Gestern fand im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur zu Berlin der 2. Energiedialog Europäische Union - Rußland über den Erdgasaspekt statt. Obwohl sich die ursprünglich hochkarätig besetzte Referentenliste kurzfristig dezimiert hatte - so hat etwa Viktor Wekselberg abgesagt - wurden interessante Vorträge und spannende Diskussionen geboten. Die gemeinsam von Eurogas und der Russischen Erdgasgesellschaft organisierte Veranstaltung war auf jeden Fall eine hervorragende Gelegenheit, um sich aus erster Hand über das seit anderthalb Jahren intensiv diskutierte Thema der Energiesicherheit zu informieren.
Zu Beginn richtete Wladimir Kotenjew, Botschafter der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland, ein Grußwort an die Teilnehmer. Darin stellte er fest, daß in Deutschland mittlerweile die Diskussion über dieses Thema sehr schwierig geworden sei. Sowohl bei der Ostseepipeline Nord Stream als auch der soeben geplanten Pipeline via Turkmenistan und Kasachstan neigten die deutschen Medien zu einer negativen Darstellung und zur Panikmache. Ferner verwies Kotenjew auf das russische Interesse an ausländischen Investitionen im Energiesektor. Desweiteren hat er der Idee einer "Internationalisierung" von Rohstoffen gleich welcher Art eine Absage erteilt.
In der späteren Diskussion entgegnete Kotenjew auf den Einwand von Pawel Konzal (Vertreter der polnischen Öl- und Gasgesellschaft), im Vergleich zur Ostseepipeline wäre eine Pipeline durch das Baltikum und Polen vorzugswürdig, daß die polnische Position in den vergangenen Monaten alles andere als kohärent gewesen sei. Einmal wurde das russische Einfuhrverbot für polnische Fleischprodukte mit Nord Stream in Verbindung gebracht, ein anderes Mal wieder nicht. Außerdem habe Polen kein Veto gegen ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen der EU mit der Ukraine eingelegt (wohl aber im Falle Rußlands), obwohl dort ein ähnliches Einfuhrverbot in Kraft gewesen sei.
Danach trug Walerij Jasew, Duma-Abgeordneter und Vorsitzender der Russischen Erdgasgesellschaft, über die die Partnerschaft zwischen Rußland und der EU im Interesse der globalen Energiesicherheit vor. Zu Beginn rekurrierte er auf die vom G 8-Gipfel 2006 angenommene Definition von Energiesicherheit, und konstatierte sodann die wechselseitige Abhängigkeit von Gaslieferanten und -verbrauchern. Ferner belegt seiner Auffassung nach die Weiterentwicklung der Gasprojekte, insbesondere der Bau neuer Pipelines in die EU, das starke Interesse Rußlands an einer engen Kooperation. Insofern führt auch die Ostseepipeline zu einer Diversifizierung der Transportwege und damit zum Ausschalten von Transportrisiken. Überdies plädierte Jasew - der russischen Regierung folgend - für eine Überarbeitung der Energiecharta und bekräftigte ebenfalls das Interesse am gegenseitigen Austausch von Investitionen im Gassektor zwischen der EU und Rußland, wodurch er sich eine Neubelebung der strategischen Partnerschaft zwischen beiden Partnern erhofft.
Der dritte Referent war Jean-Marie Devos, Generalsekretär des Unternehmensverbandes Eurogas, der eingangs feststellte, daß sich das im Augenblick schlechte politische Klima bisher nicht auf die geschäftliche Zusammenarbeit auswirke. Im Jahr 2006 sei in der EU der Gasverbrauch gesunken; wobei 38 % des benötigten Erdgases in der EU selbst gefördert werden, 24 % stammen aus Rußland, 17 % aus Norwegen und 10 % aus Algerien (der Rest verteilt sich auf verschiedene andere Staaten). Danach erläuterte er die Position seines Verbandes zur Strategic Energy Survey der EU-Kommission und regte das Nachdenken über die Verwendung von Bio-Methan an. Schließlich erinnerte Devos daran, daß das Vertrauen in den Energieträger Erdgas stark von psychologischen Einstellungen sowie entsprechender Pro- oder Contra-PR abhängig sei.
In der anschließenden Diskussion kam er noch auf das Problem der politischen Instabilität in Transitstaaten zu sprechen, das freilich eher eine Frage der Betrachtungsweise als der realen Auswirkungen sei. Trotzdem empfahl er langfristige Verträge als einen stabilen Rahmen.
Darauf folgte der Vortrag von Natalia Komarowa, ihres Zeichens Vorsitzende des Dumaauschusses für Naturressourcen und Naturnutzung, über das Ressourcenpotential des Energiedialogs. Zunächst widersprach sie der These vom "Energiebetrug", denn auch bei anderen Produkten werde nicht von Erpressung gesprochen und außerdem seien Gasvorräte - wie alle Bodenschätze - aus geologischen Gründen naturgemäß ungleich verteilt. Dies könne nicht als Bedrohung hingenommen werden. Zugleich fragte sie, worin der wirtschaftliche Sinn einer künstlichen Senkung des Anteils russischen Gases bestehe. Weiters verwies auch Frau Komarowa auf den großen Investitionsbedarf in der russischen Gasindustrie. In der Diskussion erläuterte sie den derzeit im russischen Parlament diskutierten Gesetzentwurf über Pipelines und begründete die rechtlichen Beschränkungen für ausländische Beteiligungen an russischen Erdgasunternehmen mit der Souveränität Rußlands und der Verantwortung des Staates für die Bodenschätze.
Zu Beginn des zweiten Panels referierte (anstelle des verhinderten Alexander Medwedew) Sergej Tschelpanow als Vertreter von Gaspromexport. Er legte die Exportstrategien von Gasprom dar. Auf dem deutschen Markt sind nunmehr angepaßte Langfristverträge in Kraft, die wie z.B. beim Vertrag von E.ON/Ruhrgas eine Laufzeit bis 2035 haben.
Danach folgten weitere Vertreter der Gaswirtschaft, Domenico Dispenza (ENI) und Edouard Sauvage (Gaz de France), die ihre Unternehmen vorstellten.
Uwe Fipp von E.ON Ruhrgas (die übrigens einen Anteil von 6,42 % an Gasprom hält) definierte in seinem Vortrag zunächst drei Arten von Versorgungssicherheit: kommerzielle, physische und politische. Bei den schon erwähnten langfristigen Verträgen komme es idealiter zu einer Teilung des Risikos zwischen Lieferanten und Importeuren, wobei sich in der EU dieses Verhältnis aufgrund der Überregulierung ein wenig zugunsten der Lieferanten verschoben habe. Er betonte ferner, daß die Gaslieferungsverträge zwischen Unternehmen, nicht zwischen Staaten abgeschlossen werden.
Den dritten Tagungsteil begann Toni Phillipp von der Verbundnetz Gas AG. Seit 1990 ist Gasprom hier Anteilseigner und diese Branchenpartnerschaft hat sich nach Auffassung der VNG bewährt. Auch die VNG bezieht ihr russisches Erdgas unter einem bis zum Jahr 2030 geltenden Vertrag.
Phillipp hat auch einen in Deutschland nur wenig bekannten Aspekt beleuchtet: Gasprom speichert hier in Untergrundspeichern eigenes Gas, um es im Falle eines Pipelineausfalls ihren Abnehmern zur Verfügung stellen zu können. Bei der Gasprom-Tochter Wingas sind dies ca. 4,2 Milliarden Kubikmeter und in den Speichern der VNG weitere 200 Millionen Kubikmeter Erdgas.
Sodann referierte Oleg Rumjantsew als Vertreter der TNK-BP über die Rolle der unabhängigen Gasförderer in Rußland. Sie fördern ca. 16 % des russischen Erdgases, engagieren sich aber auch darüber hinaus, etwa bei der Verwertung des Begleitgases der Ölförderung, der Kooperation mit dem Stromversorgungsunternehmen EES oder regionalen Entwicklungsprojekten (z.B. das Kovykta Regional Project in der Baikal-Region). Rumjantsews Meinung nach erhöht die Zusammenarbeit der Unabhängigen mit Gasprom das Ansehen Rußlands und führt überdies auch zu mehr Effizienz bei der Erschließung neuer Lagerstätten. Er hat weiter auf jüngste Änderungen im russischen Recht aufmerksam gemacht, die sowohl die Gesetze über den Gasexport als auch das Wettbewerbsrecht betreffen. Sonach soll Gasprom (als Exportmonopolist) das Gas der Unabhängigen entweder ab Bohrstock kaufen oder aber auf Grundlage von "Agency-Verträgen" ins Ausland liefern.
Den wohl spannendsten Vortrag hat Noe van Hulst, Direktor der Internationalen Energieagentur, gehalten. Er stellte einige Kernpunkte des neuen Gasberichtes seiner Agentur vor. Demnach wird der Aufstieg von verflüssigtem Erdgas (LNG) bis 2015 für eine Verflechtung der heute noch regionalen, da pipelinegebundenen Gasmärkte sorgen. Allerdings wird sich die Abhängigkeit Europas von Importen weiter erhöhen. Weltweit steigen die Risiken aufgrund des Mangels an Investitionen, sowohl im Upstream- als auch im Downstream-Bereich. Speziell in Rußland könnten mittelfristig Ausfälle drohen, sollten im Upstream-Bereich nicht Investitionen in Höhe von 10 Mrd. US-Dollar pro Jahr getätigt werden. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen steigt der Gasbedarf der OECD-Staaten weiter an: "Politiker reden viel über Windkraft, Atomkraft und Kohle", gebaut aber werden weiter überwiegend Gaskraftwerke.
Auch van Hulst hat sich mit dem Begriff der Gassicherheit auseinandergesetzt. Kurzfristig steigt das Risiko von Lieferausfällen aufgrund von Naturkatastrophen, Havarien oder Konflikten. Ferner ist auch der Zusammenhang zwischen Gasverbrauch und Stromerzeugung stärker zu berücksichtigen, die in Zukunft auch im Sommer zu Verbrauchsspitzen führen könne. Daher bedarf es intensiver Notfallplanungen. Hingegen könne langfristige Gassicherheit vor allem durch Investitionen und Diversifizierung - sowohl auf Produzenten- als auch auf Konsumentenseite - gewährleistet werden.
Da Europa mittelfristig kein isolierter Markt mehr sein werde, plädiert van Hulst für eine EU-weite konsistente Regulierung der Gaswirtschaft. Weltweit jedoch braucht es hier mehr Transparenz.
Die Generaldirektion Energie und Transport der EU-Kommission wurde durch Matthias Ruete vertreten. Er betonte zunächst, daß Rußland seit Jahrzehnten ein zuverlässiger Gaslieferant der EU ist und erinnerte angesichts der aktuellen Diskussionen daran, daß es offenkundig unterschiedliche Ansätze in der Industrie und in der Politik gebe. Von Rußland forderte er mehr Transparenz, um Mißtrauen zu vermeiden. Die EU glaube außerdem weiter an die Energiecharta, sei sich aber der russischen Vorbehalte dagegen bewußt. Mit implizitem Bezug auf die osteuropäischen Staaten meinte Ruete weiter, sobald das Erdgas in der EU angekommen sei, befinde es sich in einem einheitlichen Raum, in dem man sich gegenseitig helfe. Daher könne man in der EU nicht mehr von Transitstaaten sprechen. Allgemeiner war seine Forderung nach der Abschaffung der Ölpreisbindung beim Erdgas, da sich dieses Instrument überlebt habe. Desweiteren legte er, vor allem aus Gründen des Umweltschutzes, viel Wert auf die Steigerung der Energieeffizienz.
Den Abschluß machte Alexander Borisow in seiner Eigenschaft als Vertreter des Europarates, der sich vor allem der Rolle der Medien bei der Vermittlung von Krisensituationen ("Gas-Erpressung") konzentrierte. Während zu Zeiten des Kalten Krieges der jeweilige politische Wille entscheidend gewesen sei, herrsche heute die Konkurrenz auf dem Energiemarkt. Es könne also keine Intrigen in Moskau oder Brüssel geben. Allerdings könnten Ressourcenkonflikte zu einem politischen Bruch führen, der besonders für Rußland gefährlich sei. Daher besäßen adäquate Informationen gerade in diesem Bereich besondere Relevanz.
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