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Mittwoch, 26. Januar 2011

26.01.2011: Text des Tages

Den in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebenden russischen Schriftsteller und Offizier Michail Lermontow hatte ich in diesem Blog schon desöfteren erwähnt (vgl. hier und hier). Der "Sänger des Kaukasus" hatte während seines Dienstes in dieser wilden Gebirgsregion hinreichend Gelegenheit, sich mit den dort lebenden Menschen vertraut zu machen. Vor kurzem bin ich auf einen weiteren kurzen Text aus seiner Feder mit dem Titel "Der Kaukasier" gestoßen. Gemeint sind damit aber nicht die eigentlichen Bewohner des Kaukasus, die christlichen und muslimischen Clans und Stämme, sondern jene aus dem russischen Kernland kommenden Offiziere, die zum Dienst im brodelnden Unruheherd verpflichtet worden waren. (Man beachte bitte auch Lermontows waffenkulturelle Einlassungen. ;-))
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Erstens, was ist ein Kaukasier und wie pflegen Kaukasier zu sein?

Ein Kaukasier ist ein halb russisches, halb asiatisches Wesen; die Neigung zu orientalischen Sitten überwiegt bei ihm, doch in Gegenwart Fremder, das heißt in Gegenwart Reisender aus Rußland, schämt er sich dieser Neigung. Er ist zumeist dreißig bis fünfundvierzig Jahre alt, sein Gesicht sonnengebräunt und etwas pockennarbig; ist er kein Stabskapitän, dann gewiß Major. Echte Kaukasier finden Sie in der Linie; jenseits der Berge, in Georgien, haben sie eine andere Abstufung; zivile Kaukasier sind selten; sie stellen zumeist eine ungeschickte Nachahmung dar, und treffen Sie einmal einen echten unter ihnen an, dann höchstens bei den Regimentsärzten.

Ein echter Kaukasier ist ein bewundernswerter Mensch, würdig jeder Achtung und Teilnahme. Bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr wird er im Kadettenkorps erzogen und als ausgezeichneter Offizier entlassen, heimlich hat er im Unterricht den "Gefangenen im Kaukasus" [von Puschkin, E.K.] gelesen und ist in Leidenschaft für den Kaukasus entbrannt. Mit zehn Kameraden wird er auf Staatskosten dorthin geschickt – mit großen Hoffnungen und kleinem Koffer. Schon in Petersburg läßt er sich einen Achaluchi nähen und ersteht eine zottige Mütze und eine Tscherkessenpeitsche für den Postkutscher. In Stawropol angekommen, bezahlt er einen lumpigen Dolch viel zu teuer und legt ihn in den ersten Tagen weder bei Tag noch bei Nacht ab, bis er dessen überdrüssig ist. Endlich findet er sich bei seinem Regiment ein, das in irgendeiner Staniza sein Winterquartier bezogen hat, hier verliebt er sich, wie es sich gehört, in ein Kosakenmädchen, einstweilen bis zur Expedition; alles wunderschön und so poetisch! Dann rückt man zu der Expedition aus; unser Jüngling ist überall zu finden, wo auch nur eine Kugel schwirrt. Er nimmt sich vor, zwei Dutzend Bergbewohner mit eigenen Händen zu fangen, er träumt von schrecklichen Schlachten, Strömen von Blut und Generalsepauletten. Im Traum vollbringt er wahre Heldentaten – ein Wunschbild, Unsinn, vom Feind ist weit und breit nichts zu sehen, Scharmützel sind selten, und die Bergbewohner halten, zu seinem großen Leidwesen, den Bajonetten nicht stand, lassen sich nicht gefangennehmen, sondern bringen ihre Haut in Sicherheit. Zudem ist im Sommer die Hitze schier unerträglich, im Herbst Regen und Schnee und Kälte. Langweilig! Fünf, sechs Jahre verstreichen: ein ständiges Einerlei. Er sammelt Erfahrungen, wird kaltblütig und spottet über die Neulinge, die ohne Notwendigkeit ihr Leben riskieren.

Unterdessen zieren zwar viele Kreuze seine Brust, die Beförderung aber läßt auf sich warten. Er ist düster und wortkarg geworden; er macht es sich gern gemütlich und raucht sein Pfeifchen; in Mußestunden liest er auch Marlinski und erklärt, er sei sehr gut; auf Expeditionen ist er nicht mehr versessen: Eine alte Wunde schmerzt! Die Kosakenmädchen reizen ihn nicht, eine Zeitlang hat er von einer gefangenen Tscherkessin geträumt, jetzt jedoch auch diesen fast unerfüllbaren Traum vergessen. Statt dessen hat er eine neue Leidenschaft, und gerade die macht ihn zum echten Kaukasier.

Entstanden ist diese Leidenschaft folgendermaßen: In der letzten Zeit hat er sich mit einem friedlichen Tscherkessen angefreundet und reitet nun des öfteren zu ihm in den Aul. Fremd den Raffinements des Lebens in der vornehmen Welt und in der Stadt, hat er Gefallen an dem wilden Leben gefunden, von der Geschichte Rußlands und der europäischen Politik weiß er nichts, dafür hat er eine Vorliebe für die poetischen Überlieferungen des kriegerischen Volkes entwickelt. Die Sitten und Gebräuche der Bergbewohner sind ihm geläufig, er kennt ihre Helden dem Namen nach und hat sich die Ahnentafeln der wichtigsten Familien gemerkt. Er weiß, welcher Fürst verläßlich und welcher ein Gauner, wer mit wem befreundet ist und zwischen wem Blutsfeindschaft besteht. Er versteht ein bißchen Tatarisch; er hat sich einen Säbel, einen echten Gurda, angeschafft, einen Dolch, einen alten Basalai, eine Pistole von jenseits des Kuban, ein ausgezeichnetes Krimgewehr, das er selbst einfettet, ein Pferd, einen reinrassigen Schalloch, und eine vollständige Tscherkessentracht, die er nur bei wichtigen Anlässen anlegt und die ihm irgendeine wilde Fürstin genäht und zum Geschenk gemacht hat. Seine Vorliebe für alles Tscherkessische grenzt schon ans Unglaubliche. Er ist bereit, den ganzen Tag mit einem schmutzigen Usden über ein lumpiges Pferd und ein rostiges Gewehr zu reden, und es gefällt ihm sehr, andere in die Geheimnisse der asiatischen Sitten einzuweihen. Ihm sind verschiedene, höchst erstaunliche Dinge passiert, denken Sie! Kauft ein Neuling bei seinem Freund, dem Usden, eine Waffe oder ein Pferd, lächelt er nur insgeheim. Über die Bergbewohner äußert er sich so: »Ein guter Menschenschlag, aber ganz schreckliche Asiaten! Die Tschetschenen allerdings sind Lumpen, dafür sind die Kabardiner einfach Prachtkerle; auch unter den Schapsugen gibt es tüchtige Leute, allerdings können sie sich mit den Kabardinern nicht messen, weder verstehen sie es, sich so zu kleiden noch so zu reiten . . . wenn sie auch makellos leben, ganz makellos!«

Man muß die Voreingenommenheit eines Kaukasiers besitzen, um in einer Tscherkessensaklja etwas Makelloses zu finden.

Die Erfahrung langer Kriegszüge hat ihn nicht die Findigkeit gelehrt, die Armeeoffizieren sonst eigen ist; er kokettiert mit seiner Sorglosigkeit und der Gewohnheit, die Unbequemlichkeiten des Soldatenlebens hinzunehmen, er führt nur einen Teekessel mit sich, und selten wird auf seinem Biwakfeuer Kohlsuppe gekocht. Bei Hitze wie bei Kälte trägt er unter dem Gehrock einen wattierten Achaluchi und auf dem Kopf eine Schaffellmütze; er hat eine starke Abneigung gegen Mäntel und zieht die Burka vor; die Burka ist seine Toga, darin hüllt er sich ein; der Regen tropft ihm in den Kragen, der Wind schlägt die Burka auseinander – halb so schlimm! Die durch Puschkin, Marlinski und Jermolows Porträt berühmt gewordene Burka kommt nicht von seiner Schulter, er schläft darauf und deckt sein Pferd damit zu; er greift zu den verschiedensten Listen und Schlichen, um eine echte Andijer Burka zu ergattern, namentlich eine weiße, unten mit schwarzer Borte, und dann sieht er schon mit einer gewissen Verachtung auf die anderen herab. Den eigenen Worten zufolge ist sein Pferd erstaunlich schnell – auf weiten Strecken. Lächerliche fünfzehn Werst mag er darum mit Ihnen auch nicht reiten. Fällt ihm der Dienst mitunter auch schwer, er hat es sich zur Maxime gemacht, das Leben im Kaukasus zu loben; jedem, der es hören will, sagt er, der Dienst im Kaukasus sei sehr angenehm.

Aber die Jahre vergehen, der Kaukasier ist schon vierzig, es zieht ihn nach Hause, und wenn er nicht verwundet ist, verfährt er manchmal folgendermaßen: Während eines Feuerwechsels legt er den Kopf hinter einen Stein, die Beine aber streckt er zwecks Erlangung der Pension vor; dieser Ausdruck ist dort durch den Brauch geheiligt. Die wohltätige Kugel trifft ihn ins Bein, und er ist glücklich. Der Abschied mit Pension springt dabei heraus, er kauft einen kleinen Wagen, spannt ein paar Schindmähren davor und macht sich gemächlich auf den Weg in die Heimat; auf Poststationen hält er jedoch stets, um mit den Durchreisenden zu plaudern. Wenn Sie ihm begegnen, erkennen Sie ihn sofort als echten Kaukasier, denn selbst im Gouvernement Woronesh schnallt er Dolch oder Säbel nicht ab, weil sie ihm nicht hinderlich sind. Der Stationsaufseher hört ihm respektvoll zu, und erst hier erlaubt sich der pensionierte Held, zu renommieren und Geschichten zu erfinden; im Kaukasus ist er bescheiden – aber schließlich und endlich, wer sollte ihm in Rußland beweisen, daß ein Pferd nicht in einem Ritt zweihundert Werst zurücklegen kann und kein Gewehr der Welt auf vierhundert Sashen ins Ziel trifft? Aber ach, meistens vermodern seine Gebeine in muselmanischer Erde. Er heiratet selten, und bürdet ihm das Schicksal doch eine Gemahlin auf, bemüht er sich, in eine Garnison versetzt zu werden, und beschließt seine Tage in irgendeiner Festung, wo ihn seine Gattin vor einer für den Russen so verhängnisvollen Gewohnheit bewahrt.

Jetzt noch zwei Worte über die anderen Kaukasier, die nicht echten. Der georgische Kaukasier unterscheidet sich vom echten dadurch, daß er eine große Vorliebe für Kachetinerwein und weite seidene Pluderhosen hat. Der zivile Kaukasier legt selten asiatische Kleidung an; er ist mehr mit der Seele als mit dem Leib Kaukasier: Er befaßt sich mit archäologischen Entdeckungen, verbreitet sich gern über den Nutzen des Handels mit den Bergbewohnern sowie über Mittel, diese zu unterwerfen und zu bilden. Hat er dort einige Jährchen abgedient, kehrt er für gewöhnlich mit einem Rang und roter Nase nach Rußland zurück.

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