Donnerstag, 20. Februar 2014

Die Ukraine brennt und zerfällt

Die Kiewer Innenstadt am 19. Februar.

Fast zwei Wochen dauerte die seltsame Pause in Kiew an. Die Lage war relativ ruhig, zu größeren Gewaltausbrüchen kam es nicht. Präsident Janukowitsch hatte den  Oppositionsparteien verschiedene Vorschläge unterbreitet, es lagen sogar schon Entwürfe für eine neue Verfassung vor. Zeitgleich, so waren sich alle kompetenten Beobachter einig, ging es hinter den Kulissen schon um Personalfragen: Wer bekommt welchen Posten in einer neuzubildenden Übergangsregierung. Also das übliche Spiel der ukrainischen Politik, inklusive der Frage, wie die verschiedenen Oligarchen einbezogen sind. Diese Wirtschaftsmagnaten gelten als die eigentlichen Herren des Landes, die sich die Politiker bloß als ausführende Organe halten. Ein Kiewer Politologe hatte sogar gewitzelt, man könne in seinem Land eigentlich nicht von Regierung und Opposition sprechen, weil alle im Parlament vertretenen Parteien - mit Ausnahme der KP - aus denselben Futtertrögen genährt würden.

Es sah mithin so aus, als könnte die Krise friedlich gelöst werden. Die Regierungsgegner haben sogar einige der von ihnen besetzten Regierungsgebäude wieder geräumt. Zuvor war das Amnestiegesetz in Kraft getreten, wodurch u.a. die Morde an drei Polizisten im Januar ungesühnt bleiben werden. Die Opposition hatte nach ihrem schon drei Monate andauernden und bisher erfolglosen Aufstand nur noch zwei Optionen: Entweder auf die Kompromißvorschläge des vom Volk gewählten Präsidenten eingehen und in eine Übergangsregierung eintreten (und dann die Krawallmacher vom Maidan nach Hause schicken) oder anfangen zu schießen und so eine gewaltige Eskalation herbeiführen. Die "europäisch" gesinnten "Demokraten" haben sich, wie wir seit Dienstag wissen, für letzteres entschieden.

Schon in der vorigen Woche war es zu vereinzelten Zwischenfällen gekommen, z.B. als die "friedlichen Demonstranten" in Krementschug einen Richter erschossen haben, der Fälle der Gebäudestürmungen bearbeitet hatte. (Hat die deutsche Presse eigentlich darüber berichtet?) In Kiew, wo sich im Heerlager des "Euromaidan" einige hundert radikalisierte, bewaffnete und angriffslustige junge Männer befanden, kam es zu einer Explosion der Alltagskriminalität. Und Jazenjuk hatte im Fernsehen sogar angekündigt, daß er für eine Eskalation bereit sei.

Am Montag waren Klitschko und Jazenjuk in Berlin und haben offensichtlich von Bundeskanzlerin Merkel die letzten Befehle bekommen. Und am Dienstag sollte der Umsturz in Kiew dann endlich vollzogen werden. Zunächst waren die drei Oppositionsführer an der Spitze einer Marschkolonne von Maidan-Kämpfern (letztere mit Helmen und Waffen ausgerüstet - friedliche Demonstranten eben) in Richtung des Parlamentsgebäudes vorgerückt, um dieses zu stürmen. Zeitgleich fand dort eine Plenarsitzung statt, wo die Abgeordneten der Opposition wieder die Fäuste sprechen ließen. Klitschkos Partei heißt schließlich "Der Schlag".

Vor dem Parlament gingen die Regierungsgegner dann in die Offensive. Bereits im Januar waren von den "friedlichen Demonstranten" vereinzelt Schußwaffen eingesetzt worden (Beweisfotos dafür gibt es reichlich). Doch gestern gab es den ersten massiven Einsatz von Schußwaffen seitens der "demokratischen Opposition". Zusätzlich flogen auch wieder Steine, Pyrotechnik, Molotowcocktails und Napalmbomben - wie in jeder europäischen Großstadt als Ausdruck demokratischer Freiheit üblich. Nachfolgend einige Videos vom Dienstag-(Nach-)Mittag als Beweismittel:



Wurden diese Bilder auch im deutschen Fernsehen gezeigt? Gestern hat mir via Twitter einer der deutschen Bandera-Freunde vorgeworfen, es gäbe keine Beweise für getötete Polizisten. Bitte, im folgenden Video des US-Staatssender Radio Liberty vom Dienstagnachmittag sind sie zu sehen (ab 00:14):


Außerdem wurde, um dem geplanten Umsturz den nötigen Schwung zu geben und die politischen Gegner einzuschüchtern, ein Büro der Partei der Regionen in Kiew gestürmt und verwüstet. Dabei sind zwei Verwaltungsmitarbeiter vom Mob ermordet worden, einer davon mittels Kopfschuß. So sieht also die "demokratische" Zukunft der Ukraine aus, auf die die deutschen Politiker und Journalisten hoffen. Als Reaktion darauf haben gestern nachmittag der Innenminister und der Chef des Ukrainischen Sicherheitsdienstes eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, worin die bewaffneten Banden der Regierungsgegner aufgefordert wurden, die von ihnen besetzten Teile der Kiewer Innenstadt bis zum Abend freizugeben, anderenfalls würden sie von der Polizei geräumt. Der Einsatz von Schußwaffen seitens angeblich "friedlicher Demonstranten" hat das Faß zum Überlaufen gebracht. Die "Europafreunde" vom Maidan sind dieser Forderung natürlich nicht nachgekommen sondern haben die Polizei, als selbige am Dienstagabend in der Innenstadt vorrückte, erneut beschossen und beworfen. Zudem haben sie Teile ihres Zeltlagers und das von ihen besetzte Haus der Gewerkschaften selbst in Brand gesteckt. Diese Bilder sind dann am Dienstagabend um die Welt gegangen. Außerdem sollen die "Europafreunde" die kanadische Botschaft attackiert haben.

Die Sicherheitskräfte haben Gummigeschosse, Tränengas- und Blendgranaten sowie Wasserwerfer eingesetzt. Allein in Kiew sind am Dienstag zehn Polizisten ermordet worden. Über 400 wurden verletzt, 370 mußten in Kliniken eingeliefert werden, 62 davon weisen Schußverletzungen auf. Weil die Behandlungskapazitäten im Krankenhaus des Innenministeriums nicht mehr ausreichten, wurde ein Teil der verletzten Beamten in Militärhospitäler gebracht. Auch diese Bilder der schwerverletzten Polizisten werden es wohl kaum in die Tagesschau schaffen:


Ein Polizist, dem die "friedlichen Protestierer" ein Auge ausgeschlagen hatten, geriet in ihre Gefangenschaft und durfte nicht ins Krankenhaus gebracht werden. Demgegenüber steht, ebenfalls per Videobeweis festgehalten, das Verhalten der Polizei, deren Sanitäter verletzte Randalierer medizinisch versorgen. Allein an diesen beiden Beispielen läßt sich ermessen, wer zur Zeit in Kiew die Werte der Humanität vertritt und wer nicht.
Die Aufständischen hatten knapp 200 Verletzte und angeblich ein bis zwei Dutzend Tote zu verzeichnen. Doch hier gilt die alte Weisheot: Wer das Schwert erhebt, wird durch das Schwert umkommen (Mt 26,52).

Nach all diesen Ereignissen haben Klitschko und seine Genossen am Dienstagabend die Frechheit besessen, im Fernsehen zu behaupten, sie und ihre Kämpfer wären "friedlich" gewesen. Friedlich ist das zauberwort, das die westlichen Politiker und Journalisten hören wollen. Was wirklich passiert ist, interessiert sie nicht (siehe Carl Bildt) oder wird verschwiegen (warum wohl sind im deutschen Internet so gut wie keine Livestreams aus Kiew zu empfangen?).

In Kiew gelang der Polizei, unterstützt von Bürgerwehren, seit Dienstag ein Teilerfolg. Sie konnten die Aufständischen aus Teilen der Innenstadt vertreiben und sie auf einen kleinen Bezirk eingrenzen. Viele der Barrikaden konnten mittlerweile geräumt und die besetzten Straßen damit den Kiewer Bürgern wieder zugänglich gemacht werden. Vor allem die unmittelbaren Anwohner, die monatelang bedroht und belästigt wurden, werden sich darüber freuen. Die Randalierer haben gestern das Gebäude des Rundfunk- und Fernsehkomitees sowie das Konservatorium und das Museum der ukrainischen Geschichte neu besetzt. Am Mittwoch war die Lage in der Hauptstadt etwas ruhiger, weil sich ein Großteil der Auseinandersetzungen in andere Teile des Landes verlagert hat. Auch ein Teil der Straßenkämpfer des "Rechten Sektors" wurde aus Kiew abgezogen und an andere Orte verlegt.

Lage in der Westukraine

Besonders alarmierend sind die Nachrichten aus Lwow (Lemberg), Iwano-Frankowsk und vielen anderen Orten in der Westukraine. Dort wurden Verwaltungsgebäude, Gerichte und Staatsanwaltschaften gestürmt und verwüstet. Offenbar haben sich die örtlichen Kriminellen dem Aufstand angeschlossen und nutzen ihn gleich dazu, das Rechtssystem zu zerstören und somit ihre "Arbeitsbedingungen" zu verbessern. Richtig gefährlich ist jedoch die Eroberung von Polizeistationen und Kasernen durch die "friedlichen Demonstranten", denn dort sind ihnen große Mengen an Schußwaffen (insbesondere AKs und Makarows) in die Hände gefallen. Der Bürgermeister von Lwow, der den Aufstand unterstützt, gibt das offen zu. Allein in dieser Stadt sind etwa 1500 Schußwaffen aus Behördenbeständen gestohlen worden. Dort verfügen die Aufständischen mittlerweile sogar über zwei Artilleriegeschütze. Ob sie auch Munition dafür haben, ist nicht bekannt.

Beeindruckend war der Angriff auf den Gouverneur von Wolhynien, Alexander Baschkalenko. Die Extremisten haben ihn aus seinem Büro auf die Straße gezerrt, schlagen ihn und treten auf ihn ein, doch er weigert sich standhaft, von seinem Amt zurückzutreten. Ein echter Mann! Danach fahren die "Demokraten" und "Europäer" zu ihm nach Hause, bedrohen seine Frau und erst dann gibt Baschkalenko auf. Leute wie er sind die Helden der heutigen Ukraine, nicht die Banden vermummter Chaoten, die in Kiew, der "Mutter der russischen Städte" (Nestorchronik), die schöne Innenstadt vermüllt und in schwarzen Rauch gehüllt haben.
Auch in der Westukraine gab es Angriffe auf Büros der Partei der Regionen und der KP. Beide werden von den galizischen Extremisten gehaßt. Und dann der ordinäre Zerstörungwahn und die Lust am Brandstiften, wie sie z.B. in diesem Video aus Chmelnizki zu sehen sind. Der revolutionäre Pöbel zündet einfach, ohne ersichtlichen Grund, einen Bus an. Die EU weckt in den Bewohnern der Westukraine wirklich die niedrigsten Instinkte.

Die gestohlenen Waffen wurden von den Aufständischen auch sofort gegen die Sicherheitskräfte und solche Bürger, deren Nase ihnen nicht paßt, eingesetzt. In der Nacht zum Mittwoch kam es während einer Verkehrskontrolle zu einem Feuergefecht zwischen den Insassen eines Busses, der aus der Westukraine neue Kämpfer nach Kiew bringen sollte und der Polizei. Dabei wurden zwei Verkehrpolizisten getötet. Und am Mittwochabend wurde gemeldet, daß bewaffnete Personen (vermutlich die hinreichend bekannten "friedlichen Demonstranten") die Fernstraße zwischen Kiew und Odessa gesperrt haben und die Fahrzeuginsassen kontrollieren. Personen, die ihnen nicht gefallen, werden festgenommen; Autobusse lassen sie nicht durch. Im übrigen wird jetzt die schon vor einigen Wochen gegründete galizische "Nationalgarde" bewaffnet werden.

Eine für die EU unerwartete Dimension nehmen die "Proteste" nahe Lwow. Dort haben die Aufständischen einen wichtigen Grenzübergang blockiert und Barrikaden errichtet. Diese Aktion richtet sich allerdings nicht gegen das "blutige Regime" in Kiew, sondern gegen Polen und damit gegen das angeblich so ersehnte "Europa". Mal sehen, wie die deutschen Medien mit diesem Sachverhalt umgehen.

Diese kurzen Stichpunkte sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Aufstand in der Westukraine mittlerweile flächendeckend ist. Die Behörden arbeiten nicht, d.h. daß z.B. auch keine Renten ausgezahlt werden usw. Auf der Straße regiert der Mob, die öffentliche Ordnung ist zusammengebrochen. Die örtliche Polizei ist, soweit sie nicht von den Aufständischen zerschlagen wurde, mehr oder minder freiwillig auf deren Seite übergelaufen. Auch die Angehörigen der übrigen Sicherheitsorgane kämpfen bestenfalls noch um ihr nacktes Leben. Zumindest Galizien und die Karpatenukraine scheinen für die Zentralregierung verloren, die Banderajünger haben sich vom ukrainischen Staat abgekoppelt.

Die Lage in der Ost- und Südukraine

Hier war es naturgemäß ziemlich ruhig, steht die Bevölkerung im Bürgerkrieg doch auf der Seite der Regierung. Bemerkenswerte Zwischenfälle gab es nur in Charkow und Odessa. Am Mittwochnachmittag haben in Charkow einige hundert, meist zugereister Randalierer versucht, eine Polizeischule zu stürmen und sich der dortigen Waffen zu bemächtigen. Daran wurden sie zunächst von den Polizeischülern gehindert, die ein paar Aufständische festnehmen konnten. Dann trat richtige Bereitschaftspolizei, unterstützt von Bürgerwehren, auf den Plan. Sie haben die blockierte Schule befreit, den Mob zerstreut und damit die öffentliche Ordnung in der zweitgrößten Stadt des Landes wiederhergestellt.


Etwas diffiziler war die Situation in der Hafenstadt Odessa. Nachdem die "Opposition" dort in den letzten Wochen mit ihren Kampagnen zur Besetzung von Verwaltungsgebäuden mehrfach gescheitert war und von den Odessiten verjagt wurde, ging sie nun gezielter zu Werke. Das deutet im übrigen darauf hin, daß das Vorgehen der "Demonstranten" am 18. Februar generalstabsmäßig geplant und keineswegs eine spontane Aktion war.
Zunächst wurde am Dienstagabend die Unterkunft der Bereitschaftspolizei "Berkut" von Aufständischen des "Rechten Sektors" belagert, die sich dort aber nicht lange halten konnten. Am Mittwoch wurde dann von den Maidan-Leuten erneut versucht, das Gebäude der Regionalregierung zu stürmen, diesmal mit Unterstützung von zugereisten Rockern. Natürlich hatten die "Demonstranten" die unvermeidlichen Pulverfeuerlöscher im Gepäck, welche sie später eingesetzt haben. Doch auch hier standen Polizei und Bürgerwehr zusammen und haben den Angriff vereitelt (siehe obiges Video). Später mußte die Polizei sogar noch einen traurigen Rest der Aufständischen vor den aufgebrachten Bürgern schützen, sonst wären sie vielleicht gelyncht worden.

Erstes Fazit: Der seit November andauernde Staatsstreich in der Ukraine ist am Dienstag zu einem offenen Bürgerkrieg eskaliert. Das kann niemand mehr bestreiten. Das Land ist de facto gespalten. Doch die Polizei steht in ihrer Mehrheit nach wie vor zur legalen Regierung. Beide Seiten haben irreguläre Einheiten aufgestellt, die in der Westukraine z.T. mit Schußwaffen ausgerüstet sind. Das alles sollte man nicht vergessen, wenn hierzulande von "dem ukrainischen Volk" gesprochen wird.

Um die mittlerweile schwerbewaffneten Aufständischen zu bekämpfen und die von ihnen bedrohten Bürger zu schützen, hat der Ukrainische Sicherheitsdienst mit den Vorbereitungen ausgedehnter Anti-Terror-Operationen begonnen. Gestern sind außerdem 500 Fallschirmjäger nach Kiew verlegt worden, vorerst allerdings nur, um Einrichtungen des Verteidigungsministeriums vor weiteren Plünderungen zu bewahren. (Die Terroristen hatten gestern in Kiew das Haus der Offiziere besetzt.)

In diesem Artikel ging es zunächst um eine Bestandsaufnahme der letzten Tage. Der nächste wird die politischen Hintergründe der jüngsten Ereignisse beleuchten und Optionen für die weitere Entwicklung erörtern.

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