Sonntag, 26. Juli 2009

Sensation: Ein selbstkritischer Journalist


Die Qualität der Berichterstattung deutscher Medien aus und über Rußland gibt regelmäßig Anlaß zur Kritik, wobei die Beanstandungen von Übersimplifikation und Klischeehaftigkeit bis hin zur glatten Lüge reichen (ja, sogar bei der hessischen Tageszeitung mit den drei Buchstaben). Auf eine sehr sachliche Art ist diese Kritik etwa von Gabriele Krone-Schmalz in ihrem Buch "Was passiert in Russland?" vorgetragen worden (siehe auch hier). Drastischer hat es Ralf Brings (ein teilweise in Rußland tätiger Deutscher) ausgedrückt, der aus Ärger über die Medien seines Heimatlandes mehrere, sehr lesenswerte Glossen unter der Überschrift "Vom Elend der Rußlandreportagen" geschrieben hat.

Als vor ein paar Jahren Brings' Texte in diversen Blogs und Diskussionsforen vorgestellt wurden, erhob sich eine Protestwelle von "renommierten" Journalisten: Das sei unseriöse Medienschelte, mit der ein ehrbarer Berufsstand verunglimpft werde. Nun hat einer dieser Mainstreamjournalisten überraschenderweise selbst zwei Texte publiziert, in denen er einen kurzen Blick hinter die Kulissen des Korrespondentendaseins gewährt und ahnen läßt, daß an der Kritik von Krone-Schmalz, Brings u.a. sehr viel wahres ist.

Stefan Voß ist seit dem Jahr 2000 Moskau-Korrespondent der Deutschen Presse-Agentur, wird diesen Posten aber demnächst verlassen, um danach aus Berlin über die deutsche Innenpolitik zu berichten. Somit war Voß einer der einflußreichsten deutschen Journalisten, der regelmäßig aus Rußland berichtet hat, denn viele kleinere Tageszeitungen (und andere Medien), die über keine eigenen Korrespondenten verfügen, bestreiten ihre Auslandsberichterstattung zu rund 98 % mit Produkten der DPA oder einer anderen Agentur.

Wegen seines bevorstehenden Abschieds aus Moskau scheint Voß nun von leichten Gewissensbissen geplagt zu werden, weshalb er - in unerwarteter Offenheit - in seinem Blog (selbst-)kritische Gedanken zur Arbeit der Medien äußert. Unter dem Datum vom 23.07.2009 schreibt er:
"[...]

Dass in Deutschland das originäre Interesse an der Auslandsberichterstattung stark nachgelassen hat, dürfte nicht nur Nachrichten aus unserem Sprengel betreffen. Es ist schon verrückt, dass sich vor gerade mal 20 Jahren noch ein hoher Prozentsatz der Deutschen für das Schicksal der Sandinisten in Nicaragua erwärmen konnte. Und heute? Hand hoch, wer sich noch wirklich für die innerrussischen Entwicklungen interessiert (von Nicaragua ganz zu schweigen). Dem Schwund des vorurteilsfreien Interesses am Fremden steht eine stark gestiegene Erwartungshaltung an die Berichterstattung aus dem Ausland entgegen. Gerne auch mit zutiefst subjektiver Einteilung in “gut” und “böse”, ausgerichtet an unseren abendländischen Überzeugungen von Individualismus, Liberalität und der universellen Gültigkeit von Menschenrechten.

Wie anders ist es zu erklären, dass eine Agenturmeldung über Herrn Putin sehr leicht ihren Platz in den Blättern findet, wenn der Leadsatz das Verb “drohen” aufzubieten hat? Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Konkurrenzmeldungen zum selben Thema, in denen Putin nicht droht, eben nicht sexy sind. Ein Beispiel: Vor einiger Zeit platzte Herrn Putin beim Thema Energiesicherheit mal wieder der Kragen. Als der finnische Ministerpräsidenten Vanhanen wegen der umstrittenen Ostsee-Gaspipeline rumnörgelte, polterte Putin los: Wir müssen das Ding nicht bauen, wenn ihr nicht wollt. Wir können auch Flüssiggas rüberschiffen, das kommt euch aber teurer.

So, damit hatte Putin erstmals öffentlich (zumindest rhetorisch) die Ostsee-Pipeline in Frage gestellt. Das war neu, aber eben wesentlich weniger knackiger als der Leadsatz: Putin droht, die Ostsee-Pipeline nicht zu bauen. Natürlich gibt es bei der Zahl der Agenturen immer jemanden, der dieser Versuchung nicht widerstehen kann. Und gleich klingelt das Telefon bei uns: Warum schreibt ihr das nicht auch so – Putin droht? Antwort: Weil das Blödsinn ist. Die Russen wollen diese Pipeline (Weil sie sich nicht mehr mit den Ukrainern rumschlagen wollen. Die Europäer hingegen wollen für ihr teures Geld das Gas aus Russland haben, egal wie.)

Man muss auch als EU-Bürger Herrn Putin nicht unbedingt mögen. Aber es hilft zum Verständnis ungemein, wenn bei umstrittenen Themen wie Energiesicherheit oder Rüstungskontrolle nicht jede seiner Äußerungen gleich als Drohgebärde interpretiert wird. Wie im konkreten Fall: Da kann Putin nicht “drohen”, auf etwas zu verzichten, weil er selbst es am allermeisten haben möchte.

[...]"
Gestern hat Voss dann noch einmal nachgelegt:
"[...]

Wer als Auslandskorrespondent eine Liste mit den knackigsten Klischees seines Landes erstellt (bloß keine Hemmungen) und sie dann abarbeitet, darf sich der stürmischen Zuneigung der Heimatredaktion sicher sein. Für Russland wären das auf jeden Fall: Wodka, schöne Frauen, Atomkraft (wegen Tschernobyl), Eiseskälte, Luxus, Brutalität im Alltag, Bären und zunehmend auch gern randalierende oder sonstwie schräge Touristen.

Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die folgende Geschichte nicht totzukriegen ist. Russische Abenteuertouristen würden schwerstbewaffnet vor der Küste von Somalia auf einem Schiff umherzkreuzen, um Piraten anzulocken und sie dann in die Flucht zu ballern. Klar, logisch, so sind die Russen eben. Diesen Blödsinn muss irgendein österreichisches Medium schon vor Wochen ins Netz gestellt haben. Seitdem werden in Moskau immer wieder deutsche Korrespondenten von ihren Redaktionen mit erregten Anfragen heimgesucht. Die Antwort, dass das offensichtlich eine Erfindung ist und keines der schamlosen Moskauer Boulevardblätter die Geschichte je aufgegriffen hat, wird in Deutschland mit Enttäuschung quittiert (und nicht etwa mit Erleichterung, dass man ja um ein Haar einer Zeitungsente aufgesessen wäre).

Nur dass jetzt bitte kein falscher Eindruck entsteht: Wir versuchen es ja immer wieder mit Randthemen und Hintergrundberichten aus unserem Berichterstattungsgebiet – um dann regelmäßig mit einem Null-Abdruck belohnt zu werden. Als ich Ende der 1990er Jahre als Auslandskorrespondent loslegte, hieß es in einem solchen Fall, das heben sich die Kunden für einen anderen Tag auf. Sowas traut sich heute niemand mehr zu sagen, wo doch die Kunden (und nicht nur die) schon am Nachmittag nicht mehr wissen, was am Vormittag auf den Draht ging.

Den Vogel schießt als Korrespondent ab, wer zum KCO greift, dem Klischee-Cross-over. Zwei Top-Ten-Stereotypen in einer Geschichte verschmelzen. Neulich hatte ich Glück. Da kürte die russische Kernkraftlobby ihre “Miss Atom”. Bingo. Und als es dann auch noch ein Foto von der schönen Aljona (”strahlende Schönheit”) gab, die aus dem Kühlteich des AKW Nowoworonesch steigt, da war bei mir und später auch bei den Kunden kein Halten mehr.

[...]"
Ich möchte das jetzt nicht weiter kommentieren, habe aber gute Gründe für die Annahme, daß es bei der Berichterstattung aus anderen Staaten nicht viel besser aussieht. Selbst bei innenpolitischen Themen (wie etwa dem Waffenrecht) herrscht in unseren Medien häufig eine Kombination aus Sensationsgier und blanker Unwissenheit. Ich respektiere jede Meinung, wenn sie denn gut begründet ist und vor allem auf zutreffenden Fakten beruht; alles andere ist, objektiv betrachtet, schlecht für eine Demokratie.


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