Eine Spezialeinheit der ukrainischen Polizei in Kiew (Foto: AP).
Am Wochenende ist die Ukraine nur knapp einem ausgewachsenen Bürgerkrieg entgangen. Am Samstag hatte sich die Lage zugespitzt, nachdem es zu Truppenbewegungen in Kiew gekommen war. Schon am Donnerstag hatten Polizeikräfte die Generalstaatsanwaltschaft besetzt, deren Leiter Präsident Juschtschenko kurz zuvor abgesetzt hatte, wobei es erstmals zu Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Sicherheitskräften gekommen war. Für kurze Zeit schien alles auf eine gewalttätige Eskalation hinauszulaufen: Teile der Truppen des Innenministeriums, der Armee und des Nachrichtendienstes für Juschtschenko, andere Polizeikräfte für Janukowitsch. Auch Blogger haben darüber live berichtet (siehe hier und hier).
Doch am Sonntag kam dann die - vorläufig - erlösende Nachricht: Beide Kontrahenten haben sich auf einen Termin für die Neuwahlen des aufgelösten Parlaments, den 30. September, geeinigt und hätten damit die Staatskrise beigelegt:
Doch am Sonntag kam dann die - vorläufig - erlösende Nachricht: Beide Kontrahenten haben sich auf einen Termin für die Neuwahlen des aufgelösten Parlaments, den 30. September, geeinigt und hätten damit die Staatskrise beigelegt:
"[...]
Juschtschenko und Janukowitsch hatten sieben Stunden lang verhandelt, bevor sie vor die Presse traten. «Es ist eine Entscheidung erreicht worden, die einen Kompromiss darstellt», sagte Juschtschenko nach einer mehr als achtstündigen Sitzung. «Jetzt können wir sagen, die politische Krise in der Ukraine ist vorbei.» Janukowitsch erklärte, beide seien sich darin einig, dass das Land nicht in Gewalt abgleiten dürfe und eine solche politische Krise in Zukunft vermieden werden müsse. «Wir werden alles tun, damit sich dies nicht mehr wiederholt», sagte der Regierungschef.
[...]
Damit die Neuwahl tatsächlich stattfinden kann, muss das Parlament - in dem Janukowitschs Koalition die Mehrheit hat - der Einigung zustimmen. Dazu muss aber erst der Staatschef seinen eigenen Erlass von Anfang April vorübergehend rückgängig machen, in dem er das Parlament aufgelöst hatte. Die Abgeordneten sollen am Dienstag und Mittwoch abstimmen.
[...]"
Im letzten Absatz wird schon angedeutet, weshalb man zum jetzigen Zeitpunkt wohl nur von einer scheinbaren Lösung der Staatskrise sprechen kann, denn selbst wenn sich die Kontrahenten bezüglich des Wahltermins einig sind, so scheint nach wie vor offen, wie der ukrainische Staat bis dahin funktionieren soll: Der Präsident muß seine Auflösung des Parlaments zurücknehmen, wenn er nicht bis dahin Gesetzgebung per Präsidialdekret betreiben will. Fraglich ist auch, wie es in der Justiz (Verfassungsgericht und Generalstaatsanwaltschaft) weitergeht - hält Juschtschenko an seinen zweifelhaften Personalentscheidungen fest? Wer kontrolliert ab sofort die Sicherheitskräfte? Sollte nicht für alle diese zentralen Fragen eine von beiden Seiten akzeptierte Lösung gefunden werden, besteht die Gefahr, daß der offene Konflikt bei dem kleinsten Anlaß wieder ausbricht. Ein Vierteljahr kann lang sein.
Was bleibt nun aus deutscher Sicht festzuhalten? Juschtschenkos Lack als 'Westler', auf den so viele Wert gelegt haben, ist endgültig ab. Er hat in den vergangenen Wochen aus purer Machtbesssenheit nahezu alle Staatsorgane beschädigt: das Parlament wurde aufgelöst, die Justiz erheblich eingeschüchtert und , Gerüchten zufolge, Vorbereitungen für die Einsetzung einer Parallelregierung getroffen. Es ist schon bezeichnend, wenn in der EU, wo man sonst auf jede Verletzung "westlicher Werte" empfindlich reagiert, das Eingreifen des Präsidenten in die Arbeit des Verfassungsgerichts mitten in einem laufenden Verfahren kaum Kritik gefunden hat. Das gleiche gilt für die Entlassung des Generalstaatsanwalts oder Juschtschenkos Vorbereitungen einer militärischen Lösung des Konflikts. In einer Gesamtschau kann man sein Verhalten schwerlich anders charakterisieren denn als "Putschversuch" zur Ausschaltung aller anderen Staatsorgane. Und es scheint noch nicht ausgemacht, ob und wann sich die Institutionen des ukrainischen Staates von den Schlägen dieser Krise wieder erholen werden.
Präsident Juschtschenko hat die Ukraine in eine Situation geführt, die in der Tat an die in Rußland anno 1993 sowie an lateinamerikanische Bananenrepubliken erinnert. Damit dürften auch alle hochfliegenden Pläne für eine Aufnahme des Landes in NATO und EU dahin sein. Das Drängen, der Ukraine eine Entwicklung aufzuzwingen, die nicht von der Mehrheit des ukrainischen Volkes gewünscht wird, hat auch die europäische Politik in eine Sackgasse geführt. Sie sollte unbedingt die Hinweise beherzigen, die Nikolas Gvosdev für die amerikanische Politik gegeben hat. Die darin angeratene Offenheit für autochthone Entwicklungen geht weit über die heuer gezeigte Neutralität des Augenblicks hinaus.
Es wäre in diesem Zusammenhang auch interessant zu erfahren, welche Rolle die Botschafter der EU-Staaten und der USA im jüngsten Kompromiß gespielt haben.
Was bleibt nun aus deutscher Sicht festzuhalten? Juschtschenkos Lack als 'Westler', auf den so viele Wert gelegt haben, ist endgültig ab. Er hat in den vergangenen Wochen aus purer Machtbesssenheit nahezu alle Staatsorgane beschädigt: das Parlament wurde aufgelöst, die Justiz erheblich eingeschüchtert und , Gerüchten zufolge, Vorbereitungen für die Einsetzung einer Parallelregierung getroffen. Es ist schon bezeichnend, wenn in der EU, wo man sonst auf jede Verletzung "westlicher Werte" empfindlich reagiert, das Eingreifen des Präsidenten in die Arbeit des Verfassungsgerichts mitten in einem laufenden Verfahren kaum Kritik gefunden hat. Das gleiche gilt für die Entlassung des Generalstaatsanwalts oder Juschtschenkos Vorbereitungen einer militärischen Lösung des Konflikts. In einer Gesamtschau kann man sein Verhalten schwerlich anders charakterisieren denn als "Putschversuch" zur Ausschaltung aller anderen Staatsorgane. Und es scheint noch nicht ausgemacht, ob und wann sich die Institutionen des ukrainischen Staates von den Schlägen dieser Krise wieder erholen werden.
Präsident Juschtschenko hat die Ukraine in eine Situation geführt, die in der Tat an die in Rußland anno 1993 sowie an lateinamerikanische Bananenrepubliken erinnert. Damit dürften auch alle hochfliegenden Pläne für eine Aufnahme des Landes in NATO und EU dahin sein. Das Drängen, der Ukraine eine Entwicklung aufzuzwingen, die nicht von der Mehrheit des ukrainischen Volkes gewünscht wird, hat auch die europäische Politik in eine Sackgasse geführt. Sie sollte unbedingt die Hinweise beherzigen, die Nikolas Gvosdev für die amerikanische Politik gegeben hat. Die darin angeratene Offenheit für autochthone Entwicklungen geht weit über die heuer gezeigte Neutralität des Augenblicks hinaus.
Es wäre in diesem Zusammenhang auch interessant zu erfahren, welche Rolle die Botschafter der EU-Staaten und der USA im jüngsten Kompromiß gespielt haben.
Schließlich hat diese Krise eines erneut gezeigt: In einer dramatisch zugespitzten Situation kommt es meist mehr auf die Legitimität als auf die Legalität einer Entscheidung an. Insofern hat sich die Ukraine wirklich in einer revolutionären Situation befunden.
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