Donnerstag, 30. Oktober 2008

Bericht aus Moskau

Passend zum eben behandelten Thema nachfolgend ein paar Verweise.

Moderne russische Militärwaffen ebenso wie Jagdwaffen u.v.a. schöne Waffenfotos kann man in den Blogs von Vitaly Kuzmin (1, 2) sehen.

Auch Lenta.ru bietet ihren Lesern neben Eindrücken von der Messe Interpolitex 2008 solche von einer Ausstellung historischer Waffen, die unter dem Namen "Tradition 2008" Mitte Oktober im Moskauer Ausstellungszentrum Manege stattgefunden hat.

Arms-Expo berichtet über eine Polizeiübung im Rahmen der Interpolitex und RIA Novosti zeigt noch ein paar Bilder der Ausstellung.

Abschied von der Kalaschnikow?


Am 9. Oktober teilte der stellvertretende russische Innenminister Michail Suchodolski in einer Presseinformation mit, daß die seinem Ministerium nachgeordneten Polizeibehörden ihre Bewaffnung umstellen wollen. Dabei sollen die Pistole Makarow und das Sturmgewehr AKS-74 U durch modernere Waffensysteme ersetzt werden: die Pistole Jarygin und die Maschinenpistole PP-2000. Begründet wird die Einführung der neuen Waffen mit der geringeren Neigung zu unkontrollierbaren Querschlägern - was besonders bei Einsätzen im städtischen Bereich relevant ist - sowie der größeren Mannstoppwirkung.

Das besondere an dieser Neuigkeit besteht nicht nur darin, daß zwei seit Jahrzehnten geführte Waffensysteme aus dem Polizeidienst verabschiedet werden, sondern auch im absehbar erscheinenden Ende der Makarowpatrone (9 x 18 mm), die auch in russischen MPis verwendet wird und erst in den 1990er Jahren einer Modernisierung unterzogen wurde, um an die ballistischen Daten der Parabellumpatrone (9 x 19 mm) heranzukommen. Letztere hat nun das Rennen gemacht und wird zukünftig auch in Russland zum Standardkaliber der Rechtsschutzorgane werden.

Andrej Fedorow weist in einer längeren Reportage darauf hin, daß jetzt erstmals in der sowjetischen und russischen Geschichte spezielle Polizeiwaffen eingeführt werden sollen (es gibt außer den genannten Handfeuerwaffen auch neue Elektroschocker), bei denen es sich nicht um 'abgelegte' oder 'zweitverwendete' Militärwaffen handelt. Obwohl die Kalaschnikow-Sturmgewehre bewährte und zuverlässige Waffen sind, ist die Gefahr von Querschlägern, die Unbeteiligte gefährden könnten, zu groß - was angesichts einer Reichweite von 3000 m bei der Patrone 5,45 x 39 mm auch nicht verwundert.


Die Wahl der MPi legt m.E. Zeugnis vom Konkurrenzkampf zwischen den russischen Waffenherstellern ab. Obwohl sich mittlerweile das Pendel zugunsten der PP-2000 zu neigen scheint, dürfte die vom Izhewsker Kalaschnikowhersteller Izhmash in Zusammenarbeit mit der Spezialeinheit "Vityaz" entwickelte Maschinenpistole PP-19-01 "Vityaz" (dt.: Recke) noch nicht ganz aus dem Rennen sein. Auch diese Waffe verschießt das Kaliber 9 x 19 mm, ist aber im Design sehr stark an die Kalaschnikow angelehnt, was in der Polizeipraxis den Ausbildungsaufwand reduzieren dürfte. Bei einer Gesamtlänge von 69,8 cm (mit eingeklapptem Schaft 46 cm), einer Lauflänge von 23 cm und einem Gewicht von 3 kg erreicht die Waffe eine Kadenz von 750 Schuß/Minute.
Die MPi "Vityaz" ist bereits bei einigen Polizeibehörden und Sondereinheiten eingeführt und erfreut sich dem Vernehmen nach einer gewissen Beliebtheit. Sie wäre deshalb geeignet, den bei manchen Polizisten vernehmbaren Schmerz über den Verlust ihrer traditionellen Kalaschnikow zu reduzieren.


Die Maschinenpistole PP-2000 (die Abkürzung "PP" steht für "Pistolet-Pulemet", wörtlich übersetzt: Pistolen-Maschinengewehr) wird in der traditionsreichen Waffenstadt Tula von der Fa. KBP Instrument Design gefertigt. Im Gegensatz zur Vityas handelt es sich bei ihr nicht um eine vollausgewachsene Langwaffe, sondern um eine Klein-MPi im Sinne des Personal Defence Weapon-Konzeptes (wie ebenfalls die H&K MP 7). Dies zeigt sich auch an den technischen Daten: Gewicht 1,4 kg, Gesamtlänge 58,2 cm (mit eingeklapptem Schaft 34 cm). Als Kadenz werden 600 Schuß/Minute angegeben - bei Polizeiwaffen freilich ein eher theoretischer Wert.

Für beide Maschinenpistolen steht umfangreiches Zubehör wie Zieloptiken, Laser, taktische Lampen und Schalldämpfer zur Verfügung. Zugleich mit den neuen Waffen soll auch neue Spezialmunition eingeführt werden, die u.a. dazu fähig sein soll, 8 mm dicke Stahlplatten auf eine Entfernung von 15 m zu durchschlagen.


Die Pistole Jarygin (Werksbezeichnung: MP-443 "Gratsch") entspricht dem, was man von einer modernen Dienstpistole erwarten darf: Gesamtlänge 19,8 cm, Lauflänge 11,2 cm, Gewicht 950 g, Magazinkapazität 17 Patronen. Die Waffe macht einen soliden Eindruck. Hersteller ist wiederum Izhmash.
(Hierin könnte auch der Grund für die o.g. Bevorzugung der PP-2000 liegen: vielleicht verfährt die Beschaffungsstelle nach dem Motto 'Wenn die einen schon die Standardpistole und das Standardgewehr bauen, dürfen die anderen die MPi herstellen'. So wäre schließlich für beide Unternehmen - und beide Städte - gesorgt. Wer weiß ...)


Standardpistole? Ja, die Jarygin hatte sich bereits anno 2000 in einem Wettbewerb als neue Seitenwaffe der Armee durchgesetzt und im Jahr 2003 erging ein Regierungsbeschluß, wonach sie (zusammen mit zwei anderen Modellen) die Makarow in allen Sicherheitsbehörden ablösen sollte. Passiert ist seitdem nicht allzuviel, es wurden wohl lediglich die in Tschetschenien dislozierten Einheiten mit neuen Pistolen ausgestattet. (Bei einigen Spezialeinheiten hat man außerdem Glock-Pistolen gesichtet.)
Diese Geschichte erinnert an das Sturmgewehr AN-94 "Abakan", welches in den Streitkräften die AK-74 ablösen soll. Nach dem Einführungsbeschluß sind nur wenige Gewehre tatsächlich in die Truppe gelangt - und die werden hauptsächlich von Spezialeinheiten geführt.

Aber vielleicht läuft es ja diesmal besser, obwohl die Finanzen bei Rüstungsprojekten in Russland immer der limitierende Faktor sind. Man darf nicht vergessen, daß die russische Verteidigungsindustrie Waffensysteme exportiert, die in den eigenen Streitkräften mangels Geld bisher nicht eingeführt werden konnten. Eingedenk dieser Erfahrungen hat denn auch das Innenministerium wohlweislich auf die Nennung konkreter Daten verzichtet und als Zeitraum für die Umrüstung der Miliz lediglich "mehrere Jahre" genannt.
Man darf mithin davon ausgehen, daß zuerst die Behörden der Großstädte die neuen Waffen erhalten, die meisten Dorfpolizisten hingegen werden noch viele Jahre mit der guten, alten Makarow auf Streife gehen. Und so wird der Abschied von den Konstruktionen der Herren Kalaschnikow und Makarow ein langsamer sein. In Anbetracht des "Abakan"-Debakels gilt gerade für die "Kaschi" der alte Satz: Totgesagte leben länger.

Nachtrag (31.10.): Von Interesse ist auch, wie sich die übrigen Sicherheitsbehörden, z.B. der Föderale Sicherheitsdienst (inklusive Grenzschutz) und Zoll, verhalten werden. Folgen sie der vom MWD eingeschlagenen Richtung oder gehen sie eigene Wege? Und kommt jetzt vielleicht auch in das Projekt AN-94 neuer Schwung?


Verwandte Beiträge:
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Mittwoch, 29. Oktober 2008

Das Suworow-Museum in St. Petersburg

In Deutschland weiß man kaum um ihn, in der Schweiz ist er hingegen wohlbekannt: Alexander W. Suworow (1729-1800), einer der berühmtesten und populärsten russischen Feldherren hat 1799 mit seiner legendären Alpenüberquerung Spuren in der Eidgenossenschaft hinterlassen. Er hatte sich bereits in den Türkenkriegen ausgezeichnet und der Zweite Koalitionskrieg war zugleich Höhe- und Schlußpunkt seiner Karriere, denn kurz danach verstarb er.
Suworow genießt in Rußland nach wie vor höchste Wertschätzung, so tragen z.B. Kadettenschulen seinen Namen, in der Sowjetunion hatte man während des Zweiten Weltkrieges ein Orden nach ihm benannt und vor der Petersburger Troizki-Brücke blickt er vom Sockel eines Denkmals auf Einwohner und Besucher der Stadt herab.



In St. Petersburg, wo er auch begraben liegt, wurde bereits 1904 ein Museum zur Erinnerung an seine Person eröffnet. Es ist nicht besonders groß, doch ist die Ausstellung interessant und gut gemacht, so daß ein Besuch jedem militärhistorisch interessierten Petersburg-Besucher unbedingt zu empfehlen ist. Es werden Blank- und Handfeuerwaffen, Uniformen, Fahnen, Orden, Dokumente, Dioramen u.a.m. aus der Zeit der Revolutionskriege gezeigt. Das Suworow-Museum ist somit ein klassisches Militärmuseum. Die Bilder dieses Beitrags vermitteln davon (hoffentlich) einen kleinen Eindruck.


Anschrift des Museums: Ulitsa Kirochnaya 43, St. Petersburg, 193015
(Link bei Goolge Maps)
Nächste Metrostation: Tschernyschewskaja


Weiterführende Links:

Webseite des Museums: Link 1 (russ./eng.), Link 2 (russ.)
Suworow-Museum bei Russland Aktuell (dt.)
Wikipedia (eng.)
Reisebericht (dt.)
Schweizer Suworow Blog (dt.)
Wieso schickte Zar Paul I. 1799 General Suworow in den Krieg? (dt.)


Zu guter Letzt ein Text von Clausewitz, der Suworow in seiner Schrift über den Feldzug von 1799 wie folgt beschrieben hat:

"Berühren müssen wir nur, worin alle Stimmen einig sind, daß er ein Mensch von einem feurigen Willen, großer Kraft des Charakters und vielem natürlichen Verstande war, der in den Kriegen gegen die Türken eine tüchtige Schule durchgemacht hatte. Konnte diese Schule den Bedürfnissen einer Kriegführung gegen französische Armeen nicht ganz genügen und mußte seine rohe Wunderlichkeit einer einfachen verständigen Leitung so zusammengesetzter Tätigkeit, wie ein Krieg zwischen den gebildeten Völkern es ist, oft Schwierigkeiten in den Weg stellen, so weiß doch jedermann, daß jene Wunderlichkeit meistens eine angenommene Rolle war, die sein treffender Verstand nur auf der Außenseite der Dinge walten und nicht bis in die Hauptentscheidungen des Handelns dringen ließ. Wenn man dabei annimmt, daß in Beziehung auf die zusammengesetzteren Verhältnisse und Formen des Krieges zwischen gebildeten Völkern der österreichische Generalstab, an dessen Spitze ein sehr gebildeter und ausgezeichneter Mann (der Graf Chasteler) stand, manches erzeugt haben wird, so tritt man dadurch dem individuellen Verdienste Suwarows [sic!] in keiner Weise zu nahe. Der vollkommenste Generalstab mit den richtigsten Ansichten und Grundsätzen bedingt noch nicht die ausgezeichnete Führung einer Armee, wenn die Seele eines großen Feldherrn fehlt; die einer großen Feldherrnnatur angeborne Richtung des Blicks und des Willens aber ist auch da ein vortreffliches Korrektiv gegen die in ihre eigenen Pläne sich verwickelnde Generalstabsgelehrsamkeit, wo sie derselben im übrigen als Instrument nicht entbehren kann. Haben auch die Österreicher unter Kray bei Magnano einen Sieg erfochten, der ihren Waffen zur Ehre gereicht, so würden sie doch ohne Suwarow die Schlachten von Cassano, an der Trebbia und bei Rovi nicht gewonnen haben. Der eigentümliche Charakter seiner Energie und seines treffenden Blicks ist darin nicht zu verkennen."


Dienstag, 28. Oktober 2008

28.10.2008: Videos des Tages

Die beiden heutigen Videos zeigen Bilder der letzten Zarenfamilie und der weißen Truppen aus dem russischen Bürgerkrieg, musikalisch unterlegt von einer (französisch gesungenen) "weißen" Fassung der "Partisanen vom Amur".



(Teil 1)



(Teil 2)

Montag, 27. Oktober 2008

27.10.2008: Text des Tages

Aus Fjodor M. Dostojewski: Der Idiot

"Ich besaß eine kleine Taschenpistole, die ich mir noch als Kind angeschafft hatte, in jenem komischen Lebensalter, wo man auf einmal anfängt, an Geschichten von Duellen und räuberischen Überfällen Gefallen zu finden, und wo ich mir ausmalte, wie ich zum Duell herausgefordert werden und mit welchem edlen Anstand ich vor der Pistole des Gegners dastehen würde. Vor einem Monat habe ich sie mir wieder angesehen und in Bereitschaft gesetzt. In dem Kasten, in dem sie lag, fanden sich zwei Kugeln und im Pulverhorn Pulver für drei Schüsse. Die Pistole ist ein elendes Ding; sie schießt seitwärts und trägt nur auf fünfzehn Schritt; aber sie kann doch wohl einen Schädel zerschmettern, wenn man sie dicht an die Schläfe setzt.

Ich beschloß, in Pawlowsk bei Sonnenaufgang zu sterben und dazu in den Park zu gehen, um die Bewohner der Landhäuser nicht zu stören. Meine 'Erklärung' wird der Polizei die ganze Sache hinreichend klarlegen. Freunde der Psychologie, und wer sonst Lust hat, mögen aus ihr alle ihnen beliebigen Schlüsse ziehen. Ich würde jedoch nicht wünschen, daß dieses Manuskript der Öffentlichkeit übergeben würde. Ich bitte den Fürsten, ein Exemplar für sich zu behalten und ein zweites Aglaja Iwanowna Jepantschina zu geben. Dies ist mein Wille. Ich vermache mein Skelett der medizinischen Akademie zum Besten der Wissenschaft.

Ich erkenne keine Richter über mir an und weiß, daß ich jetzt außerhalb des Machtbereichs eines jeden Gerichtes stehe. Erst neulich noch belustigte mich folgende Vorstellung: wenn es mir jetzt auf einmal in den Sinn käme, einen beliebigen Menschen zu töten, meinetwegen zehn Menschen zugleich, oder sonst eine Handlung zu begehen, die in dieser Welt für besonders schrecklich gilt, in welche Verlegenheit würde dann das Gericht mir gegenüber kommen in Anbetracht dessen, daß ich nur noch zwei bis drei Monate zu leben habe und die Folter und die körperlichen Mißhandlungen abgeschafft sind? Ich würde behaglich in einem Krankenhaus sterben, in einem warmen Zimmer und unter der Obhut eines aufmerksamen Arztes, und es vielleicht weit behaglicher und wärmer haben als bei mir zu Hause. Ich verstehe nicht, warum Leuten, die sich in gleicher Lage befinden wie ich, nicht derselbe Gedanke in den Kopf kommt, wenn auch nur zum Scherz. Vielleicht kommt er ihnen übrigens auch in den Kopf; heitere Leute gibt es ja auch bei uns viele.

[...]

Als Ippolit ganz nahe an den Ausgang der Veranda gelangt war, blieb er stehen; in der linken Hand hielt er das Glas, die rechte hatte er in die rechte Seitentasche seines Paletots gesteckt. Keller versicherte nachher, Ippolit habe schon vorher diese Hand immer in der rechten Tasche gehabt, schon als er mit dem Fürsten gesprochen und ihn mit der linken Hand an die Schulter und an den Kragen gefaßt habe, und diese rechte Hand in der Tasche habe schon damals seinen, Kellers, ersten Verdacht erregt. Wie dem nun auch sein mochte, jedenfalls veranlaßte ihn eine gewisse Unruhe, Ippolit ebenfalls nachzulaufen. Aber auch er kam zu spät. Er sah nur, wie auf einmal in Ippolits rechter Hand etwas schimmerte, und wie in derselben Sekunde die kleine Taschenpistole sich dicht an seiner Schläfe befand. Keller stürzte hinzu, um ihn am Arm zu packen; aber im selben Augenblick drückte Ippolit ab. Es ertönte das scharfe, trockene Knacken des Hahnes; aber ein Schuß erfolgte nicht. Als Keller Ippolit umfaßte, sank ihm dieser wie bewußtlos in die Arme, vielleicht wirklich in der Vorstellung, daß er schon tot sei. Die Pistole befand sich in Kellers Händen. Man ergriff Ippolit, stellte ihm einen Stuhl hin, setzte ihn darauf, und alle umdrängten ihn, alle schrien, alle fragten. Alle hatten das Knacken des Hahnes gehört und erblickten nun einen Menschen, der lebte und nicht die geringste Verletzung aufwies. Ippolit selbst saß da, ohne zu begreifen, was vorging, und ließ wie geistesabwesend seinen Blick über alle Umstehenden hingleiten. Lebedjew und Kolja kamen in diesem Augenblick wieder hereingelaufen.

'Hat die Pistole versagt?' fragten mehrere.
'Vielleicht war sie gar nicht geladen?' vermuteten andere.
'Geladen ist sie!' rief Keller, der die Pistole untersuchte.
'Aber ...'
'Also hat sie versagt?'
'Es war gar kein Zündhütchen darauf', meldete Keller.

Es ist schwer, die nun folgende klägliche Szene zu schildern. Der ursprüngliche allgemeine Schreck wurde schnell von heiterem Gelächter abgelöst. Manche wollten sich sogar vor Lachen ausschütten und fanden darin ein schadenfrohes Vergnügen. Ippolit schluchzte krampfhaft, rang die Hände, stürzte zu allen hin, sogar zu Ferdyschtschenko, faßte ihn mit beiden Händen an und schwur ihm, er habe vergessen, 'ganz zufällig, nicht absichtlich vergessen', ein Zündhütchen aufzusetzen; die Zündhütchen befänden sich alle, zehn Stück an der Zahl, in seiner Westentasche (er zeigte sie allen ringsherum); er habe vorher keines aufgesetzt aus Besorgnis, der Schuß könne durch Zufall in der Tasche losgehen; er habe damit gerechnet, daß er dazu auch später noch Zeit haben werde, sobald es nötig sei, und habe es nun auf einmal vergessen. Er stürzte zum Fürsten und zu Jewgeni Pawlowitsch hin und flehte Keller an, ihm die Pistole zurückzugeben; er werde allen sofort beweisen, daß er 'Ehre im Leibe habe ...', er sei jetzt 'lebenslänglich entehrt'!
Schließlich fiel er bewußtlos hin.

[...]"

(Quelle)

Meinungsbilder


In den vergangenen 12 Monaten sind zwei interessante Meinungsumfragen veröffentlicht worden, die sich mit dem Russlandbild der Deutschen bzw. dem Deutschlandbild der Russen beschäftigt haben.

Da ist zunächst die Forsa-Umfrage anläßlich der Berliner Ausstellung "Unsere Russen - Unsere Deutschen" zu nennen. Hierin zeigen sich zwei bemerkenswerte Punkte: erstens sind sich viele Deutsche darüber im klaren, daß die hiesige Berichterstattung über Russland nicht objektiv ist und mithin eine kritische Einstellung gegenüber den Medien angezeigt ist. Zweitens gab die Mehrzahl der befragten Deutschen zu Protokoll, daß das Russlandbild oft von Vorurteilen geprägt sei.
(Als ob es dafür noch eines weiteren Beleges bedurft hätte, wird Russland von mehr Befragten mit der Planwirtschaft als mit der Marktwirtschaft in Verbindung gebracht - obwohl dort ein Kapitalismus exisiert, dessen Härte den deutschen Sozialstaat auch nach Hartz IV wie ein Paradies erscheinen läßt.)

Indirekt bestätigt werden diese kritischen (Selbst-)Einschätzungen weiters durch die vom Petersburger Dialog publizierte Allensbach-Umfrage. Die dort Befragten waren großteils sicher noch nie in Russland, glauben aber teilweise trotzdem zu wissen, wie schlecht es dort sei.
Ähnlich unrealistisch sind allerdings auch die Meinungen vieler Russen über Deutschland - was in beiden Fällen m.E. vor allem auf die mangelnde Kenntnis des jeweils anderen Landes zurückzuführen ist. Allerdings ist das Deutschlandbild der Russen erheblich positiver als umgekehrt. Nicht nur in der demoskopischen Theorie, sondern auch in der erlebten Praxis. Zwei Beispiele mögen das illustrieren.


Während meines St. Petersburg-Aufenthaltes im Sommer 2007 wurde ich eines Nachmittags auf der Straße (als ich gerade auf jemanden wartete) plötzlich von einem Russen mittleren Alters angesprochen. Dies ist an sich schon eher ungewöhnlich, denn die Russen sind kein besonders extrovertiertes Volk. Der sich daran anschließende Dialog war es ebenfalls. Auf seine Frage, ob ich Engländer sei, habe ich mit "Deutscher" geantwortet. Darauf seinerseits ungläubiges Staunen, nochmalige Rückfrage und dann schließlich ein Loblied auf die Deutschen. Er sei schon mehrmals in Deutschland gewesen, in Sachsen, NRW und Berlin; Deutschland sei ein schönes Land mit netten Menschen und ich solle doch bitte Grüße in meine Heimat mitnehmen. Sprach's, drückte mir die rechte Hand, klopfte mir kräftig auf die Schulter und ging seines Weges ...

Das zweite Beispiel betrifft den Zweiten Weltkrieg und dessen Auswirkungen auf die heute lebenden Menschen. Während in Großbritannien, aber auch in Polen und Tschechien nach wie vor eine gewisse Germanophobie kultiviert wird, habe ich dergleichen in Russland niemals erlebt und weiß auch aus meinem Bekanntenkreis von keinem einzigen Fall, wo einem Deutschen die Untaten der Nazis vorgeworfen worden wären oder man von ihm aufgrund dieser irgendwelche ideellen, finanziellen oder politischen Zugeständnisse gefordert hätte.
Und dies trotz der Tatsache, daß der Große vaterländische Krieg für die Gesellschaft der Sowjetunion wie auch die ihrer Nachfolgestaaten eine kaum zu überschätzende Bedeutung im Hinblick auf die Identitätsbildung hatte und bis heute hat. Man hütet sich aber davor, daraus "Schlußfolgerungen" für das heutige Leben und die heutige Politik zu ziehen.

Eher trifft man im heutigen Russland auf eine - aus Sicht der meisten Deutschen - tendenziell zu positive Bewertung des Dritten Reiches (z.B. sind die Buchläden voll von Büchern über Wehrmacht und SS), weshalb die Nennung Hitlers als bedeutendster deutscher Persönlichkeit (bei Allensbach) auch nicht als Indiz dafür zu sehen ist, die Russen würden uns Deutsche samt und sonders für "Faschisten" halten.

Dienstag, 21. Oktober 2008

21.10.2008: Musik des Tages

Der Marsch des Preobrazhenski-Regiments, des bedeutendsten Garderegiments im zarischen Russland, wird in diesem Video - nach einer Einleitung aus Tschaikowskis Ouvertüre 1812 - in zwei instrumentalen und einer gesungenen Variante dargeboten.

Sonntag, 19. Oktober 2008

Sowjetische Manöverfilme

In den 1970er und 80er Jahren sind in der Sowjetunion einige Spielfilme entstanden, die man als Manöverfilme bezeichnen könnte. Immerhin herrschte seit 1945 (zumindest offiziell) Frieden, das Thema Zweiter Weltkrieg war schon oft genug "verwurstet" worden und zudem in eine gewisse zeitliche Ferne gerückt. Mithin galt es, die zeitgenössische Sowjetarmee zu porträtieren - selbstverständlich in den von der KPdSU gezogenen Grenzen. In diesem Beitrag sollen die interessantesten dieser Filme kurz vorgestellt werden. Teilweise existieren davon auch, der DEFA sei Dank, deutsche Synchronisationsfassungen. Obwohl es sich (mit Ausnahme von Afganskij Izlom) sicher nicht um bedeutende Kunstwerke handelt, so sind es doch nett anzusehende und unterhaltsame Actionfilme.


V zone osobogo vnimaniya (dt. Übersetzung: In der Zone besonderer Aufmerksamkeit, dt. Filmtitel: Absprung in der Todeszone; vgl. auch hier, hier und hier) entstand 1978 als einer der ersten dieser Filme.
Die Handlung: Die Aufklärungsgruppe eines Luftlandeverbandes soll im Rahmen eines großen Manövers den Gefechtsstand der "gegnerischen" Übungspartei ausfindig machen. Dabei ereignen sich allerlei Abenteuer, wie man es bei einer solchen Einheit mit einem solchen Auftrag auch erwarten darf. Zwischendurch muß dann auch noch ein entflohener Krimineller wieder eingefangen werden. Die Aufgabe wird trotz aller Widrigkeiten erfüllt, so daß zum Schluß des Filmes einer jener Massenabsprünge von Fallschirmjägern gezeigt wird, wie er für die Sowjetarmee in dieser Zeit typisch war.
(Bei Youtube kann man den Film übrigens in der Originalfassung ansehen: Teil 1 von 10.)
Nachfolgend ein paar Szenen aus dem Film:




Otvetnyj Khod (dt.: Der Gegenschlag; vgl. auch hier und hier) war die 1981 gedrehte Fortsetzung des ebengenannten Films.
Die Handlung ist ähnlich, ebenso ein Teil der Akteure. Aufklärer der Fallschirmjäger und der Marineinfanterie müssen während einer Großübung gemeinsam in einen "gegnerischen" Gefechtsstand eindringen, um wichtige Dokumente zu erbeuten. Somit können sich beide Eliteverbände positiv darstellen. Erstmals darf auch eine Frau - in Gestalt eines Sergeanten der Marineinfanterie - an einem Film-Raid teilnehmen. Auch hier werden am Ende des Films reale Manöverbilder von See- und Luftlandungen gezeigt.
(Der Gegenschlag ist ebenfalls bei Youtube zu finden: Teil 1 von 8.)
Hier noch ein Video mit einigen Szenen:




Odinochnoe plavanie (dt.: Die Einzelfahrt; vgl. auch hier und hier) aus dem Jahr 1985 ist ein anders gearteter Film. Es geht darum, daß eine handvoll übergeschnappter US-Politiker und Militärs unter "falscher Flagge" mittels Raketen eine Gruppe sowjetischer Schiffe im Pazifik angreifen will, um so einen Atomkrieg zwischen den beiden Mächten zu provozieren. Es kommt nun einer kleinen, aber furchtlosen Gruppe von Marineinfanteristen, die von einem allein fahrenden Kriegsschiff aus operieren, zu, diese ihnen nur partiell bekannte Bedrohung zu beseitigen. Was - wie immer im Film - letzten Endes natürlich gelingt.


Kennzeichnend für diese Filme sind ihre Gegenwartsbezogenheit und ihr "Action"-Charakter ohne viel ideologisches Gefasel. Wie in sowjetischen (und russischen) Filmen üblich, wird auf Details wie Bewaffnung und Uniformierung relativ viel Wert gelegt. Eine Augenweide für den Zuschauer sind ferner die zahlreichen Nahkampfszenen.
(Alle drei bisher genannten Filme (und noch ein paar mehr) kann man auf dieser Webseite auch in voller Länge herunterladen.)


Golubye Molnii (dt.: Hellblaue Blitze; vgl. auch hier und hier) ist da schon deutlich pädagogischer angelegt. Gezeigt wird der Werdegang von jungen Wehrpflichtigen und ihrer Einordnung in das "Kampfkollektiv" einer Fallschirmjägereinheit. Obwohl dieser Film ein wenig kasernenlastig wirkt, fehlt es weder an aktionsreichen Szenen aus der Ausbildung noch an einer hübschen (und selbst springenden!) Sanitäterin ;-).


Zum Schluß soll noch ein Streifen erwähnt werden, den ich für einen der besten sowjetischen Filme überhaupt halte, wiewohl er als "echter" Kriegsfilm nicht ganz in diese Aufzählung paßt:
Afganskij Izlom (dt. Übersetzung: Der afghanische Bruch, dt. Filmtitel: Hölle ohne Ausweg; vgl. auch hier, hier und hier) ist die russische Entsprechung zu Apocalypse Now. Ende der 80er Jahre als sowjetisch-italienische Koproduktion entstanden, zeigt der Film die ausweglose Lage, in der sich die sowjetischen Streitkräfte in Afghanistan befinden. Guerilla und Counterguerilla werden in ihrer ganzen Brutalität dargestellt. (Der Film erlaubt dem informierten Zuschauer darüberhinaus auch das Ziehen von Schlußfolgerungen für das derzeitige deutsche Afghanistanengagement.)
Kurzum: Ein ebenso beeindruckender wie bedrückender Film, den es bei Amazon auch in einer deutschen Fassung gibt.

19.10.2008: Musik des Tages

"Grom Pobedy, Rasdawaisja" (dt.: Laßt den Ruf des Sieges ertönen), ein altes russisches Soldatenlied aus dem 18. Jahrhundert, hier vorgetragen vom berühmten Chor aus Valaam und unterlegt mit Bildern aus dem vorkommunistischen Russland.


Montag, 13. Oktober 2008

Filme: Erster Weltkrieg und russischer Bürgerkrieg

In den letzten Wochen hatte ich gezwungenermaßen etwas mehr Zeit, um mich durch meine Filmsammlung zu arbeiten. Drei der empfehlenswertesten davon sollen nachfolgend vorgestellt werden.


"Gibel Imperii" (dt.: Der Niedergang des Imperiums; vgl. auch hier und hier) ist m.E. einer der besten Filme zu diesem Thema. Die Handlung der zehnteiligen Reihe beginnt im Sommer 1914 und endet 1918, kurz nach Beginn des russischen Bürgerkrieges.

Der Held der Handlung, Hauptmann Kostin, ist eine eigenwillige Figur. Im Japanisch-russischen Krieg war er 1905 in japanische Kriegsgefangenschaft geraten und hatte sich einige Zeit im Land der aufgehenden Sonne aufgehalten. Dabei kam es nicht nur zu einer unglücklichen Liebe, Kostin erlernte auch die japanische Fechtkunst. Diese praktiziert er auch nach seiner Rückkehr nach St. Petersburg (die Stadt ist übrigens auch das Zentrum des Films). Die ständigen Kendo-Reminiszenzen erinnern ein wenig an die Arbeiten Yukio Mishimas. Auch sonst ist Kostin kein Duckmäuser, der sich seine Unterordnung unter die Obrigkeit des Zaren nicht leicht macht. Er wird als ausgesprochener Individualist gezeichnet: weder Panslawist und "Untertan", noch Westler und Revolutionär. Eines aber ist er auf jeden Fall: Offizier.

Zusammen mit zwei Kameraden dient er in der Spionageabwehr des russischen Militärs. Damit ist zugleich das Genre der Serie, die Kriminalgeschichte, genannt. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges wie auch während desselben gilt es, Geheimnisse der eigenen Seite zu schützen oder an deutsche und österreichische heranzukommen. Das alles ist spannend erzählt, ohne dabei in Klischees und Gemeinplätze abzugleiten.
Der Handlungsbogen ähnelt in seiner Fokussierung auf die Probleme der zarischen Regierung und auf die (vom Ausland kräftig unterstützten) sozialistischen (Berufs-)Revolutionäre der Romanserie "Das rote Rad" des kürzlich verstorbenen Alexander Solschenizyn.
Recht ausführlich werden die Ereignisse von der Februarrevolution bis zum Beginn des Bürgerkrieges dargestellt: Die Absetzung des Zaren, die zersetzende Arbeit der Anhänger Lenins (der vom deutschen Nachrichtendienst aus seinem Schweizer Exil geholt wurde), der hoffnungslose Versuch des Generals Kornilow, die provisorische Regierung zu retten, die gewaltsamen Übergriffe und Hinrichtungen infolge der Oktoberrevolution, die Tatsache, daß zu den Berufsrevoluzzern auch notorische Kriminelle zählten, ferner die zeitweilige Besetzung der Ukraine durch Truppen der Mittelmächte, überhaupt die chaotischen Verhältnisse dieser Monate ...
Dazu kommt noch das notorische Unverständnis der alten Eliten für die politische Natur der Bolschewiki im allgemeinen und deren (rational kaum begreifbare) Gewaltorgien im besonderen.

Sowjetische und russische Filme sind im allgemeinen sehr korrekt, was die Darstellung von Waffen, Uniformen und Militärmaterial angeht, was man von vielen Hollywoodstreifen nicht behaupten kann. Und so kommt der Waffenkenner auch bei "Gibel Imperii" auf seine Kosten: zahlreiche Taschenpistolen, die zu Beginn des 20. Jh. große Mode waren, werden gezeigt, dazu natürlich Nagant-Revolver, Mosin-Nagant-Gewehre, Parabellumpistolen und - in den Händen eines österreichischen Nachrichtenoffiziers - eine Steyr M 1912.

Fazit: Diese Reihe über den Niedergang des Zarenreiches ist unbedingt sehenswert. Einige Folgen sind auch online greifbar. Hier noch ein Video mit der Filmmusik der Gruppe Lyube und Szenen aus der Serie:





"Gospoda Ofitsery - Spasti Imperatora" (dt.: Meine Herren Offiziere - Rettet den Kaiser; vgl. auch hier und hier) ist eher ins Genre der Actionfilme einzuordnen. Die Handlung ist schnell erzählt: Der letzte Zar, Nikolaus II., befindet sich während des Bürgerkrieges samt seiner Familie in der Hand der Bolschewiki in Jekaterinburg. Ein paar mutige Offiziere der Weißen Truppen fassen den Entschluß, ihren ehemaligen Herrscher in einem Kommandounternehmen zu befreien. Und so geht denn alles seinen Gang: Es wird viel geritten, gekämpft und geschossen.
Bei letzterem kommt wiederum der Waffenkenner auf seine Kosten. Ich habe bspw. noch nie in einem Film so viele C 96-Pistolen gesehen wie in diesem. (Was historisch korrekt ist, schließlich war die Waffe im russischen Bürgerkrieg und danach dort sehr beliebt.)
Der Film erinnert an einen guten Western. Viel Action, wenig Rahmenhandlung. Und der Zuschauer kann desöfteren auch einmal herzhaft lachen. Aber auch im Film wird die Geschichte nicht gänzlich umgeschrieben: Der Rettungsversuch für die Zarenfamilie scheitert am Ende.

Nachfolgend ein Video mit Szenen aus dem Film:





"Korona Rossijskoj Imperii" (dt.: Die Krone des Russischen Imperiums; vgl. hier und hier) ist eine noch zu tiefsten Sowjetzeiten entstandene dreiteilige Filmreihe über den heroischen Kampf junger Komsomolzen im russischen Bürgerkrieg. Damit ist die ideologische Grundrichtung zwar klar, dennoch handelt es sich um durchaus sehenswerte Mantel-und-Degen-Filme ohne allzu viel vordergründige Propaganda. Sie sind actionreich und witzig. Die Handlung erzählt die Geschichte des Diebstahls der Zarenkrone durch russische Emigranten (um im Pariser Exil einen neuen Zaren krönen zu können) und deren Wiederbeschaffung durch die Helden des Films.
Hier ein Ausschnitt:





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