Samstag, 4. Dezember 2010

Spetsnaz XI: Spezialkräfte der Seekriegsflotte

In den letzten drei Folgen der „Spetsnaz“-Serie wurde die russische Marineinfanterie behandelt. Damit eng verbunden, aber nicht identisch, sind die Speznas-Einheiten der Seekriegsflotte. Diese Spezialkräfte unterstehen direkt dem Flottenkommando; die Angehörigen führen in der Regel die Dienstgrade der Marine (Kapitän usw.) und nicht die der Marineinfanterie (Major etc.). Ihre primären Aufgaben sind, kurz gesagt, Aufklärung und Diversion zur Unterstützung von Operationen der Marine. Doch dazu gleich mehr.

Vorab muß noch darauf hingewiesen werden, daß auch die Marineinfanterie zumindest während der 1990er Jahre in einem ihrer Lande-Sturm-Bataillone eine „Spezialkompanie“ unterhalten hat, zu der u.a. ein Kampfschwimmerzug gehörte. Ob es derartige Spezialkräfte der MI heute noch gibt oder ob es sich lediglich um eine der zahlreichen Episoden im Kontext des allgemeinen Umbruchs der 90er gehandelt hat, ist dem Verfasser leider nicht bekannt.

Geschichte 1: 1938-1945

Während der 1930er Jahre hat auch die sowjetische Marine mit Tauchapparaten experimentiert. Im Oktober 1938 fand in der Nähe von Wladiwostok eine erste Lehrübung statt, bei der Taucher ein U-Boot über die Torpedorohre verließen, um anschließend Aufklärung an der Küste zu betreiben. Diese Veranstaltung kann als Geburtsstunde der sowjetischen Kampfschwimmer betrachtet werden. Sie erregte höheren Orts zwar viel Interesse, hatte aber keine weiteren Folgen. 1940 wurde in der Schwarzmeerflotte eine ähnliche Übung durchgeführt, ebenfalls ohne direkte Ergebnisse. Taucher waren in der Seekriegsflotte vor allem für Unterwasserarbeiten zuständig; in den Aufklärungsorganen der Marine war für sie kein Platz vorgesehen, sondern nur für strategische, Funk- und Agenturaufklärung.



Erst nach Beginn des deutschen Feldzuges wurden ab Juli 1941 in den Flotten Spezialeinheiten formiert, die z.B. Aufklärungsabteilung, Aufklärungskompanie oder Taucherkompanie hießen. Sie hatten folgende Aufgaben: Aufklärung gegnerischer Schiffe in ihren Häfen, Aufklärung gegnerischer Flugzeuge und Küstenverteidigungseinheiten, ggf. Bekämpfung dieser Ziele, Aufklärung zur Vorbereitung von Seelandungen und Teilnahme an der ersten Staffel solcher Unternehmen, Zusammenarbeit mit Partisanen, Unterstützung der Agenturaufklärung sowie Mitwirkung an der Auswertung nachrichtendienstlicher Informationen.

In der Nordmeerflotte wurden 2 Aufklärungsabteilungen aufgestellt. Eine davon, die 181., hat Viktor Leonow geführt. Seine Erlebnisse hat er in einer Autobiographie niedergelegt (s.u.). Im hohen Norden wurde die Aufklärung vor allem zu Land (per Ski) und/oder mittels kleiner Seelandungen betrieben; getaucht wurde dort nicht.

Die Baltische Flotte hat insgesamt 13 Spezialeinheiten gebildet. Eine davon, die Kompanie besonderer Bestimmung, wurde mit Tauchschülern und Marineinfanteristen aufgefüllt und war im Herbst 1941 einsatzbereit. Sie hatte eine breite Spanne von Aufträgen zu erfüllen: Vorbereitung von Seelandungen, Minenräumen im Finnischen Meerbusen und der vermutlich spektakulärste Einsatz – das Heben des gesunkenen deutschen U-Bootes U-250 im August 1944, was wichtige Resultate für den weiteren Seekrieg in der Ostsee brachte.



Die Schwarzmeerflotte stellte im April 1944 eine Sonder-Aufklärungsabteilung auf, die aus lediglich 10 Mann bestand und an einer einzigen Operation teilnahm. Ihr Auftrag war die Überwachung der Schiffsbewegungen im damals noch von der Wehrmacht besetzten Sewastopol. Am 05.04. wurden sie von einem Kriegsschiff vor der Küste abgesetzt; am 10. Mai vereinigte sie sich mit den vorrückenden Verbänden der Roten Armee. Sie haben ihren Auftrag erfüllt und konnten zudem wichtige Dokumente erbeuten.

In der Pazifikflotte waren zwar nach 1938 die Tauchübungen weitergegangen, eine erste Spezialeinheit wurde jedoch erst im Januar 1945 aufgestellt. Nach einigen Reorganisationen wurden die Spezialkräfte der Pazifikflotte und der Amurflottille im Sommer 1945, kurz vor Beginn des Krieges gegen Japan, durch erfahrene Marineaufklärer der Nord-, Schwarzmeer- und Baltischen Flotte verstärkt. Der bereits erwähnte Leonow übernahm das Kommando über eine der beiden Aufklärungsabteilungen. Ihre Einsätze im August 1945 erfolgten vor allem an der koreanischen Küste; doch getaucht wurde auch hier nicht.

Obwohl sich die Spezialkräfte der Marine während des 2. WK bewährt und ihre Aufgaben – über und unter Wasser wie auch an Land – erfüllt hatten, brachte das ihnen das Kriegsende die Auflösung. (Ähnlich erging es übrigens den Spezialaufklärern des Heeres.) Zunächst wurden die Taucher aus den Einheiten herausgezogen und in den Notfall-Rettungsdienst der Flotten eingegliedert. Im Herbst 1945 erhielten die noch bestehenden Einheiten schließlich der Auflösungsbefehl. Als Begründung wurde angeführt, daß in Friedenszeiten die Vorbereitung von Aufklärungspersonal nicht notwendig sei.



Geschichte 2: 1953-1991

Erst 1952 änderte sich diese Haltung, als sich Marinechef Vizeadmiral Kusnezow mit der Hauptverwaltung für Aufklärung (Abk.: GRU) ins Benehmen setzte und die Neuaufstellung maritimer Spezialkräfte ins Auge faßte. Doch es dauerte noch bis zum Sommer 1953, bis daraus Konsequenzen erwuchsen. Im Juni 1953 wurde unter der Leitung von Kapitän 1. Ranges Jewgenij Jakowlew der 6. See-Aufklärungspunkt (Abk.: MRP) gegründet, welcher zur Keimzelle aller anderen Einheiten werden sollte. Der 6. MRP war nahe Sewastopol basiert und unterstand der Schwarzmeerflotte.

1954 folgte der 4. See-Aufklärungspunkt der Baltischen Flotte mit Standort im Raum Baltijsk (früher Pillau). Im März 1955 wurde der MRP der Pazifikflotte gebildet, der im Raum Wladiwostok stationiert war. Als letzter folgte im November 1957 der MRP der Nordmeerflotte. Es dauerte bis zum Dezember 1958, bis alle See-Aufklärungspunkte einsatzbereit waren; schon damals war das Geld für die teuren Spezialausrüstungen knapp. Die vier MRP hatten zu Beginn der 1960er Jahre zusammen eine Stärke von ca. 270 Mann.

In den 60er Jahren haben die Verantwortlichen viel Wert auf die Ausbildung von Reservisten für die Marineaufklärung gelegt, damit die im Kriegsfall wachsenden Aufgaben bewältigt werden können.
Bereits 1966 waren 8 Mann des 6. MRP ans Kaspische Meer entsandt worden. Auf dieser Grundlage wurde 1969 in der Kaspiflottille ein eigenständiger See-Aufklärungspunkt in einer Stärke von ca. 50 Mann gebildet. Standort war Baku.

Die Spezialkräfte der Schwarzmeerflotte waren hinsichtlich der Ausbildung besonders aktiv (was vom warmen Klima begünstigt wurde). Seit den 60er Jahren entwickelten sie verschiedene neue Verfahren für den Einsatz von Kampfschwimmern und Unterwasserfahrzeugen sowie für deren Absetzen aus der Luft. Dafür standen ein eigenes wissenschaftliches Laboratorium sowie eine Ausbildungseinheit in Kiew zur Verfügung. Außerdem wurden Delphine für den Militäreinsatz herangezogen.
Im Juni 1968 wurde der 6. See-Aufklärungspunkt denn auch in die 17. Speznas-Brigade umgewandelt. Diese war danach der größte Spezialverband der sowjetischen Marine.

Später haben Spezialkräfte der Baltischen Flotte u.a. an der Entminung des Suezkanals (1973-1975) und an der seeseitigen Absicherung von Auslandsreisen des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow teilgenommen (z.B. in Malta und Reykjavík). Ferner begleiteten Kampfschwimmer aller Flotten deren Schiffe auf ihren Fahrten. Während der 1980er Jahre standen die maritimen Speznas-Einheiten im Zenith, danach ging es abwärts.



Nach dem Ende der UdSSR

Bereits 1990 war eine Reorganisation erfolgt. Die MRP hießen nun Spezial-Aufklärungspunkte (Abk.: RPSpN). Die 17. Brigade wurde in den 1464. RPSpN umgewandelt.
Nach der Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 wurden die meisten Einheiten von der Rußländischen Föderation übernommen. Lediglich eine Einheit der Schwarzmeerflotte trat in ukrainische Dienste. Der 137. RPSpN, der ursprünglich zur Kaspischen Flottille gehört hatte und in Aserbaidshan stationiert war, wurde zunächst an den Ladogasee und schließlich ans Schwarze Meer verlegt.

Zugleich erwuchsen den Kampfschwimmern neue Aufgaben, insbesondere die Terrorbekämpfung im Nordkaukasus, namentlich in Tschetschenien. Mehrere von ihnen wurden mir Orden und Ehrenzeichen ausgezeichnet; Praporschtschnik Andrej Dnjeprowskij aus der Pazifikflotte erhielt posthum den Titel eines „Helden Rußlands“. Heute steht die Sicherheit der Handelsschiffahrt, vor allem die Bekämpfung der Piraterie, im Fokus der „Speznasowzy“.

Alle Flotten der rußländischen Marine verfügen über eigene Spezialkräfte. Aufgrund der langjährigen Unterfinanzierung der Streitkräfte ist die für den maritimen Einsatz notwendige Spezialtechnik nur noch bedingt einsatzbereit. Angaben zur Stärke dieser Speznas-Einheiten sind dem Verf. nicht bekannt. Zieht man die aus der Sowjetzeit bekannten Zahlen zu Rate und bezieht die allgemeine Reduzierung der russischen Streitkräfte mit ein, dann dürfte die Gesamtstärke heute bei unter 1.000 Mann liegen. Der größte Teil des Personals besteht aus Offizieren und Berufsunteroffizieren (Mitschmany); ansonsten ist kaum etwas über die innere Organisation der Spezial-Aufklärungspunkte bekannt.



Bewaffnung und Ausrüstung

In der UdSSR hat man viel Wert auf spezielle Handfeuerwaffen für den Unterwassereinsatz gelegt. Dementsprechend wurde viel Forschungsarbeit geleistet und zahlreiche Modelle entwickelt – und war damit weltweit führend. Beispiele sind die Pistole SPP-1 und das Sturmgewehr APS. Diese Sonderwaffen werden im Buch von Shaydurov umfassend beschrieben. (Allerdings stimmt ein Teil seiner militärgeschichtlichen Informationen nicht. So gibt er etwa an, die SU hätte erst 1967 Kampfschwimmereinheiten aufgestellt.)

Des weiteren wurden spezielle Fahrzeuge für die Fortbewegung über und vor allem unter Wasser entwickelt, z.B. die Typen „Sirena“, Triton“, SN-21, „Mangust“ u.a. Ansonsten stehen die Waffen und Ausrüstungsgegenstände zur Verfügung, wie sie für russische Spezialeinheiten üblich sind, ebenso Tauchausrüstungen.



Mit diesem Artikel wird die Behandlung der Elite- und Spezialeinheiten der Seekriegsflotte der RF abgeschlossen. In den nächsten Folgen dieser Reihe wird es voraussichtlich um innere Sicherheitsbehörden gehen.



Bibliographie

I. Chartschenko: Speznas flota – wtschera, segodnja … sawtra?, in: Bratischka 10/2010, S. 56 ff.

A. Gajewskij: Paraschjutisty sowjetskogo flota, in: G. Pernawskij (Hrsg.): Diwersanty wtoroj mirowoj, Moskau 2008, S. 122 ff.

V. Leonow: Auf Vorposten am Nordmeer, Berlin 1981.

I. Shaydurov: Russische Schusswaffen, Stuttgart 2010.




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Fotos: RIA Nowosti u.a.

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