und gelten als die traditionellen Jagdwaffen. Sportlich wird damit nicht nur auf Wurfscheiben, sondern, mittels Flintenlaufgeschossen, auch auf normale Papierscheiben geschossen.



In den KK- und DL-Disziplinen macht sich wohl der Niedergang des vor Jahrzehnten führenden sowjetischen Schießsports am stärksten bemerkbar. In den Foren wird regelmäßig geklagt: Es fehlt an qualifizierten Trainern, an einigermaßen modernen Schießständen, an geeigneten Waffen (die nicht schon 30 Jahre alt sind), ja sogar an Übungsmunition. Für die Olympischen Spiele 2012 prophezeien manche ein Desaster. Als Hauptproblem wird der Mangel an Geld genannt.
Man ist es von früher her gewöhnt, daß der Staat für alles aufkommt, schließlich war Schießen ein Volkssport. Ganz vereinzelt wird gar die Meinung vertreten, die Aufgabe des Schützen bestehe darin, den Ruhm seines Vaterlandes bei internationalen Wettkämpfen zu mehren; im Gegenzug müsse sich die Obrigkeit um die Bedürfnisse des Schützen kümmern. Doch der Sozialismus ist in Rußland seit 20 Jahren vorbei und Schießen ist nun einmal – leider – kein Sport für Arme. Ich habe den Eindruck, daß manchen dieser Schützen die Initiative (und z.T. sicher ebenso das dicke Bankkonto) fehlt, um etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Anstatt nach Sponsoren zu suchen, verhandelt man lieber endlos mit der Stadtverwaltung über Mittel für die Renovierung eines maroden Schießstandes.
Doch es gibt auch positive Gegenbeispiele. Schützen, die sich ihre eigenen Waffen und Munition kaufen und sich ggf. auf einem kommerziellen Stand einmieten. Oder ganze Klubs, die nur noch pro forma den offiziellen Sportstrukturen (siehe dazu unten) angehören, finanziell jedoch eigene Wege gehen.



An dieser Stelle möchte ich Michail A. Schterzer vorstellen. Er ist nicht nur ein guter Pistolenschütze, er engagiert sich zudem für die Entwicklung der ISSF-Disziplinen im Gebiet Kaluga. Das tut er nicht nur im versteckten Kämmerlein, sondern auch öffentlich. In seinen Publikationen kritisiert er regelmäßig Mißstände, jedoch nicht in einem jammervollen, sondern in einem sachlichen Ton. Er meint z.B., daß der Staat eigentlich genügend Geld für die Entwicklung des Schießsports zu Verfügung stelle (und macht dies für seine Region an konkreten Zahlen fest). Von den vielen Millionen ginge jedoch in einem Kompetenzwirrwarr diverser regionaler und kommunaler Behörden so viel verloren, daß unten, an der Basis, kaum etwas ankomme.
(Wer der russischen Sprache mächtig ist, sollte sich seine hier veröffentlichten Artikel zu Gemüte führen. Bei Talks.guns.ru firmiert er unter dem Pseudonym „Golden Mike“.)

Doch diese Kritik trifft offenbar nicht überall und nicht in gleichem Maße zu. Es gibt auch Schützen, die davon berichten, daß sie diese Probleme nicht haben.



Jetzt muß etwas zu den Organisationsstrukturen des Schießsports gesagt werden, wenngleich sich die Russen wohltuend von der deutschen Vereinsmeierei abheben. Ganz oben haben wir die Strelkowyj Sojus Rossii (Abk.: SSR, dt.: Schützenunion Rußlands). Sie vereinigt als Dachverband nicht nur die Schützen der ISSF-Disziplinen, sondern darüber hinaus auch Benchrester und IPSC-Schützen, die (ebenso wie die Flintenschützen) in eigenen Teilverbänden organisiert sind. Neben und außerhalb der SSR existieren ein Field-Target-Verband sowie ein gesonderter Verein der Druckluftschützen.

Die SSR, deren derzeitiger Vorsitzender Wladimir Lissin ist und der sowohl natürliche als auch juristische Personen angehören, gliedert sich wiederum in regionale Teilverbände, welche die Hauptarbeit leisten. Ihnen sind die einzelnen Schießsportklubs angeschlossen. Wobei der Name Klub nicht zwangsläufig bedeuten muß, daß es sich um einen Verein im Rechtssinne handelt. Viele dieser Klubs existieren an Schulen und entsprechen damit den Arbeitsgemeinschaften deutscher Schulen. Andere sind rechtlich völlig selbständig (im Sinne eines deutschen e.V.), wieder andere sind an die DOSAAF (die einige Jahre ROSTO hieß) angeschlossen oder gehören zum Innen- oder Verteidigungsministerium (Stichwort: Sportsoldaten). Letztere sind weitgehend öffentlich finanziert.



Die DOSAAF war früher eine Wehrsportorganisation (wie die GST in der DDR), heute ist sie ein Dachverband für diverse Sportarten und betreibt ferner das größte Fahrschulnetz in Rußland. Die Organisation ist auch einer jener Kanäle, über die der Staat den Schießsport direkt fördert – sofern das Geld nicht unterwegs irgendwo versickert …

Viele Schießstände gehören der öffentlichen Hand, entweder der DOSAAF oder aber den Kommunen (vor allem in Schulen untergebrachte Stände). In den Schulen bringt man vielen Schülern durchaus Grundlagen des Schießens bei und es werden auch regelmäßig Wettbewerbe zwischen den einzelnen Schulen ausgetragen. Aber alles, was über die „Basics“ hinausgeht, wird schwierig. Mancherorts existieren spezielle Jugendgruppen, die der Vorbereitung auf den Leistungssport dienen sollen. Das ist der Schwerpunkt der staatlichen Förderung: Junge Talente und künftige Olympiateilnehmer.
Auf einer menschlichen Ebene kann ich die Verbitterung älterer Schützen über diese Schwerpunktsetzung verstehen, aber es hindert sie niemand daran, „ihr eigenes Ding zu machen“. Das ist der Unterschied zur Sowjetzeit. Und es gibt, wie gesagt, auch Leute die das tun und sich nicht auf das Jammern verlegen. Gewiß, dann muß man mit Bürokraten kämpfen, aber das müssen private Waffenbesitzer heutzutage auf der ganzen Welt.



Langsam scheinen sich jedoch auch die traditionellen Disziplinen wieder zu erholen. Im April ist ein jahrelanger Rechtsstreit um das Schießstandgelände bei Moskau, auf dem 1980 die Olympiawettbewerbe ausgetragen worden sind und das kurz vor dem Abriß stand, positiv für die Sportverbände ausgegangen. Schießstände werden saniert oder neu errichtet, in den letzten Jahren etwa in Lipezk und St. Petersburg. Und auch viele Schützen haben es satt, sich mit „ausgenudelten Vereinshuren“ abzumühen und können sich jetzt, dank des gewachsenen Wohlstandes, eigene Waffen leisten.

Allenthalben wird der Mangel an talentiertem Nachwuchs beklagt. Die breitensportliche Basis sei heute zu dünn, um genügend neue Leistungssportler aufbauen zu können. Zudem seien die Schießergebnisse im Vergleich zur Zeit vor 20 oder 30 Jahren deutlich schlechter. Die männliche Jugend ziehe es vor, sich vor dem Computer zu vergnügen und dabei zu verweichlichen; in manchen Klubs würden schon zu 80 % Mädchen trainieren und dabei bessere Resultate erzielen als die Vertreter des „starken Geschlechts“. Aussichtsreiche Sportler und gute Trainer würden es zudem oft vorziehen, ins Ausland zu gehen, wo sie sich, auch wegen ihrer Fertigkeiten, bessere Aussichten erhoffen.



Zumindest die letzte Klage ist nachweislich berechtigt. Wie gehaltvoll die übrigen sind, vermag ich nicht abzuschätzen. Aber es scheint wirklich sehr starke regionale Unterschiede zu geben, die auch vom Engagement der jeweiligen verantwortlichen Funktionäre und Beamten abhängen. Leider sehe ich mich außerstande, die internationale Position des russischen Schießsports einzuschätzen. Ganz erfolglos scheinen seine Vertreter jedoch nicht zu sein, weder in den ISSF-Disziplinen noch etwa im Field Target.

Fest steht, daß sich der Schießsport in der RF auf zwei verschiedenen Bahnen entwickelt: Die traditionellen Disziplinen sind in einer schon länger andauernden Krise, wohingegen sich die neuen Disziplinen zunehmender Beliebtheit erfreuen. Letzteres sicher nicht nur wegen ihrer Anziehungskraft auf moderne Menschen, sondern auch wegen der finanziellen Eigenständigkeit. Man wartet nicht auf „die da oben“, sondern packt selbst zu. Gleichwohl ist bemerkenswert, daß die SSR nach wie vor eine organisatorische Klammer ist, die beide Trends miteinander verbindet. Obwohl es auch in Rußland die leider hinlänglich bekannten Grabenkämpfe zwischen den einzelnen „Fraktionen“ der Schützen gibt, ist das Band zwischen ihnen nach wie vor nicht zerschnitten.

PS: Hier finden sich weitere Fotos russischer Sportschützen.



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Fotos: www.stjag.ru, picasaweb.google.com/359867, picasaweb.google.com/voskres.

Montag, 10. Mai 2010

10.05.2010: Videos des Tages

Die gestrigen Feierlichkeiten zum Tag des Sieges in Moskau waren schon beeindruckend, auch hinsichtlich ihrer Fähigkeit, verschiedene Altersgruppen (wie beim spätabendlichen Konzert im Lushniki-Stadion) und Nationen anzusprechen. Für letzteres mag eine kleine Episode stehen. Etwa fünf Minuten vor Beginn der Parade gab es eine interessante Szene, die zumindest im russischen Fernsehen beobachtet werden konnte. Dutzende von Staatsgästen begaben sich vom Kreml auf die Zuschauertribüne. Angeführt wurde der Troß von Dmitrij Medwedew - und Angela Merkel. Danach saß die Kanzlerin neben Wladimir Putin, mit dem sie sich intensiv unterhalten hat.

Auch die Berichterstattung der Medien war - wie seit vielen Jahren! - völlig frei von jeglicher Form der Germanophobie. Man gedachte der Abermillionen von Opfern - den Gefallenen, den verhungerten Zivilsten, jenen, die in KZs und dem Gulag (!) leiden mußten etc. Die Erinnerung ist lebendig, aber sie ist Geschichte und kein Gegenstand der aktuellen Politik gegenüber den 1945 Besiegten.

Wer sich die gestrige Militärparade noch einmal ansehen will, kann dies in den beiden folgenden Videos, die über englische Kommentare verfügen, tun.
(Am Freitag hatte ich dem WDR unrecht getan, denn die Phoenix-Übertragung der Parade war überraschend gut. Dort war ausnahmsweise ein kompetenter Kommentator zugegen.)








Dann waren da noch die beiden, höchst würdigen Feiern am Grabmahl des unbekannten Soldaten (am Samstag mit den Präsidenten der Ukraine, Weißrußlands und der RF, am Sonntag mit den übrigen Staats- und Regierungschefs) sowie die landesweite Gedenkminute um 19.00 Uhr.
(In puncto angemessener Selbstdarstellung hat der deutsche Staat der Gegenwart noch Nachholbedarf.)








Gefeiert wurde nicht nur in Moskau, sondern in vielen Städten in der gesamten früheren UdSSR, u.a. in Kiew, Minsk, Brest, Wolgograd (ehem. Stalingrad), Rostow am Don und St. Petersburg. Die Erinnerung an den 2. WK und die großen Opfer verbindet diese Völker, ungeachtet eventuell vorhandener aktueller politischer Differenzen.





Am Sonntagabend um 22.00 Uhr gab es in Moskau noch einen 65-schüssigen Artilleriesalut inklusive großem Feuerwerk, von dem das folgende Video zeugt:





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Sonntag, 9. Mai 2010

Sonderausstellung in Dessau-Roßlau


Der Förderverein für ein Militärhistorisches Museum Anhalt (der sich im vergangenen Jahr heftigen Anfeindungen ausgesetzt sah) führt anläßlich des 65. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Weltkrieges eine Sonderausstellung durch. Sie ist nicht groß - was angesichts des kleinen Vereins auch nicht zu erwarten gewesen wäre -, doch wird das Kriegsende hier in der Region Anhalt gut dargestellt - mit allem, was dazugehört (Dokumente, Uniformen, Waffen etc.). Armee Wenck, der Vorstoß der US-Truppen von Westen und jener der sowjetischen von Osten usw. Wer hier in der Nähe wohnt, sollte sich die Ausstellung, die noch bis zum 16. Mai zu sehen ist, einmal anschauen und auch die ansonsten vorbildliche Arbeit des Vereins würdigen. Für den 13.05. ist eine große Fahrzeug- und Technikschau geplant. Gestern hatte der Verein bereits Kranzniederlegungen auf den hiesigen deutschen und sowjetischen Soldatenfriedhöfen organisiert.



Öffnungszeiten:
08.05 und 09.05.2010 - von 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr
10.05. bis 12.05.2010 - von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr
13.05.2010 - von 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr
14.05.2010 - von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr
15.05.2010 - von 10:00 Uhr bis 00:00 Uhr (lange Nacht der Museen)
16.05.2010 - von 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr (Internationaler Museumstag).



Anschrift: Militärhistorisches Museum Anhalt, Am Finkenherd 1, 06862 Dessau-Roßlau, Ortsteil Roßlau.



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Freitag, 7. Mai 2010

Beretta könnte Molot übernehmen


Vor einem Jahr war der russische Waffenhersteller Molot infolge der Weltwirtschaftskrise in finanzielle Schwierigkeiten geraten (ich hatte darüber berichtet). Heute hat nun die Moscow Times einen längeren Artikel veröffentlicht, wonach die italienische Firma Beretta eine Partnerschaft mit Molot eingehen könnte, um so besser auf dem russischen Markt Fuß zu fassen:
"[...]

Italian firearms maker Beretta agreed to consider opening a production unit in Russia, Russian Technologies chief Sergei Chemezov told Prime Minister Vladimir Putin, according to a government transcript released Thursday.

If the deal materializes, Beretta could supply the country's special forces and police, Chemezov said in a meeting late Wednesday with Putin and Kirov Governor Nikita Belykh.
A foreign producer would find the Russian market largely pristine because the country's own defense companies mainly supply the armed forces, experts believe.

Chemezov said talks were underway with Beretta about creating a joint venture on the premises of a floundering defense factory — named Molot [...] — near Kirov. Owned by Chemezov's state corporation, Molot makes hunting rifles, pellet pistols and a range of civilian goods, such as parts for oil and gas equipment.

At the meeting, Chemezov reported that the federal and local governments had made good on a promise to pay the factory's workers their back salaries, worth 300 million rubles ($9.9 million), which he described as the “biggest wage arrears” in Russia. As a way to keep the jobs, Molot may house the joint venture “planned” by Beretta, “hopefully in the beginning of next year,” he said.
In addition to pistols for police and special forces, the venture would crank out hunting and competition guns for sale in Russia and the former Soviet republics, Chemezov said.

Stefano Quarena, a Fabbrica d'Armi Pietro Beretta spokesman, said he was unaware of the talks.
“We need to investigate,” he said by telephone from Gardone Val Trompia, Italy. “I need to check with the owners of the company.”
He did say Russia was a “strategic” market for the company wh ere it set up a local distributor, named Russian Eagle, in 2008 to build a sales network and further study demand.

Boris Vesnin, a spokesman for Belykh, said the Kirov regional government was being informed about the talks but had no knowledge about the size of the planned investment.
A source familiar with the situation said contacts with the Italian company were at a very early stage and that neither side had named any financial estimates.

[...]

Russian gun manufacturers have fallen behind the worldwide trend of developing firearms that cater to the needs of special operations and law enforcement agencies, such as having a larger magazine to confront gangs, said Ruslan Pukhov, director of the Center for the Analysis of Strategies and Technologies, an independent defense industry think tank.
As a result, the country's agencies have taken to importing foreign-made firearms, he said.
Based in a country with closer ties to Russia than some other Western states, Beretta may well invest in a Russian production facility if it wants so, Pukhov said. Chemezov, on the other hand, is a heavyweight lobbyist capable of securing enviable sales, he said.

The government in 2009 included Beretta-92 guns, along with some other foreign models, on the list of firearms that prosecutors and police investigators can wear for self-defense. The Interior Ministry, which received permission in 2007 to use foreign firearms, said in December that it had begun equipping its special units with Austria's Glock 17 pistols.
Other authorized foreign manufacturers include the Czech Republic's Ceska Zbrojovka, Austria's Steyr Mannlicher Gmbh & Co KG and Germany's Heckler & Koch.

[...]"
Die Verhandlungen wären - sofern es sich nicht um eine Presseente handelt - noch in einem sehr frühen Stadium, so daß noch kein Ergebnis abzusehen ist. Dennoch ist der Vorstoß von Beretta interessant, erfreuen sich doch italienische Jagdwaffen auf dem russischen Markt großer Beliebtheit, wie ein Blick auf zahlreiche Waffen- und Jagdmessen belegt. Mal sehen, was daraus wird, denn der Behördenmarkt alleine dürfte für die Italiener kaum den ganzen Aufwand lohnen.

Im übrigen ist der Artikel schlecht recherchiert, denn selbstverständlich bietet auch Baikal (Izhmekh) Großkaliberpistolen schon seit Jahren mit doppelreihigem Magazin an, die auch bei den Behörden der RF eingeführt sind. Wenn es - wie behauptet - nur darum ginge, müßte man keine ausländischen Kurzwaffen einführen. Journalisten eben ...

Nachtrag: Das ganze scheint doch keine Ente zu sein. Die gewöhnlich gut informierte Internetzeitung Lenta.ru behandelt das Thema in einem Artikel vom 06.05. ebenfalls recht ausführlich. Demzufolge sollen im neuen Gemeinschaftswerk neben GK-Pistolen vor allem Jagd- und Sportwaffen für den GUS-Markt gefertigt werden. Die Verhandlungen werden von der Rüstungsholding Rostechnologii geführt, die derzeit anscheinend versucht, nicht mehr rentablen Rüstungsunternehmen eine neue Perspektive zu eröffnen.
Lenta.ru deutet ferner an, daß demnächst in der rußländischen Waffenindustrie - z.B. bei Izhmash - weitere Umstrukturierungen ins Haus stehen könnten. Die dort produzierten Waffen seien im Vergleich zu solchen ausländischer Provenienz zu teuer. Das habe ich zwar in russischen Waffenforen auch schon mehrfach gelesen (einheimische Präzisionsgewehre wie das SW-98 sollen teurer sein als ein Sako TRG), kann es aber aufgrund meiner bescheidenen Kenntnis des deutschen Waffenmarktes und der hiesigen Preise nicht recht glauben.


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