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Samstag, 20. Februar 2010

Spetsnaz V: Alfa und Vympel heute

Im heutigen fünften Teil der Spetsnaz-Reihe – der zugleich der letzte ist, in dem die Spezialkräfte des Föderalen Sicherheitsdienstes der RF (FSB) Thema sind – werde ich die Organisation, Ausbildung und Ausrüstung dieser Einheiten vorstellen. Zuvor möchte ich jedoch einige Bemerkungen zu Fragen der Geheimhaltung machen, da insoweit in Rußland einiges anders läuft als in Deutschland.

Man ist recht offen hinsichtlich der Identität von (ehemaligen) Angehörigen der Spezialeinheiten. Diese Männer treten häufig unter eigenem Namen im Fernsehen auf oder veröffentlichen Erlebnisberichte - auch über Ereignisse, die noch nicht so lange zurückliegen wie z.B. die Geiselnahme im Dubrowka-Theater (Moskau 2003). Im allgemeinen gibt es aus heutiger Sicht jedoch eine Zeitgrenze, die etwa im Jahr 2000 liegt. Der Grund liegt darin, daß viele der damaligen Mitarbeiter heute noch im Dienst sind und ihre Identität geschützt werden soll. Von den aktiven Angehörigen sind nur wenige öffentlich bekannt. Die publizistischen Aktivitäten der (früheren) Alfa-Angehörigen zeigen sich auch in der von ihrem Veteranenverband herausgegebenen Zeitschrift Speznas Rossii belegt. Ihre Kollegen von Vympel sind insofern etwas zurückhaltender.
Sehr sparsam geht man mit Detailinformationen hinsichtlich der Organisationsstruktur, der Bewaffnung und Ausrüstung sowie der Einsatztaktik um. Deshalb werden bei öffentlichen Veranstaltungen (z.B. Tagen der offenen Tür), wo Spezialkräfte auftreten, häufig martialisch aussehende Kampfsportdarbietungen gegeben. Damit kann man die Zuschauer unterhalten, ohne technische und taktische Details preisgeben zu müssen.



Organisation und Aufgaben

Die Gruppen Alfa und Vympel sind heute keine eigenständigen Einheiten mehr. Im Oktober 1998 wurde im FSB das Zentrum für Spezialaufgaben (ZSN – russ.: Zentr spezialnogo nasnatschenija) gebildet, in dem beide Einheiten aufgegangen sind. Innerhalb dieses Zentrums firmieren sie heute offiziell als „Verwaltung ‚A’“ (Alfa) und „Verwaltung ‚W’“ (Wympel).
Das ZSN hat vielfältige Aufgaben bei der Bekämpfung des Terrorismus, insbesondere des islamischen Extremismus, wahrzunehmen. Deshalb besteht es nicht nur aus den bereits genannten Spezialkräften, sondern ihm gehören auch „operative“ Abteilungen an, die sich z.B. mit der Aufklärung von Terrororganisationen befassen. Darüber hinaus unterstützt das ZSN ggf. andere Diensteinheiten des FSB, etwa bei der Bekämpfung des Drogenschmuggels.

Über die genaue Struktur und die Personalstärke der Verwaltungen A und W ist wenig bekannt. Sie gliedern sich in mehrere, durchnumerierte Abteilungen (bei Alfa sollen es derer 6 sein). Ich vermute, daß Vympel zahlenmäßig etwas kleiner ist als Alfa. Denn 2004 in Beslan ist der Kommandeur von Vympel, Dmitrij Rasumowskij, gefallen. Rasumowskij war damals immer noch Oberstleutnant, wohingegen alle Chefs von Alfa in den letzten 20 Jahren entweder Oberst oder bereits Generalmajor gewesen sind. Konkret: Das ZSN wird seit 1999 vom hochdekorierten Generaloberst Alexander Tichonow geleitet; Chef der Verwaltung "A" ist derzeit Generalmajor Wladimir Winokurow.

Im Internet kursiert eine Zahl von 700 Mitarbeitern allein für Alfa. Diese Zahl halte ich allerdings für zu hoch. Die Unterhaltung von Spezialeinheiten ist sehr kostenintensiv (was dort nicht anders als in Deutschland ist), zudem existieren in der RF zahlreiche Spezialeinheiten außerhalb des ZSN, darunter auch die regionalen Spezialkräfte des FSB. Ich persönlich würde daher den Personalbestand von Alfa und Vympel auf gemeinsam etwa 300 bis 400 Mann schätzen. Die Zahl 700 beinhaltet möglicherweise alle Mitarbeiter des ZSN, das jedoch nicht nur aus den beiden Spezialeinheiten besteht.



Hauptaufgabe der Spezialeinheiten des ZSN ist die Bekämpfung von Terroristen und bewaffneten Straftätern, sei es bei der Reaktion auf einen stattgefundenen Anschlag (insbesondere einer Geiselnahme) oder bei der Festnahme derselben infolge einer erfolgreichen Fahndung. Dieser Auftrag ist natürlich sehr umfassend.
Einen Schwerpunkt in der Einsatzvorbereitung von Alfa bilden Verkehrs- und Infrastrukturobjekte wie Flugzeuge, Busse, Eisenbahnzüge und Schiffe sowie natürlich der Kampf im urbanen Raum (bisweilen auch „schwarze Taktik“ genannt). Einige, schon ältere Presseberichte vermitteln den Eindruck, daß sich Vympel ein wenig auf das, was man als „grüne Taktik“ bezeichnet, sowie auf amphibische bzw. triphibische Einsätze spezialisiert haben könnte. Allerdings scheint auch Alfa über eigene Taucher zu verfügen.

Stationiert ist die Einheit in Balaschicha (im Moskauer Gebiet gelegen), dem früheren Standort der Spezialschule des KGB. In der Regel sind ständig Teile des ZSN im Nordkaukasus im Einsatz. Deshalb wurde kürzlich in Dagestan eine Art vorgeschobener Basis gebildet, wo die Spezialkräfte nicht nur untergebracht werden, sondern auch trainieren können.



Personal und Ausbildung

In den Verwaltungen „A“ und „W“ dienen ausschließlich Offiziere und Berufsunteroffiziere. Anwärter, die höchstens 28 Jahre alt und nicht kleiner als 175 cm sein dürfen, müssen sich – was in der Natur der Sache liegt – umfangreichen medizinischen, physischen und psychologischen Tests unterziehen. Dazu kommen eine Hintergrundüberprüfung über die Vergangenheit des Bewerbers sowie Alkohol- und Drogentests. Sollte der Anwärter dies alles überstanden haben, werden seitens des FSB seine Eltern und ggf. seine Ehefrau angesprochen, ob die dem (die Familie belastenden) Dienst ihres Sohnes bzw. ihres Mannes in einer Spezialeinheit einverstanden sind.

Die Ausbildung vollzieht sich auf mehreren Wegen. Anwärter, die bereits der Armee, Polizei, den Grenztruppen usw. angehören, werden – wenn möglich – noch auf die Spetsnaz-Fakultäten von Offiziershochschulen des Verteidigungsministeriums (z.B. in Nowosibirsk und Moskau) umgeleitet. Neueinsteiger werden von Beginn an zum Studium auf diese Fakultäten geschickt, ebenso spricht man geeignete Absolventen derselben an, ob sie nicht ins ZSN wechseln möchten.
Ansonsten wird die Aus- und Fortbildung des Personals innerhalb des ZSN durchgeführt. Dabei kann auf geeignete Übungsplätze und Schießstände ebenso wie auf die Hubschrauber der FSB-eigenen Fliegerkräfte zurückgegriffen werden. Im ZSN geht man davon aus, daß es etwa drei Jahre dauert, bis ein neuer Mitarbeiter einsatzbereit ist. Nach Abschluß der Ausbildung wird dem neuen Mitarbeiter ein Messer mit dem passenden Namen „Antiterror“ überreicht.

Insgesamt vermitteln Alfa und Vympel den Eindruck, daß sie ausbildungsmäßig dem heute weltweit gültigen Standard für polizeiliche Spezialeinheiten entsprechen – ein Eindruck, der durch den Bericht in K-ISOM 1/2010 ebenfalls gestützt wird. Dies und auch die von den Einheiten geleisteten Einsätze (vgl. hier und hier) widersprechen dem Klischee vom schlangenfressenden Spetsnaz-Soldaten, bei dem der Bizeps das Gehirn ersetzt.



Ausrüstung

Den Angehörigen der Verwaltungen „A“ und „W“ steht ein umfangreiches Arsenal an Handfeuerwaffen zur Verfügung. Hauptwaffe ist selbstverständlich das Sturmgewehr AK-74 in diversen Varianten, wobei mittlerweile auch mit ausländischen Waffenteilen und Zubehör gearbeitet wird. Man beachte dazu meine früheren Berichte inkl. Bilder hier, hier und hier. Kurzwaffenmäßig werden wohl ausschließlich Pistolen verwendet – neben der Makarow (PMM) auch die neue Jarygin, die Stetschkin sowie Modelle aus dem Hause Glock.
Dazu kommen noch diverse (Klein-)Maschinenpistolen, Gewehre mit integriertem Schalldämpfer, MGs und weitere Unterstützungswaffen. Die Präzisionsschützen haben mittlerweile das Dragunow abgelegt und sind mit Repetiergewehren ausgestattet. Neben dem SW-98 wurden auch schon ausländische Modelle, etwa von Sako, gesichtet.

Man kann davon ausgehen, daß die Mitarbeiter des ZSN ggf. auf jede in Rußland gefertigte Waffe zurückgreifen können. Zudem wurde in den letzten Jahren, soweit das Budget es zuließ, fleißig im Ausland eingekauft.
Ansonsten steht das an persönlicher Ausrüstung zur Verfügung, was man von Spezialeinheiten dieses Kalibers im internationalen Vergleich erwarten kann: Helme und kugelsichere Westen (beides wird in der RF produziert), Funkgeräte (zumeist importiert), Fahrzeuge, Tauchausrüstung, Fallschirme usw. usf.



Sonstige Aspekte

Von 1974 bis 2009 sind 24 Angehörige von Alfa im Einsatz getötet worden; bei Vympel waren es 15 seit 1981. Zahlreiche Angehörige der beiden Einheiten sind mit Orden und Ehrenzeichen geehrt worden, darunter mindestens ein Dutzend „Helden der Sowjetunion“ bzw. „Helden Rußlands“.

In Diskussionen über Spezialeinheiten taucht immer wieder die Frage nach einer „Hackordnung“ auf: Wer ist der beste etc. In Rußland würde man diese Frage zumeist mit folgender Liste beantworten: Ganz oben stehen die Spezialkräfte des ZSN des FSB, dann folgen die regionalen Einheiten des FSB sowie ein Teil der Spezialeinheiten der Inneren Truppen des MWD (z.B. „Rus“, „Witjas“) und auf der dritten Ebene tummelt sich dann der Rest der Inneren Truppen sowie OMON und OMSN für die regionalen Innenbehörden und was es sonst noch so in der ziemlich bunten „Special Forces“-Landschaft der RF gibt.
Ich persönlich halte von solchen Zuschreibungen wenig, es kommt darauf an, die einzelne Einheit zu begutachten. So sind mir z.B. die Resultate eines Scharfschützenvergleichswettkampfes bekannt, bei dem ausgerechnet eine OMON-Mannschaft gewonnen hat. Dennoch läßt sich mit der „Hackordnung“ insofern arbeiten, als man z.B. bei den beiden Spezialeinheiten des ZSN weiß, daß sie immer sehr gut ausgebildet, ausgerüstet und vorbereitet sind, während sich bei den Kräften anderer Behörden bisweilen ein disparates Bild ergibt.



Die Angehörigen von Alfa und Vympel gelten heute in Rußland als Helden und sind entsprechend beliebt, wozu der Opfergang in Beslan (2004) wesentlich beigetragen hat. Es existieren mehrere Denkmale mit den Namen der Gefallenen. Das ZSN und insbesondere Alfa betreiben zudem eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, ebenso einige manche FSB-Dienststellen in den Regionen. So nehmen z.B. regelmäßig zwei Alfa-Offiziere an Veranstaltungen teil (siehe z.B. hier und hier) und sind auch schon mit der bekannten Rockband Ljube aufgetreten. Ferner betreiben Veteranen Kampfsportklubs oder richten Schießsportveranstaltungen aus, wobei der Name „Alfa“ auch als Markenzeichen dient. Die Spezialeinheiten isolieren sich also nicht von der Öffentlichkeit, sondern sind dort sehr aktiv. Das liegt auch daran, daß sie zu Recht auf ihre Leistungen stolz sein können. Möglich ist dies alles natürlich nur, weil alles, was mit Spezialeinheiten und Militär zu tun hat, in Rußland wie in ganz Osteuropa recht populär ist. Damit gehen die dortigen Gesellschaften anders um als es im pazifistischen Deutschland üblich.



Nachwort

Mit dem vorliegenden fünften Teil wird die Spetsnaz-Reihe hier auf Backyard Safari vorerst beendet. Ihre Fortsetzung wird sie mit Beiträgen über die übrigen Sicherheitsbehörden und ihre Spezialeinheiten finden. Am wichtigsten wäre eigentlich die intensive Behandlung von Miliz und Inneren Truppen (Bereitschaftspolizei). Da im Geschäftsbereich des Innenministeriums derzeit allerdings große Veränderungen (vulgo: Reformen) anstehen, werde ich damit noch warten müssen und voraussichtlich einige andere Behörden vorziehen.



Bibliographie

P. Jewdokimow: „Alfa“. Istorija antiterrora, in:
Bratischka 8/2009, S. 2 ff.

P. Jewdokimow: Uschel moj brat ..., in: Bratischka 7/2010, S. 24.

R. Faruschkin / A. Musijenko: Totschen-snatschet shiw, in: Bratischka 11/2009, S. 2 ff.

Kalendar „Bratischki“, in: Bratischka 10/2009, S. 78.

S. Koslow: Kak popast w speznas FSB, in: Bratischka 8/2009, S. 60 ff.

A. Michailow / D. Beljakow: „Eto nascha rabota“, in: Bratischka 8/2009, S. 52 ff.

Ju. Muchin: Odin djen s „Alfoj“, in: Bratischka 8/2009, S. 10 ff.

Ju. Muchin: Swjasannyje odnoj zelju, in: Bratischka 8/2009, S. 28 ff.

Wikipedia: Alfa (russ.), Vympel (russ.).




Fotos: Bratischka. Noch viel mehr davon gibt es hier, hier, hier und hier.



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