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Donnerstag, 28. April 2011

Führer-Kult

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Einer der Hauptgründe, weshalb mir die Darstellung der rußländischen Innenpolitik in den deutschen Medien nur noch ein müdes Lächeln abringt, ist ihr Liebkosen der sog. "demokratischen" oder "liberalen" Opposition. Typen wie Kasparow oder Nemzow, deren politische Bedeutung sich seit Jahren knapp über Null bewegt, werden von den Medien zu beachtenswerten "Oppositionsführern" aufgebauscht. Damit entsteht ein völlig verzerrtes Bild der politischen Landschaft in der RF.

Deshalb ist es hilfreich, sich die Ergebnisse einer Mitte April von den Soziologen des Lewada-Zentrums durchgeführten Umfrage zu Gemüte zu führen. Die Frage lautete: "Für welchen der Führer der außerparlamentarischen Opposition würden sie bei Präsidentenwahlen ihre Stimme abgeben?" Wenn man bedenkt, daß die wichtigsten Mitarbeiter des Lewada-Zentrums selbst dieser außerparlamentarischen Opposition nahestehen, dann sind die Ergebnisse ernüchternd:
  • Bemerkenswert ist ferner, daß immerhin 59 % der Befragten für keinen der soeben genannten Politiker stimmen würden.

    Möglicherweise ist die Popularität einiger dieser Herren im Ausland größer als im Inland. Zum Vergleich ein paar Zahlen aus Deutschland. Bei der Bundestagswahl 2009 kam die Piratenpartei auf 2 %, die NPD auf 1,5 % und die Tierschutzpartei auf 0,5 % der Zweitstimmen. Das ist der Bereich der Wählergunst, in dem sich die russischen "Liberalen" bewegen, auch wenn der Vergleich von Personen- mit Listenstimmen methodisch nicht ganz sauber ist. (BTW: Auch die NPD betreibt Fundamentalopposition und will das System stürzen.)

    Diese Zahlen verdeutlichen, daß in Rußland ein Erdbeben geschehen müßte, damit die unter dem Oberbegriff der außerparlamentarischen Opposition zusammengefaßten, in sich aber heterogenen Kräfte in absehbarer Zeit die Chance erhielten, wieder in die Staatsduma einzuziehen oder gar den Präsidenten zu stellen.
    Deshalb ist es auch folgerichtig, wenn mit Julia Latynina eine Vertreterin dieser politischen Richtung sich über die Wähler ärgert und unumwunden fordert, daß dem Volk das Wahlrecht entzogen werden müsse, solange es "arm" sei. Dem Pöbel komme höchstens die Aufgabe zu, den gewaltsamen Teil einer Revolution zu erledigen. Für den (großen) Rest der Politik seien hingegen die Reichen und Intellektuellen zuständig. Diese Sicht weist frappierende Ähnlichkeit mit Lenins Theorie von der sozialistischen Partei als "Avantgarde des Proletariats" auf.
    (Frau Latynina wurde übrigens 2008 mit dem Freedom Defenders Award des US State Department ausgezeichnet. Das ist vielsagend.)

    Und dies ist nicht die einzige Parallele, die darauf hinweist, daß viele der russischen "Liberalen" vielleicht nicht inhaltlich, sehr wohl aber in Stil und Argumentation, nach wie vor dem Marxismus-Leninismus huldigen. Die Darstellung der disparaten und zum Teil auch nach deutschen Maßstäben extremistischen oder zumindest unappetitlichen "demokratischen" Opposition wird weiteren Beiträgen in der Zukunft vorbehalten.

    Zwischenzeitlich möchte ich meine Leser auf zwei fast schon klassische Texte verweisen. In "Russia's Limousine Liberals" analysiert Anatol Lieven die Geschichte der Liberalen seit 1990 und legt dar, weshalb sie als politische Organisation auf keinen grünen Zweig kommen. (Einige der klügeren Köpfe unter diesen Leuten sehen es auch selbst ein.) "Out of Power, But Not Out of Business" meint Alexej Kiwa. Damit hebt er darauf ab, daß die alten liberalen Parteien weitgehend tot seien, der Liberalismus als politische Ideologie in Rußland jedoch nach wie vor einflußreich ist - bis weit in die Regierung hinein.

    Ergänzend sei auf die Blogs von Kevin Rothrock, Anatoly Karlin, Leoš Tomíček und Sean Guillory verwiesen, die sich z.T. seit Jahren die Mühe machen, die verworrene Situation der russischen "Liberasten" zu begreifen und ihre zahllosen internen Widersprüche und Streitigkeiten darzustellen, um so ein Gegengewicht zur Hagiographie der Mainstreammedien zu schaffen.

    Abschließend noch einmal zurück zum Thema dieses Artikels. Die Erfahrung mit der Rußlandberichterstattung lehrt also, daß äußerste Vorsicht angebracht ist, wenn deutsche Medien irgendwelche randständigen Politiker zu Oppositionsführern erklären. Dasselbe ist vor wenigen Wochen in Ägypten geschehen.
    Wir erinnern uns: Die Proteste gegen Präsident Mubarak waren im vollen Schwange, als plötzlich Mohammed el-Baradei in Kairo auftauchte und versuchte, auf den bereits fahrenden Zug aufzuspringen. Einige Journalisten bezeichneten ihn denn auch als "Oppositionsführer". Angeblich habe er auch ein Mandat verschiedener Oppostionsgruppen erhalten, doch zumindest die einflußreichen Moslembrüder haben dies dementiert. Mittlerweile ist es wieder stiller um ihn geworden und es ist nicht recht klar, für wen el-Baradei überhaupt spricht. Vielleicht nur für sich selbst. Einen Oppositions-Führer muß man sich wohl anders vorstellen.


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