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Mittwoch, 24. November 2010

Die Krake des Islamismus


Am Dienstagabend ging eine kleine, aber in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzende Meldung durch die Medien: Infolge der von belgischen Sicherheitsbehörden initiierten Ermittlungen wurden in Belgien, den Niederlanden und Deutschland elf Personen festgenommen. Ihnen wird neben der Planung eines Anschlags in Belgien die Unterstützung islamistischer Kämpfer in Rußland, Afghanistan und dem Irak (insbesondere durch die Rekrutierung von Kämpfern) zur Last gelegt (vgl. hier und hier). Inzwischen wurden gegen die meisten der Festgenommenen Haftbefehle erlassen.

Das besondere an diesem, aus deutscher Sicht eher unspektakulären Fall ist, daß europäische Sicherheitsbehörden endlich öffentlich einräumen, daß es sich bei den Terroristen in Tschetschenien und dem übrigen Nordkaukasus nicht um ein paar romantische Bergstämme handelt, die lediglich um ihre "Befreiung vom Joch der russischen Fremdherrschaft" kämpfen. Vielmehr sind es - seit über zehn Jahren wohlgemerkt! - zumeist Islamisten, die mittlerweile für die Errichtung eines übernationalen Gottesstaates kämpfen und international bestens vernetzt sind. Und bei der Wahl ihrer Ziele beschränken sie sich keineswegs auf Rußland, sondern schrecken - wie der jüngste Fall belegt - auch vor Attentaten in Europa nicht zurück.

Diese Erkenntnis ist gerade auch für Deutschland so wichtig. Man kann "gute" und "böse" Islamisten, "Freiheitskämpfer" und "Terroristen" nicht voneinander unterscheiden. Dem steht die Logik des weltweiten Dschihad entgegen: Wer heute bereit ist, sich in Moskau in die Luft zu sprengen, um Ungläubige zu töten, würde dasselbe morgen auch in Paris oder Washington tun. Und darauf haben Experten wie Berndt Georg Thamm immer wieder hingewiesen. Doch sie mußten sich oft herbe Kritik gefallen lassen, denn in einigen EU-Staaten hat sich eine virulente und politisch einflußreiche Tschetschenien-Lobby ausgebreitet. So dürfen nicht nur hierzulande, sondern auch in Polen, dem Baltikum und Großbritannien exilierte Kämpfer wie z.B. Achmed Sakajew unbehelligt leben und umfangreiche politische Aktivitäten entfalten. (Details dazu werden Gegenstand eines späteren Artikels sein.)

Der genannte Sakajew ist heute freilich ziemlich einflußlos und sonnt sich nur noch in seinen selbstverliehenen Amtstiteln (auch wenn er kürzlich den Titel eines "Ministerpräsident" abgelegt hat). Dennoch ist er ein Testfall für den Umgang der EU mit Terroristen, deren Aktivitäten sich nicht primär gegen Europa richten. Seine Verhaftung und Auslieferung an Rußland scheiterten mehrfach, zuletzt im September 2010 in Polen - trotz eines internationalen Haftbefehls. Dabei beruft er sich auf seinen in GB verliehenen Status als politischer Flüchtling.

Ein ähnlicher Fall wie der aktuelle in Belgien hatte im Juli 2010 erheblich weniger Aufsehen erregt. Die französische Polizei nahm damals in Le Mans drei Tschetschenen fest (ebenfalls Asylanten), die verdächtigt wurden, Kontakte zur Gruppe Doku Umarows zu unterhalten (vgl. hier und hier).

Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika beginnt man langsam damit, die eigene Rhetorik vom "Krieg gegen den Terror" etwas ernster zu nehmen. Jahrelang erfreuten sich Islamisten aus dem zur RF gehörenden Nordkaukasus dort Wertschätzung von höchster Stelle. Einer ihrer langjährigen Freunde ist John McCain, einflußreicher Senator und 2008 gescheiterter Präsidentschaftskandidat der Republikaner. Im September 2008 forderte er, daß die USA Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan als unabhängige Staaten anerkennen sollten. Obwohl damit erhebliche praktische Probleme verbunden gewesen wären (welche Regierungen sollten "anerkannt" werden? die, die gar keine Unabhängigkeit wünschen?), war die Zielrichtung eindeutig: Rußland sollte durch einen neu entfachten Bürger- und Religionskrieg destabilisiert werden.

Die dahinter stehende Logik läßt sich wie folgt zusammenfassen: Von Islamisten begangene Terrorakte sind nur dann schlimm, wenn sie sich gegen Amerikaner oder die Bürger verbündeter Staaten richten. Sind ihre Opfer hingegen Russen (oder Chinesen oder Serben), drückt man gerne ein Auge zu, solange es der eigenen Geostrategie dient.

Nun ist McCain gottlob nicht Präsident geworden und die amerikanischen Behörden erkennen mittlerweile auch die internationale Dimension der im Nordkaukasus agierenden Terrorgruppen. Im Juni 2010 hat das State Departement - endlich - Doku Umarow, den Anführer des selbsterklärten "Kaukasischen Emirates", auf die Liste der internationalen Terroristen gesetzt. Eine freundliche Geste, aber nicht mehr, solange andere "Feldkommandeure", die die oft nur lose miteinander vernetzten Gruppen führen, nicht genannt werden. Aber immerhin ein guter Anfang.

Im September diesen Jahres hat ein Gericht in Oregon einen gewissen Pete Seda (alias Pirouz Sedaghaty) wegen Finanzdelikten verurteilt. Seda war Verantwortlicher einer islamischen Wohltätigkeitsorganisation und hatte zusammen mit saudischen Komplizen über 130.000 US-Dollar aus dem Land geschmuggelt, um sie islamistischen Kämpfern in Tschetschenien zukommen zu lassen. Der größte Teil der Summe floß direkt in die Finanzierung eines Ausbildungscamps für angehende Dschihadisten. Nach meinem Kenntnisstand ist dies das erste Urteil eines amerikanischen Gerichts im Zusammenhang mit Terroraktivitäten im Nordkaukasus, obwohl die Verkündung des Strafmaßes noch aussteht.

In den vergangenen Jahren drängte sich der Eindruck auf, als würden einflußreiche Kreise in Europa und Nordamerika ihre schützende Hand über die nordkaukasischen Terroristen halten, um sie ggf. als geopolitische Trumpfkarte gegen Rußland ausspielen zu können. (Ganz ähnlich hatte die US-Regierung ja auch in den 1980er Jahren gedacht, als sie die afghanischen Mudschaheddin aus aller Welt - darunter auch Osama Bin-Laden - im Kampf gegen die Kabuler Zentralregierung und die sowjetischen Truppen unterstützte.)

Dies mag ein Spiegel-Artikel aus dem Jahre 2004 illustrieren. Damals hatte sich eine in Deutschland als politischer Flüchtling anerkannte Tschetschenin im Fernsehen zur Ermordung von vier Angehörigen der Sicherheitskräfte in Grosny bekannt, woraufhin die RF ihre Auslieferung forderte:
"[...]

Tatsächlich stellt sich die Frage: Warum hat sich kein Staatsanwalt mit Asja D. befasst, als sie 1998 mit dem Schiff aus St. Petersburg in Deutschland ankam und 1999 als Flüchtling anerkannt wurde? Schon damals hatte die Frau nämlich bei der Anhörung des Bundesamts freimütig jenes Blutbad in Grosny beschrieben, das jetzt die Ermittler interessiert.
Doch das Wegschauen war durchaus typisch und lag auf der Linie einer anderen Praxis, die bis zu den Terroranschlägen in New York niemanden störte: Bis dahin war es schließlich auch Usus, Ausländern Asyl zu gewähren, selbst wenn sie Gruppen angehörten, die in ihrer Heimat die dortigen Regime mit Gewalt und Terror bekämpften - und sich in ihren Anhörungen solcher Taten rühmten.

[...]"
Insofern war es nicht überraschend, daß offizielle Vertreter der RF das Vorgehen der deutschen Sicherheitsbehörden kritisierten.

Doch mittlerweile ist die internationale Dimension des gewaltträchtigen Islamismus nicht mehr zu leugnen, anderenfalls drohen Gefahren auch für die europäischen Staaten. Ausgehend von dieser Erkenntnis werden die Informationen rußländischer Sicherheitsbehörden auch nicht mehr als irreführende Propaganda oder gar "Verschwörungstheorie" abgetan, sondern endlich ernst genommen. Die Angst vor einem Blutbad im eigenen Land, möglicherweise gar Selbstmordanschläge, kann viel verändern, wobei der Schritt vom Terrorismus zu normalerer Kriminalität klein sein kann. wie dieser Fall aus dem Jahr 2008 zeigt. Nunmehr sollte klar sein, daß sich die Krake der islamistischen Terroristen weltweit ausgebreitet hat und Sicherheit vor dieser Gefahr nur möglich ist, wenn alle betroffenen Staaten kooperieren.


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Foto: AP.

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