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Donnerstag, 17. März 2011

Die Lust am Weltuntergang


Die Katastrophe, die vor wenigen Tagen heimgesucht Japan hat, beherrscht auch die deutsche Öffentlichkeit. Allerdings steht zunehmend das Atomkraftwerk Fukushima im Fokus der Aufmerksamkeit. Dabei ist die Berichterstattung oft alles andere als seriös. Munter werden Begriffe wie Strahlung, Radioaktivität, Sievert usw. gebraucht, ohne hinreichend zwischen Konatmination und Inkorporation sowie zwischen Alpha-, Beta- und Gamma-Strahlen etc. zu unterscheiden. Einige Experten in den Fernsehstudios bemühen sich zwar um eine nüchterne und sachliche Darstellung (z.B. Ranga Yogeshwar), doch es überwieges Berichte, die geeignet sind, bei den Zuschauern Panik hervorzurufen. Schlimm wird es dann, wenn allen, die nicht in den Weltuntergangschor einstimmen wollen, vorgeworfen wird, sie wären von der "Atomlobby" gekauft worden. Dies macht mich (wieder einmal) skeptisch gegenüber den Medien, obgleich auch ich nur ein naturwissenschaftlicher Laie bin.

Wir Deutschen sind bekanntlich ein besonders ängstliches Volk und so verwundert es nicht, daß hierzulande Strahlenmeßgeräte und Jodtabletten stark nachgefragt werden, obwohl Japan über 8.000 km entfernt ist. Leichter verständlich sind derartige Reaktionen allerdings im Fernen Osten Rußlands, ist diese Region doch nur einige hundert bis tausend Kilometer von Japan entfernt. Doch auch dort gilt, daß die präventive Einnahme von Jodtabletten außerhalb einer akuten A-Lage der Gesundheit schadet. (Die einzigen, die sich darüber freuen, sind die Pharmaunternehmen.) Warum wollen das manche Menschen nicht begreifen und behaupten stattdessen, daß sie von den Behörden belogen würden? Ist Panik ein derart angenehmer psychischer Zustand, den man sich unbedingt bewahren möchte?

Richtig absurd ist die Behauptung, ein ähnliches Ereignis wie in Fukushima könnte auch Deutschland drohen. Welches deutsche AKW steht an der Küste und ist somit der Doppelgefahr eines Erdbebens mit anschließender Flutwelle ausgesetzt? Bei aller, z.T. berechtigten Kritik an der Atompolitik unserer schwarz-gelben Regierung sollte man doch sachlich bleiben und versuchen, seinen Emotionen keinen freien Lauf zu lassen.
Der russische Katastrophenschutz auf Süd-Sachalin hat gestern übrigens eine Onlineübertragung der Strahlenmessung eingerichtet, um Panik unter der Bevölkerung entgegenzuwirken. Leider werden auch Vorkehrungsmaßnahmen der Behörden, etwa hinsichtlich möglicher Evakuierungen, oft falsch verstanden.



Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Lage in Japan ist extrem ernst und ich hatte in den letzten Tagen mehrfach den Eindruck, daß die japanische Regierung selbst nicht so recht weiß, was in ihrem Land vorgeht. Dennoch besteht hierzulande kein Grund für Panickattacken oder für die Verwendung unsinniger Wortgebilde wie "Super-GAU" - als ob man den "größten anzunehmenden Unfall" sprachlich noch steigern könnte. Es sei denn, man will mit Fukushima Wahlkampf machen.

Bedauerlich ist, daß die potentielle Großkatastrophe in Japan die bereits real eingetretene - nämlich die Erdbeben und die Tsunami - in den Hintergrund drängt. Doch dadurch sind nicht nur tausende Menschen ums Leben gekommen, etwa 430.000 wurden obdachlos. Über 55.000 Gebäude sind überdies zerstört oder beschädigt. Diese Zahlen sind nur schwer vorstellbar. Allein das Schaffen neuen Wohnraums für die Betroffenen wird Jahre dauern, von den weiteren gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen ganz zu schweigen. Im Augenblick ist es zudem schwierig, die Überlebenden im Erdbebengebiet hinreichend mit Wasser und Nahrungsmitteln zu versorgen.

Angesichts des Schadensausmaßes hat es mich überrascht, wie zurückhaltend die japanische Regierung auf internationale Hilfsangebote reagiert hat. Die Schnelleinsatzeinheit für Bergung im Ausland (SEEBA) des deutschen THW kam noch relativ schnell zum Einsatz (bereits am 13. März), doch ist die SEEBA mittlerweile schon wieder abgereist. Die offizielle Begründung lautete, daß es keine realistischen Aussichten mehr auf Überlebende gebe. De facto dürfte jedoch die Atomangst ausschlaggebend gewesen sein. Ebenfalls seit Sonntag ist ein chinesisches SAR-Team in Ofunato im Einsatz.



Andere Staaten mußten länger auf die Freigabe aus Tokio warten. So z.B. die Einsatzkräfte des rußländischen Katastrophenschutzministeriums (dt. Abk.: MTschS, eng.: MChS/Emercom). Bereits am 11. März ging das erste Hilfsangebot aus Moskau nach Tokio, zugleich wurden die Such- und Rettungseinheit ZentroSpas, ein luftbewegliches Lazarett, die auf besonders riskante Notfälle (einschließlich Atomunfällen) spezialisierte Einheit Lider sowie die Luftflotte des MTschS in Bereitschaft versetzt. Doch erst am Abend des 13. März lag eine Anforderung aus Japan vor. Unmittelbar danach ist ein Mi-26-Hubschrauber mit 25 Rettungskräften, einem Fahrzeug und Ausrüstung an Bord in Chabarowsk gestartet und nach Japan geflogen. Diese Mannschaft gehört zum regionalen Rettungsdienst im fernen Osten. Zeitgleich startete in Ramenskoje (bei Moskau) eine Transportmaschine Il-76 mit weiteren 50 Mann, drei Fahrzeugen und weiterem Material, die zu ZentroSpas zählen.

Am 15. März haben sie die Arbeit in der Region Sendai aufgenommen und die ersten Leichen geborgen. Mittlerweile sind weitere Such- und Rettungskräfte aus verschiedenen Einheiten des MTschS eingeflogen worden. Insgesamt sind es jetzt 161 Mann, die sich auf einen zweiwöchigen Einsatz eingestellt haben. Sie sind bedingt auch auf Einsätze unter ABC-Bedingungen vorbereitet. Desweiteren hat die japanische Regierung um humanitäre Hilfe in Gestalt von Decken und Matrazen gebeten, mit denen Notunterkünfte ausgestattet werden sollen. Knapp 10.000 Decken wurden schon aus Moskau nach Japan gebracht.

Damit hat Japan erstmals Katastrophenhilfe aus Rußland angenommen. Der jüngst wieder hochgekochte Konflikt um die Kurilen tritt offenbar in den Hintergrund. Eine Ausnahme gibt es allerdings: Einem Team von Kernkraftwerksexperten der Agentur RosAtom, das in Fukushima helfen sollte, wurde bisher die Einreise verweigert; es befindet sich nach wie vor in Chabarowsk. Möglicherweise befürchtet man in Tokio Industriespionage.

Trotz aller Not hat die jüngste Entwicklung auch zwei positive Aspekte. Regierung und Bevölkerung Japans werden in den nächsten Jahren mit Sicherheit wichtigeres zu tun haben, als außenpolitischen Träumen über eine Wiedergewinnung der Südkurilen nachzuhängen und so die Sicherheit im pazifischen Raum zu gefährden. Zweitens ermöglicht die nunmehr noch einmal intensivierte Zusammenarbeit der beiden Staaten, die Beziehungen generell zu verbessern. Wann hat es das je gegeben: Zwei Staaten, die sich de jure noch im Kriegszustand befinden, leisten sich gegenseitig Katastrophenhilfe?



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Fotos: MTschS, RIA Nowosti.

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