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Freitag, 4. Juli 2014

Zum 4. Juli


Vorhin hat ein Blogger via Twitter einen mit Blick auf die amerikanische Ukraine-Politik treffenden Satz verbreitet:
"Am 4. Juli 1776 haben die Führer der amerikanischen Terroristen die Unabhängigkeitserklärung der USA unterzeichnet. Die Separatisten wurden durch französische Kämpfer unterstützt."
Ich plädiere im übrigen auch dafür, die abtrünnigen dreizehn Kolonien wieder der britischen Krone zu unterstellen. Wo kämen wir denn hin, wenn man die Separatisten einfach gewähren ließe, von der Destabilisierung der Welt durch die gewaltsame Abspaltung der USA vom Empire ganz zu schweigen.

Dienstag, 18. Februar 2014

Afghanistan - einst und jetzt

Am Samstag jährte sich - hierzulande unbeachtet - der Abzug der Sowjetarmee aus Afghanistan zum fünfundzwanzigsten Mal. Am 15. Februar 1989 hatte die letzte Kolonne, geführt von Generalleutnant Boris Gromow, dem letzten Kommandeur der 40. Armee, die Grenzbrücke über den Amudarja überquert. Lediglich einige Einheiten der Grenztruppen blieben noch bis April 1989 auf der afghanischen Seite der gemeinsamen Grenze. Kurz danach wurde diese Grenzregion - nunmehr zwischen Afghanistan und den selbständigen Republiken Turkmenistan, Usbekistan und Tadshikistan verlaufend - zu einem neuen Schlachtfeld: Drogen und Heiliger Krieg wurden (und werden) aus dem zerrütteten Land nach Norden exportiert. Wesentlich verbessert hat sich die Lage auch nach dem NATO-Krieg ab 2001 kaum.

Das Jubiläum war in den Nachfolgestaaten der UdSSR Anlaß für zahlreiche Gedenkveranstaltungen. Der Fernsehkanal Rossija-1 hat dazu eine hundertminütige Doku von Andrej Kondraschow unter dem schlichten Titel "Afgan" gebracht:


Der Film ist eine abgeklärte Rückschau auf die Ereignisse jener Jahre. Zahlreiche Interviewpartner, sowohl aus der ehemaligen Sowjetunion als auch aus Afghanistan, berichten von ihren Erlebnissen. Für manche von ihnen scheinen die neun Jahre des Krieges die besten ihres Lebens gewesen zu sein, die durchaus mit einer gewissen Verklärung gesehen werden. So sagen z.B. ehemalige Mudschaheddin, die "Schurawi" (die Russen) wären wenigstens noch richtige Krieger gewesen, während die Soldaten der NATO, die heute das Land besetzt halten, feige seien, richtigen Kämpfen oft ausweichen würden und statt dessen ihre Drohnen schicken, gegen die man sich nicht wehren könne.

Andere Afghanen - mehrere Zehntausend von ihnen haben eine Berufsausbildung oder ein Studium in der Sowjetunion absolviert - meinen, die 1980er Jahre seien besser gewesen als die Gegenwart. Damals habe es fast keine Arbeitslosigkeit gegeben, es wurden zahlreiche Fabriken gebaut und die sowjetischen Soldaten hätten - anders als die der NATO - oft auch Gebrauch von den örtlichen Händlern, Handwerkern und Basaren gemacht und somit deren Gewerbe belebt. Die genannten Betriebe sind heute meist nur noch Ruinen, während die von der SU in Kabul errichteten Wohnviertel noch stehen und anscheinend eher zu den besseren Wohnlagen der Stadt gehören.

Die Afghanen können übrigens bis heute nicht verstehen, weshalb die zahlreichen muslimischen Soldaten und Offiziere aus den südlichen Sowjetrepubliken nicht in Scharen zu ihnen übergelaufen sind, sondern tapfer in der Sowjetarmee gekämpft haben.

Politisch brisant wird es, wenn der ehemalige Stabschef eines Feldkommandeurs der Mudshaheddin berichtet, daß sie bisweilen von Vertretern der sowjetischen Führung (z.B. Außenminister Eduard Schewardnadse) angerufen und vor bevorstehenden Militäroperationen gewarnt worden seien. Haben die "Reformer" im Kreml ihre eigenen Soldaten bewußt ins Messer laufen lassen? Ähnlich war es während des Ersten Tschetschenienkrieges 1994/96. Damals hatte der Oligarch, zeitweilige Chef des Sicherheitsrates der RF und spätere "politische Flüchtling", Boris Beresowskij, offizielle Regierungsdokumente an die Rebellen faxen lassen. Die Tschetschenen legten diese Dokumente in Verhandlungen ganz stolz den rußländischen Offizieren vor, weil jene die neuen Anweisungen aus Moskau bisher nur fernmündlich, nicht jedoch schriftlich kannten.

Doch zurück nach Afghanistan. Ein besonderer Interviewpartner von Kondraschow war der ehemalige CIA-Offizier Milton Bearden. Er hatte von 1986 bis 1989 sämtliche CIA-Operationen in Pakistan und Afghanistan geleitet und der zeitliche Abstand hat auch seine Zunge ein wenig gelockert. Bearden bestätigte zum einen den gewaltigen Umfang der Militärhilfe, welche die Gotteskrieger aus dem Ausland erhielten. Nicht nur aus den USA, auch aus Großbritannien, Frankreich, Italien, der BRD, Saudi-Arabien, China und anderen Staaten wurden Waffen, Ausrüstungsgegenstände und Instrukteure an den Hindukusch geschickt. Insgesamt sind mehrere Milliarden US-Dollar an ausländischen Steuermitteln zur Finanzierung des "Heiligen Krieges" aufgewandt worden.

Die Militärhilfe zugunsten der Mudschaheddin begann übrigens schon im Juli 1979, also fast ein halbes Jahr vor dem Einmarsch der Sowjetarmee am 27.12.1979. Daher ist es auch unzutreffend, sie als Reaktion auf den sowjetischen Einmarsch zu deklarieren.

Diese Informationen waren im wesentlichen bekannt. Wichtiger ist, daß Bearden mit den Märchen der westlichen Propaganda bezüglich des sowjetischen Afghanistanfeldzuges aufräumt. Mancherorts wird immer noch behauptet, die SU hätte gegen die Mudschaheddin Giftgas eingesetzt oder in Kinderspielzeug versteckte Sprengfallen aus Flugzeugen abgeworfen. Bearden bestätigt nun, daß dem nicht so war. Solche Geschichten seien hauptsächlich das Produkt der westlichen Presse, die immer etwas schreckliches berichten wollte. (Kennen wir auch aus der Gegenwart.)

Vergleicht man das sowjetische Engagement in Afghanistan mit dem der NATO seit 2001, so ergibt sich ein Bild, in dem die UdSSR nicht so schlecht dasteht:

1. Die NATO-Truppen waren wesentlich länger in Afghanistan als die sowjetischen (12 Jahre vs. 9 Jahre). Zudem war die maximale Personalstärke der NATO wesentlich höher als die sowjetische (140.000 vs. 104.000). Hinzu kommen die jeweiligen einheimischen Hilfstruppen in einer nominellen Stärke von mehreren hunderttausend Mann.

2. Die Gegner der NATO erhalten seit 2001 erheblich weniger ausländische Unterstützung als die Mudschaheddin der 80er Jahre. Damals wurden aus dem Ausland massiv Handwaffen, Sprengmittel, Flugabwehr- und andere Raketen an die afghanischen Rebellen geliefert. Und heute? Vielleicht ein bißchen was aus Pakistan und Katar, doch nennenswerte fremde Waffen- oder Ausbildungshilfe erhalten die Taliban nicht. Das politisch-strategische Gesamtumfeld ist für die NATO-Truppen mithin wesentlich günstiger als für die Sowjetarmee.

3. Wer sind überhaupt die Gegner der NATO-Truppen in Afghanistan? Die englische Wikipedia beziffert die Gesamtstärke von Taliban und Al-Quaeda auf einige zehntausend Mann. Demzufolge wäre ihnen die NATO sogar numerisch überlegen. Demgegenüber gab es in den 1980er Jahren bis zu 400.000 Mudshaheddin, d.h. die sowjetischen Truppen waren in der deutlichen Unterzahl.

4. Des weiteren hat die NATO Vorteile im Propagandakrieg. In den 1980er Jahren war die internationale Öffentlichkeit weitgehend gegen die Sowjetunion und für die Mudschaheddin eingestellt, doch wer unterstützt heute - außer ein paar Islamisten - öffentlich die Taliban?

Trotz dieser unbestreitbaren Vorteile hat es also auch die NATO unter Führung der Supermacht USA nicht vermocht, das Land am Hindukusch zu unterwerfen. Nun könnte man einwenden, die NATO sei in ihrer Kampfführung eben nicht so skrupellos wie die Sowjets, weshalb nennenswerte Erfolge ausblieben. Doch dem ist nicht so. Wie skrupellos muß man sein, um tausende Menschen, deren Involvierung in bewaffnete Banden oft nicht klar ist, mittels ferngesteuerter Flugapparate per Knopfdruck ins Jenseits zu befördern? 

Da sich nun auch der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan seinem Ende zuneigt, stellt sich die Frage nach dem Umgang mit diesem Einsatz in der deutschen Gesellschaft. Wird es in den Heimatorten Gedenktafeln für die (bis jetzt) 38 Gefallenen geben? Wird man Straßen und Schulen nach ihnen benennen? Oder werden sie weitgehend anonym bleiben, eben getötete Söldner, die ihr Dienstherr abschreiben mußte? Daran, wie insbesondere unsere politische Klasse, welche die Soldaten ins Feuer geschickt hat, mit diesem Thema umgehen wird, wird man viel über den Zustand Deutschlands ablesen können.

Und vor allem: Was werden die Einwohner Afghanistans in 25 Jahren über die NATO und ihre Art, Krieg zu führen, denken? Was wird von den zivilen Projekten der NATO bleiben? Und wie lange wird sich die Kabuler Regierung von Hamid Karzai nach dem Abzug der NATO-Truppen noch halten können? Mohammed Nadschibullah, der in einer vergleichbaren Lage war, blieb immerhin bis April 1992 in Amt und Würden.

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Dienstag, 28. Januar 2014

Geschichte, Geopolitik und westukrainische Genozidphantasien


Nach der Berichterstattung über die Tagesereignisse in der Ukraine soll es im folgenden stärker um die historischen und geopolitischen Aspekte der gegenwärtigen Krise gehen.

Der polnische Aspekt - Geschichte

Das obige Bild stammt - Gott sei Dank - nicht aus dem Kiew des Jahres 2014. Vielmehr zeigt dieses patriotische Gemälde polnischer Provenienz den Kampf polnischer Einwohner der Stadt Lwow (auch Lwiw oder Lemberg geheißen) gegen ukrainische Insurgenten in den Jahren 1918/19. Infolge der polnischen Teilungen waren die Gebiete der heutigen Westukraine an Österreich-Ungarn und Rußland gefallen. Doch dadurch änderte sich in den Teilungsgebieten wenig an den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Polen stellten zuvörderst die Grundbesitzer und die Bürger in den Städten (also die Oberschicht), die Ukrainer waren fast ausschließlich Bauern und Handwerker bzw. später Arbeiter. Damit war die gesellschaftliche Hierarchie klar.

In den Wirren nach den Revolutionen der Jahre 1917 und 1918 entstand zum einen eine ukrainische Unabhängigkeitsbewegung, zum anderen wurde am 11. November 1918 der polnische Staat wiedergegründet. Dieser versuchte nun, aus den Erbmassen der deutschen, österreichischen und russischen Kaiserreiche ein möglichst großes Territorium zu gewinnen. Die Vision war ein "Intermarum", ein großpolnisches Imperium zwischen Ostsee und Schwarzem Meer. Doch dem standen die Ukrainer mit ihrem Traum von einem eigenen Staat entgegen. Und so kam es insbesondere um Lwow zu harten Kämpfen. Die Stadt war weitgehend von Polen (und Juden) besiedelt, während im Umland größtenteils Ukrainer lebten.

Im Ergebnis der Auseinandersetzungen wurden die Ukrainer von den Polen geschlagen. Die Gegend  um Lemberg blieb bis 1939 Teil der Republik Polen. 1920 unternahmen polnische Truppen dann noch einen gewaltsamen Versuch, ihr Staatsgebiet auf das Territorium der heutigen Ukraine auszuweiten (Stichwort: Polnisch-sowjetischer Krieg). Im Ergebnis dieser Eroberungen lebten mehrere Millionen Ukrainer und Weißrussen im polnischen Staat. Besonders die Ukrainer wollten weiter einen ukrainischen Staat schaffen und gingen vom offenen militärischen Kampf zum Terrorismus über. So wurde z.B. der bekannte Nationalistenführer Stepan Bandera 1934 in Polen zum Tode verurteilt, nachdem der polnische Innenminister bei einem Attentat ermordet worden war.

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde der Kampf zwischen beiden Völkern noch gewalttätiger. Viele ukrainische Nationalisten (aber bei weitem nicht alle Ukrainer!) standen auf der Seite des Deutschen Reiches und stellten sich willig für Wehrmachts-, SS- und Polizeieinheiten zur Verfügung. Diese Formtionen waren nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Belarus, am Judenmord und an der Partisanenbekämpfung inklusive Massenerschießungen beteilgt. Einer der bekanntesten ukrainischen SS-Offiziere war der Hauptsturmführer Roman Schuchewitsch.

Zugleich entstand ein bewaffneter polnischer Untergrund (Heimatarmee etc.), der auch gegen die ukrainischen Nationalisten kämpfte. In Wolhynien, wo eine gemischte polnisch-ukrainische Bevölkerung lebte, bekämpften sich beide Seiten erbittert, um die ethnische Vorherrschaft zu gewinnen. Dort - tief im Hinterland der deutschen Wehrmacht - gab es wahre Massaker. Historiker sprechen heute von mehreren hunderttausend Toten. Die Ukrainer erfreuten sich dabei der mehr oder minder offenen Duldung deutscher Stellen. (Das Thema Wolhynien ist seit einigen Jahren verstärkt in der polnischen Öffentlichkeit, auch durch Buchpublikationen, präsent. Und die Abneigung gegen die "Banderowcy" ist in Polen ebensogroß wie in der Ostukraine und Rußland.)

Nach Ende des Krieges wurden von den polnischen Behörden dann alle noch auf polnischem Staatsgebiet lebenden Ukrainer entweder in die Sowjetunion ausgesiedelt oder in die "wieder gewonnenen", ehemals deutschen Gebiete verschickt. Damit sollte den ukrainischen Untergrundkämpfern der UPA, die noch bis Mitte der 1950er Jahre Anschläge verübten, das Wasser abgegraben werden.

Der polnische Aspekt - Gegenwart

Heute erfreuen sich Bandera, Schuchewytsch und ihre UPA-Kameraden vor allem in der Westukraine großer Beliebtheit, wo sie als Helden verehrt werden. Ein Bandera-Porträt ziert dieser Tage auch den "Revolutionsstab" im Kiewer Gewerkschaftshaus. Dieser Bandera-Kult kann Warschau nicht unbeeindruckt lassen, bekräftigt man dort doch immer wieder, daß das Todesurteil gegen ihn aufrechterhalten werde. Ebensowenig kann man in der polnischen Hauptstadt ignorieren, wenn - wie gestern in Lwiw geschehen - ukrainische Nationalisten einer ominösen "Volksgarde" versuchen, ein Waffendepot zu stürmen, um sich in den Besitz von Schußwaffen zu bringen.

Die mögliche Eroberung eines ukrainischen Atomkraftwerkes durch Aufständische wäre ob der daraus resultierenden Risiken für Polen vielleicht sogar Anlaß für eine "humanitäre Intervention" in seinem Nachbarland. Letzteres ist kein Hirngespinst! Am Wochenende gab es Meldungen, wonach "Europakämpfer" vom "Maidan" das Kernkraftwerk Riwne gestürmt hätten. Zu diesem Zeitpunkt befand sich auch das zuständige Energieministerium in Kiew in der Hand der Putschisten.
Später wurde die Meldung zwar dementiert, doch angesichts der zur Zeit unübersichtlichen Informationslage bleibt offen, ob die ganze Geschichte eine Zeitungsente war oder ob es tatsächlich einen Angriff gegeben hat, der jedoch von den Sicherheitskräften des Kraftwerks zurückgeschlagen werden konnte. Jedenfalls hat das Energieministerium amtlich mitgeteilt, daß die Bewachung aller Atomanlagen verstärkt worden ist.

In dem Gebiet um Lemberg gewinnen die Unruhen einen antipolnischen Akzent und richten sich mitnichten nur gegen die Regierung und Präsident Janukowitsch in Kiew. So haben Aufständische eine Autobahn besetzt und mittels brennender Barrikaden blockiert. Allerdings keine Autobahn, die nach Kiew führt, sondern die Verbindung von Lwow nach Polen, also in den Westen, nach "Europa". Das hat dazu geführt, daß sich die Autos schon bis zur Grenze stauen. 
Auf selbiger Straße haben die Nationalisten in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag einen polnischen Reisebus mit Touristen gestoppt und diese terrorisiert. Die Fahrgäste mußten z.B. den Kampfruf "Ruhm der Ukraine! Ruhm den Helden!" anstimmen und wurden von den betrunkenen Heldes des "Euromaidan" bedroht.

Das offizielle Polen ist zwar nach wie vor auf der EU-weiten Einheitslinie und unterstützt die ukrainische Opposition im Kampf gegen die Regierung. So wurden heute von Warschau aus z.B. Helme zu den Demonstranten geschickt (das Tragen von Helmen ist, nebenbei bemerkt, nicht nur im ukrainischen, sondern auch im deutschen Versammlungsrecht verboten). Insgeheim dürfte man sich aber auf andere Szenarien vorbereiten. Die Besorgnis wächst.

In der polnischen Gesellschaft regt sich jedoch Widerstand gegen die Unterstützung der Bandera-Anhänger. So warnt ein katholischer Geistlicher in seinem Blog vor dem UPA-Kult auf dem Maidan und äußert seine Abscheu vor der "revolutionären Raserei" des Mobs. Er bezichtigt die politische Klasse seines Landes der Heuchelei und schreibt weiter, wenn in Warschau Barrikaden errichtet und Demonstranten den Sitz des Ministerpräsidenten stürmen würden, dann wären die Herren Michnik und Bauman die ersten, die den Staatspräsidenten auf Knien um die Verhängung des Ausnahmezustandes bäten.

Und eine in Lwow lebende Polin hat einen Brandbrief veröffentlicht, in welchem sie die Unterstützung der Opposition tadelt und Präsident Janukowitsch für seine Politik lobt. Vor allem hat sie Angst vor dem zunehmenden Chaos in der Ukraine und den damit einhergehenden neonazistischen Umtrieben. Ferner stellt sie die ganze Revolutionsromantik in Frage und erinnert an die demokratische Legitimation des jetzigen Staatschefs. Sehr lesenswert.

In anderen polnischen Medien wird schon offen über mögliche Auswirkungen eines Bürgerkrieges in der Ukraine diskutiert. Doch ob es dann nur bei Flüchtlingslagern auf polnischem Staatsgebiet bliebe?

Die polnische Strategie

Für Polen ist die Ukraine ein komplexes und diffiziles Problem, für das es keine einfachen Lösungen gibt. Das politische Fernziel besteht eindeutig darin, die Ukraine ganz an Polen zu binden (ggf. über den Umweg der EU) und damit das Land politisch, wirtschaftlich und kulturell von Rußland zu trennen, um Rußland zu isolieren und zu schwächen.

Daß das heute nicht mehr so geht wie anno 1918/20, also mit säbelschwingenden Kavalleriekolonnen, ist klar. Daher die EU-Partnerschaftspolitik, welche maßgeblich in Warschau konzipiert worden war. Mit dem Assoziierungsabkommen bliebe die Ukraine zwar formell ein selbständiger Staat, der jedoch der EU und ihren Forderungen (einschließlich der Forderung, den Handel mit der RF zurückzufahren) weitgehend schutzlos ausgeliefert wäre. Doch dieses Projekt dürfte vorerst gescheitert sein.

Eigentlich wünscht sich Warschau eine rußlandfeindliche und zugleich polenfreundliche Regierung in Kiew. Doch beides zugleich geht in der Ukraine nicht. So braucht man etwa die westukrainischen Nationalisten als Schlägertrupps für den Straßenkampf in Kiew und anderen Städten. Ohne die Bandera-Jünger ist die gewünschte Revolution unmöglich. Nur diese Typen sind fähig, die Menschen in der Ostukraine derart zu terrorisieren, daß sie sich auch bei Wahlen dem von der EU gewünschten Ergebnis nicht mehr entgegenstellen. (Daß sie diese "Kunst" hinreichend beherrschen, haben sie 1941/44 bewiesen.)

Doch falls der Umsturz tatsächlich gelänge, würden aus der Partei Swoboda und ihrem Umkreis natürlich Forderungen nach einer Regierungsbeteiligung erhoben werden. Das jedoch wäre für Warschau ein Albtraum: Die Bandera-Anhänger an der Macht und mit dem Zugriff auf die staatlichen Machtmittel. Idealerweise würde sich, nach dem Sieg über die Ostukraine und der Einverleibung des Landes in den polnischen Einflußbereich, die Erde auftun und die Nationalisten mitsamt ihrer Polenfeindlichkeit verschlingen. Der Mohr hätte seine Schuldigkeit getan und könnte gehen.

Das polnische Idealbild der Ukraine ist m.E. der Zustand vor den polnischen Teilungen (wobei die heutige Ostukraine nie zu Polen-Litauen gehört hat): Die Polen als unumschränkte Herren des Landes und alle übrigen Bewohner als mehr oder weniger rechtlose Untertanen, auf die man keinerlei Rücksicht nehmen muß. Doch das Eintreten dieser Variante ist unwahrscheinlich. Daher wird sich die polnische Regierung entscheiden müssen: Geht es ihr primär um den Kampf gegen Rußland, dann muß sie die "Kröte" eines Pakts mit den Bandera-Anhängern schlucken und die damit einhergehenden Risiken und Probleme - z.B. evtl. Gebietsforderungen an Polen - akzeptieren.

Oder geht es ihr zuvörderst um die Sicherheit des eigenen Landes - etwa vor marodierenden bewaffneten Banden im Lemberger Raum oder in besetzten Atomkraftwerken -, dann muß sie auf eine rasche Beruhigung der Lage und auf eine politische Lösung in Kiew dringen, welche die dortigen politischen Verhältnisse nicht prinzipiell antastet. Mit anderen Worten: Janukowitsch bliebe Präsident und dürfte seine bisherige Politik mehr oder minder fortsetzen, außerdem treten ein paar Oppositionspolitiker ins Kabinett ein. Zumal Janukowitsch aus polnischer Sicht kein schlechter Partner war, man denke insoweit nur an die gemeinsame Abneigung gegen Stepan Bandera und dessen Mischpoke.

Für die letztgenannte realpolitische Variante könnte den Polen allerdings die ihnen eigene Revolutionslyrik und Freiheitsromantik im Wege stehen. Man hat Janukowitsch in den letzten Monaten - wie die gesamte EU - massiv diffamiert und hätte nun Probleme, ihn der eigenen Öffentlichkeit als akzeptablen Verhandlungspartner zu verkaufen.

Die weitere Eskalation der Gewalt würde wohl unweigerlich zu einem ausgewachsenen Bürgerkrieg führen. Ein solcher wäre für Warschau unkalkulierbar, nicht nur hinsichtlich des Ausgangs innerhalb der Ukraine, sondern auch bezüglich der direkten Auswirkungen auf Polen.

Sollte die Lage in der Ukraine unkontrollierbar werden, bliebe auch der Weg der direkten Intervention. Das durch langjährige Sparmaßnahmen geschwächte ukrainische Militär stellt für die formidablen polnischen Streitkräfte keine ernsthafte Hürde dar, zumal es bei einem Bürgerkrieg wahrscheinlich ohnehin schnell zerfallen würde. Zudem ist die Ukraine kein Mitglied irgendeines Militärbündnisses und verfügt über keine ABC-Waffen. Für einen "Ostfeldzug" bräuchte Warschau mithin nicht einmal direkte Unterstüzung aus anderen NATO-Staaten. Für begrenzte, eher polizeiartige Zwecke - etwa zur Bewältigung einer konkreten Gefahrenlage in Grenznähe - wäre dies eine durchaus realistische, einigermaßen berechenbare Option. Denkbar ist insofern z.B. die Einrichtung einer Pufferzone.

Doch ließe sich damit nicht das polnische Fernziel der Schwächung Rußlands erreichen. Dazu müßte Polen die gesamte Ukraine erobern. Auch das könnte die polnische Armee schaffen, doch würden sowohl West- als auch Ostukrainer - aus unterschiedlichen Motiven - Widerstand leisten. Eine effektive Besetzung wäre folglich sehr schwer und ginge wohl nur mit der gesamten NATO. Zudem würde sich die Frage stellen, wie Rumänien und Rußland reagieren (dazu weiter unten ausführlicher).

Im Fall einer (teilweisen) polnischen Okkupation der heutigen Ukraine würde ein de jure unabhängiger ukrainischer Staat weiterexistieren. Polen wird nicht noch einmal den Fehler begehen und die querulatorischen Ukrainer in den eigenen Staat aufnehmen. In diesem Fall wäre Warschau ironischerweise in derselben Lage wie die Deutschen 1941 ff. Einerseits darf der westukrainische Nationalismus nicht stark werden, denn er könnte sich gegen die neuen Herren richten. Andererseits benötigt man einheimische Kollaborateure zur Verwaltung des Landes und für Aktionen gegen die Menschen in der heutigen Ostukraine und Rußland.

Das ist, aus polnischer Sicht, das selbe Dilemma wie heute hinsichtlich des "Euromaidan", nur in leicht gewandelter Gestalt. In der Haut der Warschauer Strategieplaner möchte ich wirklich nicht stecken.

Der rumänische Aspekt

Vorab: Zum besseren Verständnis dieses Teilproblems sei auf den Artikel "Das instabile Dreieck Rumänien-Ukraine-Moldawien" aus dem Jahr 2011 verwiesen.

Wieso taucht nun plötzlich das EU- und NATO-Mitglied Rumänien als Faktor in der ukrainischen Staatskrise auf? (Überhaupt: Was wissen wir Deutschen eigentlich über Rumänien, seine Geschichte und Politik?)

Ganz einfach: Im südlichen Teil der Region Odessa gibt es Gebiete, die früher einmal zu Rumänien gehörten und die man dort gern zurück hätte. Beide Staaten haben sich auch schon vor dem Internationalen Gerichtshof über Grenzverläufe gestritten. Am vergangenen Wochenende erschienen nun in der rumänischen Presse plötzlich Artikel, in denen die Folgen eines ukrainischen Bürgerkrieges erörtert wurden, einschließlich einer "Verteidigung" der früheren rumänischen Territorien. Die Ukraine sei ohnehin ein "künstlicher Staat" (was durchaus stimmt).

Das strategische Ziel Bukarests ist somit begrenzt und besteht in der Rückgewinnung (vulgo: Eroberung) aller ehemals rumänischen Gebiete nördlich der jetzigen Staatsgrenze.

Im Vergleich zu Polen fallen zwei Unterschiede auf: Rumänien geht es um die Annektion konkreter Territorien. Das ist ein konkreter, begrenzter Zweck. Polen hingegen möchte gerade keine Annektion, will dafür aber weitreichenden Einfluß in der Ukraine ausüben und diese als Vehikel zur Schwächung Rußlands gebrauchen. Diese polnische Absicht ist viel weitreichender als die rumänische. Außerdem scheinen Bukarest die kompexen historisch-geopolitischen Träume der Polen abzugehen. Daher erscheinen seine Ziele leichter erreichbar zu sein.

Allerdings wäre Rumänien dafür auf den Zerfall des ukrainischen Staates infolge eines Bürgerkrieges angewiesen. Während Polen eher daran interessiert sein dürfte, einen solchen Bürgerkrieg wegen der Rückwirkungen auf das eigene Land zu vermeiden bzw. zu begrenzen, liegt das rumänische Interesse eher im Schüren des Kriegsfeuers. Nur so hätte Bukarest Gelegenheit, unter irgendeinem humanitären Vorwand Truppen zu entsenden. Denn einen offenen Eroberungskrieg, der auch vor der Weltöffentlichkeit als solcher erscheint, werden die Rumänen natürlich vermeiden. Doch wenn die Ukraine ohnehin zerfällt und die begehrten Territorien einem wie eine reife Frucht in den Schoß fallen ... Bereits jetzt soll ein Teil der dort lebenden Menschen Inhaber der rumänischen Staatsbürgerschaft sein.

Käme es dazu, würde Moldawien wohl unweigerlich und vermutlich freiwillig auf seine Eigenstaatlichkeit verzichten und sich mit Rumänien wiedervereinigen. Transnistrien, welches nie zu Rumänien gehört hatte, hat sich schon Anfang der 1990er Jahre von der Republik Moldau abgespalten, bereitet insofern also keine Scherereien mehr. Vielleicht schlösse sich dieser Kleinstaat ja in der Folge mit einem Überbleibsel der heutigen Ukraine zusammen.

Fazit: Rumänien verfolgt - anders als Polen - begrenzte und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erreichbare Ziele, ist für die Realisierung aber unbedingt auf eine weitere, drastische Verschärfung der Lage innerhalb der Ukraine angewiesen.

Die Ostukrainer und Rußland

Es ist unbestreitbar, daß der Osten und Süden der Ukraine zum allergrößten Teil von Menschen besiedelt ist, die man in ethnischer und kultureller Hinsicht als Russen bezeichnen muß, die sich also von den "ukrainischen Ukrainern" im Westteil des Landes unterschieden. (Ich hatte diesen Aspekt dieser Tage schon erörtert.) Selbst in der Hauptstadt Kiew ist für zwei Drittel der Einwohner Russisch und nicht Ukrainisch die Muttersprache.

Diese Menschen sind allgemein nicht so politisch aktiv und engagiert wie die Westukrainer. Die Leute arbeiten hart und kümmern sich nicht allzu viel um Politik. Doch seit Wochen wächst dort der Unmut. Richtete er sich zunächst nur gegen die Randalierer in Kiew, wurde daraus zunehmend eine Stimmung gegen die EU-Assoziation, welche oft als "Euroanschluß" tituliert wird. Statt in Richtung EU hält man an der traditionellen Orientierung an Rußland fest.

Das hat zum einen die genannten kulturellen Gründe. Hinzu kommen die zahlreichen familiären Bindungen. Und schließlich der wirtschaftliche Aspekt: Die Ostukraine ist das industrielle Zentrum und die Staaten der Zollunion (Belarus, Kasachstan, Rußland) sind für die dort ansässigen Betriebe die wichtigsten Handelspartner, weitaus bedeutender als die EU-Mitglieder. Für diese Menschen hätte die Unterzeichnung des Assoziationsabkommens und die daraus zwangsläufig folgende Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen zur Zollunion (Ukraine wäre von der EU gezwungen, Verträge zu kündigen), drastische Folgen. Ihr im Vergleich zur Westukraine relativ großer Wohlstand würde absehbar sinken.

Zudem droht, sollte der "Euromaidan" siegen, ein neuer Kulturkampf wie weiland unter Präsident Juschtschenko. D.h. es gäbe wieder Verbote hinsichtlich des Gebrauchs der russischen Sprache in der Öffentlichkeit, insbesondere in Medien und Bildungseinrichtungen. Die "Ukrainifizierung" des Landes ginge weiter (mehr dazu im nächsten Kapitel). Das wollen die Bürger im Ostteil einfach nicht hinnehmen, zumal sie einen Großteil des BIP der Republik Ukraine erwirtschaften.

Sollte es also tatsächlich zu einer Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens inklusive der damit einhergehenden IWF-konformen Maßnahmen wie Rentenkürzungen etc. kommen, dann droht in der Ostukraine ein weiteres Wachsen des Unmuts mit den Herrschenden. Sollten in Kiew gar die Lemberger Nationalisten an die Macht kommen (was nur infolge eines Putsches, wie er gerade abläuft, denkbar ist), dann ist zu befürchten, daß es zu offenen Sezessionsbestrebungen kommen wird. Schon am Sonntag waren auf Kundgebungen ganz vereinzelt rußländische Flaggen zu sehen. Im Internet tauchen auch schon entsprechende Losungen auf.
 Falls die Westukrainer den Gesamtstaat kapern und den Bandera-Kult verbindlich machen, werden die Menschen im Osten nicht tatenlos daneben stehen und sich an den Rand drängen lassen. Das hat das letzte Wochenende gezeigt.

 Wie verhält sich nun Rußland zur Lage in der Ukraine? Zurückhaltend. Offiziell werden die Ausschreitungen verurteilt, doch es mangelt an Solidaritätsbekundungen mit Präsident Janukowitsch. Er hat auch gegenüber Moskau zu oft sein eigenes Spiel gespielt, als daß man ihn dort für den besonderen Freund Rußlands hielte, als der er in den deutschen Medien gilt. Solidarität mit den Menschen in der Ukraine, Verehrung für die mutigen Polizeibeamten, die sich dem Chaos entgegenstellen und dabei vom Pöbel in Brand setzen lassen, ohne von der Schußwaffe Gebrauch zu machen - das findet man in Rußland durchaus. Aber nicht in Bezug auf den Präsidenten.

Deshalb wird die Rußländische Föderation auch keine Polizeikräfte oder gar Militär nach Kiew schicken. Erstens scheinen die ukrainischen Sicherheitskräfte die Lage noch einigermaßen im Griff zu haben. Und zweitens würde das russophobe Ausland jegliche praktische Unterstützung von Janukowitsch als Angriff auf die Unabhängigkeit der Ukraine deuten. (So geschehen nach dem verheerenden Angriff georgischer Truppen auf Südossetien mit mehreren hundert Toten am 8. August 2008, der in unseren Medien regelmäßig als Aggression des pösen Rußlands gegen das arme, kleine, unschuldige Georgien dargestellt wird.) 

Bevor sich die RF in der Ukraine mit anderen als diplomatischen Mitteln - also mit Truppen - engagiert, müßten andere Staaten den Rubikon überschritten und ihrerseits Militär auf ukrainisches Staatsgebiet entsandt haben. (Wie am 22. Juni 1941: Man wußte zwar, daß der deutsche Angriff kommen wird, aber die Rote Armee hatte strikte Weisung, stillzuhalten und sich nicht auf Provokationen einzulassen. Die deutschen Truppen sollten, vor aller Welt sichtbar, in die SU einfallen, um Legendenbildungen über einen angeblichen deutschen Verteidigungskrieg gegen die "asiatisch-bolschewistischen Horden" unmöglich zu machen.)

Polen oder Rumänien müßten also den ersten Schritt tun und in einen Bürgerkrieg militärisch eingreifen. Dann würde wahrscheinlich auch Rußland Truppen schicken, um die bis jetzt ziemlich ruhigen Gebiete im Osten und Süden (einschließlich Krim und Odessa) zu sichern. Die dortigen Einwohner hätten wohl nichts dagegen.
Dort könnten dann auch die Flüchtlinge aus der West- und Zentralukraine untergebracht werden. In einem solchen Szenario käme mittelfristig auch ein staatsrechtlicher Zusammenschluß dieser Regionen mit der RF in Betracht.

Doch in der RF wird eine solche Entwicklung wohl nur von den wenigsten für wahrscheinlich gehalten. Man glaubt - anders als in der EU - nicht wirklich daran, daß jetzt die Entscheidungsschlacht um die Ukraine begonnen hat. Vielmehr rechnen Beobachter eher mit einer Fortsetzung der typisch ukrainischen Politik des Lavierens zwischen allen Stühlen. Damit würde sich auch für diese Krise letztlich eine politische Lösung finden lassen.

Die diversen Bürgerkriegs- und Aufteilungsszenarien haben allerdings den Charme, angesichts der vertrackten Lage in der Ukraine relativ einfache Ansätze für dauerhafte Lösungen zu bieten. Deshalb hat die EU den Konflikt im November und Dezember eskalieren lassen: Die Ukraine soll sich endlich endgültig festlegen. Aber die Ukraine in ihrer heutigen Gestalt kann das eben nicht.

Die Westukrainer

Diese Menschen sind die eigentlichen, die "ukrainischen Ukrainer". Die fehlende Wirtschaftskraft wird durch ein überbordendes Nationalbewußtsein und den weitverbreiteten Haß auf Russen, Juden, Polen und Weißrussen kompensiert. Wenn sie könnten, wie sie wollen, würden sie ihre partielle Sprache, Kultur und Geschichtsbild allen Bürgern des Landes aufzwingen. Wozu sie fähig sind, ist seit den von ihnen begangenen Genoziden der 1940er Jahre allseits bekannt.

Die Ostukrainer werden von ihnen verächtlich "Moskowiter" genannt. Im Internet finden sich zahllose weitere kollektive Beschimpfungen ihrer Mitbürger. Dafür, daß sich die Ostukraine dem galizischen Aufstand widersetzt, wird sie aktuell bei Twitter z.B. als "Krebsgeschwür", das natürlich ausgemerzt werden muß, diffamiert. Einerseits hassen die Galizier die Ostukrainer, andererseits können sie aus ökonomischen Gründen nicht ohne sie auskommen. Allein deshalb wird dich die Westukraine einer eventuellen Aufteilung des Landes entgegenstellen. Lieber entsenden sie Sturmabteilungen in die Ostukraine, um die Gebietshauptstädte zu erobern und die Einwohner zu terrorisieren und so gefügig zu machen. Andererseits böte ein eigener Staat den Westukrainern unschätzbare Vorteile. Sie wären dann endlich unter sich, ohne Russen, Juden und andere "minderwertige Geschöpfe", und könnten ihre eigene, besonders hochstehende Kultur - inklusive Bandera-Kult und NS-Symbolik - zelebrieren. Industrie gäbe es zwar nicht viel, aber dafür könnte man z.B. Ärzte, Putzfrauen und andere Arbeitskräfte nach Deutschland und Polen exportieren - wie in der guten, alten Zeit zwischen 1941 und 1945.

Sollte es zu einem Zerfall der Ukraine in ihrer heutigen geographischen Gestalt kommen, würde der Westen schon aus geographischen Gründen unter polnischer Kontrolle stehen. Formal wohl ein selbständiger Staat wäre er doch de facto nur ein Protektorat der EU, ausgestattet mit minderen Rechten (so, wie sich manche Westeuropäer Osteuropa wünschen). Ob das den Galiziern längerfristig behagen wird? Aber immerhin: Sie wären dann ein Teil des mythischen "Europa", was realiter jedoch nichts mit der EU zu tun hat.

Eigentlich könnten also auch die Westukrainer von einer Aufteilung des Landes profitieren. Wenn sie denn endlich wirtschaftlich auf die Beine kämen. Aber vielleicht schickt ihnen die heißgeliebte EU ja ein paar Milliarden Fördermittel, um ihren Traum vom ungestörten Leben im eigenen Staat, den man mit niemandem mehr teilen muß, zu realisieren?

Die Deutschen und die Ukraine

Die derzeitige Politik der BRD gegenüber der Ukraine scheint vom selben hemmungslosen Beherrschungswillen wie anno 1941 geprägt. Zu Recht gilt Vitali Klitschko vielen Ukrainern als "Mann der Deutschen". Doch während viele sich von diesem ausländischen Geschöpf mit Grausen abwenden, verehren ihn andere gerade deshalb. Sie machen sich die Hoffnung, daß sie Klitschko nur in ein politisches Amt bringen müßten und alles weitere würde sich automatisch regeln. Berlin würde "seinen Mann in Kiew" schon nicht im Regen stehen lassen und Milliarden an Hilfsgeldern für die heldenhaften Vorkämpfer der europäischen Integration locker machen.

Wenn diese Menschen wüßten, daß weder Deutschland noch die EU insgesamt gewillt oder auch fähig sind, diese finanziellen Wünsche zu erfüllen ... Doch so wiegen sich manche Ukrainer noch in der Illusion, man müsse nur die blaue EU-Flagge recht eifrig schwenken, um Eingang ins Schlaraffenland zu finden. Am Tag des bösen Erwachens möchte ich nicht in deren Nähe sein ...

Wir Deutschen stöhnen doch schon, wenn ein paar Tausend Bürger (meist Vertreter einer besonders mobilen ethnischen Minderheit) aus unseren EU- und NATO-Bruderstaaten auf dem Balkan zu uns kommen und hier Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Da werden wir wohl kaum bereit sein, Millionen von Ukrainern durchzufüttern. Oder ist uns die ersehnte "europäische Integration" plötzlich so viel wert? Deshalb sollten wir uns gut überlegen, ob wir in Kiew weiter zündeln.

Ausländische Intervention unterhalb eines Militäreinsatzes

Die Lektüre polnischer Medien bringt interessante neue Erkenntnisse. So berichtete gestern z.B. die Gazeta Wyborcza ganz offen, daß 2004 an der Orangenen Revolution in Kiew auch "tausende junger Menschen aus Polen" teilgenommen haben. Bisher war das Thema hierzulande meist tabuisiert, in den Hauptstrommedien wurde meist jede ausländische Beteiligung am ersten Maidan geleugnet. Doch jetzt, 2014, sind die Masken gefallen. Die Beteiligung auswärtiger Mächte am Aufruhr in der Ukraine ist offenkundig, man braucht keine Tarnung mehr. Wieviele polnische Agenten wohl heute in Kiew sein mögen?

Ein anderes polnisches Internetportal teilt mit, ehemalige Soldaten der Spezialeinheiten Weißrußlands und Rußlands seien auf dem Weg nach Kiew, um sich an die Seite "des Volkes" zu stellen und den "Euromaidan" zu "verteidigen". Was an dieser Meldung dran ist, muß offen bleiben.
Gesicherter sind dagegen die zahlreichen Informationen, wonach mittlerweile mehrere namentlich bekannte Organisatoren von "bunten Revolutionen" in Kiew eingetroffen sind, um dem stockenden Staatsstreich mit ihrer Erfahrung und Expertise neuen Schwung zu geben.

Dabei braucht die EU die gegen den Präsidenten protestierenden Menschen (landesweit einige zehntausend Menschen - bei 46 Millionen Einwohnern) lediglich als Manövriermasse, um ihr Ziel des Anschlusses der Ukraine zu erreichen. Ist die "Integration", wird die pseudohumanitäre Rhetorik sofort aufhören und kein deutscher Reprter wird sich an der dann unweigerlich einsetzenden Massenverarmung der ukrainischen Bürger stören. Hauptsache, das blaue Banner mit den gelben Sternen weht über Kiew und man hat den Russen eins ausgewischt. In diesem Moment wird die Enttäuschung, auch bei vielen Westukrainern, sehr groß sein, denn der angebetete Brüsseler Messias hätte sich als Scharlatan erwiesen.

Resümee

Allem Anschein nach haben die meisten Bürger des ukrainischen Staates die Nase voll voneinander. Sie wollen nicht mehr zusammen leben, die Gemeinsamkeiten sind erschöpft. Deshalb wäre eine Teilung des Landes wohl für alle eine gute Wahl. Aber bitte möglichst nicht in einem ausgewachsenen Bürgerkrieg, sondern auf dem tschechoslowakischen Weg. Fragt sich nur, ob die EU einen solchen mittelfristigen Ausgang akzeptieren würde oder ob sie unbedingt, auf Biegen und Brechen, die gesamte Ukraine vereinnahmen will.

(Die größten Verlierer einer solchen Lösung wären wohl die Russinen. Sie leben im Westteil des Landes, stehen aber ethnisch und sprachlich den Russen näher als den "ukrainischen Ukrainern". Im aktuellen Konflikt stehen sie eher auf der Seite von Präsident Janukowitsch.)

Der Gang der weiteren Entwicklung hängt maßgeblich von der heutigen Sondersitzung des Parlaments ab, zu der auch die Oppositionsabgeordneten erscheinen werden, obwohl sie die Legitimität der Kammer bestreiten. Selbst wenn es zu einer Einigung mit den gemäßigten Teilen der Opposition käme (lassen deren ausländische Strippenzieher das zu?), ist aber immer noch fraglich, was die Randalierer auf den Straßen und die aufgehetzten Menschen in Lemberg und Umgebung davon halten. Kann ihre Partei Swoboda eine solche Niederlage einfach hinnehmen oder würde sie zur totalen Gewalt greifen?

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Montag, 27. Januar 2014

Leningrad - 872 Tage


Heute vor siebzig Jahren, am 27.01.1944, gelang den sowjetischen Streitkräften die endgültige Aufsprengung der Leningrader Blockade. Seit September 1941 hatte die Stadt einer Belagerung durch die großdeutsche Wehrmacht sowie finnische und spanische Truppen unterlegen, die nicht auf die Eroberung, sondern auf das Aushungern der Einwohner abzielte. Rund eine Million "slawischer Untermenschen" sind ihr zum Opfer gefallen.

Trotz dieser schrecklichen Geschichte begegnet man als Deutscher heute in der Stadt keinerlei Ressentiments, eine echte Aussöhnung hat stattgefunden.

Außer freilich bei unseren Neonazis. Sie erklären, in völliger Verkennung der Tatsachen, die Belagerung Leningrads zu einem "Verbrechen der sowjetischen Führung am russischen Volk". Ironischerweise stimmt ihnen die sogenannte "demokratische Opposition" in Rußland, die von deutschen Stellen gepäppelt wird, zu. Gestern hat der "demokratische" Fernsehkanal TV Doshd die These vertreten, Schuld an den Opfern der Blockade sei Stalin, er hätte die Stadt aufgeben müssen.

Diese Tendenz ist freilich nicht neu, schon seit geraumer Zeit betrieben Mitglieder der berühmten Gesellschaft "Memorial" wie Petrow eine Geschichtsschreibung, die unter dem Deckmantel der Entstalinisierung faktische NS-Apologetik betreibt. So fügt sich eins zum anderen. Schon vor einem Jahr, anläßlich des Jubiläums der Schlacht von Stalingrad, sind in der deutschen Presse bizarre Artikel erschienen, so daß man fast den Eindruck gewinnen konnte, die Schlacht sei eine Erfindung des "Nationalisten" Putin.

Beim heutigen Jahrestag scheint es gottlob etwas anders zu sein, zumindest nach den Artikeln zu urteilen, die ich bis jetzt überfliegen konnte. Dies hat vielleicht auch damit zu tun, daß heute der Petersburger Schriftsteller Daniil Granin während der Feierstunde anläßlich des Holocaustgedenktages im Deutschen Bundestag sprechen durfte.

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Donnerstag, 23. Januar 2014

Die Ukraine als Kolonie

"Friedliche Demonstranten" zünden Polizeibeamte an -
Bilder aus Kiew, bevor die Polizei am 22. Januar durchgegriffen hat.

Was sich seit fast zwei Monaten in und um die Ukraine ereignet, ist erschütternd. Und es ist keine prinzipiell neue Erscheinung. Manchmal könnte man meinen, daß sich Geschichte wiederholt. Blenden wir zunächst zurück ins Jahr 1917:

Das Deutsche Reich arbeitet mit einer kleinen Gruppe russischer Linksrevolutionäre um Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, zusammen. Diese werden per Zug aus der Schweiz über das neutrale Schweden und Finnland nach Petrograd transportiert. Ihnen stehen erhebliche finanzielle Mittel - mehrere Dutzend Millionen Goldmark - zur Verfügung. Ihr Auftrag: In Rußland, das nach der Februarrevolution schon in Unruhe gefallen war, weitere Zersetzungsarbeit leisten, um das Land aus dem Ersten Weltkrieg herauszuführen. Damit stünden die deutschen Truppen von der Ostfront für den Kampf in Frankreich und Belgien zur Verfügung. Der deutsche Agent Lenin und seine Genossen erfüllen ihren Auftrag. Mit dem Staatsstreich der "Oktoberrevolution" übernehmen sie die Macht, beginnen mit dem Kampf gegen alle Nichtbolschewiken und schließen schließlich am 3. März 1918 den Friedensvertrag von Brest-Litowsk ab.

Wesentlicher Inhalt des Vertrages war die territoriale Neuordnung Osteuropas. Große Teile des untergegangenen Zarenreiches wurden von Sowjetrußland abgetrennt und in der Folge von deutschen und österreichischen Truppen besetzt. Zeitweise befand sich nicht nur die Ukraine, sondern auch Teile Weißrußlands und des Kaukasus in deutscher Hand. Damit war - auch völkerrechtlich - die erste deutsche Kolonie namens Ukraine geboren. Um ihre Herrschaft abzusichern, bedienten sich die Generale unseres Kaisers der "unabhängigen" Ukrainischen Volksrepublik. Doch als sich das deutsche Militär Ende 1918 infolge des Waffenstillstandsvertrages mit der Entente aus den besetzten Gebieten in Osteuropa zurückziehen mußte, brach auch die "unabhängige" Ukraine recht bald zusammen. Die Truppen der (west-)ukrainischen Nationalisten lieferten sich nicht nur Gefechte mit den Bolschewiki, sondern auch mit den Polen, die ihre Herrschaft etwa über Lwow (Lemberg) nicht aufgeben wollten.

In der Folge banden sich diese politischen Kräfte aus Exil-Ukrainern wiederum stark an das Deutsche Reich. Berlin konnte Stepan Bandera und Konsorten zugleich gegen Polen und die Sowjetunion einsetzen - ein unschätzbarer Vorteil. Dabei dachte man in Deutschland natürlich nie ernsthaft an die Errichtung eines unabhängigen ukrainischen Staates, wie die Vorgänge der Jahre 1941 ff. belegen. Nachdem mehrere aus Exilukrainern gebildete Verbände in deutscher Uniform an der Operation "Barbarossa" teilgenommen hatten, kam es in der Westukraine zu spontanen Pogromen, die sich gegen die jüdischen Einwohner richteten. Soweit heute bekannt, haben deutsche Stellen diese "Säuberungen" zwar gebilligt, aber nicht initiiert.

Als dann die Bandera-Leute tatsächlich an den Aufbau eines eigenen Staatswesens gingen, wurde dieser Versuch von Berlin schnell beendet und Bandera inhaftiert. Die arischen Herrenmenschen brauchten die Ukraine - wie schon 1918 - als Reservoir für Nahrungsmittel und billige Arbeitskräfte. Daher lag ein unäbhängiger ukrainischer Staats nicht im deutschen Interesse. Man wollte Sklaven, keine Verbündeten. Ein erklecklicher Teil der ukrainischen Nationalisten spielte dieses Spiel freilich mit. Sie wurden dafür, daß sie bei der Unterdrückung und Ausbeutung ihrer Landsleute halfen, mit deutschen Uniformen ("Polizei") und zum Teil auch mit SS-Dienstgraden belohnt. Wer dem Großdeutschen Reich treu diente, durfte dafür auch etwas erwarten. Er war dann zwar immer noch ein Untermensch, aber schon ein besserer.

1944 endete dann auch diese zweite Auflage einer deutschen Kolonie in der Ukraine. In der Folge wurden im Reichsgebiet die Nahrungsmittel immer knapper, denn die Zufuhren aus den besetzten Gebieten, die der deutschen Bevölkerung bisher ein relativ gutes Leben ermöglicht hatten, blieben aus.

Was zur Zeit in der Ukraine abläuft ist der dritte, maßgeblich von Deutschen getragene Versuch, die Ukraine als kolonieähnliches Gebilde an den eigenen Großraum - der heute "Europäische Union" heißt - anzuschließen. (Wie die EU wirklich zu den Ukrainern steht, läßt sich daran ermessen, daß Erleichterungen im Reiseverkehr durch einen Verzicht auf Visa selbstverständlich nicht geplant sind.) Bemerkenswert sind nicht nur die Aktionen und Reaktionen als solche, sondern auch die frenetische Art der (Nicht-)Berichterstattung in den deutschen Medien.

Das Assoziierungsabkommen

Zunächst hatte die EU die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine für ein Jahr auf Eis gelegt, um Präsident Janukowitsch unter Druck zu setzen. (Es ist überhaupt interessant, daß ausgerechnet dieser, angeblich besonders rußlandfreundliche Politiker so weit auf die EU zugegangen ist wie kein ukrainischer Staatschef vor ihm.) Als das Abkommen dann Ene 2013 tatsächlich in Vilnius unterzeichnet werden soll, brechen in Kiew Bedenken auf. Denn das Abkommen enthält Sprengstoff für das wirtschaftlich seit vielen Jahren schwer angeschlagene Land. Wenn die Ukraine mit der EU Freihandel vereinbaren würde, wäre sie gleichzeitig gezwungen, von sich aus gleichlautende Veträge mit der Rußländischen Föderation zu kündigen. D.h. die EU erwartet von der Ukraine, ihre bewährten Wirtschaftsbeziehungen mit Rußland weitgehend abzubrechen. Insoweit ist die Rede von einem Volumen von umgerechnet 10 bis 12 Mrd. Euro pro Jahr.

Janukowitsch und seine Regierung waren, wie zwischenzeitlich bekannt geworden ist, sogar bereit dazu. Allerdings verlangten sie von Brüssel eine finanzielle Kompensation in gleicher Höhe. Darüber gab es seitens der EU wohl mündliche Zusagen. Als dann aber vor wenigen Monaten konkrete Zahlen auf den Tisch kamen, war die EU - vermutlich mit Rücksicht auf ihre eigene Wirtschaftskrise - nur noch zur Zahlung von einigen hundert Millionen bereit. Im übrigen wurde die Kiewer Regierung auf der Internationalen Währungsfonds verwiesen. Doch dessen Konditionen für Kredite sind offensichtlich unannehmbar. So forderte der IWF etwa, die Preise für Heizungen und andere öffentliche Leistungen massiv zu erhöhen. Dies hätte allerdings zur weiteren Verarmung weiter Teile der ukrainischen Bevölkerung geführt.

Deshalb hat Janukowitsch die Reißleine gezogen und bis auf weiteres von der Unterzeichnung des Abkommens Abstand genommen. Eigentlich eine vernünftige Entscheidung. Die positiven Handelsbeziehungen mit Rußland, die vor allem für die in der Ostukraine konzentrierte Industrie wichtig sind, bleiben unangetastet. Zudem gab es seitens der rußländischen Regierung weiteres Entgegenkommen, etwa in Gestalt einer weiteren Senkung des Gaspreises und eines Milliardenkredites. Rußland kann der Ukraine also das geben, was die vielgepriesene EU nicht geben kann oder will.

Die inszenierte Revolution

Schon kurz nach Janukowitschs Wahl zum Staatspräsidenten gab es im "freien Westen" die ersten bösen Kommentare, daß ukrainische Volk hätte die falsche Wahl getroffen. Nach dem Tauziehen um das Assoziierungsabkommen, mit dem Kiew eigentlich nur seine Handlungsfähigkeit demonstrieren wollte, setzten Deutschland und die EU ganz auf die innerukrainische Opposition. Nach den bekannten Vorbildern wurde versucht, eine Revolution zu inszenieren. Dazu hat man, da Julia Timoschenko noch wegen ihrer pro-rußländischen Politik im Gefängnis sitzt, aus Deutschland einen neuen Oppositionsführer eingeflogen. Klitschko mit seinem Boxtalent scheint für die gegenwärtige Lage in Kiew genau der richtige zu sein. Er forderte denn nicht nur die Unterzeichnung des Vertrages mit der EU, sondern such den Rücktritt von Präsident und Regierung.

Zur demonstrativen Unterstützung der Aufständischen sind denn auch maßgebliche Politiker aus den USA, der BRD, Polen und anderen Staaten auf dem Maidan-Platz geeilt. Sogar der kürzlich von seinem eigenen Volk abgewählte Saakaschwili, seines Zeichens georgischer Ex-Präsident, tauchte plötzlich in Kiew auf. An der Tatsache, daß die Opposition in erheblichem Umfang vom Ausland unterstützt wird, kann kein vernünftiger Zweifel mehr bestehen. Die Einmischung in die ukrainischen Innenpolitik geschieht ganz offen und unverblümt, die EU bemüht sich nicht einmal mehr um Tarnung.

Offenbar war das Kalkül folgendes: Wenn die ukrainische Regierung nicht das tut, was wir wollen, dann setzen wir eben unsere "fünfte Kolonne" in Marsch. Die werden einen Umsturz herbeiführen und schwups haben wir eine uns genehme Regierung in Kiew.

Dieser Plan ist bis dato jedoch nicht aufgegangen. Es gab zwar dieselben Bilder und dieselbe Gewalttätigkeit wie im Belgrad des Jahres 2000 und anderen Hauptstädten, wo zuvor das Bühnenstück "Revolution" gegeben wurde (und wo komischerweise dieselben NGO-Akteure aktiv waren). Doch die Opposition hat nicht obsiegt. Ewig kann sie ihre Unruhen nicht fortsetzen, denn die Hundertschaften professioneller Demonstranten (z.T. aus der Region Lemberg mit Bussen herbeigeschafft) wollen auch bezahlt werden. Ergo muß sie die Lage eskalieren lassen. Eine solche Tendenz deutet sich seit dem letzten Wochenende an. Gestern gab es nach hunderten Verletzten vor allem unter den Sicherheitskräften die ersten toten Demonstranten. Ein paar Märtyrer als Vertreter des "unterdrückten Volkes" brauchen die Revolutionsmacher immer (siehe Libyen und Syrien), es verwundert, daß es sie nicht früher gab.

Mittlerweile richten sich die Gewaltausbrüche der "friedlichen Demonstranten" nicht mehr nur gegen den Staat und seine Vertreter, sondern auch gegen alle Ukrainer, die es wagen, anderer Meinung zu sein. So gab es mehrere gewaltsame Angriffe auf Anhänger der Partei der Regionen, um sie von der Teilnahme an Kundgebungen abzuhalten. Soviel zu demokratischen Selbstverständnis der sog. "demokratischen Opposition", die zwischenzeitlich durch ausländische Hooligans Verstärkung bekommen hat.

Merkwürdig auch, daß der "freie Westen" ganz offen mit Gruppierungen aus den Reihen der Opposition sympathisiert, die hierzulande als Neonazis gelten würden. Doch wenn die Anhänger der OUN-UPA in Tarnanzügen, mit Helmen und Gasmasken aufmarschieren, stört sich in den deutschen Medien kaum jemand daran. Schließlich sind diese nationalistischen Kämpfer für "uns" (also die EU), ergo gehören sie zu den Guten. Daß es sich um ausgemachte Antisemiten handelt, wird dabei ausgeblendet. (Die Neonazi- und Antisemitismuskarte wird nur bei ausgewählten Staaten wie z.B. Deutschland gespielt. Das mußten auch schon Vertreter jüdischer Organisationen verwundert feststellen.)


Noch ein paar Bilder von den "friedlichen Demonstrationen" gestern in Kiew.


Die Perspektiven in der Ukraine

Die Chancen für einen Erfolg der "Revolution" stehen freilich schlecht. Die Opposition ist nicht stark genug, um einen Umsturz ins Werk zu setzen, wohl aber fähig, das Land bis zu den nächsten Präsidentenwahlen 2015 im Chaos versinken zu lassen.

In vergleichbaren Fällen, etwa beim Sturz des jugoslawischen Präsidenten Milosevic, war es gelungen, mit dem vorhandenen ausländischen Geld Teile der Sicherheistkräfte zu bestechen und damit zu neutralisieren. Doch in der Ukraine scheinen die Sicherheistkräfte fest zur legalen Regierung zu stehen. Diese Position dürfte durch die heftigen Angriffe, denen die Polizisten in Kiew während der letzten Tage ausgesetzt waren, eher noch gefestigt werden. In ukrainischen Blogs und sozialen Netzwerken werden die Beamten der Spezialeinheit "Berkut" schon als Helden verehrt.

Eine Beruhigung der Lage kann jedoch nur Eintreten, wenn die EU und Washington ihre Vasallen im Kiewer Oppositionslager zurückrufen. Ob sie das tun werden, ist offen, auch wenn es die ersten besonnenen Töne aus Berlin und Warschau gibt. Ansonsten droht der schon seit Jahren schwer schlingernden Ukraine ein weiterer Abstieg.

Dabei geht es Janukowitsch gar nicht um eine pro-russische Politik (wie in den deutschen Medien i.d.R. fälschlicherweise behauptet), das glaubt auch in Rußland niemand. Vielmehr will er mit beiden Seiten - Brüssel und Moskau - gut auskommen und möglichst beide erpressen und gegeneinander ausspielen können. Es geht also darum, die Position der Ukraine "zwischen allen Stühlen" zu zementieren (wie ein Kommentator schrieb). Doch dieses Spiel scheint jetzt an seine Grenzen zu stoßen.

Dabei ist es wohl das, was die zerrissene Ukraine braucht. Im Osten das Landes, wo wirtschaftlich die Musik spielt, sprechen die Menschen russisch, sind orthodox und auch sonst auf Rußland bezogen. Im Westen des Landes ist man dagegen katholisch oder uniert, spricht ukrainisch und orientiert sich eher an Wien, Berlin und Warschau. Ein Präsident, der diese zentrifugalen Kräfte, die jeweils etwa die Hälfte der Bürger umfassen, ausgleichen möchte, kann keine stringente Politik betreiben. Solange der ukrainische Staat in seiner heutigen Gestalt existiert, wird es weder eine "Ukrainifizierung" des Ostteils noch eine "Russifizierung" des Westteils geben (auch wenn z.B. der vorletzte Präsident Juschtschenko alles unternommen hat, um den Gebrauch der russischen Sprache zu verbieten und die Menschen in der Ostukraine zu "richtigen Ukrainern" umzuerziehen). Man könnte es auch anders sehen und die Ukraine als "failed state" betrachten, dessen Auflösung für alle Beteiligten wünschenswert wäre. Doch für ein solches Szenario scheinen im Lande selbst die Integrationskräfte noch zu groß zu sein.

Insofern ist der Vorschlag der ukrainischen Regierung, in Dreierverhandlungen Kiew-Brüssel-Moskau einzutreten, in denen besonders die Wirtschafts- und Handelsfragen erörtert werden sollen, ein sachgerechter Vorschlag. Jedenfalls wäre es höchst töricht zu glauben, mit dem Schwenken der blauen EU-Flagge durch ein paar tausend Demonstranten ließen sich jahrhundertelange engste Bindungen übertünchen. Im Juli 2013 wurde in Kiew das 1025. Jubiläum der Taufe des Kiewer Rus - und damit der Ostslawen insgesamt - feierlich begangen. Gegen dieses historische und kulturelle Erbe wiegen auch ein paar Jahrzehnte Kollaboration mit den jeweiligen deutschen Besatzern wenig.

Die internationale Dimension

Das Engagement der EU beim Umsturz in der Ukraine ist deshalb so stark, weil mit der Nichtunterzeichnung dieses Assoziierungsabkommens die gesamte Politik der östlichen Partnerschaft auf dem Spiel steht. Diese Politik bezweckte - ganz so wie deutsche Großraumphantasien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - die Bindung der Nachfolgestaaten der früheren UdSSR an die EU, ohne ihnen freilich eine Beitrittsperspektive zu eröffnen. Diese Länder sollten im Status von Kolonien verbeiben: von der EU abhängig, dazu genötigt, Brüsseler Vorgaben zu befolgen, ohne allerdings einen Einfluß auf deren Ausgestaltung zu haben. Die "Nachbarschaftspolitik" sollte das Bild der westeuropäischen Eliten über die osteuropäischen "Untermenschen", mit denen man nicht auf gleicher Augenhöhe verhandeln darf, juristisch fixieren.

Doch das Projekt, dessen Ziel vor allem die Schwächung und Isolation Rußlands war, ist fast auf ganzer Linie gescheitert. Daß sich Belarus nicht von seinem ostslawischen Nachbarn lossagen wird, war von vornherein klar, auch wenn die EU Minsk Avancen gemacht hat. Dann war da noch Armenien. Doch nachdem sich die EU nicht kooperativ zeigte (etwa in der Frage des Genozids in der Türkei), beantragte Jerewan den Beitritt zur Zollunion Belarus-Rußland-Kasachstan.

Die Verhandlungen Brüssels mit Aserbaidshan laufen zwar noch, doch auch Baku braucht Rußland z.B. als Abnehmer für Arbeitskräfte, die man im Land selbst nicht beschäftigen kann. Und die EU wird kaum darauf erpicht sein, mit einem Schlag zehntausende Wanderarbeiter aus dem Südkaukasus aufzunehmen.
Das Assoziierungsabkommen mit Georgien ist nach wie vor nicht unterzeichnet, trotz der Festivitäten im November 2013 in Vilnius. Das gleiche gilt für das Abkommen zwischen der EU und Moldawien. Für dieses Land wäre die Assoziierung mit der EU ohnehin nur ein weiterer Schritt zur Auflösung des moldawischen Staates und seiner Integration mit Rumänien. Viele Moldawier besitzen bereits seit Jahren die rumänische Staatsbürgerschaft und sind damit de jure bereits jetzt EU-Bürger.

In diesem komplizierten Mosaik war die Ukraine für Brüssel ein wichtiger Faktor, um die "Nachbarschaftpolitik" wenigstens als Teilerfolg verkaufen zu können. Doch so droht der EU neben dem tatsächlichen Mißerfolg auch ein PR-Desaster.

Rückwirkungen auf die EU-Mitglieder

Als aufmerksamen Deutschen mußte es mich hellhörig machen, als die deutschen Medien im November vorigen Jahres, als die Krise in Kiew akut wurde, damit begannen, das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine über den grünen Klee zu loben. Was haben unsere Journalisten da alles gefaselt, Chance auf eine "europäische Entwicklung" etc. pp. Doch kein einziger dieser Journalisten kannte zum damaligen Zeitpunkt den Text des Vertrages, denn er wurde von der EU (wohl bis heute) geheimgehalten. Erst im Dezember sickerten aus Kiewer Regierungskreisen einige Details an die Öffentlichkeit. Wie kommen also unsere "kritischen Journalisten" und unsere "freie Presse" dazu, ein Abkommen zu rühmen, dessen Inhalt sie gar nicht kennen? Das muß doch stutzig machen.

Erstens war der Vertrag gegen Rußland gerichtet. Und jeder Angriff auf Rußland - egal, in welcher Form vorgetragen - wird von unserer Journaille goutiert.
Zweitens sind unsere Journalisten EU-Fanatiker. Alles, was mit dieser Organisation zu tun hat, wird frenetisch bejubelt. Insofern sei etwa an die (noch nicht ausgestandene) Euro- und Staatsschuldenkrise erinnert, wo jede Überlegung, evtl. aus der Gemeinschaftswährung auszusteigen, äußerst negativ kommentiert wurde. Z.T. mit dem "Argument", der Euro müsse auch entgegen ökonomischen Überlegungen gerettet werden, koste es, was es wolle. 

Und die EU-Fanatiker in den deutschen Medien blicken mit Schaudern in die Zukunft. In wenigen Monaten wird das EU-Parlament neugewählt und es wird in mehreren Mitgliedsstaaten ein Stimmenzuwachs für EU-kritische Parteien erwartet. Sie könnten den geliebten Brüsseler Moloch ebenso schwächen wie die Bemühungen um einen Austritt Großbritanniens aus der EU. (Dessen Protagonisten kommen im deutschen Staats-TV ebenfalls durchweg schlecht weg.)

In dieser Gemengelage sind die Unruhen in Kiew ein Gottesgeschenk. Damit können die EU-Propagandisten ihr einheimisches Publikum einlullen: Wenn die heldenhaften Ukrainer so beherzt darum kämpfen, wenigstens im Status einer Kolonie an die EU angeschlossen zu werden, dann dürft ihr undankbaren EU-Vollbürger die Union nicht schädigen, indem ihr euer Kreuz an der falschen Stelle macht. Seid lieber froh darüber, daß es Brüssel mit seinen weisen Institutionen gibt. Ohne die EU und alles, was sie getan hat und weiter tut, ginge es euch viel, viel schlechter.

PS: Im übrigen sei auf die hervorragenden Beiträge des Chartophylakeion-Blogs zum Thema verwiesen.

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Freitag, 18. Oktober 2013

Leipzig 1813-1913-2013


Im Oktober diesen Jahres jährt sich die Völkerschlacht bei Leipzig zum zweihundertsten Mal. Aus diesem Anlaß finden in der Messestadt dieser Tage zahlreiche Veranstaltungen statt. Unbestrittener Höhepunkt ist die Rekonstruktion der Schlacht, die am kommenden Sonntag, dem 20. Oktober, ab 12 Uhr in Markleeberg aufgeführt wird. Tausende Reenactors und Touristen aus ganz Europa sind bereits in der Stadt.

Der gestrige Donnerstag stand ganz im Zeichen des Gedenkens an die rußländischen Teilnehmer der Schlacht vor 200 Jahren. Zudem wurde vor 100 Jahren in Leipzig die St. Alexij-Gedächtniskirche eingeweiht. Somit gab es bereits zwei erinnerungswürde Anlässe.

Die russisch-orthodoxe Kirchengemeinde hatte am Morgen zu einem Festgottesdienst eingeladen, an den sich eine kleine Prozession um die eingerüstete Kirche anschloß. Dabei wurde insbesondere der Gefallenen gedacht. Danach wurde ein Gedenkstein für drei rußländische Diplomaten eingeweiht, die in Leipzig als Konsuln gewirkt haben und in der Stadt verstorben und begraben sind. Anschließend wurden Blumen und Kränze an den Gräbern und Gedenksteinenen auf dem Kirchengrundstück niedergelegt.

Dabei waren auch hochrangige Gäste zugegen, etwa der Botschafter der RF in Berlin, der Leipziger Oberbürgermeister sowie Vertreter der Moskauer Stadtregierung, die die derzeitige Sanierung des Kirchengebäudes maßgeblich mitfinanziert.
Bemerkenswert war die Ansprache des Oberbürgermeisters Jung (SPD). Während es manche Bundespolitiker wohl kaum abwarten können, Rußland wieder den Krieg zu erklären, betonte er, in Anbetracht der Schrecknisse, die seine Stadt vor zwei Jahrhunderten erleben mußte, sei der Friede in Europa ein wertvolles Geschenk.
Russische Redner betonten die Freundschaft zwischen Deutschland und Rußland, die sich insbesondere in der Waffenbrüderschaft der Jahre 1813/15 zeige. Zudem hätten sich die drei geehrten Diplomaten besonders um den Ausbau der Beziehungen zwischen Sachsen und Rußland verdient gemacht.

Nachfolgend eine kleine Fotoreportage von den Feierlichkeiten:


Mehre hundert Menschen hatten sich am Donnerstag zum Festgottesdienst versammelt.

 

Auch die Bundeswehr war präsent.


Kränze für die Gefallenen auf dem Feld vor der Kirche.

Auf der Rückseite der Alexij-Gedächtniskirche.

Dem OB wird eine Dreifaltigkeitsikone überreicht.

Der OB während seiner Rede.

Das Grab von A. v. Jurgenew, einem 1813 gefallenen Oberstleutnant.

Das Grab von A. v. Jurgenew, einem 1813 gefallenen Oberstleutnant.

Der Gedenkstein für die drei Konsuln kurz vor seiner Enthüllung. Im Vordergrund links der Künstler.

Der neue Gedenkstein.

"Zu Ehren der Diplomaten des Russischen Reiches F. Saposhnikow 1748-1789, J. von Schwarz 1749-1818, E. Tom Have 1806-1877, die im Dienst des Vaterlands standen und ihre ewige Ruhe in Leipzig fanden."


Kosaken aus Jekaterinburg assistieren bei der Liturgie.





Orenburger Kosaken.

Diese Kosaken werden am Sonntag am großen Reenactment teilnehmen.

Der Kirchenchor.


Baschkirische Reenactors an ihrem Gedenkstein vor der Alexij-Kirche.



"Völkerschlacht 1813. Zum Gedenken an das baschkirische Volk, dessen Söhne im Heer der russischen Armee dienten" (errichtet 2003).

Gebet der Baschkiren.

Ein Reenactor in einer russischen Diplomatenuniform gibt ein Fernsehinterview.

Polizeischutz.