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Montag, 7. März 2011

Streit um vier Inseln


Die Forderung nach der Rückgabe der Südkurilen gehört seit Jahren zur politischen Folklore in Japan und ich hätte nicht vermutet, daß die Angelegenheit seit Monaten konstant am Köcheln gehalten wird, ohne daß zwischendurch Ruhe einkehrt. Da sich manche deutsche Medien darauf beschränken, die Erklärungen des Tokioer Außenministeriums wiederzugeben, soll nachfolgend die russische Perspektive dargestellt werden.

Politik und Gesellschaft in Japan scheinen das Thema sehr ernst zu nehmen. Als Ursache vermuten Kommentatoren, daß die Führer der seit kurzem in Tokio regierenden Demokratischen Partei glauben, unbedingt außenpolitische Erfolge vorweisen zu müssen - oder zumindest Aktivismus zeigen. So wurde aus einem niedrigschwelligen diplomatischen Streit ein ernsthafter politischer Konflikt. Seitdem mehrere Politiker und Beamte der RF die Inseln besucht hatten, haben seit Anfang Februar die Äußerungen der japanischen Regierung an Schärfe gewonnen. Eine Chronolgie der einzelnen Ereignisse ist hier zu finden. Von den undiplomatischen Formulierungen japanischer Amtspersonen fühlen sich offenbar auch revisionistische Elemente der japanischen Gesellschaft ermutigt. So wurde der rußländischen Botschaft in Tokio kürzlich ein Päckchen mit einer Patrone übersandt sowie während einer Demonstartion die Flagge der RF öffentlich geschändet.

Offenbar glauben tatsächlich manche Japaner, sie könnten diese Inseln (und vielleicht auch andere nach 1945 verlorene Gebiete) irgendwann wieder "heim ins Reich" holen. Auch ein Besuch des japanischen Außenministers in Moskau war nicht geeignet, die Emotionen zu dämpfen. Im Gegenteil, das offizielle Tokio bemüht sich um eine harte und kompromißlose Haltung. Als Beobachter fühlt man sich zunehmend an den Streit um die Falklandinseln erinnert.

In der russischen Presse geht man davon aus, daß die militärische Schwäche Rußlands in der Fernostregion maßgeblich zum jüngsten Aufkeimen der japanischen Forderungen beigetragen hat. Somit wird die im Februar angekündigte Umstrukturierung und qualitative Verstärkung der auf den Südkurilen stationierten Truppen als adäquate Maßnahme angesehen. Zur Erläuterung dieses militärischen Aspektes zitiere ich nachfolgend einen Text, den Michail Barabanow für RIA Nowosti geschrieben hat:

"[...]

Moskaus Entscheidung, die 3500 Mann starke 18. Artilleriedivision auf den südlichen Kurilen-Inseln zu verstärken, war eine unangenehme Überraschung für Japan. Für Russland ging an ihr jedoch kein Weg vorbei.

Das größte Problem bei einem Verteidigungsfall [...] wäre die geografische Nähe der Inseln zu Japan. Theoretisch könnten die japanischen Truppen die Inseln Kunaschir und Iturup plötzlich überfallen. Dabei könnten neben Luftkissenbooten und Hubschraubern auch zahlreiche Fischerboote eingesetzt werden.

Vor allen Dingen sollte man darauf gefasst sein, dass Japaner gewöhnlich zu gut geplanten, aber unerwarteten Angriffen neigen, um Gefechte auszulösen - das haben sie in allen Kriegen bewiesen, an denen sie sich beteiligten. Die geringe Entfernung der Südkurilen wäre günstig, um massenhaft japanische Truppen und Güter mit Schiffen, Booten und Hubschraubern zu verlegen. Kunaschir könnte unmittelbar vom japanischen Territorium mit Raketen- und Artilleriewaffen (darunter Hochpräzisionsgeschosse) beschossen werden.

Die japanischen Truppen sind gut ausgebildet und hochmotiviert. Außerdem sind sie mit modernsten Waffen bzw. modernster Technik ausgerüstet. Besonders wichtig ist, dass die Japaner über einzigartige mobile hochpräzise Feuermittel wie die taktischen Raketen der Typen 96 und XATM-6 verfügen, die auf Geländefahrzeugen installiert sind.

Auf die russischen Inseln könnten sie mit einfachen Verkehrsmitteln gebracht werden und wären ein effektives Kampfmittel nicht nur gegen Panzer, sondern auch gegen die Artillerie und geschützte Feuerstellungen. Dank ihrer Überlegenheit in der Luft und ihren hochpräzisen Waffen könnten die Japaner die Stellungsverteidigung auf den russischen Inseln viel leichter durchbrechen als man erwarten könnte.

Möglichkeiten und Realität

Derzeit sind die russischen Kräfte auf den Kurilen-Inseln und im ganzen Fernen Osten nicht imstande, ein solches Szenarium zu verhindern. Die Kräfte der 18. Artilleriedivision befinden sich überwiegend außer Gefechtsbereitschaft und sind deshalb vorwiegend nicht auf Kampfhandlungen eingestellt.

Außerdem liegen die Truppenteile auf den Inseln Kunaschir und Iturup weit auseinander und sind hauptsächlich mit schwerer, aber alter Technik ausgerüstet. Wegen der schwierigen Geländes können diese Kräfte nur schwer in Bewegung gesetzt werden. Offensichtlich sind auch die Mängel in der Luftabwehr. Unter diesen Umständen könnte den russischen Truppen im Falle einer Landung des Feindes das gleiche Schicksal wie der argentinischen Armee auf den Falkland-Inseln im Jahr 1982 drohen.

Die Kriegsschiffe der Pazifik-Flotte sind auf der Halbinsel Kamtschatka und in der Region Primorje und damit zu weit von den Kurilen-Inseln stationiert. Ihre Möglichkeiten zur Erreichung der Seeherrschaft und im Kampf gegen die japanische Marine sind deswegen nicht genau einschätzbar. Aber selbst wenn sie Erfolg hätten, wäre das für die Japaner kein Hindernis bei der Landung und bei der Versorgung ihrer Kräfte auf den Kurilen-Inseln.

Eine ständige Blockade der Kurilen durch die Schiffe der Pazifik-Flotte wäre auch wegen der Nähe zu der japanischen Küste unmöglich. Außerdem wären diese Schiffe der Gefahr seitens der an der Küste stationierten japanischen Raketen und Kampfjets ausgesetzt.

Noch geringer wären Russlands Chancen bei einem Luftkampf um die Inseln. Die nächstgelegenen russischen Flugplätze, die für Kampfflugzeuge geeignet sind, befinden sich auf Sachalin und Kamtschatka. Stützpunkte mit den Jagdflugzeugen MiG-31 und Su-27SM sind auf Kamtschatka und in Komsomolsk am Amur stationiert.

Selbst wenn ein großer Teil der russischen Luftwaffe aus anderen Regionen in den Fernen Osten verlegt werden sollte, hätten die Japaner eine Luftüberlegenheit über den Kurilen und Hokkaido. Zumal die Japaner von ihren moderneren Waffen, von ihren gutausgebildeten Piloten sowie von den nahe gelegenen Radaranlagen profitieren würden. Das alles stellt die Luftherrschaft Russlands im Falle von Militäraktionen sehr in Frage.

Deshalb wäre das einzige für Russland mögliche Kriegsszenarium in dieser Region die größtmögliche Verzögerung eines Gefechts um Kunaschir und Iturup bei gleichzeitiger Vorbereitung einer großen Anti-Landungs-Operation, an der sich die Luft- und Seestreitkräfte beteiligen würden. Dabei könnte man versuchen, wenigstens für die Zeit dieser Anti-Landungs-Operation eine örtliche Luftüberlegenheit zu erreichen.

Dennoch muss man einräumen, dass sich Russlands effektive Strategie im Kampf um die Kurilen-Inseln langfristig nur auf die Gefahr der Eskalation und Ausweitung der Kriegshandlungen, darunter Bomben- und Raketenangriffe, auf das ganze Territorium Japans stützen könnte.

Was tun?

Es ist offensichtlich, dass für die Umsetzung des geschilderten Szenariums zur Verteidigung der Südkurilen die Kampfbereitschaft der auf den Inseln stationierten Garnison erforderlich wäre, die zudem mit modernster Technik und modernsten Waffen versorgt werden sollte. Unter anderem geht es um die Verstärkung der Luftabwehr der Inseln, auf denen moderne Flugabwehrraketen mittlerer und künftig auch großer Reichweite installiert werden sollten. Außerdem sollten an der Küste Feuerstellungen gegen kleine Seeziele stationiert werden.

Eine Umstrukturierung der auf den Kurilen stationierten Abwehrmittel wäre wünschenswert. Man sollte die Idee der totalen Abdeckung der langen Küsten aufgeben, was ohnehin schwer zu erfüllen wäre, wenn der Gegner leichte Landungsmittel einsetzen würde. Dafür sollten die Garnisonen auf Iturup und Kunaschir zusammengezogen werden. Sie sollten seitens der Feuerstellungen und Luftabwehrkräfte abgesichert werden.

Soweit ich beurteilen kann, zielen die jüngsten Maßnahmen zur Modernisierung der Verteidigungsmittel auf den Inseln in diese Richtung. So hat die Umrüstung der dort stationierten Truppenteile bereits begonnen. Im vorigen Jahr wurden die alten Panzer T-55 durch modernere T-80BW ersetzt. Außerdem sollen auf den Kurilen-Inseln Luftabwehrraketen Buk-M1 mittlerer Reichweite aufgestellt werden.

Die Umwandlung der 18. Division in einen ständig kampfbereiten Verband, der dem „neuen Image“ der Streitkräfte entsprechen würde, sollte zum nächsten wichtigen Schritt zur Förderung der Verteidigungsfähigkeit des russischen Territoriums werden, das von einem fremden Staat ständig beansprucht wird. Die militärpolitische Führung Russlands sollte sich auch weiterhin mit der Verteidigung der südlichen Kurilen-Inseln befassen.

[...]"
Die Südkurilen waren ja auch eines der Übungsgebiete während des Großmanövers "Wostok-2010". Dabei wurde das Freikämpfen der besetzten Inseln geübt. Anscheinend war das Ergebnis nicht zufriedenstellend, weshalb man sich jetzt in Moskau dafür entschieden hat, die bereits dort dislozierten Truppen zu verstärken, um einem eventuellen Angreifer einen hohen Preis abzufordern und ihn so möglichst abzuschrecken. Denn die Atomwaffen der RF werden auf einen atomwaffenfreien Staat wie Japan kaum zügelnd wirken, da es russischerseits am Willen fehlt, sie einzusetzen.

Bleibt zu hoffen, daß sich die versntwortlichen Herren in Tokio in Minimum an Rationalität bewahren und nicht der Verlockung der "nördlichen Territorien" erliegen. Immerhin denkt man auch in Moskau über verschiedene Szenarien für die Inseln nach, die von einer Freihandelszone über eine weitgehende Entmilitarisierung der Region bis hin zu der seit 1956 im Raum stehenden Teilung der Inseln nach. Mit demonstrativer Härte wird Japan in diesem Fall jedoch nichts erreichen. Dies verwundert um so mehr, als damit der Konflikt in die Länge gezogen wird, was eine einvernehmliche wirtschaftliche Nutzung der Inselregion natürlich verzögert. Und daran müßte doch auch Japan gelegen sein. Ferner kann man nur hoffen, daß die Regierung der Vereinigten Staaten demnächst beginnt, mäßigend auf Tokio einzuwirken, statt erneut Öl ins Feuer zu gießen.


Bibliographie und weiterführende Links:

I. Kramnik: Russland rüstet Kurilen-Inseln auf

M. Barabanow: Südkurilen - Aufrüsten für den V-Fall

F. Lukjanow: Kurilen-Inseln: Russland und Japan im Dauerclinch

D. Kossyrew: USA und Kurilen-Streit - Verhärtete Fronten

M. Chapman: Noun, Verb, Kurils (Again)

R. Rozoff: U.S. Backs Japan In Looming Confrontation With Russia

I. Kramnik: Kurilskij prezedent

A. Petrowa: Ot raket do wertoletow

O. Isajtschenko: Poslednjaja diwisija

D. Gorenburg: Is the Mistral deployment to the Pacific a dagger aimed at the heart of the US Pacific Fleet?



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Fotos: Itar-Tass.

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