Mittwoch, 6. Mai 2009

Osteuropäische Unübersichtlichkeit




Das faszinierende an der Beschäftigung mit Osteuropa ist das ständige Auftauchen neuer Facetten (bis hin zur Realsatire), die das Leben dort nie langweilig werden lassen. So zum Beispiel gestern im NATO-Muster-Möchtegernmitgliedsstaat Georgien. Dort protestiert die Opposition schon seit Wochen massiv gegen den als Staatspräsident amtierenden Stalin-Verschnitt Saakaschwili, wogegen die Behörden z.T. mit Gewalt vorgegangen sind. Nun wurde gestern vermeldet, es habe einen Militärputsch gegeben, der aber niedergeschlagen worden sei. Unter Führung einflußreicher (Ex-)Offizieren soll ein 30 km von Tiflis entfernt disloziertes Panzerbataillon revoltiert haben (ausführlich hier). Laut Saakaschwili sollen russische Geheimdienste hinter dem Aufstandsversuch gestanden haben (genauso, wie sie angeblich hinter den Oppositionsgruppen stehen, denn alle "guten" Georgier sind selbstverständlich für ihn). Dummerweise wußten die angeblichen Rädelsführer nichts von der Aktion, weshalb die Opposition von einem Schauspiel spricht, welches die Regierung inszeniert habe, um sich an der Macht zu halten und ihre Gegner zu diskreditieren.

Ein sehr undurchsichtiger Fall. Gerade einen Tag vor Beginn eines NATO-PfP-Manövers in Georgien wird ein angeblicher Staatsstreich vereitelt. In diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, daß Saakaschwili im vergangenen Jahr bereits einen Anschlag auf den polnischen Präsidenten vorgetäuscht hat. Auch sonst ist er für seine impulsive Gewalttätigkeit bekannt. Wir werden sehen, was in den nächsten Wochen zu diesem Thema noch ans Licht kommen wird. Und die NATO, die sich die Verteidigung von "Freiheit und Demokratie" auf die Fahnen geschrieben hat, wird deswegen mit Saakaschwilis Regime keine Probleme haben. Schließlich verfügt mit der Türkei ein Mitgliedsstaat über reichliche Erfahrungen mit Staatsstreichen.





Ein weiteres Land auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion, das sich seit Monaten in einem Zustand der politischen Instabilität befindet, ist die Ukraine. Die Probleme sind freilich hausgemacht und wurden durch die internationale Finanzkrise nur noch verstärkt, aber nicht verursacht. Gestern wurde nun der ukrainische Innenminister Luzenko mitsamt seinem Sohn auf dem Frankfurter Flughafen festgenommen, nachdem beide in alkoholisiertem Zustand randaliert hatten. Konsequenzen?
"Der Vorfall dürfte für Luzenko, der auch einer der Führer des Präsidentenwahlblocks "Nascha Ukraina" (Unsere Ukraine) ist keine weiteren Folgen haben.
Sein Fraktionskollege Sergej Moskal erklärte bereits in Kiew, wenn die Fraktion jeden Fall von Trunkenheit von Abgeordneten in der Öffentlichkeit diskutieren würde, wäre man bald arbeitsunfähig, denn es gäbe "keinen Abgeordneten der Fraktion, der nicht trinkt"."



Bedeutend weniger lustig ist das Thema der ukrainischen NS-Verstrickungen während des Zweiten Weltkrieges, das wegen der anstehenden Auslieferung von John Demjanjuk aus den USA die deutsche Öffentlichkeit demnächst wohl intensiver beschäftigen wird.
Nicht nur, daß seit der Auflösung der SU die (west-)ukrainischen Nationalisten um Stepan Bandera und die OUN bzw. UPA vielfach neu bewertet werden, auch von offizieller Seite. Die an der Person Demjanjuks exemplifizierte Verstrickung dieser Freiheitskämpfer in die nationalsozialistische Judenvernichtung wird dabei gerne unterschlagen.
Nun ist man in der Westukraine in seinem Kampf gegen alles "russische" (womit vor allem die eigenen Landsleute im Osten und Süden gemeint sind) so weit, daß jetzt sogar Monumente und Gedenktafeln für SS-Verbände aufgestellt werden - vom Staat, wohlgemerkt! Rußland Aktuell berichtet:
"[...]

Die Gedenktafel für die Angehörigen der SS-Division Galizien, die im Zweiten Weltkrieg auf der Seite der Deutschen gegen die Sowjetunion kämpften, wird auf Beschluss des Ternopiler Stadtrats am Haus Nr. 1 in der gleichfalls nach den „Kämpfern der Division Galizien“ benannten Straße enthüllt. Dies verlautete am Montag aus der Pressestelle des Stadtrats.
Damit findet das skandalöse Auftauchen von Werbeträgern Mitte April in Lviv (Lwow, Lemberg) eine Fortsetzung, auf denen die SS-Division als Verteidigerin der Ukraine gerühmt wurde [...].

Inzwischen ist auch klar, wer diese Werbung in Auftrag gegeben hat. Es handelt sich um die ultranationalistische Partei „Freiheit“. Damit sollte der 66. Jahrestag der Aufstellung der Division Galizien „gefeiert“ werden.
Die Genehmigung zur Veröffentlichung der Plakate hatte der Stadtrat von Lviv bereits im Dezember erteilt. Zunächst hatte es geheißen, der Auftraggeber sei unbekannt und es könnte sich um eine Provokation russischerseits handeln.

Auf die Empörung von in der Ukraine lebenden sowjetischen Kriegsveteranen sowie aus Moskau und Warschau hin erklärte der Ukrainische Sicherheitsdienst, die Reklameschilder seien „rechtsmäßig“, „weil die SS nicht erwähnt und an keiner Stelle Faschismus proklamiert wird“."
Ein schöner Beitrittskandidat für EU und NATO!

In den 1990er Jahren hatte ich für solche Auswüchse - die es ja auch in den drei baltischen Republiken gibt - noch Verständnis, schließlich mußte man sich erst einmal finden und das eigene Staatswesen reorganisieren. Aber heute sollte man doch aus dieser infantilen Phase heraus sein. Beunruhigend ist ferner, daß in ganz Osteuropa der schärfste Nationalismus immer mit Antisemitismus einhergeht: in Polen sind die Deutschen, die Russen und die Juden die Bösen; in der Ukraine die Polen, die Russen und die Juden; in Rußland die Polen, die Muselmanen und die Juden usw. usf. Schlimm nur, wenn diese Stimmungen politikmächtig werden, wie in der Ukraine und teilweise auch in Polen und Estland.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen