Sonntag, 1. November 2009

Fandorin ermittelt

Die erste Berührung mit den Werken Boris Akunins im allgemeinen und seiner Fandorin-Reihe im besonderen hatte ich durch den Spielfilm „Türkisches Gambit“. Seither habe ich einige dieser Kriminalromane gelesen und bin darob geradezu begeistert – was angesichts meines etwas gespannten Verhältnisses zur zeitgenössischen Literatur eine Überraschung ist. ;-)

Akunin, von Hause aus Japanologe (was durchaus mit in seine Schriften einfließt), hat mit den Fandorin-Büchern eine lose Folge historischer Krimis geschaffen, die im Rußland des ausgehenden 19. Jahrhunderts spielt. (Ein Zeitabschnitt, den ich - wie meine Leser vielleicht wissen werden - sehr interessant finde.) Der junge Held mit dem komisch wirkenden Namen Erast Petrowitsch Fandorin, sehr gebildet und von hoher Herkunft, aber ein wenig verarmt, arbeitet bei der Moskauer Polizei. Neben gewöhnlichen Kriminellen hat er es auch mit Bombenlegern und anderen „politischen“ Verbrechern zu tun. Seine Ermittlungen führen ihn häufig in die intriganten „besseren“ Kreise der russischen Gesellschaft.
Fandorin erscheint als ein typischer Vertreter seiner Zeit: für jeden technischen Fortschritt interessiert er sich ebenso wie für die „verwissenschaftlichten“ Formen der Kriminalitätsbekämpfung wie z.B. die Daktyloskopie. Ein Rezensent hat die Figur Fandorin gar als Mischung aus Sherlock Holmes und James Bond, aber mit russischer Seele, bezeichnet.

Akunin versteht es, spannend und flüssig zu schreiben, wobei er zudem mit seinen deutschen Übersetzern großes Glück hatte. Seine Bücher sind alles andere als langatmig und lassen auch beim Leser keine Langeweile aufkommen. Die Sprache ist gebildet und zugleich ein wenig (selbst-)ironisch, wie das folgende Zitat aus dem „Türkischen Gambit“ verdeutlicht (S. 23):
"[…]

Dafür sprach [der große Schriftsteller] wohlgesetzt und überzeugend: In der Tat sei die Unschuld ein lächerliches Vorurteil und die bürgerliche Moral widerwärtig, und der menschlichen Natur brauche man sich nicht zu schämen. Warja hörte zu, dann beriet sie sich stundenlang mit Petja, was zu tun sei. Petja fand auch, daß Keuschheit und Scheinheiligkeit Fesseln seien, die der Frau aufgezwungen würden, aber mit dem Großen Schriftsteller in physiologische Beziehungen zu treten, davon riet er ihr entschieden ab. Er ereiferte sich, argumentierte, daß der Schriftsteller gar nicht so groß sei, viele fortschrittliche Menschen hielten ihn gar für einen Reaktionär.

[…]"
Oder ein kleiner Seitenhieb auf die Journaille (im selben Buch auf S. 89):
"[…]

"Um ein gutes Feuilleton zu schreiben, muß man kein Thema haben", erklärte der Franzose. "Man muß nur gut schreiben können."

[…]"
So macht Lesen Spaß. :-) Ähnlich kluge Sentenzen finden sich zuhauf.
Mit den historischen Bezügen geht Akunin etwas freier um (schließlich sind es keine Sachbücher), doch sind alle wesentlichen Aspekte korrekt dargestellt, etwa hinsichtlich der komplizierten Polizeiorganisation oder der revolutionären Verschwörergruppen. Auch bei der Schilderung waffentechnischer Details hat sich der Autor viel Mühe gegeben. So werden z.B. unterschiedliche Revolver- und Pistolentypen ebenso vorgestellt wie deren verdeckte Trageweisen. Dazu kommen noch kleine Ausflüge in die fernöstliche Philosophie und - wie bei dieser Zeit und diesem Milieu nicht anders zu erwarten - jede Menge Ehrenhändel.

Die Fandorin-Bücher sind zwar mittlerweile zu Mainstreamkrimis geworden, dennoch bieten sie alles, was man von ihnen erwartet: historisches Flair, Spannung, intellektuelle Anregung, Action, überraschende Wendungen – kurzum: gute Unterhaltung. Für den Einstieg in die insgesamt 13 Titel umfassende Reihe eignet sich m.E. der zweite Band „Türkisches Gambit“ am besten. Sofern man daran Gefallen findet, sollte man mit dem ersten Band („Fandorin“) fortsetzen und sich danach den Folgebänden („Mord auf der Leviathan“, „Der Tod des Achill“, „Der Tote im Salonwagen“ usw.) zuwenden.



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Bilder: B. Cannarssa (1), E.K. (2).

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