Seiten

Donnerstag, 16. April 2009

Frauen in der Roten Armee

Am Montag hat ein Besucher aus Wien mit dem Namen „Suzie“ die Tagesbilder vom 23.02.2009 in einem nicht besonders freundlichen Ton kommentiert. Ich werde diesen Kommentar nicht löschen, will mich jedoch mit den darin enthaltenen Vorhaltungen auseinandersetzen.

1. Der Einsatz von Frauen in Kampfverbänden durch die Rote Armee sei „perfide“ gewesen und habe nur dem Ziel gedient, die Moral der armen Deutschen zu untergraben.
Tatsache ist: Die Verwendung von Frauen, auch für Kampfaufgaben, entsprang in der Sowjetunion während des 2. WK der puren Notwendigkeit. Insgesamt wurden in der SU etwa 800.000 Frauen für den Kriegseinsatz mobilisiert, davon ein nicht unbeträchtlicher Teil in Verwendungen an der Front, etwa als Pilotin, Kraftfahrerin oder Scharfschützin. Die Mehrzahl diente jedoch im Luftschutz, in Sanitätseinheiten, Wäschereien, Bäckereien und anderen rückwärtigen Diensten.
Das war übrigens auch in Deutschland der Fall. Und ich sehe mich außerstande, einen qualitativen Unterschied zwischen einer weiblichen Flak-Bedienung und einer Scharfschützin zu erkennen. Es bedarf schon eines großen Maßes an geistiger Beschränktheit, um hierin „Perfidie“ zu sehen, zumal dieser Begriff offenkundig einer Privatdefinition von Suzie unterliegt und nichts mit dem kriegsvölkerrechtlichen Perfidieverbot zu tun hat.
Dazu kam noch, daß sich die Sowjetunion nach der Oktoberrevolution der Gleichberechtigung der Geschlechter verschrieben hatte. Daraus folgte der „Einbruch“ von Frauen in viele bisherige Männerdomänen. Mithin gab es auch keine ideologischen Gründe, die dem Kampfeinsatz von Frauen grundsätzlich entgegen gestanden hätten. (In Deutschland mußte man hingegen viele Verrenkungen unternehmen, um sowohl die Flakhelferin als auch die Mutterkreuzträgerin als Volksgenossinnen auf einen Nenner zu bringen – zumindest dem Äußeren nach.) Erstaunlicherweise hat aber gerade der 2. WK dazu geführt, daß das Frauenbild in der sowjetischen Gesellschaft wieder erheblich „konservativer“ wurde: An die Stelle der werktätigen und forschenden Frau trat zunehmend die Ehefrau und Mutter, die sich um die „2 K“ (ohne Kirche natürlich) zu kümmern hatte.



2. Eine glatte Lüge ist Suzies Behauptung, deutsche Soldaten hätten nicht auf Frauen geschossen. (Hier schimmert die – rassistische – Selbstbeweihräucherung der Wehrmacht als in jedem Falle „ritterlicher“ Armee durch, die gegen vorgeblich „asiatische Horden“ gekämpft habe.)
Die zeitgenössischen Quellen sprechen freilich eine andere Sprache. So z.B. die beiden Fotos (Quelle: s.u., S. 165). Beide sind von deutschen PK-Fotografen gemacht worden und zeigen gefallene Soldatinnen der Roten Armee. Eine davon wurde, wie deutlich zu sehen ist, mit einem Kopfschuß hingerichtet.
In diesem Kontext darf auch nicht vergessen werden, daß weiblichen Angehörigen der Roten Armee, die in deutsche Gefangenschaft geraten waren, der völkerrechtliche Kriegsgefangenenstatus verweigert worden ist. D.h. die Frauen wurden entweder zu Zivilgefangenen degradiert (und mußten dementsprechend Zwangsarbeit verrichten) oder sie wurden dem SD übergeben und von diesem entweder sofort exekutiert oder in Konzentrationslagern untergebracht (insbesondere Ravensbrück). Diese Frauen hatten aber noch Glück im Vergleich zu jenen, die von den deutschen Truppen noch an der Front als „entartete jüdische Flintenweiber“ liquidiert worden sind. (Entsprechende deutsche Quellen sind mir bekannt.)



3. Es kommt schon einer Verhöhnung des gesunden Menschenverstandes und zugleich dem Eingeständnis der eigenen Dummheit gleich, wenn Suzie mir deutsche und US-amerikanische Quellen empfiehlt, um meine vorgebliche Bildungslücke zu beheben. Erstens ist in amtlichen Dokumenten deutscher Provenienz, sofern sie nicht der Propaganda dienen sollten, recht offen vom harten Umgang mit den Rotarmistinnen die Rede. So beklagt sich z.B. General von Reichenau (übrigens ein Kriegsverbrecher i.e.S. des Wortes) 1941 darüber, daß immer noch „entartete Weiber zu Kriegsgefangenen“ gemacht würden, anstatt sie sofort zu erschießen.
Zweitens vermag ich nicht einzusehen, was uns Quellen aus den USA über die Ostfront des 2. WK sagen sollten. Was man in den USA darüber wußte, entstammte großteils dem Wissenstransfer gefangener deutscher Offiziere, die sich so beim neuen „großen Bruder“ im heraufziehenden Kalten Krieg beliebt machen wollten. Wenn man diese Texte liest, so trifft man auf ein komisches Gemisch aus Halbheiten, rassistischen Vorurteilen, und „demokratisierter“ NS-Propaganda: Ging es bis 1945 gegen die „jüdisch-bolschewistischen Untermenschen“, so hatte man schnell sein Fähnchen in den Wind gehängt und sprach danach von der „Verteidigung der freien Welt“. Was sollten uns diese Opportunisten heute in der Sache noch zu sagen haben?

Wo kann man sich statt dessen über Kriegseinsatz sowjetischer Frauen während des 2. WK informieren? Zum Einstieg ist in deutscher Sprache das Buch „Mascha, Nina, Katjuscha – Frauen in der Roten Armee 1941-1945“ zu empfehlen. Als Begleitband für eine Ausstellung im Museum Berlin-Karlshorst entstanden, werden in den Aufsätzen alle relevanten Fragen erörtert, wenngleich notgedrungen vieles kursorisch bleibt. (Daher wird man für eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema auf russische Literatur zurückgreifen müssen, denn auch in der englischen ist es nur ein Randthema.) Behandelt werden die sozialgeschichtlichen Hintergründe, das Leben an der Front und die Wiedereingliederung in das Zivilleben. Die Texte werden durch einen umfangreichen Anhang mit den in der Ausstellung gezeigten Bildern und Dokumenten ergänzt, die auch Einblick in ganz konkrete Biographien geben. Bedauerlicherweise ist das Buch nur noch antiquarisch erhältlich.
Dieser Band ist für den Interessierten ein erheblich zuverlässigerer Wegweiser als diffuse Memoiren deutscher Soldaten, in denen etwa behauptet wird, sie hätten in ihrer Stellung einem „Frauenbataillon“ gegenüber gelegen. Dabei gab es in der Roten Armee keine Einheiten, die ausschließlich aus Frauen gebildet worden sind (die einzige Ausnahme von dieser Regel waren drei Fliegerregimenter der Luftstreitkräfte).

Ich bin gespannt, mit welchen Argumenten sich Suzie jetzt zu Wort melden wird. Hoffentlich verschont sie/er uns mit weiterer NS-Apologetik. (Um abschließend eventuellen Mißverständnissen vorzubeugen: Man muß kein Anhänger der Herren Reemtsma und Heer sein, wenn man bei der Betrachtung des 2. WK über das Niveau der Landserhefte hinausgewachsen ist.)


Verwandte Beiträge:
23.02.2009: Bilder des Tages
24.02.2009: Bilder des Tages
Der zweite Weltkrieg im Film
Iwans Krieg
Zwei sowjetische Frontfotografen ...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen