Es ist eines der bekanntesten roten Lieder aus dem
russischen Bürgerkrieg, das nicht nur in viele Sprachen übersetzt, sondern - mit geändertem
"weißem" Text - von den ehemaligen Gegnern der Roten im Ausland gesungen wurde:
"Partisanen vom Amur". Den deutschen Text sollte jeder in der früheren DDR aufgewachsene noch heute kennen ;-):
"Durch's Gebirge, durch die Steppen zog
Unsre kühne Division
Hin zur Küste dieser weißen,
Heiß umstrittenen Bastion.
Rot vom Blut, wie unsere Fahne,
War das Zeug, doch treu dem Schwur,
Stürmten wir die Eskadronen,
Partisanen vom Amur.
Kampf und Ruhm und bittere Jahre!
Ewig bleibt im Ohr der Klang,
Das Hurra der Partisanen,
Als der Sturm auf Spassk gelang.
Klingt es auch wie eine Sage,
Kann es doch kein Märchen sein:
Wolotschajewska genommen!
Rotarmisten zogen ein.
Und so jagten wir zum Teufel
General und Ataman.
Unser Feldzug fand sein Ende
Erst am Stillen Ozean."
Hinsichtlich des historischen Hintergrundes dieses Liedes war ich bis dato skeptisch, schließlich ist wohlbekannt, wie freizügig die Sowjets bisweilen im "Erfinden" von Traditionen und in der Pflege derselben waren. Doch in der vergangenen Woche ist mir ein Artikel im
Heft 10/2009 des
Wojenno-Istoritscheskij Shurnal (dt.: Militärhistorische Zeitschrift) aufgefallen. Mit seiner Abhandlung
"Die Rolle der Partisanenbewegung im Kampf gegen die japanische Intervention im Fernen Osten in den Jahren 1918 bis 1920" unternimmt es der Autor W. G. Chitryj, die im russischen Originaltext noch stärker als in der deutschen Übersetzung besungenen Partisanen aus ihrer weihevollen Anonymität zu holen und mit Leben zu erfüllen.
Wir schreiben das Jahr 1918. Seit Herbst 1917 befinden sich erste
amerikanische Truppen in
Wladiwostok, die seit Frühjahr 1918 durch
japanische Kontingente verstärkt werden. Letztere beschränken sich allerdings nicht mit der Herrschaft über die Hafenstadt, sondern stoßen entlang der
Transsibirischen Eisenbahn weit Richtung Westen bis zum
Baikalsee vor. Das offizielle politische Ziel der Intervention bestand in der Unterstützung der Weißen im russischen Bürgerkrieg (insbesondere von Admiral
Koltschak) sowie in der Evakuierung der
Tschechoslowakischen Legion über den Pazifik in ihre Heimat.
Über diese von allen
Interventionsmächten (USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada u.a.) geteilten Ziele hinaus hatte Japan jedoch eine "hidden agenda": Die Japanisierung des russischen Fernen Ostens. Zu diesem Zweck wurden Siedlungskolonien gegründet (insgesamt ca.
50.000 Personen) - und eine davon, in
Nikolajewsk am Amur, wurde durch einen
"Zwischenfall" 1920 berühmt. Im März hatte eine Partisanenabteilung unter Führung des Anarchisten Triapizyn die Stadt umzingelt, in der es neben 350 japanischen und 300 "weißen" Soldaten auch 450 japanische Kolonisten gab. Als im Mai eine Entsatzexpedition der japanischen Armee eintraf, waren alle der vorgenannten entweder gefallen oder füsiliert worden. Dasselbe Schicksal sollte dann aber auch Triapizyn ereilen.
Bereits
zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte das expandierende Japan seine begehrlichen Blicke auf diesen Teil der Welt geworfen und seither nicht davon abgelassen (siehe auch
hier). Jetzt schien eine günstige Chance gekommen. Mit einem Truppenkontingent von rund 70.000 Mann - das war das Zehnfache der amerikanischen Truppen - waren die Japaner die uneingeschränkte Führungsmacht im Fernen Osten und in Sibirien sowie in den angrenzenden Gebieten Chinas. Diese militärische Macht wurde durch politisch-diplomatische Manöver abgesichert, etwa die Unterstützung für
Grigorij Semjonow (das ist der im Lied besungene Ataman) und
Robert von Ungern-Sternberg. Beide Männer verfolgten ihre eigene Agenda (Ungern-Sternberg ernannte sich z.B. selbst zum Diktator der Mongolei) und waren, bei Lichte betrachtet, nicht nur Separatisten, sondern überhaupt zwielichtige und ziemlich unappetitliche Figuren.
Angesichts dieser offensichtlichen Bedrohung durch die japanischen Okkupanten wie durch ihre blutrünstige Landsleute ist es nicht überraschend, daß sich aus den Einwohnern des russischen Fernen Ostens Partisanengruppen gebildet haben. Regionale Schwerpunkte waren das
Amurgebiet, die
Region Chabarowsk und
Primorje. Die Organisation war, den Zeitumständen entsprechend, sehr divers, weshalb man eine alles bestimmende Rolle der Bolschewiki oder der Roten Armee wohl verneinen muß. Eine zentralere Führung durch die
Streitkräfte der
Fernöstlichen Republik war erst in der zweiten Periode des Konflikts (1920-1922) gegeben. Dazu kam die ethnische Heterogenität der Partisanen: Russen, Koreaner, Chinesen u.a. Völkerschaften waren vertreten; es gab in ihren Reihen sogar freigelassene deutsche und österreichische Kriegsgefangene. (Manche Gruppen dürften allerdings kaum besser als ordinäre Banditen gewesen sein.)
Im Februar 1919 sollen allein im Amurgebiet rund 10.000 Partisanen operiert haben. Ihre zumeist aus Kavallerie und Infanterie gemischten Abteilungen hatten in der Regel eine Stärke zwischen etwa 50 und 200 Mann. Die Angriffe richteten sich vor allem gegen die Verbindungswege der Japaner. Der Schwerpunkt lag dabei auf Attacken gegen die Eisenbahnlinien, über die ja nicht nur die japanischen, sondern auch die weißen Truppen im Osten Sibiriens versorgt wurden. Von Februar bis Oktober 1919 sollen 327 Eisenbahnbrücken durch Partisanen zerstört worden sein. Sofern sich die Gelegenheit ergab, wurden allerdings auch japanische Garnisonen und ganze Städte angegriffen. Bis zum November 1919 verlor die japanische Armee bei diesen Kämpfen 572 Gefallene und 483 Verwundete; hinzu kommen 436 Soldaten, die infolge von Erkrankungen verstorben sind. Insgesamt verloren die Japaner während ihres Rußlandabenteuers über
5.000 Tote.
1921 gab es mit der von Japan unterstützten Gründung der sog.
Küstenrepublik ein letztes Aufbäumen der weißen Bewegung im Fernen Osten. Doch diesem Versuch war nur eine kurze Dauer beschieden. Im September/Oktober 1922 verließen die japanischen Truppen als letzte der Interventionsmächte das russische Festland (
Nordsachalin blieb bis 1925 besetzt) und im Dezember zog die Rote Armee in Wladiwostok ein. Die Partisanen vom Amur hatten gesiegt. In ihrem jahrelangen Kleinkrieg hatten sie nicht nur ihre weißen Gegner besiegt, sondern auch erheblich stärkere japanische Truppen aus dem Land geworfen. Für Tokio war die Intervention zu einer nicht mehr tragbaren Belastung geworden, die erhebliche finanzielle Mittel verschlang (insgesamt ca.
900 Mio. Yen).
Die ersten Bilder stammen aus amerikanischen und japanischen Quellen. Die letzten vier zeigen hingegen Partisanen sowie Soldaten der Roten Armee.
Bezeichnend sind die Fotos 1 bis 3 (s.o.) im Vergleich mit dem letzten. Alle sind in Wladiwostok entstanden: zunächst paradieren die Interventionstruppen, doch am Ende triumphiert die Rote Armee.
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