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Samstag, 27. November 2010

Spetsnaz VIII: Geschichte der Marineinfanterie (1)


Am heutigen 27. November 2010 wird die rußländische Marine-Infanterie 305 Jahre alt. Dies ist Anlaß genug für eine nähere Behandlung dieser Waffengattung, obwohl es sich bei dieser Elitetruppe nicht um Spezialkräfte im engeren Sinne handelt. Ein weiterer Grund für die folgenden Beiträge liegt im Mangel an aktueller und sachkundiger Literatur zu diesem Thema, sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache. Zunächst wird in zwei Artikeln die Historie behandelt werden, danach wird es um die aktuelle Situation der Marineinfanterie (Abk.: MI) gehen.

Die Anfänge im 18. Jahrhundert

Am 27.11.1705 hat General-Admiral Graf Fjodor Golowin die Aufstellung eines 1200 Mann starken Seeregiments (russ.: Morskoj polk) in der Baltischen Flotte befohlen, nachdem Kaiser Peter I., der Schöpfer der russischen Flotte, dies angewiesen hatte. Damals tobte der Große nordische Krieg mit Schweden, der Vormacht des Ostseeraumes. Doch die Geschichte der russischen Marineinfanterie (russ.: Morskaja pechota) ist noch älter. Bereits 1696 waren während der Feldzüge zum Asowschen Meer zeitweise Kompanien aus Soldaten des Heeres gebildet worden, die für die Bemannung von Schiffen dienten. Dieses erste Seeregiment hatte unter dem Kommando des Admirals Franz Lefort (auch François Le Fort geschrieben) gestanden.


Die Garde-See-Equipage im 19. Jahrhundert, hier in ihrer Petersburger Kaserne.


Die 1705 gegründete Marineinfanterie wurde vor allem im Ostseeraum für amphibische und Boarding-Operationen verwendet (um zwei heute übliche Begriffe zu verwenden). Es gab ein Admirals-Bataillon, ein Vizeadmirals-Bataillon usw., die unterschiedliche Aufgaben in der Flotte und ihrer Schlachtordnung zu erfüllen hatten. Zum Ende des Großen nordischen Krieges umfaßte die Marineinfanterie etwa 20.000 Mann. Am 06.09.1761, während des Siebenjährigen Krieges, landeten Seesoldaten unter Admiral Spiridow nahe der preußischen Festung Kolberg, um eine Küstenbatterie auszuschalten.

Im Verlauf des 18. Jh. verlagerte sich der Einsatzschwerpunkt immer stärker nach Süden – ins Asowsche, Schwarze und Mittelmeer –, wo sich das Zarenreich im Dauerkonflikt mit dem Osmanischen Imperium befand. Zu nennen sind hier neben anderen Scharmützeln u.a. das Freikämpfen der Meerenge von Kertsch sowie das Erstürmen der Festung Ismail an der Donau (beide 1790) sowie die Teilnahme an der zeitweiligen Besetzung einiger griechischer Inseln sowie am Handelskrieg gegen die Türken im Mittelmeer (1770-1775). 1785 wurden in der Schwarzmeerflotte drei Seebataillone aufgestellt.



Nach der französischen Revolution

Die Revolutionskriege sahen Frankreich und Rußland als Gegner. Davon blieben Flotte und Marineinfanterie nicht unberührt. 1799 erstürmten russische Seesoldaten aus dem türkisch-russischen Geschwader des Admirals Fjodor Uschakow die französische Festung auf der Insel Korfu. Weitere Einsätze in Italien und auf dem Balkan folgten.

Der 16. Februar 1810 ist ein wichtiges Datum in der russischen Marinegeschichte, denn an diesem Tag wurde die Garde-See-Equipage gegründet. Damit hatte die Marine endlich ein Äquivalent zu den herausgeputzten Garderegimentern des Heeres. Die Equipage diente in der Umgebung der Zarenfamilie, stellte Besatzungen für deren Jachten usw. Zur Equipage gehörten auch ein Infanteriebataillon und eine Artillerieeinheit.

Dieses Bataillon bewährte sich ebenso wie andere Einheiten der Marineinfanterie und -artillerie in den Gefechten des Vaterländischen Krieges gegen die napoleonischen Truppen (1812/13). Insofern sind insbesondere die Schlacht von Borodino, aber auch die Gefechte bei Kulm und Danzig zu nennen. Wie später im Zweiten Weltkrieg wurden die Seesoldaten auch hier z.T. weitab der Küsten im Landesinneren eingesetzt.


Sowjetische Marineinfanterie während des 2. WK.


Die Marineinfanterie im 19. Jahrhundert

Das Jahr 1813 wurde zu einem bedeutenden Einschnitt für die russische Marineinfanterie: Die vier bestehenden Seeregimenter sowie das Kaspische Seebataillon wurden der Marine entzogen und in die Landstreitkräfte eingegliedert. Dem Namen nach blieben sie zwar Seesoldaten, doch wurden sie zunehmend wie normale Linieninfanterie verwendet und verloren somit ihre maritimen Besonderheiten. Nach der Heeresreform von 1833 verblieben davon sogar nur noch zwei Regimenter, das Sophien- und das Newskij-Seeregiment. (In den 1860er Jahren hat man die Bezeichnung „See-“ aus den Regimentsnamen gestrichen.) Die übrigen Truppenteile wurden in reguläre Infanterieregimenter integriert. Begründet wurden diese Schritte mit dem kontinentalen Charakter Rußlands, welcher eine starke Flotte überflüssig erscheinen ließ.

Auf den Kriegsschauplätzen des 19. Jh. waren die verbliebenen Seesoldaten jedoch immer anzutreffen und haben sich ausgezeichnet: In den Kriegen gegen Persien (1826-1828), gegen die Türkei und im Kaukasus. Dabei wurden auch Seelandungen durchgeführt. Während des Krimkrieges (1853-1856) haben sich die aus Matrosen, Unteroffizieren und Offizieren der Schwarzmeerflotte formierten Bataillone bei der landseitigen Verteidigung Sewastopols gegen die angreifenden britischen, französischen und türkischen Verbände hervorgetan. (Dies sollte sich am gleichen Ort knapp hundert Jahre später während des 2. WK wiederholen.) Auch an der Verteidigung von Port Arthur während des Russisch-japanischen Krieges (1904/05) haben Seeleute teilgenommen.



Erster Weltkrieg, Revolution und Zwischenkriegszeit

Erst im Jahre 1911 hat der Hauptstab der rußländischen Flotte wieder an die Aufstellung eigener Infanterieverbände, die der Sicherung der Marinebasen dienen sollten, gedacht. Gebildet wurden schließlich ein Regiment in der Baltischen Flotte und je ein Bataillon in der Schwarzmeer- und der Pazifikflotte.
Während des Ersten Weltkrieges nahmen Marineinfanterieeinheiten an der Ostsee an der Verteidigung von Häfen und Inseln teil und führten außerdem Seelandungen durch. In den Jahren 1916/17 sollten in der Baltischen und Schwarzmeerflotte zwei Marineinfanteriedivisionen formiert werden, doch dieses Projekt ist im Strudel der revolutionären Ereignisse untergegangen.

Die beiden Revolutionen von 1917 und der anschließende Bürgerkrieg sahen ein starkes Engagement der legendären „roten Matrosen“ auf seiten der Bolschewiki (man denke nur an die legendäre „Aurora“). Dennoch war es in der frühen Sowjetunion schlecht um die eigentliche Marineinfanterie bestellt. 1920 wurde am Asowschen Meer die 1. See-Expeditionsdivision gebildet, die während des Bürgerkrieges in Südrußland und dem Kaukasus gegen die Weißen kämpfte und auch Seelandungen durchführte.



Danach wurde es wieder still um die Marineinfanterie; der Durchführung amphibischer Operationen und der Bereitstellung der dafür notwendigen Kräfte (MI) und Mittel (Landungsschiffe und -boote) wurde in der SU kaum Beachtung geschenkt, wie die Marine überhaupt ein Stiefkind des Militärs geblieben war. Erst am 15.01.1940 wurde erneut ein aus Seesoldaten bestehender Verband gebildet, der dann kleinere Operationen im Sowjetisch-finnischen Krieg durchführte: die 1. besondere Marineinfanteriebrigade der Baltischen Flotte. Des weiteren existierte eine MI-Kompanie in der Donauflottille.
(Diese aus der russischen Literatur [vgl. Abramow (2008), S. 37] stammenden und mit Quellenangaben versehenen Informationen stehen im Widerspruch zu Leistner, der die einzige seinerzeit aktive Brigade in der Schwarzmeerflotte verortet, ohne dies jedoch zu belegen. Leistners Angaben sind mehrfach zumindest unvollständig oder gar falsch.)



„Morjaki“ (Seeleute) im Großen vaterländischen Krieg

Der nach dem 21. Juni 1941 erfolgte schnelle deutsche Vorstoß in die Tiefe der Sowjetunion berührte natürlich auch die Marine. Einerseits gingen Schiffe und Häfen an der Ostsee und dem Schwarzen Meer verloren, andererseits wurden dringend neue Soldaten für den Kampf an den Landfronten benötigt. Das führte im Verlauf des Jahres 1941 zur Aufstellung von Marineinfanterieverbänden, die aus nicht benötigten Matrosen, Reservisten, Personal der rückwärtigen Dienste usw. gebildet wurden. Sie bewährten sich erstaunlicherweise im Kampf zu Lande und wurden wegen ihrer an Todesverachtung grenzenden Tapferkeit von den deutschen Soldaten mit dem Spitznamen „Schwarzer Tod“ bedacht (damit wurde auf die schwarzen Marineuniformen angespielt).

Den eilig aufgestellten Verbänden fehlte es in den ersten Kriegsmonaten an fast allem; manchmal konnte sogar nur der halbe Personalbestand mit Handfeuerwaffen versehen werden. Geführt wurden die üblichen sowjetischen Infanteriewaffen wie das Gewehr Mosin-Nagant 1891/30, die MPi PPSch-41 usw. Bei der Betrachtung historischer Fotos aus dem ersten Kriegsjahr fällt allerdings auf, daß überdurchschnittlich oft Soldaten mit dem Selbstladegewehr SWT-40 abgebildet worden sind.



Besonders zahlreich wurden die Seesoldaten natürlich in der Nähe der umkämpften Küstenstädte wie Leningrad, Sewastopol, Noworossijsk u.a. eingesetzt. Dort bildeten sie häufig die Stütze der Verteidigung. Aber auch im Landesinneren, etwa während der Schlachten um Moskau im Winter 1941/42 und, ein Jahr später, um Stalingrad, kamen hunderttausende Marineangehörige zum Einsatz. So war z.B. der berühmte Scharfschütze Wassilij Sajzew zuvor Obermaat der Pazifikflotte gewesen.

An dieser Stelle ist eine Begriffserklärung vonnöten. In der sowjetischen Militärsprache unterschied man zwischen Marine-Schützen-Brigaden und Marine-Infanterie-Brigaden/-regimentern/-bataillonen etc. Beide waren aus Matrosen, Unteroffizieren und Offizieren der Seestreitkräfte und Handelsmarine gebildet worden, doch wurden die Marineschützenverbände alsbald in die regulären Landstreitkräfte integriert, wohingegen die Marineinfanterieverbände (zunächst) in der Seekriegsflotte verblieben (diese Männer und ihre fachspezifische Ausbildung waren also für die Marine nicht verloren). Insgesamt kämpften rund 500.000 sowjetische Seeleute zu Lande. Es wurden 105 Truppenteile der Marineinfanterie aufgestellt: 1 Division (in der Baltischen Flotte), 19 selbständige Brigaden, 14 selbst. Regimenter und 36 selbst. Bataillone. Hinzu kamen 35 Marineschützenbrigaden.



Beispiele aus dem 2. Weltkrieg

Im folgenden werden die Aktivitäten der Marineinfanterieverbände etwas näher beleuchtet.

Aus der Fülle möglicher Beispiele für die Organisation soll zunächst ein typisches MI-Bataillon herausgegriffen werden, welches sich an der Front in Karelien befand. Das 31. selbständige Marineinfanteriebataillon der Onega-Flottille wurde im Dezember 1941 aufgestellt. Den Kern bildeten 3 Schützenkompanien, die aus 3 Schützenzügen, 1 MG-Zug und 1 Granatwerferzug (82 mm) bestanden. Hinzu kamen 1 MPi-Schützen-Kompanie, 1 Batterie mit 76-mm-Geschützen, 1 PAK-Batterie (45 mm), 1 MG-Kompanie, 1 Granatwerferabteilung, 1 Aufklärungszug, 1 Zug mit Panzerautos, 1 Flugabwehrzug, 1 Pionierzug, 1 Fernmeldezug, 1 Taucherzug, 1 Sanitätszug und 1 Versorgungszug.

Als zweites Exempel mag die zur Nordmeerflotte gehörende die 12. Marineinfanteriebrigade, welche auf der Halbinsel Kola und in Nordlappland kämpfte, dienen. Sie bestand (mit zeitlich bedingten Abweichungen) aus 3 bis 6 Schützenbataillonen (mit je 3 Schützenkompanien, 1 MG-Kompanie, 1 Mörserkompanie und 1 Aufklärungszug), 1 Granatwerferbataillon, 1 Fernmeldebataillon, 1 Aufklärungskompanie, 1 selbst. MPi-Schützen-Kompanie, 1 Pionierkompanie, 1 ABC-Zug, 1 Transportkompanie und 1 Sanitätskompanie.



Die Hauptaufgabe der sowjetischen Marineinfanterie bestand, neben der Küstenverteidigung, in der Durchführung amphibischer Operationen. Daran hat es auch sowjetischerseits im 2. WK nicht gefehlt. Insgesamt wurden 125 Seelandungen durchgeführt, die meisten von Kräften der Baltischen, Schwarzmeer- und Nordmeerflotte.

Die MI-Einheiten der Nordmeerflotte kämpften vor allem im Raum westlich Murmansk an der Barentssee gegen deutsche Gebirgsjäger, die aus dem besetzten Norwegen in die UdSSR vorgestoßen waren. Seit Sommer 1941 waren zahlreiche taktische Seelandungen, oft nur kleine Stoßtruppunternehmen, in dieser arktischen Region durchgeführt worden (vgl. z.B. die Beschreibungen bei Leonow). Allein während der für den Kriegsverlauf in Nordeuropa entscheidenden Petsamo-Kirkenes-Operation im Oktober 1944 wurden sechs Seelandungen durchgeführt, wobei die Anzahl der Landungstruppen aus MI und Heer zwischen 250 und 3032 Mann lag. Die zuletzt genannte Zahl weist auf die ab dem 09.10.1944 durchgeführte Anlandung der 63. MI-Brigade in der Kleinen Wolokowajabuch hin.



Die größte, von sowjetischen Truppen im 2. WK durchgeführte amphibische Operation war die Kertsch-Eltigener Operation im November 1943. Dabei wurden 85.000 Mann der Landstreitkräfte (einschließlich 3 MI-Bataillonen) über die Meerenge von Kertsch gebracht und an der Ostküste der Halbinsel Krim gelandet. Dort bildeten sie einen Brückenkopf, der als Ausgangsbasis für Befreiung der Krim im April und Mai 1944 diente.

Zur Unterstützung des sowjetischen Vormarsches in Europa während des Frühjahrs 1945 haben Kräfte und Mittel der Donauflottille taktische Landungen in Ungarn und Österreich ausgeführt.
Nach dem Eintritt der UdSSR in den Krieg gegen Japan haben die Pazifikflotte und die Amurflottille zwischen dem 9. und 18. August 1945 einunddreißig amphibische Operationen durchgeführt, woran neben Einheiten des Heeres auch solche der Marineinfanterie beteiligt waren. Die Landungsziele lagen auf der koreanischen Halbinsel, auf der Insel Sachalin und den Kurilen.

Anno 1941 befand sich kein einziges Landungsschiff im Bestand der Roten Flotte. Während des Krieges wurden Landungstruppen mit allen möglichen Fahrzeugen transportiert: Kuttern, Torpedobooten, Prähme u.a. Verglichen mit den technischen Innovationen der westlichen Alliierten im amphibischen Bereich wirken viele der sowjetischen Seelandungen des 2. WK sehr improvisiert. Ein Problem, das man nach 1945 beseitigt hat.



Auszeichnungen und Personalien

Während des 2. WK wurden 200 Angehörige der sowjetischen Marineinfanterie mit der höchsten Auszeichnung, dem Titel „Held der Sowjetunion“, geehrt; 2562 erhielten den Ruhmesorden. Mehrere Verbände bekamen den Rotbannerorden verliehen; ferner wurden die 13., 66., 71., 75. und 154. Brigade sowie das 355. und das 365. Bataillon zu Garde-Einheiten.
In der Marineinfanterie des Zweiten Weltkrieges haben mehrere Offiziere gedient, die später in der UdSSR besondere Bedeutung erlangten, z.B. Wassilij Margelow, der Vater der modernen Luftlandetruppen, und Nikolaj Ogarkow, der es bis zum Generalstabschef brachte.




Bibliographie

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Wikipedia: Desantnye operazii SSSR w Welikoj Otetschestwennoj wojne.












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Bilder: www.morpeh.com u.a.

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