Donnerstag, 7. April 2011

"Terroristenjagd ist Krieg"

Am 21. März hat die Nachrichtenagentur RIA Nowosti ein Interview mit Alexej Filatow veröffentlicht. Filatow, Oberstleutnant a.D., war selbst Angehöriger der Spezialeinheit "Alfa" und ist heute Vizepräsident des internationalen Veteranenverbandes dieser Anti-Terror-Einheit. Während des Pressegesprächs hat er seine Ansichten zu einigen Aspekten der Terroristenbekämpfung dargelegt:
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RIA Novosti: Herr Filatow, nach der Terrorattacke auf die USA im September 2001 kann man sagen, dass der Kampf gegen den Terror in eine neue Phase eingetreten war, die bereits zehn Jahre dauert. Welche positiven Ergebnisse der Terrorbekämpfung sind erkennbar? Terroristen verüben nach wie vor Anschläge, bei denen viele Menschen sterben. Was halten Sie für das größte Problem dabei?

Alexej Filatow: Im Jahr 2001 hat in der Welt, darunter in den USA, eine neue Ära begonnen. In Russland begann sie meines Erachtens noch früher, und zwar 1995, als die russische Regierung erstmals mit einer neuen Art des Terrors konfrontiert wurde. Damals wurde ein Krankenhaus in der Stadt Budjonnowsk (Region Stawropol) von 200 Banditen überfallen, die etwa 2000 Menschen als Geiseln nahmen. [Vgl. hier.] Für die russischen Behörden war das eine völlig neue Herausforderung.

RIA Novosti: Hatten Sie sich an Befreiungsaktionen zuvor schon beteiligt?

Alexej Filatow: Wir konnten uns nicht einmal vorstellen, dass eine Geisel zu Schaden kommen würde. Im Grunde war es unsere Aufgabe, die Terroristen nicht zu eliminieren, sondern zu entwaffnen und lebendig festzunehmen. Wenn wir entführte Flugzeuge stürmten, durften wir sie nicht beschädigen - das war aus Kostengründen wichtig. Wir setzten oft Sonderwaffen ein, die die Außenhülle des Flugzeugs nicht beschädigten. Im Grunde waren das traumatische Waffen. Einige Offiziere hatten bei Erstürmungen überhaupt keine tödlichen Patronen bei sich und verließen sich nur auf den Faustkampf. Die Waffen dienten dabei nur als Einschüchterungsmittel. In Budjonnowsk standen wir jedoch etwas völlig Neuem gegenüber. In der russischen Staatsführung fand sich keine einzige Person, die die Verantwortung für den Tod von Unschuldigen übernehmen könnte. Bereits das Jahr 1995 bedeutete für Russland ein Wendepunkt im Kampf gegen den Terror. Wir mussten neue Vorgehensweisen trainieren und brauchten neue Ausrüstung, neue Taktiken, neue Rekrutierungs- und Trainingsmethoden. Alles veränderte sich, auch unsere Psyche.

RIA Novosti: Aber es werden immer wieder neue Anschläge verübt, besonders in letzter Zeit.

Alexej Filatow: Derzeit wird ein Krieg gegen den Terrorismus geführt, auch wenn das offiziell nicht anerkannt wird. Wir neutralisieren und töten die Banditen. Sie widersetzen sich uns. Manchmal sind ihre Aktionen gegen Zivilisten gerichtet. Das ist ein richtiger Krieg. Wenn wir fast täglich über die Festnahme von Terroristen berichten, über das Aufspüren von Waffenlagern, über die Eliminierung der Banditen, die auf der Fahndungsliste standen, wird das als Selbstverständlichkeit angesehen. Man sollte aber eines verstehen: Wir haben es nicht mit drogenabhängigem Abschaum zu tun, sondern mit richtigen Banditen, die außerdem gut organisiert sind. Indem wir ihnen Schäden zufügen, provozieren wir Gegenreaktionen. Sie wollen nicht aufgeben und reagieren auf unsere Aktivitäten. Ihre Methode sind nun einmal terroristische Aktionen. Ich halte Terroranschläge für ein schweres Verbrechen, das gut organisiert ist und große Folgen für den Ruf eines Landes hat. Das Schlimmste kommt immer nach einem Anschlag: Die Bevölkerung verliert den Glauben an ihre Sicherheit und Zukunft, wobei die Sicherheit wohl das wichtigste Gut für jeden Menschen ist. Dementsprechend verliert man das Vertrauen zur Regierung. Das wollen eben die Terroristen erreichen.

RIA Novosti: Sie waren an vielen Sondereinsätzen beteiligt, darunter an der Geiselbefreiung in Budjonnowsk. Wie kann man in solchen Situationen ein normaler Mensch bleiben?

Alexej Filatow: Das ist eine schwierige Frage. Wer an einem Krieg teilgenommen hat, wer den Tod gesehen hat und selbst töten musste, der wird schnell erwachsen und ist schon mit 30 bzw. 40 Jahren ein sehr weiser Mensch. Denn die Mitglieder unserer Abteilung sind schon gut ausgebildete Menschen und wissen genau, was sie eingehen und was sie riskieren. Das ist eine schwere Aufgabe, aber Jahre später erinnere ich mich noch an die alten Zeiten und denke, dass sie glücklich für mich waren. Die Emotionen und Gefühle nach einem erfolgreichen Kampf, wenn man ein oder viele Leben gerettet hat, kann man nicht mit Worten beschreiben.

RIA Novosti: Sie haben gesagt, dass die Alpha-Sondereinheit ein eingespieltes Team ist, dessen Mitglieder sich absolut vertrauen. Wurde innerhalb des Teams jemals die so genannte „Nationalfrage“ gestellt?

Alexej Filatow: Ich komme aus Moskau und habe in der Stadt Orjol studiert. Damals teilte ich mir das Zimmer mit Usbeken, Kasachen, Weißrussen und Ukrainern. Deshalb gab es damals keine religiösen Fragen. Ich bin ein Sicherheitexperte, für mich ist die Nationalität oder Religion unwichtig. Eine andere Sache ist allerdings, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Die Motivation hat vor allem wirtschaftliche Gründe. Jedes Mal, wenn ein Krieg ausgelöst wird - und der Terror gehört im Grunde dazu - geht es um die Wirtschaft. Aber um einen zu motivieren, reicht ein Rubel nicht aus - da sind zehn Rubel erforderlich. Dann finden die Auftraggeber einen Ausweg: Sie bezahlen nur einen Rubel und ersetzen den Rest durch Religion. Viele Menschen wissen nicht, was Religion ist, wenn sie einmal die Bibel oder den Koran in die Hand genommen haben. Man muss schon ein Grundwissen haben. Denn in jeder Religion gibt es Aspekte, die aus dem Kontext gerissen werden können und einen Menschen in eine ganz andere Richtung lenken können. Meines Erachtens geht es also nicht um Religion, obwohl ich denke, dass die Zuspitzung der terroristischen Gefahr unter anderem mit der „religiösen Frage“ verbunden ist. Denn die Aussage von Karl Marx, die Religion sei „das Opium des Volkes“, ist richtig. Die „religiöse Frage“ darf man nicht ignorieren, aber man kann auch nicht behaupten, dass eine Religion gut und eine andere schlecht wäre.

RIA Novosti: Herr Filatow, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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Die Krake des Islamismus

Foto: www.politline.ru.

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