Donnerstag, 26. Januar 2012

Wie deutsche Journalisten lügen

Митинг "За честные выборы"

Man ist, als nicht ganz hirnloser Bürger, immer wieder überrascht, mit welcher Unverfrorenheit in der vermeintlich freien deutschen Presse die Wahrheit nicht nur zurechtgebogen, sondern wie glatt gelogen wird. Ein eindrucksvolles Beispiel lieferte am 13. Januar die Stuttgarter Zeitung. In der Morgenausgabe, die bereits am Vorabend in den Handel gelangt war, betätigten sich die "Journalisten" als Hellseher. Sie schrieben - noch vor Mitternacht - in der Vergangenheitsform, daß die Polizei eine Demonstration am Stuttgarter Hauptbahnhof ab 0.00 Uhr geräumt habe (siehe hier). Damit ist eine neue Qualität der Lüge erreicht: Die Journaille erfindet nicht nur Meldungen über die Wirklichkeit (fehlinterpretiert letztere also), sie erfindet sogar Ereignisse, die so gar nicht stattgefunden haben. Dies ist aus der Rußlandberichterstattung seit langem bekannt, doch wird es auch im Inland praktiziert.

Zum seit Dezember von vielen (nicht nur) deutschen Medien gepflegten Klischee über Rußland gehört, daß Wladimir Putins politischer Stern rapiden Sinkflug begriffen sei. Zur Unterfütterung dieser gewagten These wurde z.B. folgende DPA-Meldung verbreitet:
"[...] Nach den Massenprotesten in Russland sinkt die Beliebtheit von Regierungschef Wladimir Putin [...] weiter. Putin verlor bei der Abstimmung des staatlichen Meinungsforschungsinstitutes Wziom im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 17 Prozentpunkte - und kam auf 38 Prozent."
Die Sache hat allerdings ein paar Schönheitsfehler, welche von der Deutschen Presseagentur wohlweislich nicht erwähnt werden, denn sie würden den beabsichtigten Effekt schmälern. Erstens handelte es sich nicht um eine Wahlumfrage, sondern um ein Ranking von Politikern, Künstlern, Sportlern, Musikern usw., das unter dem Titel "Die wichtigsten Leute des Jahres 2011" lief. In der Kategorie der Politiker steht Putin mit seinen 38 % allerdings unangefochten auf Platz 1. An zweiter Stelle folgt Präsident Medwedew mit 19 %. Wie man aus einer solchen Liste der beliebtesten Promis des vergangenen Jahres Aussagen über Putins vermeintlich schlechte Wahlaussichten ableiten will, bleibt das Geheimnis der DPA.

An dieser Stelle soll ein Blick auf die aktuellen Umfrageergebnisse der rußländischen Meinungsforscher hinsichtlich der bevorstehenden Präsidentenwahlen am 4. März geworfen werden. Dafür werden folgende Daten herangezogen: WZIOM (All-Rußländisches Zentrum für das Studium der öffentlichen Meinung - Mitteilung vom 20.01.2012), Lewada (Lewada-Zentrum - Mitteilung vom 25.01.2012) und FOM (Stiftung "Öffentliche Meinung" - Stand vom 22.01.2012). Hier sind allerdings methodische Unterschiede zu beachten: Die Fragestelleung von WZIOM war geschlossen, die von Lewada offen, weshalb die Lewada-Werte meist deutlich niedriger als die des WZIOM sind. Die FOM hat hinsichtlich der Präsidentenwahlen aktuell lediglich die Zustimmung zur Person Wladimir Putins erhoben. Die angegebene Zahl entspringt also noch keiner echten Wahlumfrage.

Nachfolgend die Wählergunst in Zahlen:
Politiker - WZIOM - Lewada - FOM

W. Putin - 52 % - 37 % - 53,6 %

G. Sjuganow - 11 % - 8 % - k.A.

W. Shirinowskij - 9 % - 5 % - k.A.

S. Mironow - 4 % - 4 % - k.A.

M. Prochorow - 2 % - 4 % - k.A.

G. Jawlinskij - 1 % - k.A. - k.A.
Die Daten zeigen deutlich, daß die als "liberal" geltenden Kandidaten Prochorow und Jawlinskij ziemlich aussichtslos sein dürften. Das Lewada-Zentrum, welches Jawlinskij ideologisch nahesteht, hatte ihn nicht einmal auf der Liste. Und Prochorow hat nun, nachdem er Eckpunkte seines Programms vorgestellt hat, die Erinnerungen an die "wilden 90er" wecken, vermutlich mit stärkerem Gegenwind bei den Wählern zu kämpfen. Damit stehen die sog. Liberalen wieder einmal im Abseits. Wie gering die Unterstützung im Volk für sie ist, kann man daran ermessen, daß Jawlinskij - im Gegensatz zu Prochorow - nicht einmal fähig war, die vom Wahlgesetz geforderten 2 Millionen gültigen Unterschriften von Unterstützern zu sammeln und deshalb aus dem Rennen um den Kreml ausscheidet.

Wie man es auch dreht und wendet: Aus heutiger Sicht ist Wladimir Putin der aussichtsreichste Anwärter auf die Präsidentschaft, danach folgt - mit deutlichem Abstand - der Kommunist Sjuganow. Letzterer könnte aber noch ein wenig zulegen, denn Teile der liberalen Intelligenzija wollen zu seiner Wahl aufrufen, obwohl sie ihn als Person verachten und sein Programm ihren Vorstellungen diametral entgegensteht. Infantile Typen ...


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