Donnerstag, 31. Mai 2007

Ein politischer Amokläufer

Im Zuge des EU-Rußland-Gipfels in Samara konnte sich Garri Kasparow (zuletzt hervorgetreten durch die "Märsche der Unzufriedenen", siehe hier und hier) wieder einmal, auch in deutschen Medien, als zum Oppositionsführer des "Anderen Rußland" gewordenenes "Schachgenie" profilieren. Doch der so vermittelte Eindruck täuscht. Mit seinen speziell auf das Ausland gerichteten PR-Maßnahmen erweckt Kasparow den Eindruck politischer Kompetenz, die in Wirklichkeit nicht vorhanden ist. Wer seine zahlreichen Statements in der FAZ, der Welt oder dem Wall Street Journal liest, wird bemerken, wie oberflächlich seine politischen Ideen sind (von einem 'Programm' wagt man sich kaum zu reden). Kasparow bleibt in der bloßen Ablehnung Putins befangen, wobei etwa seine Kritik an vermeintlichen wirtschaftlichen Fehlentwicklungen nur ausgesprochen, aber nicht mit Zahlen substantiiert wird. Er wiederholt immer dieselben Schlagworte, ohne seine Thesen zu belegen oder ins Detail zu gehen. Eine positive Perspektive, die über den Anti-Putin-Affekt hinausgeht, wird von ihm nicht vermittelt.

Kasparow zeigt diese Oberflächlichkeit und fehlende Analyse von Problemen, verbunden mit unealistischen Maximalforderungen, aber nicht nur in der russischen Innenpolitik, sondern auch in der amerikanischen Außenpolitik (ja, auch darüber darf er im WSJ, für das er regelmäßig Beiträge liefert, schreiben). Als Beispiel dafür mag dieser Kommentar gelten:
"THE NEXT BATTLE

The War Is Not Yet Won Take the offensive against Baghdad - and Damascus, Tehran and Riyadh.

[...]

On Dec. 6, 1941, World War II was already in full swing. As with the Japanese airstrikes on Pearl Harbor, the Sept. 11 attack brought Americans into a pitched battle over the future of Western civilization--one that the U.S. had ignored for too long.
As in World War II, the war waged by terrorists began with attacks on Jews. Any attempt to separate the Israeli-Palestinian conflict from the war on terror is futile. Once again momentum is building toward a Middle East peace push, but I'm convinced it is hopeless to look for a separate solution to the Middle East crisis before we achieve victory in the war on terror.

As in the 1930s, every delay in prosecuting this war will raise the price of victory, not just in terms of lives lost in the Palestinian conflict, but also of Westerners who will be targeted. Conventional wisdom says that victory against terrorists will require decades. I don't believe it will take anywhere near that long.

[...]"
Dieser im Jahre 2002 verfaßte Text zeigt viel von Kasparows Denken: Der Aufruf zum Kampf nicht nur gegen den Irak, sondern auch gegen den Iran und Syrien (obwohl die USA heute nicht einmal in Mesopotamien Ordnung schaffen können), der Glaube an die 'welterlösende' Kraft der USA, die die letzte Hoffnung Europas seien, drittens der Ersatz konkreten politischen Handelns durch einen 'Kreuzzug'. Auch seine Reduzierung des Nahostkonfliktes auf Angriffe gegen Juden wird der komplexen Situation dort kaum gerecht. Man sieht förmlich den Schaum vor Kasparows Mund, als er diesen Kommentar niedergeschrieben hat. Bei ihm tritt der Insult an die Stelle des Arguments. Diese Einsicht läßt sich auch modester formulieren:
"[...]

No, Mr. Kasparov doesn't need "more money": he's a wealthy person, having profitably played chess until younger competitors pushed him out of the game. Now, living in a bubble and increasingly resembling mad (and maddening) Vladimir Lenin in his last years of the European exile, Kasparov has made his personal hatred for Putin political philosophy.
What can he offer to the thousands of people who happened to stroll down the Nevsky Prospect last Saturday? "Russia without Putin?", as one of the banners over the protest crowd demanded? And then what?

Mr. Kasparov will soon be heading for New York City: to see his wife and newly-born baby who permanently live there, to write editorials for WSJ, and to plan, surely, new "protest actions." If anything bothers him, it's not "raising prices" in St. Petersburg."
Nicht nur in seinem Stil, auch inhaltlich liegt Kasparow auf einer Linie mit den ameriknischen Neocons. Daher verwundert es nicht, daß er auch in ihren Institutionen tätig ist. Allerdings muß er aufpassen, dadurch nicht zu stark als "fünfte Kolonne Washingtons" wahrgenommen zu werden, denn dies könnte seine ohnehin nicht große Bedeutung in der russischen Politik weiter reduzieren. Im Gegensatz zu Deutschland steht Patriotismus in Rußland hoch im Kurs. (In diesem Zusammenhang könnte man auch danach fragen, was den armenischen Juden, der jetzt in den USA lebt, zu seinem Engagement in Rußland treibt. Allein hehre Ideale?)

Die Finanzierung von Kasparows Aktivitäten übernimmt nicht nur der amerikanische Steuerzahler, sondern, wie jüngst bestätigt wurde, auch der Möchtergernrevoluzzer Boris Beresowski:
"[...]

Exiled Russian oligarch Boris Berezovsky claimed yesterday that he was funding one of the most outspoken opposition groups to President Vladimir Putin, almost certainly increasing strains between the UK and Moscow, report Jimmy Burns in London and Neil Buckley in Moscow.
The London-based billionaire told the FT that he was helping finance the Other Russian Coalition, as he launched his latest attack on Mr Putin and the alleged involvement of the Russian state in the murder in London of Alexander Litvinenko.

[...]"
Da Kasparow als Person mittlerweile scheinbar selbst deutschen Journalisten suspekt ist, wird stattdessen etwa Michael Kasjanow im Focus interviewt. Dort darf er, ganz im Sinne der Mehrheitsmedien, die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Rußland und der EU exklusiv der russischen Innenpolitik anlasten und ihrer Versündigung an den "gemeinsamen Werten":
"[...]

Statt die Partnerschaft zu vertiefen wie früher, haben wir heute eine Krise an allen Fronten. Schuld ist die falsche Innenpolitik in Russland. Moskau führt die gemeinsamen Werte, die Russland und die EU verbinden, ad absurdum.

[...]"
Wie ein treuer Hund, der weiß, was sein Herrchen - in diesem Fall Boris Reitschuster - von ihm erwartet, beschuldigt Kasjanow ferner die russische Führung, den "Westen" als Feind hinzustellen. Daß in ebendiesem Westen seit Jahren ein antirussischer, nur mühsam als Putin-Kritik kaschierter Mainstream herrscht, wird dabei wohlweislich verschwiegen. Hier zeigt sich wieder ein alter Affekt: Die Russen haben zu tun, was ihnen die Europäer sagen und nur dann werden sie als 'zivilisierte Menschen' akzeptiert. Wenn nicht, droht ein neuer Kalter Krieg. Kasparow & Co. könnten in der Tat Gewähr dafür bieten, daß auch die russische Politik künftig wieder verstärkt (wie bereits in den 1990er Jahren) ausländischen Einflußnahmen zugänglich ist.

Allerdings darf die überzogene Aufmerksamkeit, welche diese Leute hierzulande erfahren, nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihre Aussichten auf Wahlerfolge gering sind. Schon beginnt das alte Leiden der russischen Liberalen (die ja teilweise mit Kasparow sympathisieren) erneut: die Fraktionierung der ohnehin einflußarmen politischen Bewegung. Vor zwei Tagen hat Wladimir Bukowski, der ebenfalls zu Kasparows Bewegung zählt, seine Kandidatur für die Präsidentenwahlen 2008 bekanntgegeben. Damit will neben Kasjanow ein zweiter Bewerber aus Kasparows Umfeld demnächst russischer Präsident werden! Kann der vielglobte Schachweltmeister nicht einmal in seinem eigenen Beritt für Ordnung und eine Bündelung der Kräfte sorgen? Was wird erst werden, falls diese Leute einmal über reale Macht verfügen?

Spätestens dieses Aufstellen zweier Präsidentschaftskandidaten sollte - wie bereits die Heterogenität des Bündnisses "Das andere Rußland" - ausländischen Beobachtern die Augen für die Politikunfähigkeit von Kasparow öffnen. Mehr als Destruktion ist von ihm nicht zu erwarten.
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Foto: Nowaja Gaseta

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