1. Wie kaum anders zu erwarten war, gestaltet sich dieses Unterfangen nicht gerade einfach. Der Zeuge Lugowoi begab sich gestern mit seiner Familie ins Krankenhaus, steht aber wohl ab heute für ein Gespräch zur Verfügung.
Der Ex-FSB-Offizier Trepaschkin darf hingegen nicht mit den Briten sprechen (2). Ferner hat der russische Generalstaatsanwalt Tschaika klargestellt, daß eventuelle Verdächtige nicht ins Vereinigte Königreich ausgeliefert würden (3). Dies sowie die Nichtbefragung der FSB-Spitze veranlaßte die deutsche Presse zu Schlagzeilen wie "Britische Ermittler dürfen in Moskau keine Fragen stellen" oder gar "Russische Behörden erschweren britische Ermittlungen in Moskau" (4).
Der böse russische Bär hat wieder einmal zugeschlagen. Was hat es nun damit auf sich?
2. Zunächst zu Trepaschkin. Der ist wegen Geheimnisverrats rechtskräftig verurteilt und verbüßt z.Zt. seine Freiheitsstrafe. Daher ist es durchaus nachvollziehbar, wenn die russischen Behörden ihm den Kontakt zu ausländischen Sicherheitsbehörden verwehren.
Auch völkerrechtlich ist das nicht zu beanstanden. Nach Art. 2 lit. b des für diese Ermittlungen einschlägigen Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen kann die Rechtshilfe verweigert werden,
"wenn der ersuchte Staat der Ansicht ist, daß die Erledigung des Ersuchens geeignet ist, die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung (ordre public) oder andere wesentliche Interessen seines Landes zu beeinträchtigen".
Und: Dürfte in Deutschland ein verurteilter Landesverräter mit ausländischen Sicherheitsbeamten Gespräche führen?
3. Das Problem der Auslieferung zwischen Rußland und Großbritannien ist generell ein heißes Eisen, denn bis heute existiert kein bilaterales Auslieferungsübereinkommen. Daher dürfen sich mit russischem Haftbefehl gesuchte Personen wie Beresowski dort (noch) aufhalten und frei bewegen.
Im vorliegenden Fall geht es aber um potentielle Verdächtige, die russische Staatsbürger sind. Bezüglich deren Auslieferung ist Art. 61 Abs. 1 der russischen Verfassung eindeutig:
"Der Bürger der Rußländischen Föderation darf nicht aus der Rußländischen Föderation ausgewiesen oder an einen anderen Staat ausgeliefert werden."
Zum Vergleich: Auch das deutsche Grundgesetz enthält in Art. 16 Abs. 2 ein solches Auslieferungsverbot, für das nur zwei eng begrenzte Ausnahmen gelten:
"Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind."
Vom rechtsstaatlichen Standpunkt aus wird man die Äußerung Tschaikas also kaum kritisieren können.
4. Dann ist noch die Klage darüber, daß die britischen Beamten keine Untersuchungshandlungen vornehmen dürfen, sondern nur zusammen mit der russischen Staatsanwaltschaft.
Der Grund dafür ist simpel: Briten können in Rußland keine Hoheitsgewalt ausüben. Die Russische Föderation ist ein souveräner Staat (vgl. auch Art. 2 Nr. 1 UN-Charta), so daß polizeiliche Ermittlungen nur von russischen Stellen vorgenommen werden dürfen, obgleich dies im Rahmen der Rechtshilfe auf ein britisches Ersuchen hin geschieht. In Art. 3 Abs. 1 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens heißt es:
"Rechtshilfeersuchen in einer Strafsache, die ihm von den Justizbehörden des ersuchenden Staates zugehen und die Vornahme von Untersuchungshandlungen oder die Übermittlung von Beweisstücken, Akten oder Schriftstücken zum Gegenstand haben, läßt der ersuchte Staat in der in seinen Rechtsvorschriften vorgesehenen Form erledigen."Es findet keine rechtliche Subordination Rußlands unter das Vereinigte Königreich statt. Und da das UK mithin in Moskau keine eigenen Ermittlungen führen darf (und auch nicht führt), kann von einer russischen Behinderung solcher Ermittlungen keine Rede sein.
Schließlich erwartet doch hoffentlich niemand im Ernst, daß Scotland Yard die Führung des FSB befragen darf?! Würde Deutschland russischen Ermittlern die Vernehmung der Leitung des Bundesamtes für Verfassungsschutz gestatten? Oder die US-Regierung eine Befragung der CIA-Spitze durch kubanische Beamte (etwa zur Klärung der diversen Anschläge auf Fidel Castro)? Beides ist unwahrscheinlich.
Neben diesem formalen Aspekt ist auch in der Sache fraglich, was die FSB-Offiziere denn aussagen sollen und inwiefern dies den britischen Ermittlungsbehörden weiterhelfen würde. Waren sie am Anschlag auf Litwinenko beteiligt, so würden sie dies selbstverständlich leugnen. Waren sie nicht darin verwickelt, würden sie es guten Gewissens bestreiten. Das offizielle Ergebnis stünde also schon vorher fest, mithin wäre außer Spesen - und einem großen Medienrummel - nichts gewesen.
Somit bleibt, bei genauerer Betrachtung, von den Anschuldigungen einer böswilligen Sabotage der Ermittlungen nicht mehr allzuviel übrig.
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