Mittwoch, 23. Mai 2007

Sind die Abrüstungsverträge noch zu retten?

Der Spiegel berichtete gestern in aufgeregtem Ton aus Baku:
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Russland hat im Streit mit der Nato noch einmal den Ton verschärft: Nachdem Präsident Putin zuletzt verkündet hatte, den KSE-Abrüstungsvertrag vorübergehend auszusetzen, droht Moskau nun mit der völligen Aufkündigung des Abkommens.

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Wer die Auseinandersetzung um den AKSE-Vertrag (siehe hier, hier und hier) während der letzten Wochen verfolgt hat, für den sind die Einlassungen des Außenministers Lawrow in der Sache nicht neu, denn bereits früher war als logische Folge des Moratoriums - sollten neue Verhandlungen nicht zur allseitigen Befriedigung verlaufen - die Kündigung des Vertrages genannt worden. Insofern waren die Worte Lawrows in Baku weder neu noch aufregend:
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Der Minister verwies auf den von Präsident Wladimir Putin vor kurzem unterbreiteten Vorschlag, Russland sollte die Umsetzung seiner Vertragsverpflichtungen aussetzen, bis alle Nato-Länder das Abkommen über den angepassten Vertrag ratifiziert haben. Derzeit sei eine "nicht normale Situation" um den KSE-Vertrag entstanden, "mit der wir uns nicht mehr abfinden wollen", so Lawrow.

"Unsere Partner aus den Nato-Staaten verweigern wohl aus Prinzip schon seit acht Jahren die Ratifizierung des Abkommens über die Adaptierung des Vertrags. Das Problem der Ratifizierung wurde zu einem Mittel des politischen Drucks auf Russland bei anderen Fragen und zu einem Mittel zur Sicherung einseitiger militärpolitischer Vorteile. Wir haben unsere Partner mehrmals darauf aufmerksam gemacht, sie wollten uns aber nicht zuhören", sagte der Minister. Russland sei bereit, substantielle Konsultationen im Russland-Nato-Rat und anschließend auch im Rahmen der vom Vertrag vorgesehenen Verfahren zu führen.

"Sollte das Gespräch nicht zu radikalen Änderungen führen und sollten sich unsere Partner weiterhin weigern, den Vertrag zu ratifizieren, wird unser Ausstieg aus dem KSE-Vertrag aktuell. Ich denke nicht, dass dadurch ein Schaden für die europäische Sicherheit entstehen würde. Russland würde in jedem Fall einen Weg finden, um das militärpolitische Gleichgewicht auf dem Kontinent zu sichern.""
Es liegt mithin weder eine neue Drohung noch eine Verschärfung des Tons vor. Aber vielleicht braucht man derzeit in Deutschland solche Schlagzeilen ...

Offenbar bemühen sich auch die USA um die Rettung des AKSE-Vertrages. So hat Außenministerin Rice am 20. Mai eine Sonderkonferenz dazu angekündigt:
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"Wir sind ebenfalls der Ansicht, dass alle Fragen, die Russland heute hat, erörtert werden müssen", sagte Rice.
"Dieser Vertrag hat einen bestimmten Rahmen festgelegt, während wir heute in einer völlig anderen Welt leben, die sich von der im Jahr 1991 unterscheidet", als der Vertrag geschlossen wurde.

[...]"
Noch ist auf diesem Feld also nichts verloren. Wie sieht es aber mit den anderen Abrüstungsverträgen aus, nachdem der ABM-Vertrag bereits erledigt und der AKSE-Vertrag infragegestellt worden ist? Gerhard Mangott geht in einem interessanten Text der Zukunft des INF-Vertrages (über Kurz- und Mittelstreckenraketen) und des START I-Vertrages (über Interkontinentalraketen) nach und erweitert so unser Blickfeld. Er sieht durchaus ernste Zeiten auf Europa zukommen. Sein Resümee:
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Verlierer dieser strategischen Kalküle der USA und Russlands, sind die europäischen Staaten. Diese Staaten gegen die Rüstungspläne der USA zu mobilisieren – und zumindest das deutsche Außenministerium hat damit bereits begonnen – ist auch das kurzfristige Ziel dieser russländischen Drohungen. Gelingt diese Strategie nicht, werden wir in einigen Jahren vermutlich eine massive russländische Aufrüstung im Bereich der Mittel- und Kurzstreckenraketen und eine neue Bedrohungslage Europas zur Kenntnis nehmen müssen. Das wieder ist den USA nicht unrecht, denn dadurch sind die EU-Staaten wieder auf den nuklearen Schutzschirm der USA angewiesen und die USA für die kommenden Jahrzehnte der militärisch ausschlaggebende Faktor für die Verteidigung Europas. Die Perspektiven einer eigenständigen EU-Verteidigung wären damit für lange Zeit nichtig."
Zum Thema sei ferner Mangotts Artikel zum russischen Atomwaffenarsenal empfohlen. Vor allem dann, wenn (wie in den letzten Tagen erneut zu hören) behauptet wird, Rußland würde über "mehrere tausend Interkontinentalraketen" verfügen. (Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als würden bezüglich Rußlands in den deutschen Medien Fakten primär als störend empfunden.)

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Selbstverständlich sind die Abrüstungsverträge noch zu retten, allerdings nur, wenn alle Beteiligten es wollen. Und insbesondere die EU-Mitgliedsstaaten haben ein erhebliches Eigeninteresse daran, daß dieses Unterfangen auch gelingt. Anderenfalls würde es wahrscheinlich (auch?) im sicherheitspolitischen Bereich zu einer Neuauflage des Kalten Krieges - wenn auch in abgeschwächter Form - kommen und die EU wäre endgültig auf den Status einer besseren Freihandelszone reduziert. Dieser Komplex ist auch ein hervorragendes Exempel für die Begrenztheit der so viel beschworenen Interessenidentität zwischen Europäern und Amerikanern.

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